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BGH Beschluss v. - 5 StR 443/24

Instanzenzug: Az: 13 KLs 553 Js 60632/21

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
Die Gefährlichkeitsprognose zeigt keine den Angeklagten belastenden Rechtsfehler auf.
Insbesondere ist es nach Ansicht des Senats nicht zu beanstanden, dass das Landgericht bei der erforderlichen umfassenden Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat einen gewalttätigen Übergriff auf einen Mitschüler im Jahr 2017 berücksichtigt hat. Die psychiatrische Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass der Umstand früherer Gewalttätigkeiten und eine bestehende Neigung zur Gewaltanwendung, wenn sich der Angeklagte unverstanden oder „geärgert“ fühle, schon losgelöst von der seit 2019 sicher zu diagnostizierenden Schizophrenie prognostisch ungünstig sei. Derart dissoziale und Gewalt fördernde Verhaltensweisen hätten sich bereits vor dem Ausbruch der Erkrankung gezeigt. Unter dem Einfluss der Störung gerate er in einen Zustand hochgradiger affektiver Erregung, bei dem er in Ermangelung funktionaler Konfliktlösungsstrategien über kein anderes Mittel verfüge als die von ihm als solche empfundenen Herabwürdigungen oder seinen Ärger mit Gewalt zu kompensieren.
Diese Ausführungen belegen, dass die beschriebene Neigung zu Gewalt einen individuell bedeutsamen Bedingungsfaktor für die Gefährlichkeit des Angeklagten darstellt, zu dem die Störung gefährlichkeitserhöhend hinzutritt (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 390/23 mwN, NStZ-RR 2024, 239 f.; vom – 5 StR 302/23 Rn. 15; vom – 4 StR 301/24, NStZ-RR 2024, 337, 339). Hier verhält es sich zudem so, dass die aus der Störung resultierende Gefährlichkeit so eng mit der schon zuvor bestehenden Neigung verknüpft ist, dass eine davon losgelöste Beurteilung den Erfordernissen einer umfassenden Gesamtwürdigung nicht gerecht würde (vgl. hierzu: , NStZ-RR 2024, 305 f.).
Vielmehr sind die – die hierfür erforderlichen Anknüpfungstatsachen vermittelnden – psychiatrischen und psychologischen Sachverständigen auf eine vollständige Persönlichkeitsanamnese angewiesen, die die Kenntnis aller wesentlichen Einzelheiten aus dem Vorleben des Betroffenen voraussetzt. Dürften dabei frühere Straftaten nicht verwertet werden, käme es unter Umständen zu lückenhaften Ergebnissen, die wissenschaftlich nicht überzeugen können und daher als Grundlage für die Überzeugungsbildung ausscheiden (BT-Drucks. 18/11933 S. 29, 30 zu § 52 Abs. 1 BZRG).
Um eine solche Gefahr zu vermeiden und eine verlässliche wissenschaftliche Grundlage für Gutachten über den Geisteszustand zu gewährleisten, hat der Gesetzgeber durch die Vorschrift des § 50 Nr. 2 BZRG aF Ausnahmen vom Verwertungsverbot für getilgte Vorstrafen geschaffen (Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drucks. VI/1550, S. 23). Diese Ausnahmen hat er durch die Neufassung des § 52 Abs. 1 Nr. 2 BZRG deutlich erweitert. Zum Sinn und Zweck dieser Ausweitung wird in den Gesetzesmaterialien ausgeführt, dass den Gutachterinnen und Gutachtern für ihre Gutachtenerstellung im Rahmen der §§ 20, 21, 63, 64, 66, 66a, 66b StGB über die Schuldfähigkeit und Gefährlichkeit der Betroffenen eine vollständige Persönlichkeitsanamnese ermöglicht werden solle, zu der häufig die wesentlichen Einzelheiten aus dem Vorleben der Betroffenen gehören (BT-Drucks. 18/11933 aaO).
Diesem Zweck – eine möglichst zuverlässige Tatsachenbasis für die Beurteilung der Gefährlichkeit zu schaffen – würde es aber widerstreiten, wollte man individuell bedeutsame Bedingungsfaktoren für die zu erwartende Delinquenz deswegen unbeachtet lassen, weil sie sich aus nicht von der Störung beeinflusstem Vorverhalten ergeben (so aber BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 265/22; vom – 4 StR 449/20; vom – 6 StR 146/23, NStZ-RR 2023, 201 f.; für die Zulässigkeit einer nicht tragenden Heranziehung Urteil vom – 2 StR 359/23; Beschluss vom – 1 StR 176/20; vgl. demgegenüber Beschlüsse vom – 5 StR 390/23 mwN, NStZ-RR 2024, 239 f.; vom – 5 StR 302/23; vom – 4 StR 301/24, NStZ-RR 2024, 337, 339).
Hier kommt es indes darauf nicht an. Denn die Strafkammer hat die Erwartung „ungebremster Gewalthandlungen“ – wie es sich etwa bei dem Übergriff 2017, aber auch bei einigen Anlasstaten gezeigt habe – mit der hochgradigen Erregbarkeit begründet, die sie aber auch als „symptomatisch für die bei dem Angeklagten dauerhaft vorhandene und fortbestehende Störung“ bewertet hat. Dies veranschaulicht, dass der Rückgriff auf die Tat im Jahr 2017 nur beispielhaften Charakter hatte, sich die ungünstige Prognose auf Umstände stützt, die auch aus den Anlasstaten und der Störung im Sinne des § 20 StGB abgeleitet werden.
Cirener 
  
Gericke 
  
RiBGH Köhler ist im Urlaubund kann nicht unterschreiben.
Cirener
  
Resch 
  
von Häfen 
  

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:031224B5STR443.24.0

Fundstelle(n):
VAAAJ-88809

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