SE - Nachholung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens
Leitsatz
Das Verhandlungsverfahren über eine Beteiligung der Arbeitnehmer ist nicht nachzuholen, wenn es bei Gründung und vor Eintragung einer SE in das Register eines Mitgliedstaats der Europäischen Union unterblieben ist, weil deren Gründungsgesellschaften keine Arbeitnehmer beschäftigten.
Gesetze: § 4 SEBG, § 18 SEBG, § 11 SEBG, § 43 SEBG, Art 2 EGV 2157/2001, Art 12 EGV 2157/2001, Art 4 EGRL 86/2001, Art 3 EGRL 86/2001
Instanzenzug: Az: 17 BV 20/19 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 3 TaBV 1/20 Beschlussvorgehend Az: 1 ABR 37/20 (A) EuGH-Vorlagevorgehend Az: C-706/22 Urteil
Gründe
1A. Die Beteiligten streiten über die Einleitung eines Verfahrens zur Verhandlung über eine Arbeitnehmerbeteiligung in einer Europäischen Gesellschaft (SE) und damit im Zusammenhang stehende Informationsansprüche.
2Antragsteller ist der bei der O SE & Co. KG (O KG) gebildete Konzernbetriebsrat. Beteiligter zu 2. ist der Vorstand der O Holding SE (Holding SE) als deren Leitungsorgan.
3Die Holding SE wurde Anfang 2013 nach Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 (SE-VO) durch die O Ltd. und die O GmbH mit Sitz in England gegründet. Da die Gründungsgesellschaften keine Arbeitnehmer beschäftigten und auch nicht über Tochtergesellschaften verfügten, bei denen Arbeitnehmer beschäftigt waren, fanden vor der Eintragung der Holding SE in das Register für England und Wales keine Verhandlungen über die Beteiligung von Arbeitnehmern statt.
4Die Holding SE war ab März 2013 alleinige Gesellschafterin der O Holding GmbH (Holding GmbH) mit Sitz in Hamburg. Die Holding GmbH wurde im Juni 2013 im Weg eines Formwechsels in die O KG umgewandelt. Diese beschäftigt ca. 800 Mitarbeiter und hat Tochtergesellschaften in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union, bei denen insgesamt ca. 2.200 Arbeitnehmer tätig sind. Persönlich haftende Gesellschafterin der O KG ist die im Jahr 2013 gegründete O Management SE. Deren alleinige Anteilseignerin ist die Holding SE, die zudem alleinige Kommanditistin der O KG war und ist.
5Im Oktober 2017 verlegte die Holding SE ihren Sitz nach Hamburg.
6Der Konzernbetriebsrat hat die Auffassung vertreten, die - grundsätzlich vor Eintragung der SE durchzuführenden - Verhandlungen über eine Arbeitnehmerbeteiligung seien nachzuholen. Die Holding SE habe gegenüber der O KG eine beherrschende Stellung inne, sodass ihr sowohl deren Arbeitnehmer als auch die ihrer Tochtergesellschaften zuzurechnen seien.
7Der Konzernbetriebsrat hat zuletzt sinngemäß beantragt,
8Der Vorstand der Holding SE hat beantragt, die Anträge abzuweisen.
9Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Konzernbetriebsrats zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Konzernbetriebsrat sein Begehren weiter.
10B. Die Rechtsbeschwerde des Konzernbetriebsrats ist unbegründet.
11I. Die Anträge sind zulässig. Sie bedürfen jedoch der Auslegung.
121. Der Konzernbetriebsrat erstrebt - wie sich aus seinem Vortrag ergibt - die nachträgliche Einleitung eines Verhandlungsverfahrens iSv. §§ 11 ff. SEBG. Dies erfordert zunächst die Bildung eines besonderen Verhandlungsgremiums. Deshalb sind die Anträge - bei gebotener rechtsschutzgewährender Auslegung (vgl. dazu - Rn. 11 mwN, BAGE 171, 340) - abweichend von ihrer sprachlichen Fassung als einheitliches Begehren zu verstehen. Mit ihm soll der Leitung der SE entsprechend § 4 Abs. 1 und 2 SEBG aufgegeben werden, die hierfür vorgesehenen Handlungen vorzunehmen (vgl. auch (A) - Rn. 15, BAGE 178, 47). Der Vorstand der Holding SE soll danach alle Arbeitnehmervertretungen ihrer Tochtergesellschaften iSv. § 2 Abs. 3 SEBG - bei Fehlen solcher Vertretungen deren Arbeitnehmer - schriftlich auffordern, ein besonderes Verhandlungsgremium zu bilden und ihnen zu diesem Zweck entsprechend § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 SEBG die erforderlichen Auskünfte iSv. Abs. 3 der Norm erteilen. Die begehrten Informationen umfassen die Namen und Rechtsformen aller Tochtergesellschaften der SE in der Europäischen Union und deren Betriebe sowie Auskünfte über die Existenz der dort ggf. bestehenden Arbeitnehmervertretungen, die Anzahl der in den betreffenden Gesellschaften und Betrieben jeweils beschäftigten Arbeitnehmer sowie die daraus zu errechnende Gesamtzahl der in einem Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer. Zudem soll - soweit vorhanden - die Anzahl derjenigen Arbeitnehmer mitgeteilt werden, denen Mitbestimmungsrechte iSv. § 2 Abs. 12 SEBG in den Organen der Tochtergesellschaften zustehen.
132. Der so verstandene - einheitliche - Antrag ist iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt (vgl. zu den Anforderungen - Rn. 14 mwN, BAGE 169, 267; - 1 ABR 9/13 - Rn. 12). Der Vorstand der Holding SE kann erkennen, welche Handlungen er vornehmen soll.
14II. Der Konzernbetriebsrat ist antragsbefugt.
151. Die Zulässigkeit eines im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren zur Entscheidung gestellten Antrags setzt die Antragsbefugnis des Antragstellers voraus. Dieses Erfordernis dient dazu, „Popularanträge“ auszuschließen. Eine Antragsbefugnis ist - abgesehen von den Fällen zulässiger Prozessstandschaft - daher nur gegeben, wenn eigene Rechte geltend gemacht werden und dies nicht von vornherein als aussichtslos erscheint (etwa - Rn. 40 mwN, BAGE 180, 290).
162. Der Antragsteller macht mit seinem Antrag eigene Rechte geltend. Er behauptet, als Arbeitnehmervertretung sei er berechtigt, die Einleitung eines Verfahrens zur Bildung eines besonderen Verhandlungsgremiums gerichtlich durchzusetzen.
17III. An dem Beschlussverfahren ist neben dem Konzernbetriebsrat als Antragsteller der Vorstand der Holding SE beteiligt.
181. Nach § 83 Abs. 3 ArbGG haben in einem Beschlussverfahren neben dem Antragsteller diejenigen Stellen ein Recht auf Anhörung, die nach dem jeweiligen Gesetz im einzelnen Fall beteiligt sind. Die Vorschrift regelt nicht selbst, wer Beteiligter eines Beschlussverfahrens ist. Sie ordnet lediglich an, dass die genannten Personen und Stellen zu hören sind. Maßgeblich ist, welche Personen oder Stellen durch die vom Antragsteller begehrte Entscheidung in ihrer kollektivrechtlichen Stellung unmittelbar betroffen sind (vgl. - Rn. 26, BAGE 180, 290; - 7 ABR 20/20 - Rn. 9 mwN).
192. Danach ist der Vorstand der Holding SE am Verfahren beteiligt. Als deren Leitungsorgan (Art. 38 Buchst. b SE-VO) ist er möglicher Anspruchsverpflichteter aus § 4 Abs. 1 SEBG. Die Leitung einer SE ist grundsätzlich beteiligtenfähig iSd. § 2a Abs. 1 Nr. 3e, § 10 ArbGG (vgl. Forst Die Beteiligungsvereinbarung nach § 21 SEBG S. 380 f.; Weth in Schwab/Weth ArbGG 6. Aufl. § 83 Rn. 93b).
20IV. Der - einheitlich zu verstehende - Antrag, der nach § 3 Abs. 1 Satz 1 SEBG nach deutschem Sachrecht zu beurteilen ist, ist unbegründet.
211. Eine Pflicht zur Nachholung eines Verhandlungsverfahrens über eine Arbeitnehmerbeteiligung ergibt sich weder aus § 4 noch aus § 18 SEBG.
22a) Eine unmittelbare Anwendung von § 4 SEBG scheidet aus. Im Ausgangsfall geht es nicht um die geplante Gründung einer SE iSv. Art. 2 SE-VO, sondern um die Nachholung eines solchen Verhandlungsverfahrens in einer bereits gegründeten SE. Dieser Fall ist in § 4 SEBG nicht geregelt (sh. bereits (A) - Rn. 21, BAGE 178, 47).
23b) Der Konzernbetriebsrat kann sein Begehren auch nicht auf § 18 SEBG stützen.
24aa) Nach § 18 Abs. 1 und 2 SEBG können die Arbeitnehmer oder ihre Vertreter nach Gründung einer SE unter bestimmten Voraussetzungen die erneute Bildung eines besonderen Verhandlungsgremiums und die Wiederaufnahme von Verhandlungen mit der Leitung der SE beschließen. Die Vorschrift setzt voraus, dass bereits bei Gründung der SE ein besonderes Verhandlungsgremium gebildet wurde, das nach § 16 Abs. 1 SEBG die Nichtaufnahme oder den Abbruch der Verhandlungen beschlossen hat. Diese Anforderungen sind hier nicht gegeben. Bei Gründung der Holding SE konnte kein besonderes Verhandlungsgremium errichtet werden, weil die Gründungsgesellschaften und deren - etwaige - Tochtergesellschaften keine Arbeitnehmer beschäftigten (vgl. bereits (A) - Rn. 23, BAGE 178, 47).
25bb) § 18 Abs. 3 SEBG ist ebenfalls nicht einschlägig. Die Norm regelt eine Wiederaufnahme von Verhandlungen für den Fall, dass strukturelle Änderungen der SE geplant sind, die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer mindern können. Damit setzt sie - unabhängig von ihren übrigen tatbestandlichen Anforderungen - voraus, dass bereits bei Gründung der SE Verhandlungen über eine Arbeitnehmerbeteiligung stattgefunden haben (vgl. bereits (A) - Rn. 24, BAGE 178, 47).
262. Eine analoge Anwendung dieser Vorschriften kommt nicht in Betracht. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke.
27a) Eine Vorschrift kann analog angewendet werden, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält, deren Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann. Andernfalls könnte jedes Schweigen des Gesetzgebers als planwidrige Lücke aufgefasst und im Weg der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden. Die Lücke muss sich deshalb daraus ergeben, dass der Gesetzgeber unbeabsichtigt von seinem Regelungsplan abweicht, der dem konkreten Gesetzgebungsverfahren zugrunde liegt (vgl. - Rn. 50, BAGE 176, 160; - 1 ABR 35/18 - Rn. 41 mwN, BAGE 169, 149).
28b) Diese Bedingungen sind nicht gegeben. Das SE-Beteiligungsgesetz enthält keine planwidrige Regelungslücke für den Fall, dass die Bildung und Beteiligung eines besonderen Verhandlungsgremiums entgegen den Vorgaben von Art. 12 Abs. 2 SE-VO sowie §§ 4 ff. SEBG bei Gründung und vor Eintragung einer SE nicht erfolgt ist, weil deren Gründungsgesellschaften keine Arbeitnehmer beschäftigten.
29aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Nachholung eines Beteiligungsverfahrens iSv. Art. 3 der Richtlinie 2001/86/EG bei Gründung einer arbeitnehmerlosen SE unionsrechtlich nicht vorgesehen.
30(1) Nach Art. 12 Abs. 2 SE-VO kann eine SE erst eingetragen werden, wenn eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer nach Art. 4 der Richtlinie 2001/86/EG geschlossen oder ein Beschluss nach ihrem Art. 3 Abs. 6 gefasst worden ist oder die Verhandlungsfrist nach Art. 5 abgelaufen ist, ohne dass eine Vereinbarung zustande gekommen wäre. Dementsprechend enthält die Richtlinie 2001/86/EG - deren Bestimmungen eine untrennbare Ergänzung der SE-VO sind (vgl. Erwägungsgrund 19 der SE-VO; Erwägungsgrund 3 der Richtlinie 2001/86/EG) - keine Regelungen für nachträgliche Verhandlungen bei einer im Zeitpunkt ihrer Gründung arbeitnehmerlosen SE. Sie sieht lediglich drei Fallgestaltungen vor, in denen Verhandlungen zu einem späteren Zeitpunkt eingeleitet werden können. Diese verlangen aber stets, dass bereits bei der Gründung der SE ein besonderes Verhandlungsgremium eingesetzt wurde (ausf. - [Konzernbetriebsrat] Rn. 41 ff., 45).
31(2) Ist eine Beteiligung der Arbeitnehmer bei Gründung einer SE nicht möglich, weil die an der Gründung beteiligten Gesellschaften zu diesem Zeitpunkt keine Arbeitnehmer beschäftigen, sind Art. 12 Abs. 2 SE-VO, Art. 3 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2001/86/EG zwar nicht anzuwenden (vgl. - [Konzernbetriebsrat] Rn. 40). Gleichwohl beruht das Fehlen von Regelungen für eine nachträgliche Aufnahme von Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeteiligung in der SE nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht auf einem Versehen. Es handelt sich vielmehr um eine bewusste Entscheidung des Unionsgesetzgebers, die sich aus einem Kompromiss über das Vorher-Nachher-Prinzip ergibt (vgl. - [Konzernbetriebsrat] Rn. 51).
32bb) Danach mangelt es auch im nationalen Recht an einer planwidrigen Regelungslücke. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers sollte mit dem SE-Beteiligungsgesetz die Richtlinie 2001/86/EG umgesetzt werden (vgl. BT-Drs. 15/3405 S. 1). Damit hat er sich deren Regelungsplan zu eigen gemacht. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass er eine Pflicht zur Nachholung von Verhandlungen im Fall der Gründung einer arbeitnehmerlosen SE hätte regeln wollen.
333. Ein Anspruch auf Nachholung von Verhandlungen ergibt sich auch nicht aus § 43 SEBG unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs. Dabei kann dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen von einem Missbrauch einer SE auszugehen ist. Jedenfalls kommt im Rahmen des SE-Beteiligungsgesetzes die Nachholung einer Arbeitnehmerbeteiligung als Rechtsfolge eines solchen Missbrauchs nicht in Betracht.
34a) § 43 Satz 1 SEBG bestimmt zwar, dass eine SE nicht dazu missbraucht werden darf, den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Die Norm ordnet aber nicht an, dass das Verfahren zur Beteiligung der Arbeitnehmer im Fall eines Missbrauchs (nachträglich) durchzuführen wäre. Satz 1 der Norm beschränkt sich darauf, ein bestimmtes Verhalten zu untersagen (für den Charakter als Verbotsgesetz vgl. etwa Henssler in Habersack/Henssler Mitbestimmungsrecht 4. Aufl. § 43 SEBG Rn. 15; Rupp in Annuß/Kühn/Rudolph/Rupp EBRG § 43 SEBG Rn. 5), ohne - über eine mögliche Anwendung von § 134 BGB hinaus - positiv Handlungspflichten zu normieren.
35b) Eine - ggf. im Weg richterlicher Rechtsfortbildung (vgl. dazu zB - Rn. 18 mwN) - den Wortlaut von § 43 SEBG übersteigende Auslegung dahingehend, dass bei einem Missbrauch iSd. Norm ein Verhandlungsverfahren entsprechend den §§ 11 ff. SEBG nachzuholen wäre, ist weder unionsrechtlich geboten noch entspräche sie dem Willen des nationalen Gesetzgebers (für eine Verpflichtung zur Nachholung etwa NK-ArbR/Sagan 2. Aufl. SEBG § 43 Rn. 10).
36aa) Nach Art. 11 der Richtlinie 2001/86/EG, dessen Umsetzung § 43 SEBG dient (BT-Drs. 15/3405 S. 57), haben die Mitgliedstaaten im Einklang mit den unionsrechtlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen zu treffen, um zu verhindern, dass eine SE dazu missbraucht wird, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. In Bezug auf die Auswahl der insoweit zu ergreifenden geeigneten Maßnahmen haben die Mitgliedstaaten einen Wertungsspielraum. Eine im nationalen Recht für den Fall des Missbrauchs vorgesehene Verpflichtung zur Nachholung eines Verhandlungsverfahrens ist dabei nicht ausgeschlossen, aber unionsrechtlich auch nicht vorgegeben (vgl. - [Konzernbetriebsrat] Rn. 56).
37bb) Der in der Gesetzesbegründung zum SE-Beteiligungsgesetz zum Ausdruck kommende Wille des nationalen Gesetzgebers spricht gegen die Annahme, im Rahmen des SE-Beteiligungsgesetzes solle bei einem Missbrauch die nachträgliche Durchführung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens in Betracht kommen. Zwar sind seine Ausführungen zu § 43 SEBG insoweit unergiebig, weil sie sich im Wesentlichen auf bloße Erläuterungen des Missbrauchsbegriffs beschränken (vgl. BT-Drs. 15/3405 S. 57). Seine Erwägungen zu § 45 SEBG, der einen Verstoß gegen das Missbrauchsverbot unter Strafe stellt, machen aber deutlich, dass die nachträgliche Durchführung eines Verhandlungsverfahrens keine denkbare Rechtsfolge eines Normverstoßes sein sollte. Der Gesetzgeber verweist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf, dass Art. 11 der Richtlinie 2001/86/EG geeignete Maßnahmen der Mitgliedstaaten verlangt, um zu verhindern, dass eine SE dazu missbraucht wird, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Ausgehend von der Annahme, dass es bei einem Missbrauch „aus gesellschaftsrechtlichen Gründen … nur eingeschränkt möglich sein“ werde, „vollzogene grenzüberschreitende Maßnahmen rückgängig zu machen“, soll gerade der „präventiven Wirkung der Strafandrohung“ in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG eine „besondere Bedeutung“ zukommen (BT-Drs. 15/3405 S. 57). Neben einer möglichen Unwirksamkeit von Maßnahmen und ihrer - sich hieraus ergebenden - Rückgängigmachung sollte daher mit der Regelung über die Strafbarkeit die unionsrechtliche Vorgabe von Art. 11 der Richtlinie 2001/86/EG umgesetzt werden.
38cc) Vor allem der Vergleich mit § 36 des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung (MgFSG, BGBl. 2023 I Nr. 10) spricht gegen eine solche Auslegung von § 43 SEBG. Die zum in Kraft getretene Norm enthält ebenfalls ein Missbrauchsverbot, nach dem grenzüberschreitende Vorhaben nicht dazu missbraucht werden dürfen, Arbeitnehmern Mitbestimmungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Der Gesetzgeber hat - wie die Gesetzesmaterialien belegen (vgl. BT-Drs. 20/3817 S. 58) - im Rahmen dieses Gesetzes ausdrücklich darauf verzichtet, eine strafrechtliche Sanktion an die Verletzung des Missbrauchsverbots zu knüpfen. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, dass der - durch die Regelungen der umzusetzenden Richtlinie (EU) 2019/2121 (Art. 86l Abs. 3 Buchst. f; Art. 160l Abs. 3 Buchst. f) in Bezug genommene - Art. 11 der Richtlinie 2001/86/EG den Mitgliedstaaten lediglich vorschreibe, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung des Missbrauchs zu treffen. Er hat sich stattdessen dafür entschieden, bei einem Verstoß gegen das - dortige - Missbrauchsverbot eine Pflicht zur Durchführung von Verhandlungen über die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer entsprechend den §§ 6 bis 24 MgFSG anzuordnen. Damit hat der Gesetzgeber - in Ausübung seines ihm bekannten Gestaltungsspielraums - im Rahmen des SEBG und des MgFSG bewusst unterschiedliche Sanktionen gewählt. Eine der Regelung des § 36 Satz 3 MgFSG entsprechende Auslegung von § 43 SEBG ist - selbst wenn man § 45 SEBG als nicht geeignete Sanktion iSv. Art. 11 der Richtlinie 2001/86/EG ansähe (vgl. dazu NK-ArbR/Sagan 2. Aufl. SEBG § 45 Rn. 5 f.) - daher nicht möglich.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:261124.B.1ABR37.20.0
Fundstelle(n):
QAAAJ-88397