Instanzenzug: ArbG Bamberg Az: 1 BV 14/20 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Nürnberg Az: 1 TaBV 27/21 Beschluss
Gründe
1A. Die Beteiligten streiten über die Einleitung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens nach dem SE-Beteiligungsgesetz (SEBG).
2Antragsteller ist der im - einzigen - Betrieb der SE & Co. KG, B (KG B) gebildete Betriebsrat. Diese ist ein Unternehmen der Automobilzulieferindustrie, in dem über 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt sind.
3Persönlich haftende Gesellschafterin der KG B ist die Verwaltung SE, B (SE B). Sie wurde im April 2019 nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 (SE-VO) als Tochter-SE der B Gründungs SE gegründet. Die Gründungsgesellschaft beschäftigte keine Arbeitnehmer. Vor der Eintragung der Tochter-SE fanden keine Verhandlungen über eine Beteiligung von Arbeitnehmern statt.
4Die - damals noch anders firmierende - KG B erwarb im Juli 2019 die Aktien an der Tochter-SE. Nach deren Umfirmierung in SE B wurde diese im Januar 2020 persönlich haftende Gesellschafterin der KG B. Deren frühere Komplementärin - eine Verwaltungsgesellschaft mbH - schied gleichzeitig aus ihrer Gesellschafterstellung aus. Die SE B - die weiterhin keine Arbeitnehmer beschäftigt - hat keine Einlagen bei der KG B geleistet. Die Stimmrechte ihrer einzigen Aktionärin - der KG B - werden aufgrund des Gesellschaftsvertrags von deren Kommanditistin wahrgenommen.
5Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die - grundsätzlich vor Eintragung der SE durchzuführenden - Verhandlungen über eine Arbeitnehmerbeteiligung seien nachzuholen. Die SE B habe gegenüber der KG B eine beherrschende Stellung inne, sodass ihr deren Arbeitnehmer zuzurechnen seien. Jedenfalls sei die Gründung der SE dazu missbraucht worden, den Arbeitnehmern der KG B die Unternehmensmitbestimmung nach § 4 MitbestG vorzuenthalten.
6Der Betriebsrat hat zuletzt sinngemäß beantragt,
7Der Verwaltungsrat der SE B hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
8Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung abgeändert und den Antrag abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betriebsrat mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er hilfsweise zwei Feststellungsanträge angebracht hat.
9B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
10I. Der Leistungsantrag des Betriebsrats ist zulässig. Er bedarf jedoch der Auslegung.
111. Der Betriebsrat erstrebt - wie sich aus seinem Vortrag ergibt - die nachträgliche Einleitung eines Verhandlungsverfahrens iSv. §§ 11 ff. SEBG. Zu diesem Zweck soll der Verwaltungsrat der SE B ihn - entsprechend der Vorgaben in § 4 Abs. 1 SEBG - schriftlich zur Bildung eines besonderen Verhandlungsgremiums auffordern. Da die SE B keine eigenen Arbeitnehmer beschäftigt und keine Beteiligungen an weiteren Gesellschaften hält, wäre das besondere Verhandlungsgremium nur für die Arbeitnehmer der KG B zu bilden. Dementsprechend soll der Betriebsrat alleiniger Empfänger der erstrebten Aufforderung sein. Inhaltlich ist die begehrte Erklärung zudem darauf gerichtet, dass er die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums wählt. Weil nur ein Betrieb im Inland vorhanden ist, bestünde - im Fall einer entsprechenden Anwendung der §§ 5 ff. SEBG - das für die Wahl des besonderen Verhandlungsgremiums zuständige Gremium nach § 8 Abs. 4 SEBG aus den Mitgliedern des Betriebsrats, die in einer von seinem Vorsitzenden einberufenen Versammlung (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SEBG) die Mitglieder des besonderen Verhandlungsgremiums nach Maßgabe von § 10 Abs. 3 SEBG wählen müssten.
122. Mit diesem Verständnis ist der Antrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (vgl. zu den Anforderungen - Rn. 14 mwN, BAGE 169, 267; - 1 ABR 9/13 - Rn. 12).
133. Der Antrag ist nicht mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig. Bei Leistungsklagen ergibt sich ein Rechtsschutzbedürfnis regelmäßig aus der Nichterfüllung des behaupteten materiellen Anspruchs (vgl. etwa - Rn. 17 mwN, BAGE 169, 243).
14II. An dem Beschlussverfahren ist neben dem Betriebsrat als Antragsteller der Verwaltungsrat der SE B beteiligt.
151. Nach § 83 Abs. 3 ArbGG haben in einem Beschlussverfahren neben dem Antragsteller diejenigen Stellen ein Recht auf Anhörung, die nach dem jeweiligen Gesetz im einzelnen Fall beteiligt sind. Die Vorschrift regelt nicht selbst, wer Beteiligter eines Beschlussverfahrens ist. Sie ordnet lediglich an, dass die genannten Personen und Stellen zu hören sind. Maßgeblich ist, welche Personen oder Stellen durch die vom Antragsteller begehrte Entscheidung in ihrer kollektivrechtlichen Stellung unmittelbar betroffen sind (vgl. - Rn. 26, BAGE 180, 290; - 7 ABR 20/20 - Rn. 9 mwN).
162. Danach ist der Verwaltungsrat der SE B am Verfahren beteiligt. Da die SE B in ihrer Satzung das monistische System gewählt hat, wird sie nach Art. 38 Buchst. b SE-VO iVm. § 22 Abs. 1 SEAG von ihrem Verwaltungsrat geleitet. Damit ist er möglicher Anspruchsverpflichteter aus § 4 Abs. 1 SEBG. Das Verwaltungsorgan einer SE ist grundsätzlich beteiligtenfähig iSd. § 2a Abs. 1 Nr. 3e, § 10 ArbGG (vgl. Forst Die Beteiligungsvereinbarung nach § 21 SEBG S. 380 f.; Weth in Schwab/Weth ArbGG 6. Aufl. § 83 Rn. 93b).
17III. Der Leistungsantrag, der nach § 3 Abs. 1 Satz 1 SEBG nach deutschem Sachrecht zu beurteilen ist, ist unbegründet. Dabei kann dahinstehen, ob § 4 Abs. 1 SEBG überhaupt einen von den Informationsansprüchen nach § 4 Abs. 2 und 3 SEBG losgelösten - isoliert durchsetzbaren - Anspruch auf Abgabe einer Aufforderung zur Bildung eines besonderen Verhandlungsgremiums begründet (abl. etwa MüKoAktG/Jacobs 5. Aufl. SEBG § 4 Rn. 11; NK-ArbR/Sagan 2. Aufl. SEBG § 4 Rn. 3; Habersack/Drinhausen/Hohenstatt/Müller-Bonanni 3. Aufl. SEBG § 4 Rn. 7). Jedenfalls fehlt es dem Begehren des Betriebsrats an einer rechtlichen Grundlage.
181. Eine Pflicht zur Nachholung eines Verhandlungsverfahrens über eine Arbeitnehmerbeteiligung ergibt sich weder aus § 4 noch aus § 18 SEBG.
19a) Eine unmittelbare Anwendung von § 4 SEBG scheidet aus. Im Ausgangsfall geht es nicht um die geplante Gründung einer SE iSv. Art. 3 Abs. 2 SE-VO, sondern um die Nachholung eines solchen Verhandlungsverfahrens in einer bereits gegründeten SE. Dieser Fall ist in § 4 SEBG nicht geregelt (sh. bereits (A) - Rn. 21, BAGE 178, 47).
20b) Der Betriebsrat kann sein Begehren auch nicht auf § 18 SEBG stützen.
21aa) Nach § 18 Abs. 1 und 2 SEBG können die Arbeitnehmer oder ihre Vertreter nach Gründung einer SE unter bestimmten Voraussetzungen die erneute Bildung eines besonderen Verhandlungsgremiums und die Wiederaufnahme von Verhandlungen mit der Leitung der SE beschließen. Die Vorschrift setzt voraus, dass bereits bei Gründung der SE ein besonderes Verhandlungsgremium gebildet wurde, das nach § 16 Abs. 1 SEBG die Nichtaufnahme oder den Abbruch der Verhandlungen beschlossen hat. Diese Anforderungen sind hier nicht gegeben. Bei Gründung der Tochter-SE wurde kein besonderes Verhandlungsgremium errichtet (vgl. bereits (A) - Rn. 23, BAGE 178, 47).
22bb) § 18 Abs. 3 SEBG ist ebenfalls nicht einschlägig. Die Norm regelt eine Wiederaufnahme von Verhandlungen für den Fall, dass strukturelle Änderungen der SE geplant sind, die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer mindern können. Damit setzt sie - unabhängig von ihren übrigen tatbestandlichen Anforderungen - voraus, dass bereits bei Gründung der SE Verhandlungen über eine Arbeitnehmerbeteiligung stattgefunden haben (vgl. bereits (A) - Rn. 24, BAGE 178, 47).
232. Eine analoge Anwendung dieser Vorschriften kommt nicht in Betracht. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke.
24a) Eine Vorschrift kann analog angewendet werden, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält, deren Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann. Andernfalls könnte jedes Schweigen des Gesetzgebers als planwidrige Lücke aufgefasst und im Weg der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden. Die Lücke muss sich deshalb daraus ergeben, dass der Gesetzgeber unbeabsichtigt von seinem Regelungsplan abweicht, der dem konkreten Gesetzgebungsverfahren zugrunde liegt (vgl. - Rn. 50, BAGE 176, 160; - 1 ABR 35/18 - Rn. 41 mwN, BAGE 169, 149).
25b) Diese Bedingungen sind nicht gegeben. Dabei kann der Senat zugunsten des Betriebsrats unterstellen, dass die Vorgaben in Art. 12 Abs. 2 SE-VO sowie die Regelungen über die Arbeitnehmerbeteiligung nach §§ 4 ff. SEBG grundsätzlich auch dann Anwendung finden, wenn - wie hier - eine Tochter-SE nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO gegründet wird (so etwa Habersack/Henssler/Henssler 4. Aufl. SEBG Vor § 1 Rn. 106; Oetker in Lutter/Hommelhoff/Teichmann SE-Kommentar 2. Aufl. § 1 SEBG Rn. 11 ff.; NK-ArbR/Sagan 2. Aufl. SEBG § 3 Rn. 9; abl. etwa Habersack/Henssler/Habersack 4. Aufl. SEBG § 34 Rn. 21; KK-AktG/Feuerborn 4. Aufl. SEBG Vor § 1 Rn. 5; MüKoAktG/Jacobs 5. Aufl. SEBG Vor § 1 Rn. 12 f. mwN; Forst Die Beteiligungsvereinbarung nach § 21 SEBG S. 183 ff.). Jedenfalls enthält das SE-Beteiligungsgesetz keine planwidrige Regelungslücke für den Fall, dass die Bildung und Beteiligung eines besonderen Verhandlungsgremiums entgegen den Vorgaben von Art. 12 Abs. 2 SE-VO sowie §§ 4 ff. SEBG bei Gründung und vor Eintragung einer SE deshalb nicht erfolgt ist, weil deren Gründungsgesellschaft - wie im Ausgangsfall - keine Arbeitnehmer beschäftigte.
26aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Nachholung eines Beteiligungsverfahrens iSv. Art. 3 der Richtlinie 2001/86/EG bei Gründung einer arbeitnehmerlosen SE unionsrechtlich nicht vorgesehen.
27(1) Nach Art. 12 Abs. 2 SE-VO kann eine SE erst eingetragen werden, wenn eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer gemäß Art. 4 der Richtlinie 2001/86/EG geschlossen oder ein Beschluss nach ihrem Art. 3 Abs. 6 gefasst worden ist oder die Verhandlungsfrist nach Art. 5 abgelaufen ist, ohne dass eine Vereinbarung zustande gekommen wäre. Dementsprechend enthält die Richtlinie 2001/86/EG - deren Bestimmungen eine untrennbare Ergänzung der SE-VO sind (vgl. Erwägungsgrund 19 der SE-VO; Erwägungsgrund 3 der Richtlinie 2001/86/EG) - keine Regelungen für nachträgliche Verhandlungen bei einer im Zeitpunkt ihrer Gründung arbeitnehmerlosen SE. Sie sieht lediglich drei Fallgestaltungen vor, in denen Verhandlungen zu einem späteren Zeitpunkt eingeleitet werden können. Diese verlangen aber stets, dass bereits bei der Gründung der SE ein besonderes Verhandlungsgremium eingesetzt wurde (ausf. - [Konzernbetriebsrat] Rn. 41 ff., 45).
28(2) Ist eine Beteiligung der Arbeitnehmer bei Gründung einer SE nicht möglich, weil die an der Gründung beteiligten Gesellschaften zu diesem Zeitpunkt keine Arbeitnehmer beschäftigen, sind Art. 12 Abs. 2 SE-VO, Art. 3 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2001/86/EG zwar nicht anzuwenden (vgl. - [Konzernbetriebsrat] Rn. 40). Gleichwohl beruht das Fehlen von Regelungen für eine nachträgliche Aufnahme von Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeteiligung in der SE nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht auf einem Versehen. Es handelt sich vielmehr um eine bewusste Entscheidung des Unionsgesetzgebers, die sich aus einem Kompromiss über das Vorher-Nachher-Prinzip ergibt (vgl. - [Konzernbetriebsrat] Rn. 51).
29bb) Danach mangelt es auch im nationalen Recht an einer planwidrigen Regelungslücke. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers sollte mit dem SE-Beteiligungsgesetz die Richtlinie 2001/86/EG umgesetzt werden (vgl. BT-Drs. 15/3405 S. 1). Damit hat er sich deren Regelungsplan zu eigen gemacht. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass er eine Pflicht zur Nachholung von Verhandlungen im Fall der Gründung einer arbeitnehmerlosen SE hätte regeln wollen.
303. Ein Anspruch auf Nachholung von Verhandlungen ergibt sich auch nicht aus § 43 SEBG unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs. Dabei kann dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen von einem Missbrauch einer SE auszugehen ist. Jedenfalls kommt im Rahmen des SE-Beteiligungsgesetzes die Nachholung einer Arbeitnehmerbeteiligung als Rechtsfolge eines solchen Missbrauchs nicht in Betracht.
31a) § 43 Satz 1 SEBG bestimmt zwar, dass eine SE nicht dazu missbraucht werden darf, den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Die Norm ordnet aber nicht an, dass das Verfahren zur Beteiligung der Arbeitnehmer im Fall eines Missbrauchs (nachträglich) durchzuführen wäre. Satz 1 der Norm beschränkt sich darauf, ein bestimmtes Verhalten zu untersagen (für den Charakter als Verbotsgesetz vgl. etwa Henssler in Habersack/Henssler Mitbestimmungsrecht 4. Aufl. § 43 SEBG Rn. 15; Rupp in Annuß/Kühn/Rudolph/Rupp EBRG § 43 SEBG Rn. 5), ohne - über eine mögliche Anwendung von § 134 BGB hinaus - positiv Handlungspflichten zu normieren.
32b) Eine - ggf. im Weg richterlicher Rechtsfortbildung (vgl. dazu zB - Rn. 18 mwN) - den Wortlaut von § 43 SEBG übersteigende Auslegung dahingehend, dass bei einem Missbrauch iSd. Norm ein Verhandlungsverfahren entsprechend den §§ 11 ff. SEBG nachzuholen wäre, ist weder unionsrechtlich geboten noch entspräche sie dem Willen des nationalen Gesetzgebers (für eine Verpflichtung zur Nachholung etwa NK-ArbR/Sagan 2. Aufl. SEBG § 43 Rn. 10).
33aa) Nach Art. 11 der Richtlinie 2001/86/EG, dessen Umsetzung § 43 SEBG dient (BT-Drs. 15/3405 S. 57), haben die Mitgliedstaaten im Einklang mit den unionsrechtlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen zu treffen, um zu verhindern, dass eine SE dazu missbraucht wird, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. In Bezug auf die Auswahl der insoweit zu ergreifenden geeigneten Maßnahmen haben die Mitgliedstaaten einen Wertungsspielraum. Eine im nationalen Recht für den Fall des Missbrauchs vorgesehene Verpflichtung zur Nachholung eines Verhandlungsverfahrens ist dabei nicht ausgeschlossen, aber unionsrechtlich auch nicht vorgegeben (vgl. - [Konzernbetriebsrat] Rn. 56).
34bb) Der in der Gesetzesbegründung zum SE-Beteiligungsgesetz zum Ausdruck kommende Wille des nationalen Gesetzgebers spricht gegen die Annahme, im Rahmen des SE-Beteiligungsgesetzes solle bei einem Missbrauch die nachträgliche Durchführung eines Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens in Betracht kommen. Zwar sind seine Ausführungen zu § 43 SEBG insoweit unergiebig, weil sie sich im Wesentlichen auf bloße Erläuterungen des Missbrauchsbegriffs beschränken (vgl. BT-Drs. 15/3405 S. 57). Seine Erwägungen zu § 45 SEBG, der einen Verstoß gegen das Missbrauchsverbot unter Strafe stellt, machen aber deutlich, dass die nachträgliche Durchführung eines Verhandlungsverfahrens keine denkbare Rechtsfolge eines Normverstoßes sein sollte. Der Gesetzgeber verweist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf, dass Art. 11 der Richtlinie 2001/86/EG geeignete Maßnahmen der Mitgliedstaaten verlangt, um zu verhindern, dass eine SE dazu missbraucht wird, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Ausgehend von der Annahme, dass es bei einem Missbrauch „aus gesellschaftsrechtlichen Gründen … nur eingeschränkt möglich sein“ werde, „vollzogene grenzüberschreitende Maßnahmen rückgängig zu machen“, soll gerade der „präventiven Wirkung der Strafandrohung“ in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG eine „besondere Bedeutung“ zukommen (BT-Drs. 15/3405 S. 57). Neben einer möglichen Unwirksamkeit von Maßnahmen und ihrer - sich hieraus ergebenden - Rückgängigmachung sollte daher mit der Regelung über die Strafbarkeit die unionsrechtliche Vorgabe von Art. 11 der Richtlinie 2001/86/EG umgesetzt werden.
35cc) Vor allem der Vergleich mit § 36 des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung (MgFSG, BGBl. 2023 I Nr. 10) spricht gegen eine solche Auslegung von § 43 SEBG. Die zum in Kraft getretene Norm enthält ebenfalls ein Missbrauchsverbot, nach dem grenzüberschreitende Vorhaben nicht dazu missbraucht werden dürfen, Arbeitnehmern Mitbestimmungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Der Gesetzgeber hat - wie die Gesetzesmaterialien belegen (vgl. BT-Drs. 20/3817 S. 58) - im Rahmen dieses Gesetzes ausdrücklich darauf verzichtet, eine strafrechtliche Sanktion an die Verletzung des Missbrauchsverbots zu knüpfen. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, dass der - durch die Regelungen der umzusetzenden Richtlinie (EU) 2019/2121 (Art. 86l Abs. 3 Buchst. f; Art. 160l Abs. 3 Buchst. f) in Bezug genommene - Art. 11 der Richtlinie 2001/86/EG den Mitgliedstaaten lediglich vorschreibe, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung des Missbrauchs zu treffen. Er hat sich stattdessen dafür entschieden, bei einem Verstoß gegen das - dortige - Missbrauchsverbot eine Pflicht zur Durchführung von Verhandlungen über die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer entsprechend den §§ 6 bis 24 MgFSG anzuordnen. Damit hat der Gesetzgeber - in Ausübung seines ihm bekannten Gestaltungsspielraums - im Rahmen des SEBG und des MgFSG bewusst unterschiedliche Sanktionen gewählt. Eine der Regelung des § 36 Satz 3 MgFSG entsprechende Auslegung von § 43 SEBG ist - selbst wenn man § 45 SEBG als nicht geeignete Sanktion iSv. Art. 11 der Richtlinie 2001/86/EG ansähe (vgl. dazu NK-ArbR/Sagan 2. Aufl. SEBG § 45 Rn. 5 f.) - daher nicht möglich.
364. Entgegen der Annahme des Betriebsrats bedarf es keines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union. Aus dessen Entscheidung vom (- C-706/22 - [Konzernbetriebsrat]) ergibt sich, dass eine Nachholung des Verhandlungsverfahrens bei einer bereits gegründeten SE nach der Richtlinie 2001/86/EG - über die dort vorgesehenen drei Fallgestaltungen hinaus (vgl. Rn. 41 bis 45) - nicht vorgesehen ist. Der Ausgangsfall wirft keine entscheidungserhebliche Rechtsfrage auf, die durch das Urteil nicht bereits hinreichend geklärt wäre.
37IV. Über die weiteren - erstmals in der Rechtsbeschwerde hilfsweise angekündigten - Feststellungsanträge hatte der Senat nicht zu befinden. Diese wurden erkennbar nur für den Fall gestellt, dass der Antrag des Betriebsrats deswegen scheitert, weil er auf eine Leistung gerichtet ist. Diese Bedingung ist nicht eingetreten.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:261124.B.1ABR6.23.0
Fundstelle(n):
CAAAJ-88179