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BAG Urteil v. - 9 AZR 205/23

Arbeitnehmerstatus - Betreiber einer Waschstraße

Instanzenzug: Az: 4 Ca 109/22 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 3 Sa 56/22 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, ob das sie verbindende Vertragsverhältnis als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist und dem Kläger daraus Ansprüche auf Arbeitsentgelt zustehen.

2Die Beklagte unterhält bundesweit mehr als 300 Autowaschstraßen. Der Kläger betreibt seit dem im Namen und für Rechnung der Beklagten deren Autowaschstraße in H. Der unter dem / geschlossene „Partnervertrag“ der Parteien, in dem der Kläger als Partner bezeichnet wird, sieht folgende Regelungen vor:

3Die Parteien verständigten sich auf folgende Betriebszeiten: Montag bis Freitag von 08:00 bis 20:00 Uhr, Samstag von 08:00 bis 18:00 Uhr und Sonntag von 13:00 bis 18:00 Uhr. Auf Wunsch des Klägers vereinbarten die Parteien mit Wirkung ab dem abweichende Winteröffnungszeiten. Der Kläger, der zum Betrieb der Waschstraße Mitarbeiter einstellte, erwirtschaftete im Jahr 2020 Provisionen iHv. 28.626,59 Euro.

4Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er sei für die Beklagte im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig gewesen. Das durchschnittliche Bruttomonatsentgelt eines angestellten Betriebsleiters einer Waschstraße betrage bei Zugrundelegung einer monatlichen Arbeitszeit von 160 Stunden mindestens 4.000,00 Euro. Da er für die Beklagte im Durchschnitt 306 Stunden im Monat tätig gewesen sei, belaufe sich sein monatlicher Entgeltanspruch auf 7.650,00 Euro brutto, von dem die seitens der Beklagten gezahlten Provisionen in Abzug zu bringen seien.

5Der Kläger hat sinngemäß beantragt,

6Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, das Rechtsverhältnis der Parteien sei kein Arbeits-, sondern ein freies Dienstverhältnis.

7Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Begehren weiter.

Gründe

8Die Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Soweit der Kläger die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses begehrt, ist die Klage unbegründet. Bei dem Klageantrag zu 2. handelt es sich um einen uneigentlichen Hilfsantrag, mit dem der Kläger die Beklagte auf Zahlung von Arbeitsentgelt in Anspruch nimmt. Dieser fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an.

9I. Die Revision des Klägers ist zulässig. Entgegen der Ansicht der Beklagten genügt die Revisionsbegründung den gesetzlichen Begründungsanforderungen.

101. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision müssen nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Revisionsgründe angegeben werden. Bei Sachrügen sind diejenigen Umstände bestimmt zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO). Die Revisionsbegründung muss den angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung. Der Revisionskläger muss darlegen, weshalb er die Begründung des Berufungsgerichts für unrichtig hält. Allein die Darstellung anderer Rechtsansichten ohne jede Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung ebenso wenig wie die Wiedergabe des bisherigen Vorbringens. Es reicht auch nicht aus, wenn der Revisionskläger die tatsächlichen und/oder rechtlichen Würdigungen des Berufungsgerichts lediglich mit formelhaften Wendungen rügt. Verfahrensrügen müssen nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO die genaue Bezeichnung der Tatsachen enthalten, die den Mangel ergeben, auf den sich die Revision stützen will ( - Rn. 10 mwN, BAGE 181, 193).

112. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung des Klägers gerecht.

12a) Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, der Partnervertrag der Parteien enthalte sowohl vertragliche Bestimmungen, die für ein freies Dienstverhältnis sprächen, als auch Klauseln, die die Handlungsfreiheit des Klägers beschränkten. Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Vertragsdurchführung hat es im Ergebnis angenommen, dass der Kläger für die Beklagte nicht als Arbeitnehmer, sondern als freier Dienstnehmer tätig geworden sei.

13b) Der Kläger greift diese Ausführungen ua. mit dem Argument an, das Landesarbeitsgericht habe sich rechtsfehlerhaft nicht von den vertraglichen Grundlagen gelöst und es daher versäumt, allein die Vertragspraxis zu würdigen. Es habe die Restriktionen, die der Partnervertrag dem Kläger auferlege, unzulässigerweise zu den verbleibenden Freiheiten ins Verhältnis gesetzt. Zudem habe es bei seiner Entscheidung unterlassen, das wirtschaftliche Ungleichgewicht beider Parteien zu berücksichtigen.

14c) Dieses Vorbringen enthält eine ausreichende Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung. Der Kläger zeigt damit die wesentlichen Gründe der angefochtenen Entscheidung auf und legt dar, warum seiner Meinung nach anderes gelten soll. Mehr an Begründung kann im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie für eine zulässige Revision nicht gefordert werden.

15II. Die Klage ist zulässig. Dies gilt sowohl für den Feststellungsantrag zu 1. als auch für den Zahlungsantrag zu 2.

161. Der Klageantrag zu 1., mit dem der Kläger die Feststellung eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten ab dem begehrt, erfüllt die Voraussetzungen, an die § 256 Abs. 1 ZPO seine Zulässigkeit knüpft.

17a) Ein Arbeitnehmer kann mit der allgemeinen Feststellungsklage das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses geltend machen (vgl.  - Rn. 9). Der Kläger hat ein rechtliches Interesse daran, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird (§ 256 Abs. 1 ZPO). Der erforderliche Gegenwartsbezug wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Kläger als Beginn des Arbeitsverhältnisses den festgestellt wissen will. Der Kläger verlangt mit dem Klageantrag zu 2. die Erfüllung von Vergütungsansprüchen und erstrebt damit einen gegenwärtigen rechtlichen Vorteil, den er aus einem bereits in der Vergangenheit bestehenden Arbeitsverhältnis mit der Beklagten herleitet (vgl.  - Rn. 10).

18b) Der Antrag genügt den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

19aa) Die essentialia negotii des Arbeitsvertrags (vgl. dazu  - Rn. 41 mwN) können der Klagebegründung entnommen werden, die bei der Antragsauslegung heranzuziehen ist (vgl.  - Rn. 18).

20bb) Der Antrag bezeichnet die Arbeitsvertragsparteien und den Beschäftigungsbeginn (). Die Art der Arbeitsleistung, die Leitung einer der von der Beklagten betriebenen Waschstraßen, ergibt sich ebenso aus der Klagebegründung wie der Beschäftigungsumfang und die Höhe der Vergütung. Der Kläger geht im Rahmen der Berechnung seiner Vergütungsansprüche, die er mit dem Leistungsantrag zu 2. verfolgt, von einer monatlichen Regelarbeitszeit im Umfang von 160 Stunden aus. Als Vergütung setzt er einen Bruttobetrag iHv. 4.000,00 Euro an.

212. Der Klageantrag zu 2., mit dem der Kläger die Beklagte auf Vergütung in Anspruch nimmt, ist ein uneigentlicher Hilfsantrag, über den eine gerichtliche Entscheidung nur ergehen soll, wenn der Klageantrag zu 1. begründet ist.

22a) Das Revisionsgericht hat prozessuale Erklärungen selbstständig auszulegen. Klageanträge sind entsprechend den für Willenserklärungen geltenden Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) so zu verstehen, dass im Zweifel gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der richtig verstandenen Interessenlage entspricht. Für die Auslegung eines Klageantrags ist deshalb nicht allein dessen buchstäblicher Wortlaut maßgebend (vgl.  - Rn. 19).

23b) Danach ist der Klageantrag zu 2. als uneigentlicher Hilfsantrag zu verstehen. Denn der Antrag, mit dem der Kläger Zahlung von Arbeitsentgelt begehrt, kann nur Erfolg haben, wenn im streitgegenständlichen Zeitraum zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Unschädlich ist, dass der Kläger dieses Verhältnis nicht ausdrücklich in der Fassung seines Antrags zum Ausdruck gebracht hat (vgl.  - Rn. 66, BAGE 177, 298). Im Übrigen sind sowohl das Arbeits- als auch das Landesarbeitsgericht in ihren Entscheidungen von einem solchen Eventualverhältnis der Anträge zueinander ausgegangen. Der Kläger hat hiergegen keine Einwände erhoben.

24III. Die Klage ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht ist ohne revisiblen Rechtsfehler davon ausgegangen, der Kläger betreibe die Waschstraße der Beklagten nicht als Arbeitnehmer, sondern als freier Dienstnehmer.

251. Nach § 611a Abs. 1 BGB wird ein Arbeitnehmer durch den Arbeitsvertrag im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet (Satz 1). Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen (Satz 2). Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (Satz 3). Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab (Satz 4). Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen (Satz 5). Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an (Satz 6).

262. Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich danach von dem Rechtsverhältnis eines selbstständig Tätigen durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit des Verpflichteten.

27a) Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Die Begriffe der Weisungsgebundenheit und Fremdbestimmung sind eng miteinander verbunden und überschneiden sich teilweise. Eine weisungsgebundene Tätigkeit ist in der Regel zugleich fremdbestimmt. Das Merkmal der Fremdbestimmung kann in Bezug auf die Eingliederung des Arbeitnehmers in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers eigenständige Bedeutung erlangen. Beide Kriterien, die Bindung an Weisungen und die Fremdbestimmung, müssen einen Grad an persönlicher Abhängigkeit des Arbeitnehmers erreichen, der für ein Rechtsverhältnis iSd. § 611a BGB prägend ist. Die Weisungsbindung ist das engere, den Vertragstyp im Kern kennzeichnende Kriterium, das durch § 611a Abs. 1 Sätze 2 bis 4 BGB näher ausgestaltet ist (vgl.  - Rn. 31).

28b) Das Gesetz bestimmt die Weisungsgebundenheit des Dienstverpflichteten, indem es ihr die Freiheit des Selbstständigen gegenüberstellt. Nach § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB ist weisungsgebunden, wer seine Tätigkeit nicht im Wesentlichen frei gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers nach § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB korrespondiert dabei mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 611a Abs. 1 Satz 2 BGB, das Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen kann. Soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind, ist der Arbeitgeber gemäß § 106 Satz 1 GewO befugt, die Umstände, unter denen der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung erbringt, nach billigem Ermessen einseitig näher auszugestalten. § 106 Satz 2 GewO erkennt zusätzlich die Ordnung und das Verhalten des Arbeitnehmers im Betrieb als Gegenstand des Weisungsrechts an.

29aa) Weisungsgebundenheit und damit korrelierende Weisungsrechte können auch außerhalb eines Arbeitsverhältnisses gegeben sein. Die arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis ist daher gegenüber dem Weisungsrecht für Vertragsverhältnisse mit Selbstständigen, insbesondere Werkunternehmern (vgl. § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB), abzugrenzen. Die Anweisung gegenüber einem Selbstständigen ist typischerweise sachbezogen und ergebnisorientiert ausgestaltet und damit auf die zu erbringende Dienst- oder Werkleistung ausgerichtet. Im Unterschied dazu ist das arbeitsvertragliche Weisungsrecht personenbezogen und ablauforientiert geprägt. Das arbeitsvertragliche Weisungsrecht beinhaltet Anleitungen zur Vorgehensweise des Mitarbeiters, die nicht Inhalt des werkvertraglichen Anweisungsrechts sind. Wird die Tätigkeit durch den „Auftraggeber“ geplant und organisiert und der Beschäftigte in einen arbeitsteiligen Prozess in einer Weise eingegliedert, die eine eigenverantwortliche Organisation der Erstellung des vereinbarten „Arbeitsergebnisses“ faktisch ausschließt, liegt ein Arbeitsverhältnis nahe ( - Rn. 34). Räumt der Vertragspartner dem Dienstnehmer hingegen das Recht ein, Dritte in die Leistungserbringung einzubinden, ist dies ein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit (vgl. hierzu  - Rn. 25 mwN).

30bb) Der Gegenstand, die Art und der Umfang des Weisungsrechts stehen in einem sachlichen Zusammenhang mit der persönlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers. Deren Grad hängt nach § 611a Abs. 1 Satz 4 BGB auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Danach beeinflussen die Art der Dienstleistung und die Zugehörigkeit der Tätigkeit zu einem bestimmten Berufsbild den Vertragstyp. Bestimmte Tätigkeiten lassen sich sowohl in einem Arbeitsverhältnis als auch in einem Werk- oder freien Dienstverhältnis verrichten, während andere regelmäßig im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden. Bei untergeordneten, einfachen Arbeiten besteht eher eine persönliche Abhängigkeit als bei gehobenen Tätigkeiten (vgl.  - Rn. 37, BAGE 173, 111).

31c) Um die Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses im konkreten Fall festzustellen, bedarf es nach § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls. Von einem Arbeitsverhältnis kann erst dann ausgegangen werden, wenn den Umständen, die für eine persönliche Abhängigkeit sprechen, im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung hinreichendes Gewicht beizumessen ist oder sie dem Rechtsverhältnis ihr Gepräge geben ( - Rn. 38 mwN, BAGE 173, 111).

32d) Bei den Umständen, die Gegenstand der nach § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB anzustellenden Gesamtbetrachtung sind, kommt es nicht auf die vertraglich vereinbarten Umstände an, wenn der Beschäftigte abweichend von den getroffenen Vereinbarungen tatsächlich weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit leistet.

33aa) Für diesen Fall erklärt § 611a Abs. 1 Satz 6 BGB die Bezeichnung im Vertrag für unbeachtlich und löst den Widerspruch zwischen Vertragsbezeichnung und Vertragsdurchführung zugunsten letzterer. Die zwingenden gesetzlichen Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass die Parteien ihrem Arbeitsverhältnis eine andere Bezeichnung geben. Sie sind an die unabdingbaren Vorgaben des § 611a Abs. 1 BGB gebunden (vgl.  - Rn. 22, BAGE 180, 349; - 9 AZR 102/20 - Rn. 39, BAGE 173, 111).

34bb) Die gesetzliche Anordnung in § 611a Abs. 1 Satz 6 BGB bedingt eine abgestufte Prüfung. Zunächst ist der Vertrag der Parteien nach § 157 BGB auszulegen. Ergibt sich bereits daraus, dass die Parteien ein Arbeitsverhältnis begründen wollten, wird der Arbeitnehmerstatus allein hierdurch verbindlich festgelegt, ohne dass es auf die Vertragsdurchführung ankommt. Führt die Auslegung des Vertrags zu dem Ergebnis, dass der Dienstverpflichtete als Selbstständiger tätig werden sollte, ist in einem zweiten Schritt die tatsächliche Durchführung des Vertrags in den Blick zu nehmen. Stimmt die Vertragspraxis mit den vertraglichen Vorgaben überein, liegt kein Arbeitsverhältnis, sondern Selbstständigkeit vor. Weicht die tatsächliche Durchführung des Vertrags von den Vertragsbestimmungen ab, richtet sich die Rechtsnatur des Vertragsverhältnisses allein nach der Vertragsdurchführung, die für sich anhand der Vorgaben des § 611a Abs. 1 BGB zu würdigen ist. Dabei sind einzelne Vorgänge der Vertragsabwicklung zur Feststellung eines vom Vertragswortlaut abweichenden Geschäftsinhalts nur geeignet, wenn es sich dabei nicht um untypische Einzelfälle, sondern um beispielhafte Erscheinungsformen einer durchgehend geübten Vertragspraxis handelt. Dafür ist nicht die Häufigkeit, sondern sind Gewicht und Bedeutung der Vertragsabweichung entscheidend (vgl.  - Rn. 34 mwN).

35e) Die angefochtene Entscheidung ist in der Revisionsinstanz nur darauf zu überprüfen, ob das Landesarbeitsgericht den Rechtsbegriff des Arbeitnehmers nach § 611a BGB zutreffend ausgelegt und bei der Rechtsanwendung beibehalten hat und ob wesentliche Umstände außer Betracht gelassen oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt worden sind (vgl.  - Rn. 24, BAGE 180, 349). Um dem Revisionsgericht die ihm obliegende Prüfung zu ermöglichen, hat das Tatsachengericht die in die Gesamtbetrachtung einbezogenen Aspekte zu benennen, diese zu gewichten und schließlich nachvollziehbar zu erläutern, aus welchen Gründen es zu dem von ihm gefundenen Ergebnis gelangt (vgl.  - Rn. 50).

363. Gemessen an diesen Grundsätzen hält das angefochtene Urteil einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Mit der Annahme, die für ein freies Dienstverhältnis sprechenden Umstände überwögen die Umstände, die auf ein Arbeitsverhältnis schließen ließen, hat das Landesarbeitsgericht den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Ausgehend von den zutreffenden Rechtssätzen hat es sämtliche Umstände, die im Streitfall für und gegen ein Arbeitsverhältnis sprechen, widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen und ist zu einem sachlich nachvollziehbaren Ergebnis gelangt.

37a) Das Landesarbeitsgericht ist von zutreffenden Rechtssätzen ausgegangen.

38aa) Unschädlich ist, dass das Landesarbeitsgericht in den Entscheidungsgründen für den gesamten zu beurteilenden Zeitraum auf die Vorschrift des § 611a Abs. 1 BGB abgestellt hat, die erst mit Wirkung zum in Kraft getreten ist. Die Kodifikation des Arbeitnehmerbegriffs in § 611a BGB spiegelt die von der Rechtsprechung zuvor entwickelten Rechtsgrundsätze wider (vgl.  - Rn. 17).

39bb) Soweit die Revision bemängelt, das Landesarbeitsgericht habe den Partnerschaftsvertrag gewürdigt, statt allein auf die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses abzustellen, übersieht sie, dass § 611a Abs. 1 Satz 5 BGB für die Beurteilung des Rechtsverhältnisses eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls verlangt. Zu diesen Umständen gehören ua. die vertraglichen Abreden der Parteien.

40b) Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, dass die Parteien den „Partnervertrag“ weder als Arbeitsverhältnis klassifiziert noch darin Regelungen getroffen haben, die in ihrer Gesamtschau auf einen Arbeitsvertrag schließen lassen.

41aa) Eine Vielzahl von Vertragsbestimmungen deuten darauf hin, dass der Partnervertrag einen dienstvertraglichen Inhalt hat.

42(1) Nach § 1 Abs. 1 des Partnervertrags führt der Kläger den Betrieb der Beklagten als „selbstständiger Gewerbetreibender“. Damit korrespondiert die Verpflichtung des Klägers, sein Gewerbe bei der zuständigen Behörde anzumelden (§ 9 Abs. 1 des Partnervertrags) und Umsatzsteuer an das zuständige Finanzamt abzuführen (§ 5 Abs. 7 des Partnervertrags), ohne dass hierdurch die Rechtsnatur des Vertrags verbindlich vorgegeben wäre (vgl.  - Rn. 57).

43(2) Anders als einem Arbeitnehmer (§ 106 Satz 1 GewO) erlaubt es § 3 Abs. 1 Satz 1 des Partnervertrags dem Kläger, „nach Maßgabe … [des] Vertrages seine Tätigkeit frei [zu] gestalten und seine eigene Arbeitszeit selbst [zu] bestimmen“. Die Zeiten, in denen er für die Beklagte tätig zu werden hat, konkretisiert § 6 Abs. 1 Satz 1 des Partnervertrags, dem zufolge die Öffnungszeiten der Waschstraße in einer gesonderten Vereinbarung der Parteien zu regeln sind, die nur einvernehmlich geändert werden können (§ 6 Abs. 2 des Partnervertrags). Der Beklagten steht demnach nicht die Befugnis zu, dem Kläger die Betriebszeiten der Autowaschstraße einseitig vorzugeben.

44(3) Gegen die Annahme, der die Parteien verbindende Vertrag habe einen arbeitsvertraglichen Inhalt, spricht zudem der Umstand, dass § 3 Abs. 1 Satz 3 des Partnervertrags den Kläger von der Verpflichtung entbindet, die Arbeitsleistung höchstpersönlich zu erbringen. Stattdessen ist ihm gestattet, für die durchzuführenden Aufgaben und Arbeiten Personal einsetzen.

45bb) Darüber hinaus hat das Landesarbeitsgericht in ausreichendem Maße berücksichtigt, dass der Partnervertrag Regelungen enthält, die den Kläger in der freien Gestaltung seiner Tätigkeit einschränken.

46(1) Die Preise, die die Kunden der Waschstraße für die Reinigung ihrer Fahrzeuge zu entrichten haben, legt nicht der Kläger, sondern die Beklagte fest (§ 5 Abs. 1 des Partnervertrags).

47(2) Zudem ist der Kläger verpflichtet, Sicherheitsprüfungen, Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten gemäß dem „Handbuch für die Partnerschulung und Betriebstagebuch“ durchzuführen (§ 9 Abs. 5 Satz 1 des Partnervertrags). Deren Vorgaben werden weder zwischen den Parteien ausgehandelt noch ist die Beklagte daran gehindert, diese nach Vertragsschluss einseitig zu ändern.

48(3) Ferner obliegt es dem Kläger, die Art und Anzahl der Waschvorgänge sowie die vereinnahmten Gelder täglich in einer Abrechnung zu erfassen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 des Partnervertrags) und diese binnen bestimmter Zeiträume an die Beklagte zu übersenden (§ 4 Abs. 3 Satz 2 des Partnervertrags).

49(4) Schließlich ist der Kläger gehalten, an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen (§ 3 Abs. 5 des Partnervertrags) sowie das Gesamtgelände einschließlich der Grünflächen sauber zu halten und Bepflanzungen zu pflegen (§ 9 Abs. 2 des Partnervertrags).

50cc) Auch soweit das Landesarbeitsgericht die Durchführung des Vertrags in seine Entscheidung einbezogen hat, hat es die wesentlichen Umstände des Streitfalls widerspruchsfrei gewürdigt.

51(1) Den getroffenen Feststellungen zufolge machte der Kläger von der ihm in § 3 Abs. 1 Satz 3 des Partnervertrags eingeräumten Befugnis, seine vertraglichen Verpflichtungen nicht selbst, sondern - auch - durch Dritte zu erfüllen, tatsächlich Gebrauch. So beschäftigte er eigene Mitarbeiter, die ihn bei der Erfüllung der von ihm übernommenen Vertragspflichten unterstützten. Dabei handelte der Kläger die Bedingungen, unter denen die von ihm eingestellten Mitarbeiter am Betrieb der Waschstraße mitwirkten, selbstständig aus. Das Recht, das von ihm frei ausgewählte Personal einzuweisen, zu kontrollieren und zu motivieren, stand allein dem Kläger, nicht aber der Beklagten zu.

52(2) Die Öffnungszeiten, die die Parteien zu Beginn des Vertragsverhältnisses vereinbarten, wurden zu einem späteren Zeitpunkt auf Wunsch des Klägers geändert. Die abweichende Gestaltung der sog. Winteröffnungszeiten war nicht Folge einer einseitigen Anordnung seitens der Beklagten, sondern erfolgte - wie dies § 6 Abs. 2 des Partnervertrags vorsieht - im gegenseitigen Einvernehmen im Wege einer gesonderten Vereinbarung der Parteien.

53c) In Abwägung der relevanten Gesichtspunkte ist das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangt, das Rechtsverhältnis der Parteien sei nicht ein Arbeits-, sondern das Dienstverhältnis eines freien Mitarbeiters. Das Landesarbeitsgericht hat den Vertragsbestimmungen, die die Handlungsfreiheit des Klägers beschränken, eine weniger große Bedeutung zugemessen als seiner Befugnis, die von ihm geschuldete Dienstleistung durch Dritte zu erbringen, die er frei auswählen und deren Tätigkeit er eigenverantwortlich kontrollieren konnte. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

54aa) Mit den Vorgaben des Partnervertrags seien lediglich die Rahmenbedingungen festgelegt worden, unter denen die Beklagte ihren Partnern bundesweit anbiete, unter einheitlichem Namen den Kunden Waschleistungen mit im Wesentlichen einheitlichem Standard und einheitlichen Preisen zu bestimmten Öffnungszeiten zu erbringen. Die Verpflichtung, die Waschstraße instandzuhalten, stelle zuvörderst die Erhaltung der Waschstraße sicher, mit der der Kläger seine Leistung erbringe. Das Verhalten gegenüber den Kunden ziele ebenso wie der Umgang mit Reklamationen auf eine Erhöhung der Kundenzufriedenheit, die den Parteien gleichermaßen zugutekomme. Die Bestimmungen über die Buchhaltung, die Kassenführung und den Zahlungsverkehr dienten der geordneten Abrechnung, insbesondere der Berechnung der vom Kläger verdienten Provision, nach der sich gemäß § 8 des Partnervertrags das von ihm zu entrichtende Nutzungsentgelt richte.

55bb) Maßgebliches Gewicht hat das Landesarbeitsgericht zu Recht dem vertraglichen Recht des Klägers beigemessen, die Waschstraße nicht höchstpersönlich, sondern durch von ihm angestelltes Personal zu betreiben, das er ausgewählt und zu Bedingungen eingestellt habe, die er frei und ohne Einflussnahme seitens der Beklagten habe aushandeln können. Der zeitliche Umfang der von dem Kläger zu erbringenden Leistungen lasse darauf schließen, dass die Parteien bereits bei Abschluss des Partnervertrags davon ausgegangen seien, dass der Kläger die Waschstraße nicht allein betreiben werde.

56cc) Erfolglos rügt der Kläger, das Landesarbeitsgericht habe bei seiner Entscheidung „das sich in jüngster Zeit stark veränderte Wirtschaftsgeschehen“ nicht ausreichend gewürdigt. Gleiches gilt für seine Behauptung, die Beklagte verfüge über eine Marktmacht, die es ihr erlaube, die Bedingungen der Zusammenarbeit mit ihren Partnern nach Belieben zu bestimmen. Diese Umstände sind keine Indikatoren für die Annahme, dass die geschuldete Dienstleistung weisungsgebunden und fremdbestimmt in persönlicher Abhängigkeit iSv. § 611a Abs. 1 BGB zu erbringen ist. Führt das Übergewicht der einen Vertragspartei bei Vertragsschluss zu „unfairen“ Vertragsbedingungen, sind diese allein nach allgemeinen Grundsätzen im Rahmen einer Vertragskontrolle zu würdigen.

57dd) Soweit die Revision geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe es pflichtwidrig unterlassen, den Sachverhalt weiter aufzuklären, für ihn günstige Tatsachen festzustellen und diese in die Gesamtbetrachtung einzustellen, erhebt sie eine unzulässige Verfahrensrüge.

58(1) Eine Verfahrensrüge kann darauf gestützt werden, der verfassungsrechtliche Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt. Besteht die Rüge darin, Sachvortrag sei übergangen worden, ist in der Revisionsbegründung anzugeben, welchen konkreten Sachvortrag das Berufungsgericht übergangen haben soll und dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht. Sofern sich das nicht aus der Art des gerügten Verfahrensfehlers von selbst ergibt, ist dafür darzulegen, dass das Landesarbeitsgericht bei richtigem Verfahren möglicherweise anders entschieden hätte (vgl.  - Rn. 18).

59(2) Gemessen hieran ist die seitens des Klägers erhobene Rüge unzulässig. Der Kläger hat sich auf den pauschalen Hinweis beschränkt, das Landesarbeitsgericht habe sich mit seinen weiteren Argumenten nicht auseinandergesetzt, ohne darzulegen, welchen konkreten Sachvortrag das Landesarbeitsgericht seiner Ansicht zufolge übergangen hat.

60IV. Da der Feststellungantrag nicht begründet ist, fällt der Zahlungsantrag als uneigentlicher Hilfsantrag dem Senat nicht zur Entscheidung an.

61V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:121124.U.9AZR205.23.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-86592