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BAG Beschluss v. - 4 AZB 26/24

Prozesskostenhilfe für Mehrvergleich

Leitsatz

Schließen die Parteien nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe einen gerichtlichen Vergleich, der bisher nicht rechtshängige Gegenstände erfasst, bedarf es eines neuen - ausdrücklichen oder konkludenten - Antrags, wenn die Bewilligung auch auf den Mehrvergleich erstreckt werden soll. Die bloße Unterbreitung eines Vergleichsvorschlags oder die Zustimmung zu einem solchen reicht nicht aus.

Instanzenzug: ArbG Suhl Az: 5 Ca 27/23 Beschlussvorgehend Thüringer Landesarbeitsgericht Az: 2 Ta 68/23 Beschluss

Gründe

1I. Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung der Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Mehrwert eines im schriftlichen Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO geschlossenen Vergleichs.

2Der Kläger erhob am Kündigungsschutzklage gegen eine mit Schreiben vom erklärte fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung der Beklagten. Zugleich beantragte er, ihm unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz zu bewilligen. Dem Antrag war eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt. Ihm wurde mit Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug mit Wirkung ab dem bewilligt und zur Wahrnehmung seiner Rechte Rechtsanwalt R beigeordnet.

3Das Arbeitsgericht stellte aufgrund eines Vorschlags der Beklagten und Zustimmung des Klägers - jeweils mit Schriftsatz vom  - mit Beschluss vom das Zustandekommen eines Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO fest. Dessen Inhalt war eine Einigung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung eines Zeugnisses „mit der Note ‚gut‘“. Der Beschluss wurde am zur Post gegeben und den Parteien formlos übermittelt.

4Der Kläger beantragte mit Schreiben vom , die bewilligte Prozesskostenhilfe auch auf den Vergleich zu erstrecken. Das Arbeitsgericht teilte mit Schreiben vom mit, dass beabsichtigt sei, den Streitwert für das Verfahren auf 7.448,88 Euro und für den Vergleich auf 9.931,84 Euro festzusetzen. Für die im Vergleich enthaltene Regelung über die Erteilung eines Zeugnisses sei von einem Vergleichsmehrwert in Höhe von einem Bruttomonatsgehalt auszugehen.

5Das Arbeitsgericht wies den Antrag auf Erstreckung der Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom zurück. Der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde des Klägers half es mit Beschluss vom nicht ab. Das Landesarbeitsgericht wies diese mit Beschluss vom zurück.

6Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde und begehrt weiterhin die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf den Mehrvergleich. Er vertritt die Auffassung, in der Zustimmung zum Vergleichsschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO liege ein konkludenter Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für den darin enthaltenen Mehrvergleich. Es sei - auch im Hinblick auf den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe und dem Abschluss des Vergleichs - davon auszugehen, dass der Kläger als finanziell unbemittelte Partei auch für die bei Bewilligung der Prozesskostenhilfe noch nicht rechtshängigen Streitgegenstände Prozesskostenhilfe begehre.

7II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben den Antrag des Klägers zu Recht abgewiesen.

81. Der ursprüngliche Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vom war nicht zugleich auf die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den später abgeschlossenen Mehrvergleich über die Zeugniserteilung gerichtet.

9a) Stellt eine Partei einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts für eine bestimmte Instanz, so bezieht sich dieser regelmäßig nur auf die bereits rechtshängigen Streitgegenstände oder diejenigen, die gleichzeitig mit der Antragstellung anhängig gemacht werden. Nur für diese kann das Gericht typischerweise die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung prüfen. Eine Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beschränkt sich auf diese Streitgegenstände, soweit das Gericht nicht ausdrücklich etwas anderes ausspricht. Kommt es nach der Bewilligung zu einer Klageerweiterung oder soll Prozesskostenhilfe auch für einen Mehrvergleich bewilligt werden, bedarf es eines neuen Antrags ( - Rn. 15).

10b) Bei Antragstellung durch den Kläger war der Abschluss eines Mehrvergleichs nicht absehbar. Der Antrag bezog sich lediglich auf die rechtshängigen Streitgegenstände und damit die Kündigungsschutzanträge. Das Arbeitsgericht hat dem Kläger mit Beschluss vom , mithin vor Abschluss des (Mehr-)Vergleichs, Prozesskostenhilfe bewilligt und damit den Antrag vollständig beschieden. Eine Erweiterung im Hinblick auf den Mehrwert des Vergleichs war zum Zeitpunkt dessen Abschlusses nicht mehr möglich.

112. Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch seinen schriftsätzlichen Erklärungen im Zusammenhang mit dem Vergleichsschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO kein konkludenter Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu entnehmen.

12a) Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen Antrag voraus. Eine Bewilligung ohne Antrag scheidet im stark formalisierten Prozesskostenhilfeverfahren aus. Dies schließt aber weder eine konkludente Antragstellung noch - wie bei jeder Prozesshandlung - eine Auslegung des Antrags aus. Das Gericht hat in diesem Rahmen bei Entscheidungs- und Bewilligungsreife zu ermitteln, in welchem Umfang der Antragsteller Prozesskostenhilfe begehrt. Bestehen Unklarheiten, muss es in entsprechender Anwendung des § 139 ZPO nachfragen. Bei der Auslegung eines Prozesskostenhilfeantrags ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass Unbemittelten aus verfassungsrechtlichen Gründen die Rechtsverfolgung und -verteidigung im Vergleich zu Bemittelten nicht unverhältnismäßig erschwert werden darf. Der Unbemittelte muss grundsätzlich ebenso wirksamen Rechtsschutz in Anspruch nehmen können wie ein Begüterter. Er muss einem solchen Bemittelten gleichgestellt werden, der seine Aussichten vernünftig abwägt und dabei auch sein Kostenrisiko berücksichtigt. Das gilt auch für die Anwendung von Formvorschriften ( - Rn. 13).

13b) Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen (konkludenten) Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für den Mehrvergleich gestellt.

14aa) Nachdem das Arbeitsgericht über den ursprünglichen Antrag des Klägers bereits umfassend und abschließend entschieden hatte (Rn. 10), kommt vorliegend keine - erweiternde - Auslegung des ausdrücklich gestellten ursprünglichen Antrags, sondern ausschließlich die Annahme eines neuen, konkludenten Antrags in Betracht. Grundsätzlich kann dies auch bei Fehlen eines förmlichen Antrags möglich sein (vgl. zum fehlenden Berufungsantrag  - Rn. 22; zur Antragstellung nach § 297 Abs. 1 ZPO  - Rn. 13; - 1 AZR 166/16 - Rn. 15). Dies gilt im Hinblick auf die erforderliche rechtsschutzgewährende Auslegung (vgl. hierzu  - Rn. 55; - 4 AZR 334/22 - Rn. 32) auch für einen Prozesskostenhilfeantrag (aA  - zu II 3 der Gründe). Dann muss sich aber ein Wille zur Antragstellung eindeutig aus den Umständen ergeben, zB aus der Einreichung eines ausgefüllten Prozesskostenhilfe-Formulars (MüKoZPO/Wache 6. Aufl. § 117 Rn. 3).

15bb) Vorliegend bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte für einen Willen des Klägers, einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch für den Mehrvergleich stellen zu wollen.

16(1) Die Zustimmung des Klägers zum Vergleichsvorschlag der Beklagten hat keinerlei Bezug zum Prozesskostenhilfeverfahren. Sie enthält keinen darauf gerichteten Antrag; zudem lässt sich ihr nichts zu den weiteren Voraussetzungen zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe entnehmen. Der Kläger hat weder erklärt, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hätten sich nicht geändert, noch hat er eine neue Erklärung nach § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO beigefügt.

17(2) Anders als in dem Fall, in dem bei Abschluss des Mehrvergleichs über einen Prozesskostenhilfeantrag noch nicht entschieden ist, kann auch nicht ohne Hinzutreten weiterer Umstände regelmäßig von einer konkludenten Antragstellung ausgegangen werden.

18(a) Wenn vor der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag zwischen den Parteien ein gerichtlicher Vergleich geschlossen wird, der bisher nicht rechtshängige Gegenstände erfasst, ist regelmäßig davon auszugehen, dass die finanziell unbemittelte Partei Prozesskostenhilfe nicht nur für die bereits rechtshängigen Streitgegenstände begehrt, die durch diesen Vergleich erledigt werden, sondern auch für die weiteren durch den Vergleich miterledigten Streitpunkte. Für eine gegenteilige Annahme fehlt - von Ausnahmefällen abgesehen - jegliche Grundlage. Es ist nicht erkennbar, warum eine Partei, die nicht in der Lage ist, die Kosten des Verfahrens über die bereits anhängigen Streitgegenstände zu tragen, in der Lage wäre, die Kosten des Mehrvergleichs zu übernehmen und deshalb hierfür keine Prozesskostenhilfe beantragen will. In einem solchen Fall ist die Beantragung von Prozesskostenhilfe für die Instanz deshalb mangels anderweitiger Anhaltspunkte regelmäßig so zu verstehen, dass sie auch einen Mehrvergleich erfassen soll. Für ein solches Verständnis sprechen im Übrigen auch Gründe der Prozessökonomie. Mit der Erstreckung eines Vergleichs auf weitere, zwischen den Parteien streitige, aber noch nicht rechtshängige Ansprüche werden weitere Rechtsstreitigkeiten und damit ggf. notwendige weitere Bewilligungen von Prozesskostenhilfe vermieden ( - Rn. 17).

19(b) Hiermit ist die Situation einer Partei, der bereits Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, nicht vergleichbar. Es wird zwar in der Regel naheliegen, dass sie auch hinsichtlich einer Klageerweiterung oder eines Mehrvergleichs Prozesskostenhilfe beantragen wird (hierauf abstellend  - zu II 1 c der Gründe; - 14 Ta 35/23 - zu II 4 c der Gründe; - 14 Ta 194/22 - zu II 2 d der Gründe). Anders als bei einem noch nicht beschiedenen Antrag wäre aber für eine vollständige Antragstellung erforderlich, eine neue Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse einzureichen oder zumindest zu erklären, dass sich die Verhältnisse seit Abgabe der letzten Erklärung nicht geändert haben (vgl. zu § 119 ZPO  - zu II 1 der Gründe mwN, BGHZ 148, 66). Der bloßen Unterbreitung eines Vergleichsvorschlags oder der Zustimmung zu einem solchen kann diese Erklärung nicht entnommen werden. Es ist auch nicht regelmäßig davon auszugehen, die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hätten sich innerhalb einer kürzeren Zeitspanne - ggf. eineinhalb Monate - nicht geändert (so aber  - aaO; - 14 Ta 194/22 - aaO). Nach der in § 120a Abs. 1 Satz 3 ZPO zum Ausdruck kommenden gesetzlichen Wertung muss jederzeit mit einer Verbesserung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gerechnet werden. Eine solche kann insbesondere dadurch eintreten, dass die Partei durch die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung etwas erlangt, § 120a Abs. 3 Satz 1 ZPO (vgl. auch  - zu II 2 d der Gründe).

20cc) Inwieweit das Gericht nach § 139 ZPO eine Hinweispflicht bezüglich eines erforderlichen neuen Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch für einen Mehrvergleich trifft, kann dahinstehen. Eine solche besteht jedenfalls nicht, wenn - wie vorliegend - die Parteien ohne Mitwirkung des Gerichts einen Vergleich nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 ZPO schließen. In diesem Fall besteht für das Gericht keine Möglichkeit, vor Abschluss des Verfahrens einen Hinweis zu erteilen.

213. Schließlich kann dem Kläger nicht aufgrund seines Antrags vom Prozesskostenhilfe auch für den Mehrvergleich bewilligt werden.

22a) Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann Prozesskostenhilfe lediglich für eine „beabsichtigte“ Rechtsverfolgung gewährt werden. Eine Rückwirkung der Bewilligung ist grundsätzlich ausgeschlossen. Jedoch kann die Rückwirkung bis zu dem Zeitpunkt erstreckt werden, in dem der Antragsteller durch einen formgerechten Bewilligungsantrag von seiner Seite aus alles für die Bewilligung Erforderliche oder Zumutbare getan hat. Soweit die Voraussetzungen einer rückwirkenden Bewilligung vorliegen, sind aus der Staatskasse Tätigkeiten des beigeordneten Rechtsanwalts zu vergüten, die dieser auf die Hauptsache bezogen bei oder nach dem Eingang des Prozesskostenhilfeantrags erbracht hat. Nach Abschluss der Instanz ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht mehr möglich. Diese Begrenzung der Rückwirkung folgt aus dem Zweck der Prozesskostenhilfe. Der mittellosen Partei sollen die Prozesshandlungen ermöglicht werden, die für sie mit Kosten verbunden sind. Haben jedoch die Partei oder deren Prozessbevollmächtigter die aus ihrer Sicht notwendigen Prozesshandlungen schon vor der ordnungsgemäßen Beantragung der Prozesskostenhilfe vorgenommen, so hängen diese Prozesshandlungen nicht mehr davon ab, dass die Partei zuvor die entsprechenden Kosten - etwa durch einen Vorschuss gemäß § 9 RVG - deckt. Eine weiter rückwirkende Bewilligung diente nur noch dazu, einem Prozessbevollmächtigten durch die nachträgliche Bewilligung von Prozesskostenhilfe einen Zahlungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen. Das ist nicht Zweck der Prozesskostenhilfe ( - Rn. 9; - 3 AZB 34/11 - Rn. 13 f. mwN; - 2 AZB 19/03 - zu II 2 b der Gründe).

23b) Vorliegend war aufgrund der übereinstimmenden Erklärungen der Parteien am , der Beschlussfassung am gleichen Tag und dessen Übersendung am am kein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mehr möglich. Die Parteien hatten bereits alle notwendigen Prozesshandlungen vorgenommen, das Verfahren war beendet.

24III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Eine Kostenerstattung findet nach § 127 Abs. 4 ZPO nicht statt.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:110225.B.4AZB26.24.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-86330