Beurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage für nichtvulnerable Schutzberechtigte in Italien
Leitsatz
Nichtvulnerablen Personen, denen in Italien internationaler Schutz zuerkannt worden ist, drohen aktuell bei einer Rückkehr nach Italien keine mit Art. 4 GRC unvereinbaren Lebensbedingungen. Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sie in eine Lage extremer materieller Not geraten, die es ihnen nicht erlaubt, ihre elementarsten Grundbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Verpflegung und Hygiene zu befriedigen. Das gilt auch für weibliche Schutzberechtigte.
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Az: 13 A 10953/22.OVG Beschlussvorgehend VG Trier Az: 6 K 5063/19.TR
Tatbestand
1Die in Italien als Flüchtling anerkannte Klägerin wendet sich im Verfahren der sogenannten Tatsachenrevision gegen die Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig und die Androhung ihrer Abschiebung nach Italien.
2Die 1966 geborene Klägerin ist syrische Staatsangehörige. Sie ist verwitwet und hat volljährige Kinder. Nach einem Voraufenthalt in Italien stellte sie im Juli 2017 (zusammen mit einer 2001 geborenen Tochter) einen Asylantrag in Deutschland. Bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab sie an, sie habe sich in Italien rund zwei Monate aufgehalten und dort im Dezember 2016 bereits einen Asylantrag gestellt. Sie habe aber nach Deutschland weiterreisen wollen, weil sich ihre erwachsene Tochter hier aufhalte. Sie leide an hohem Blutdruck, Diabetes und Bandscheibenproblemen, sei jedoch noch nicht in ärztlicher Behandlung. Entsprechende Atteste könne sie nicht vorlegen, und sie nehme auch keine Medikamente ein.
3Das Bundesamt lehnte den Asylantrag zunächst nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig ab, weil Italien für den Antrag zuständig sei. Nach Ablauf der Überstellungsfrist und Eingang der Mitteilung, dass der Tochter der Klägerin bereits im Februar 2017 die Flüchtlingseigenschaft in Italien zuerkannt worden war, hob das Bundesamt mit dem angefochtenen Bescheid vom den vorangegangenen Bescheid auf. Zugleich lehnte es den Asylantrag der Klägerin erneut - nunmehr nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG - als unzulässig ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote im Sinne von § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hinsichtlich Italiens nicht vorlägen, und drohte ihr die Abschiebung nach Italien oder in einen anderen Staat, in den sie einreisen dürfe oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, an. Eine Abschiebung nach Syrien dürfe nicht erfolgen. Die Vollziehung dieser Abschiebungsandrohung wurde ausgesetzt. Weiter erließ das Bundesamt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von 30 Monaten, beginnend mit dem Tag der Abschiebung.
4Mit ihrer Klage machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, sie verfüge in Italien - anders als in der Bundesrepublik - nicht über Verwandte und sie spreche auch kein Italienisch. Die medizinische Versorgung in Italien sei unzureichend. Sie sei psychisch krank geworden, habe aber noch keinen Arzt aufsuchen können.
5Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.
6Auf Ersuchen der Beklagten haben die italienischen Stellen im Oktober 2023 mitgeteilt, dass (auch) der Klägerin im Februar 2017 in Italien der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden ist. Die ihr daraufhin erteilte Aufenthaltsgestattung sei bis Februar 2022 gültig gewesen.
7Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin durch Beschluss vom zurückgewiesen. Die Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung sei unbegründet, da die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vorlägen. Der Klägerin sei in einem anderen Mitgliedstaat (Italien) internationaler Schutz gewährt worden. Es sei davon auszugehen, dass ihr dieser Status nicht allein wegen ihrer längerfristigen Abwesenheit entzogen worden sei und sie nach einer Rückkehr unionsrechtsgemäß erneut einen Aufenthaltstitel erhalten werde. Schutzberechtigte ohne individuelle Sonderrisikofaktoren hätten in Italien trotz einer dort drohenden Obdachlosigkeit auch keine mit Art. 4 GRC unvereinbare Aufnahmesituation zu erwarten. Sie erführen in dieser Situation eine noch hinreichende Unterstützung zur Befriedigung ihrer elementarsten Grundbedürfnisse. Ihnen stehe zudem die zumutbare Möglichkeit offen, ihre eigene Situation durch Aufnahme einer Beschäftigung aktiv zu verbessern. Diese Beurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage von anerkannt Schutzberechtigten ohne besondere Vulnerabilitäten in Italien habe der Senat in seinem Grundsatzurteil vom - 13 A 10948/22.OVG [ECLI:DE:OVGRLP:2023:0327.13A10948.22.OVG.00] - (juris) vorgenommen, auf das hinsichtlich der Einzelheiten verwiesen werde. Auch die Klägerin gehöre keiner besonders vulnerablen Personengruppe an. Die im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemachten gesundheitlichen Probleme seien im gesamten Verfahren nicht näher substantiiert und durch ärztliche Bescheinigungen untermauert worden. Allein ihr Geschlecht und ihr Alter von 57 Jahren führten nicht zu einer besonderen Vulnerabilität. Sie sei zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Verhandlung bereits für die Dauer von 13 Monaten einer Tätigkeit als Reinigungskraft nachgegangen. Die Abschiebungsandrohung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot seien nicht zu beanstanden, und auch die hilfsweise erhobene Verpflichtungsklage auf Feststellung von Abschiebungsverboten sei unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen seinen Beschluss nach § 78 Abs. 8 AsylG zugelassen, weil es von der Beurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage in Italien durch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom - 11 A 1674/20.A [ECLI:DE:OVGNRW:2021:0720.11A1674.20A.00] - juris) abgewichen sei.
8Mit ihrer Revision beanstandet die Klägerin die rechtliche und tatsächliche Bewertung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage für anerkannte Schutzberechtigte in Italien. Diese fänden in Italien keine menschenwürdige Unterkunft. Nach den Rundbriefen der italienischen Behörden vom 5. und seien die Unterkunftsmöglichkeiten ausgeschöpft. Die Situation hoher Asylbewerber-Zugangszahlen in Italien habe sich durch die große Zahl an Flüchtlingen aus der Ukraine noch verschärft. Auch nach dem anzulegenden Maßstab des Gerichtshofs der Europäischen Union genüge es den Anforderungen an eine menschenwürdige Unterkunft nicht, wenn Schutzberechtigte sich für jede Nacht einen neuen Schlafplatz in besetzten Häusern oder Slums suchen müssten. Unzutreffend sei auch die Annahme, obdachlosen Schutzberechtigten stehe in Italien eine hinreichende Unterstützung zur Befriedigung ihrer elementarsten Grundbedürfnisse zur Verfügung und sie könnten ihre eigene Situation durch Aufnahme einer Beschäftigung verbessern. Die Klägerin spreche weder Italienisch noch ausreichend Englisch. Ihr Aufenthalt in Italien wäre illegal. Ihre italienische Aufenthaltserlaubnis sei abgelaufen und könne nicht verlängert werden. Der italienische Arbeitsmarkt sei angespannt; es sei ein dramatischer Anstieg von irregulärer Arbeit und Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte zu verzeichnen. Vor diesem Hintergrund sei die Möglichkeit der Aufnahme einer regulären Beschäftigung völlig unrealistisch. Schwarzarbeit könne Schutzberechtigten wegen der Gefahr einer Strafverfolgung nicht zugemutet werden.
9Die Beklagte verteidigt die angegriffene Lagebeurteilung des Berufungsgerichts und trägt ergänzend zur aktuellen Erkenntnislage vor.
10Die Vertreterin des Bundesinteresses hat sich am Verfahren nicht beteiligt.
Gründe
11Die auf § 78 Abs. 8 AsylG gestützte Revision ist zulässig (1.), aber nicht begründet (2.). Das Oberverwaltungsgericht hat die allgemeine abschiebungsrelevante Lage für in Italien anerkannte nichtvulnerable Schutzberechtigte im Ergebnis zutreffend dahin beurteilt, dass diese bei einer Rückkehr nach Italien nicht beachtlich wahrscheinlich mit Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) unvereinbaren Lebensbedingungen ausgesetzt sein werden (§ 78 Abs. 8 Satz 3 AsylG). Dies gilt auch für die Klägerin.
121. Die Revision der Klägerin ist gemäß § 78 Abs. 8 Satz 1 AsylG als sogenannte Tatsachenrevision statthaft und auch im Übrigen zulässig. Das Oberverwaltungsgericht ist in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage im Zielstaat Italien in Bezug auf den genannten Personenkreis von deren Beurteilung durch das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom - 11 A 1674/20.A - juris; Beschluss vom - 11 A 100/22.A [ECLI:DE:OVGNRW:2022:0622.11A100.22A.00] - juris) entscheidungserheblich abgewichen (§ 78 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 AsylG), und es hat die Revision wegen dieser Abweichung zugelassen (§ 78 Abs. 8 Satz 1 Nr. 2 AsylG).
132. Die Revision ist unbegründet.
142.1 a) Prüfungsgegenstand der (Tatsachen-)Revision nach § 78 Abs. 8 AsylG ist - neben den von Amts wegen stets zu prüfenden, hier unzweifelhaften Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage und Berufung - allein die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat (§ 78 Abs. 8 Satz 3 AsylG), hier der abschiebungsrelevanten Lage im Zielstaat Italien. Der Begriff der Beurteilung umfasst sowohl den Prüfungsmaßstab in rechtlicher Hinsicht als auch die Feststellung und Würdigung der tatsächlichen Erkenntnislage zwecks Subsumtion unter die rechtlichen Vorgaben. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Abs. 2 VwGO nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Die Befreiung von der Bindungswirkung des § 137 Abs. 2 VwGO beschränkt sich auf die allgemeine asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevante Lage; sie erfasst hingegen nicht auch Tatsachenfeststellungen zu individuellen Umständen in der Person des jeweiligen Klägers, die sich positiv oder negativ auf die Gefahrenprognose auswirken können. Eine weitere Tatsachenermittlung oder Sachaufklärung zu den individuellen Schutzgründen und eine diesbezügliche Beweisaufnahme findet nicht statt (BT-Drs. 20/4327 S. 44).
15b) Bezugsrahmen der Beurteilung der allgemeinen Lage ist der von der Divergenz betroffene, abstrakt bestimmte Personenkreis, der zumindest so weit gezogen werden muss, dass er die jeweils klagende Person nach den - insoweit für das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO grundsätzlich bindenden - Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zu deren individuellen Verhältnissen einschließt. Danach ist hier die Gruppe der nichtvulnerablen Drittstaatsangehörigen in den Blick zu nehmen, denen in Italien internationaler Schutz zuerkannt worden ist. Dieser Personenkreis umfasst bezogen auf den Zielstaat Italien alle volljährigen Schutzberechtigten ohne minderjährige Kinder, die erwerbsfähig sind und nicht an einen besonderen Schutzbedarf begründenden Krankheiten leiden. Hierzu zählt nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts auch die Klägerin, die sich mit 57 Jahren weiterhin im arbeitsfähigen Alter befindet, keine minderjährigen Kinder hat und auch keine derart erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen aufweist, dass ihre Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt oder ein erhöhter Schutzbedarf festzustellen wäre. Mit dem weiblichen Geschlecht ist bei international Schutzberechtigten im Zielstaat Italien keine erhebliche Erhöhung des Risikos verbunden, in eine Situation extremer materieller Not zu geraten (s. u. unter 2.2.2 c) und e)).
16c) Um eine in dem betreffenden Verfahren den Instanzenzug abschließende Entscheidung zu treffen (vgl. BT-Drs. 20/4327 S. 43), hat das Bundesverwaltungsgericht aus der von ihm eigenständig vorzunehmenden Beurteilung der allgemeinen abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat alle erforderlichen rechtlichen Konsequenzen für weitere Entscheidungen wie hier die Abschiebungsandrohung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot zu ziehen. Nur insofern sind diese von der allein als Tatsachenrevision zugelassenen Revision erfasst. Eine davon unabhängige Überprüfung auf Bundesrechtsverstöße jeglicher Art findet dagegen nicht statt. § 78 Abs. 8 Satz 3 AsylG beschränkt nicht nur die zulässigen Revisionsgründe, sondern auch die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts; als Spezialregelung schließt die Vorschrift den Rückgriff auf § 137 Abs. 1 VwGO und den Grundsatz der Vollrevision (§ 137 Abs. 3 Satz 2 VwGO) aus.
17d) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der allgemeinen Lage ist der in § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG genannte Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Gemäß § 78 Abs. 8 Satz 5 AsylG berücksichtigt das Bundesverwaltungsgericht dafür diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Vorrangig gelten auch hier die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die gerichtliche Sachaufklärungspflicht: Als über allgemeine asyl- und abschiebungsrelevante Situationen befindendes Tatsachengericht ist das Bundesverwaltungsgericht verpflichtet, auf der Grundlage tagesaktueller Erkenntnisse zu entscheiden und dabei alle aktuellen Erkenntnismittel von Relevanz zu berücksichtigen. Welche Erkenntnismittel es in diesem Sinne für relevant hält, unterliegt seiner vom Bundesverfassungsgericht nur eingeschränkt überprüfbaren fachgerichtlichen Einschätzung ( [ECLI:DE:BVerfG:2017:rk20170327.2bvr068117] - NVwZ 2017, 1702 Rn. 11 f.; siehe nunmehr auch [ECLI:DE:BVerfG:2024:rk20241212.2bvr134124] - juris Rn. 12 und 16). Die Frage, ob in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt Schutzberechtigten eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung droht, die ein Abschiebungsverbot auslöst, erfordert eine aktuelle Gesamtwürdigung der zu der jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen. Dabei kommt regelmäßigen und übereinstimmenden Berichten von internationalen Nichtregierungsorganisationen besondere Bedeutung zu ( [ECLI:DE:BVerfG:2016:rk20160421.2bvr027316] - NVwZ 2016, 1242 Rn. 11).
182.2 Nach diesem Prüfungsprogramm ist die zutreffend mit der Anfechtungsklage angegriffene Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 2 des Bescheides rechtlich nicht zu beanstanden. Die Ablehnung des Asylantrags der Klägerin als unzulässig beruht auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat, diesem also entweder die Flüchtlingseigenschaft oder die Eigenschaft als subsidiär Schutzberechtigter zuerkannt hat. Diese stets im Einzelfall festzustellende Voraussetzung unterliegt hier nicht der Überprüfung; von ihrem Vorliegen ist vielmehr nach den insoweit bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auszugehen.
19Gleichwohl kann eine auf diese Vorschrift gestützte Unzulässigkeitsentscheidung aus unionsrechtlichen Gründen rechtswidrig sein. Das ist der Fall, wenn die Lebensverhältnisse, die den Betroffenen als anerkannten Schutzberechtigten in dem anderen Mitgliedstaat erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC zu erfahren. Unter diesen Voraussetzungen ist es den Mitgliedstaaten untersagt, von der durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom (ABl. L 180 S. 60) - RL 2013/32/EU - eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen (vgl. u. a. [ECLI:EU:C:2019:964], Hamed u. a. - Rn. 35; Urteil vom - C-297/17 u. a. [ECLI:EU:C:2019:219], Ibrahim u. a. - Rn. 88). Verstöße gegen Art. 4 GRC im Mitgliedstaat der anderweitigen Schutzgewährung sind damit nicht nur bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen, sondern führen bereits zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung ( 1 C 8.23 [ECLI:DE:BVerwG:2024:240424U1C8.23.0] - juris Rn. 9 m. w. N.).
202.2.1 Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), der sich der Senat angeschlossen hat, gilt für die Annahme unmenschlicher oder erniedrigender Lebensbedingungen ein strenger Maßstab. Allein der Umstand, dass die Lebensverhältnisse in diesem Mitgliedstaat nicht den Bestimmungen der Art. 20 ff. im Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom (ABl. L 337 S. 9) - Anerkennungsrichtlinie; nachfolgend RL 2011/95/EU - gerecht werden, führt angesichts der fundamentalen Bedeutung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu einer Einschränkung der Ausübung der in Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU vorgesehenen Befugnis, solange die Schwelle der Erheblichkeit des Art. 4 GRC nicht erreicht ist. Vielmehr darf jeder Mitgliedstaat - vorbehaltlich außergewöhnlicher Umstände - davon ausgehen, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten. Diese Vermutung gilt im Kontext des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems auch bei der Anwendung des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU. Verstöße gegen Bestimmungen des Kapitels VII der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU, die nicht zu einer Verletzung von Art. 4 GRC führen, hindern die Mitgliedstaaten daher nicht, ihre durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a RL 2013/32/EU eingeräumte Befugnis auszuüben. Gleiches gilt, wenn der Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der ihm internationalen Schutz gewährt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhält, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaates behandelt zu werden und der ernsthaften Gefahr einer gegen Art. 4 GRC verstoßenden Behandlung ausgesetzt zu sein ( u. a. - Rn. 83 ff. und Beschluss vom - C-540/17 u. a. - Rn. 34).
21Systemische oder allgemeine oder bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen fallen nur dann unter Art. 4 GRC, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falls abhängt und die dann erreicht wäre, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Diese Schwelle ist selbst bei durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (vgl. 1 C 34.19 [ECLI:DE:BVerwG:2020:200520U1C34.19.0] - Buchholz 402.251 § 29 AsylG Nr. 11 Rn. 19 unter Bezugnahme auf u. a. - Rn. 89 ff. und - C-163/17 [ECLI:EU:C:2019:218], Jawo - Rn. 91 ff. sowie Beschluss vom - C-540/17 u. a. - Rn. 39). Ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK besteht nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern nur für den Fall, dass die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist und der Drittstaatsangehörige dadurch Gefahr läuft, erheblich in seiner Gesundheit beeinträchtigt zu werden oder in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzt zu werden (BVerwG, Beschlüsse vom - 1 B 93.21 [ECLI:DE:BVerwG:2022:270122B1B93.21.0] - juris Rn. 12 und vom - 1 B 66.21 [ECLI:DE:BVerwG:2022:170122B1B66.21.0] - juris Rn. 18).
22Auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK, die der EuGH seiner Auslegung des Art. 4 GRC maßgeblich zugrunde legt, müssen die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren ein gewisses "Mindestmaß" an Schwere (minimum level of severity) erreichen, um ein Abschiebungsverbot zu begründen (vgl. EGMR <GK>, Urteil vom - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 174; PPU [ECLI:EU:C:2017:127], C. K. u. a. - Rn. 68). Die Bestimmung dieses Mindestmaßes an Schwere ist relativ und hängt von allen Umständen des Falles ab, insbesondere von der Dauer der Behandlung, den daraus erwachsenen körperlichen und mentalen Folgen für den Betroffenen und in bestimmten Fällen auch vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Betroffenen (EGMR <GK>, Urteile vom - Nr. 30696/09, M. S. S./Belgien und Griechenland - Rn. 219 und vom - Nr. 41738/10 - Rn. 174). Allerdings enthält Art. 3 EMRK weder eine Verpflichtung der Vertragsstaaten, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen, noch begründet Art. 3 EMRK eine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (EGMR <GK>, Urteil vom - Nr. 30696/09 - Rn. 249). Der EGMR hat aber für die als besonders verletzlich gewertete Gruppe der Asylsuchenden eine aus der Aufnahmerichtlinie (aktuell: RL 2013/33/EU) folgende gesteigerte Verantwortlichkeit der EU-Mitgliedstaaten gesehen (EGMR <GK>, Urteil vom - Nr. 30696/09 - Rn. 250 ff.), die mit Blick auf die Richtlinie 2011/95/EU auch für international Schutzberechtigte anzunehmen ist. Auch bei ihnen kann das für Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere im Zielstaat der Abschiebung erreicht sein, wenn sie ihren existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten (vgl. 1 B 25.18 [ECLI:DE:BVerwG:2018:080818B1B25.18.0] - NVwZ 2019, 61 Rn. 9 ff.).
23Für die Erfüllung der vorbezeichneten Grundbedürfnisse gelten - gerade bei nichtvulnerablen Personen - nur an dem Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde orientierte Mindestanforderungen. Dabei sind nicht nur staatliche Unterstützungsleistungen (vgl. 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 11), sondern auch Unterstützungsangebote nichtstaatlicher Hilfsorganisationen zu berücksichtigen ( 1 C 3.21 [ECLI:DE:BVerwG:2021:070921U1C3.21.0] - InfAuslR 2022, 152 Rn. 25 ff.).
24Der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert eine zeitliche Nähe des Gefahreneintritts (vgl. näher 1 C 10.21 [ECLI:DE:BVerwG:2022:210422U1C10.21.0] - BVerwGE 175, 227 Rn. 20 ff.). Die Gefahr muss in dem Sinne konkret sein, dass die drohende Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Würde der Person in einem solchen engen zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung durch den Vertragsstaat (hier: EU-Mitgliedstaat) eintritt, dass bei wertender Betrachtung noch eine Zurechnung zu dieser Abschiebung - in Abgrenzung zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder gewählten Verhaltensweisen des Ausländers - gerechtfertigt erscheint. Wo die zeitliche Höchstgrenze für einen solchen Zurechnungszusammenhang im Regelfall zu ziehen ist, ist keiner generellen Bestimmung zugänglich. Die Berücksichtigung anfänglich gewährter Hilfen darf nicht dazu führen, den mit Art. 3 EMRK intendierten Schutz durch eine starre zeitliche Bestimmung seiner Reichweite zu beeinträchtigen (ähnlich VG Freiburg, Urteil vom - A 8 K 3716/17 - juris Rn. 67 f.).
25In der Zusammenschau dieser Kriterien ergibt sich, dass die Gefahr eines ernsthaften Schadenseintritts nicht schon dann gegeben ist, wenn zu einem beliebigen Zeitpunkt nach der Rückkehr in das Heimatland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Maßstab für die im Rahmen der Prüfung des Art. 4 GRC anzustellende Gefahrenprognose ist vielmehr grundsätzlich, ob der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nach seiner Rückkehr, gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen oder Unterstützungsleistungen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen. Nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum eines Ausländers in dessen Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist. Kann der Rückkehrer Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, die eine Verelendung innerhalb eines absehbaren Zeitraums ausschließen, so kann Abschiebungsschutz ausnahmsweise nur dann gewährt werden, wenn bereits zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten behördlichen oder gerichtlichen Tatsachenentscheidung davon auszugehen ist, dass dem Ausländer nach dem Ablauf dieser Unterstützungsmaßnahmen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht. Je länger der Zeitraum der durch Hilfeleistungen abgedeckten Existenzsicherung ist, desto höher muss die Wahrscheinlichkeit einer Verelendung nach diesem Zeitraum sein (vgl. zu Rückkehrhilfen bei Rückkehr nach Afghanistan: 1 C 10.21 - BVerwGE 175, 227 Rn. 21 ff.; siehe auch .A - juris Rn. 147; 13a B 21.30342 [ECLI:DE:BAYVGH:2021:0607.13A.B21.30342.00] - juris Rn. 38).
26Diese Maßstäbe hat der Senat im Zusammenhang mit der Anwendung des Art. 3 EMRK bei Abschiebungen in Drittstaaten entwickelt; sie gelten aber ohne Weiteres auch für die Auslegung des Art. 4 GRC bei der Abschiebung anerkannter Schutzberechtigter in Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Dass bei der Überstellung von Asylbewerbern im Dublin-Verfahren nach der Rechtsprechung des EuGH möglicherweise eine zeitlich weitere Perspektive in den Blick zu nehmen ist, weil es auch auf den Zeitraum nach Abschluss des Asylverfahrens ankommt (vgl. - Rn. 88 und vom - C-228/21 u. a. [ECLI:EU:C:2023:934] - Rn. 135), ist hier nicht entscheidungserheblich. Auch wenn für einen Mitgliedstaat der Europäischen Union aufgrund der Aufnahme- bzw. hier der Anerkennungsrichtlinie ein gesteigertes Maß an Gewährleistungen besteht (vgl. 1 C 10.21 - BVerwGE 175, 227 Rn. 22), ist die zitierte Rechtsprechung des EuGH nicht dahin zu verstehen, dass die Gefahr von Art. 4 GRC-widrigen Lebensbedingungen dauerhaft ausgeschlossen sein muss. Eine zeitlich derart unbestimmte Prognose lässt sich schon nicht sinnvoll treffen und kann dem Erfordernis einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts nicht gerecht werden.
272.2.2 Gemessen daran hat das Berufungsgericht die allgemeine abschiebungsrelevante Lage von in Italien anerkannten, nichtvulnerablen Schutzberechtigten im Ergebnis zutreffend dahin beurteilt, dass diese nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von ihren persönlichen Entscheidungen in eine Lage extremer materieller Not geraten werden, die es ihnen nicht erlaubt, ihre elementarsten Grundbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Ernährung und Hygiene zu befriedigen. Diese Einschätzung erweist sich auf der Grundlage der für das Bundesverwaltungsgericht maßgeblichen aktuellen Erkenntnislage als zutreffend. Danach erhalten international Schutzberechtigte, falls ihr Aufenthaltstitel abgelaufen ist, bei einer Rückkehr nach Italien voraussichtlich erneut einen Aufenthaltstitel (a), und sie können und müssen sich bei der Wohnortgemeinde registrieren lassen (b). Dies zugrunde gelegt ist es hinreichend wahrscheinlich, dass sie eine noch menschenwürdige Unterkunft finden (c) und ihre weiteren Grundbedürfnisse, insbesondere den Verpflegungsbedarf, zwar nicht durch staatliche Sozialleistungen, aber durch Hilfsangebote karitativer Einrichtungen (d) sowie durch eigenes Erwerbseinkommen decken können (e). Eine medizinische Grundversorgung ist gewährleistet (f).
28a) Mit dem Berufungsgericht ist davon auszugehen, dass aus Italien ausgereiste Schutzberechtigte, deren Aufenthaltstitel zwischenzeitlich abgelaufen ist, im Falle einer Rückkehr nach Italien dort auf Antrag erneut ein Aufenthaltsrecht erhalten (vgl. .OVG - BA S. 10; siehe auch 24 B 22.31109 - juris Rn. 31).
29Dabei ist regelmäßig vom aktuellen Fortbestehen des internationalen Schutzes auszugehen, sofern im konkreten Fall nichts dafür spricht, dass Italien den Schutzstatus aus den in Art. 14 und 19 RL 2011/95/EU genannten Gründen aberkannt, beendet oder seine Verlängerung abgelehnt hat. Allein die längere Abwesenheit von dem schutzgewährenden Mitgliedstaat genügt hierfür nicht. Die aktuelle Auskunftslage bietet keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Italienische Republik diese Rechtslage missachtet und Schutzberechtigten den einmal zuerkannten Status nur deshalb entzieht, weil diese sich für längere Zeit in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten haben (so auch das Berufungsgericht, BA S. 10).
30Nach der aktuellen Erkenntnislage werden Aufenthaltserlaubnisse auf der Grundlage eines zuerkannten internationalen Schutzstatus für einen Zeitraum von fünf Jahren erteilt und auf Antrag verlängert; bei subsidiär Schutzberechtigten ist die Verlängerung an das Fortbestehen der Voraussetzungen für den subsidiären Schutz geknüpft (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 222; unter Hinweis auf Art. 23 Abs. 1 und 2 des Gesetzesdekrets Nr. 251/2007 vom zur Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG, a. a. O., S. 10; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Italien, , S. 4).
31Der Antrag auf Verlängerung muss grundsätzlich mindestens 60 Tage vor Ablauf der Bewilligung gestellt werden. Die Verlängerung ist international Schutzberechtigten aber auch später noch problemlos möglich (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, , S. 2; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Italien, , S. 4). Nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe soll eine Verlängerung "bis maximal der Hälfte der Gültigkeitsdauer des Status über das Ablaufdatum hinaus" möglich sein; eine Verlängerung des internationalen Schutzstatus sei also bis zu 2,5 Jahre nach Ablaufdatum der Aufenthaltsbewilligung möglich (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, , S. 2). Es mag dahinstehen, ob diese schwer verständliche Aussage, auf die sich die Rechtsprechung bisweilen stützt (vgl. etwa 24 B 22.31109 - juris Rn. 31), zutreffend ist und wie sie zu verstehen ist. Auch wenn damit der in der genannten Auskunft in italienischer Sprache zitierte Art. 13 Abs. 4 des Dekrets 394/1999 angesprochen sein sollte, stünde dies der Annahme einer regelmäßigen Verlängerbarkeit auch bei längerfristiger Abwesenheit des Schutzberechtigten nicht durchgreifend entgegen. Die zitierte Vorschrift bestimmt, dass die Aufenthaltserlaubnis nicht erneuert oder verlängert werden kann, wenn sich herausstellt, dass der Ausländer seinen Aufenthalt in Italien für einen ununterbrochenen Zeitraum von mehr als sechs Monaten, oder, bei Aufenthaltserlaubnissen mit einer Dauer von mindestens zwei Jahren, für einen ununterbrochenen Zeitraum von mehr als der Hälfte der Gültigkeitsdauer der Aufenthaltserlaubnis unterbrochen hat, es sei denn, die Unterbrechung beruht auf der Notwendigkeit der Erfüllung militärischer Pflichten oder anderen schwerwiegenden und nachgewiesenen Gründen. Dabei handelt es sich offenbar um eine nicht auf international Schutzberechtigte gemünzte Regelung des allgemeinen Ausländerrechts (vgl. den Verweis auf die Erfüllung militärischer Pflichten), die zudem aus einer Zeit vor der Schaffung der ersten Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG) stammt. Sie dürfte auf international Schutzberechtigte keine Anwendung finden. Vielmehr haben international Schutzberechtigte nach der auch für Italien verbindlichen unionsrechtlichen Vorgabe des Art. 24 RL 2011/95/EU Anspruch auf Erteilung und Verlängerung eines Aufenthaltstitels, solange der Schutzstatus fortbesteht. Diese Vorgabe hat Italien in Art. 23 Abs. 1 und 2 des o. g. Gesetzesdekrets Nr. 251/2007 ("Qualifikationsdekret") umgesetzt. Diese Regelungen enthalten keine Einschränkungen in Fällen längerer Abwesenheit; namentlich ergibt sich die Praktizierung eines solchen Ausschlussgrunds aus keinem der Berichte über die aufenthaltsrechtliche Situation international Schutzberechtigter (vgl. insbesondere AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 222 f., 10; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Italien, , S. 4 f.). Ob etwas anderes gilt, wenn bei einem anerkannten Flüchtling die Verantwortung für die Ausstellung des Reiseausweises und darüber hinaus die Verantwortung für den Flüchtling selbst (vgl. 1 C 41.20 [ECLI:DE:BVerwG:2021:300321U1C41.20.0] - BVerwGE 172, 125 Rn. 32) nach dem Europäischen Übereinkommen über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge vom - EATRR/EÜÜVF - (BGBl. 1994 II S. 2645) auf Deutschland übergegangen ist, kann hier dahinstehen. Denn in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG fehlt es regelmäßig an der für einen Verantwortungsübergang erforderlichen zumindest stillschweigenden Billigung des Zweitstaats (hier: Deutschlands) für den dauerhaften Aufenthalt des Flüchtlings, die aus einer bloßen verfahrensakzessorischen Gestattung des Aufenthalts während des laufenden Asylverfahrens nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht hergeleitet werden kann (vgl. etwa 7 B 11097, 7 D 11099/18 [ECLI:DE:OVGRLP:2018:0925.7B11097.18.00] - juris Leitsätze 1 und 2; 10 ZB 19.34074 [ECLI:DE:BAYVGH:2019:1203.10ZB19.34074.00] - juris Rn. 8).
32Durchgreifende Zweifel an der grundsätzlichen Bereitschaft des italienischen Staates und seiner Behörden, sich an die mit dem internationalen Schutzstatus verbundenen unionsrechtlichen Verpflichtungen (vgl. Art. 20 ff., zum Aufenthaltsrecht Art. 24 RL 2011/95/EU) zu halten, ergeben sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aus den Rundschreiben der italienischen Dublin-Einheit vom 5. und , wonach Überstellungen nach der Dublin III-Verordnung mit eng begrenzten Ausnahmen seither vorübergehend ausgesetzt sind, weil es an Aufnahmekapazitäten fehle (zitiert z. B. bei .A [ECLI:DE:OVGNRW:2024:0214.11A1255.22A.00] - juris Rn. 4 ff.). Konkrete Rückschlüsse auf das erwartbare Verhalten der Italienischen Republik in Bezug auf anerkannte Schutzberechtigte lassen diese Rundschreiben jedoch nicht zu.
33Der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist bei der Quästur der Gemeinde zu stellen, in der der Schutzberechtigte mit seinem Wohnsitz registriert ist. Für den Antrag sind keine besonderen Dokumente, aber eine Adresse notwendig, da die Dokumente per Post an die angegebene Adresse versendet werden. Daher wird in der Praxis häufig entweder der Nachweis eines eingetragenen Wohnsitzes bzw. einer Meldeadresse verlangt oder eine vom Unterkunftgeber ausgestellte sogenannte Erklärung der Gastfreundschaft (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Italien, , S. 5; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 222). Schutzberechtigte ohne tatsächliche Meldeadresse geben oft fiktive Adressen oder Adressen von Hilfsorganisationen an, was häufig ablehnende Entscheidungen zur Folge hat. Das Innenministerium hat gegenüber den Quästuren bereits 2015 klargestellt, dass ein Adressnachweis für die Ausstellung oder Verlängerung eines Aufenthalts nicht vorgesehen ist, und eine Erklärung der Betroffenen über ihren Wohnort ausreichend ist. Zudem hat es klargestellt, dass fiktive oder virtuelle Wohnsitze als Wohnsitznachweis akzeptiert werden müssen (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2022 Update, S. 216; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 222). Im Jahr 2019 hat das Zivilgericht in Rom auf einen Eilantrag eines subsidiär Schutzberechtigten das Polizeipräsidium Rom verpflichtet, diesem unverzüglich eine Aufenthaltserlaubnis auszustellen. Die Möglichkeit der Angabe einer virtuellen Adresse, die Obdachlosen von den Kommunen zugewiesen werde, stelle ein Instrument zur Effektivierung subjektiver Rechte dar und sei in diesem Zusammenhang ausreichend (vgl. Tribunale Ordinario di Roma vom - N. R. G. 36905/19 - Rohübersetzung; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 222). Auch das Zivilgericht Brescia hat in einer Entscheidung vom auf das Rechtsmittel eines subsidiär Schutzberechtigten klargestellt, dass die Qualifikationsrichtlinie den nationalen Behörden keinen Spielraum dahingehend belasse, dass diese die Erteilung eines Aufenthaltstitels für subsidiär Schutzberechtigte von weiteren, nicht im Gesetz vorgesehenen Anforderungen abhängig machen könnten (vgl. AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 223).
34Soweit die zuständigen Polizeibehörden in ganz Italien gleichwohl weiterhin Adressnachweise verlangen sollten (so das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl <BFA>, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, , S. 16; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 222), wäre es einem Schutzberechtigten, der einen solchen Nachweis nicht beibringen kann, zumutbar, um gerichtlichen Eilrechtsschutz nachzusuchen.
35Die Wartezeit auf die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis kann nach der Erkenntnislage beträchtlich sein: Zwar muss die Aufenthaltserlaubnis innerhalb von 60 Tagen nach Antragstellung ausgestellt werden. Dieser Zeitraum fällt in der Praxis indes häufig länger aus; in einigen Provinzen soll es bis zu einem Jahr dauern können. Dies stellt im Alltag jedoch kein Problem dar, weil die antragstellende Person nach der Beantragung eine Bestätigung über die Antragstellung (sog. "cedolino") erhält, die in allen Fällen, in denen eine Aufenthaltserlaubnis benötigt wird, vorgezeigt werden kann und allgemein akzeptiert wird (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Italien, , S. 5). Die Schweizerische Flüchtlingshilfe berichtete zuvor hingegen von möglichen Schwierigkeiten mit Arbeit- oder Unterkunftgebern während der Wartezeit auf die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis, obwohl man während der Wartezeit auf die Erneuerung der Aufenthaltsbewilligung laut Gesetz arbeiten dürfe (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 50 f.). In Anbetracht der gegenteiligen, von ACCORD geschilderten Auskunft sowie der Gesetzeslage geht der Senat aber nicht davon aus, dass derartige (sicherlich bisweilen mögliche) Schwierigkeiten Schutzberechtigte vor generell unüberwindbare Probleme bei der Existenzsicherung stellen, zumal die Betroffenen regelmäßig auch ihren internationalen Schutzstatus, der sie gemäß Art. 26 Abs. 1 RL 2011/95/EU zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit berechtigt, nachweisen können. Die Vorlage der Bestätigung über die Beantragung der Aufenthaltserlaubnis genügt auch für die Registrierung beim Staatlichen Gesundheitsdienst SSN (dazu unten unter 2.2.2 f)).
36Diese dargestellte Auskunftslage rechtfertigt insgesamt die Einschätzung, dass es nach Italien zurückkehrenden, dort anerkannten Schutzberechtigten auch dann, wenn ihr bisheriger Aufenthaltstitel abgelaufen ist und sie sich zwischenzeitlich mehrere Jahre in Deutschland aufgehalten haben, und auch ohne eine feste Meldeadresse möglich ist, erneut einen Aufenthaltstitel als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter (erforderlichenfalls nach Beschreitung des Rechtswegs) zu erhalten. Dass dies einige Monate in Anspruch nehmen kann, steht der Befriedigung der Grundbedürfnisse während dieses Zeitraums nach den obigen Ausführungen nicht entgegen.
37b) Das Berufungsgericht hat die Möglichkeit Schutzberechtigter, sich bei der Wohnsitzgemeinde registrieren zu lassen, zutreffend bejaht. Es hat darauf hingewiesen, dass seit der Aufhebung des sogenannten Salvini-Dekrets (Gesetzesdekret Nr. 113/2018) durch das Gesetzesdekret Nr. 173/2020 für Migranten wieder die Möglichkeit bestehe, sich bei ihrer Wohnsitzgemeinde registrieren zu lassen ("residenza"). Hierdurch erhielten sie unter anderem auch Zugang zu Notfallprogrammen im Zeitraum von Dezember bis April ("emergenza freddo", vgl. SFH vom , S. 13, 14 m. w. N.). Soweit die Verwaltungen aufgrund von Altfällen auch weiterhin überlastet seien und für die Registrierung mehr Zeit benötigten (vgl. .A - juris Rn. 69 m. w. N.), bestünden hinreichende Hilfsangebote zur Überbrückung etwaiger Wartezeiten (vgl. .OVG - juris Rn. 57 und 68, auf das der angefochtene Beschluss verweist).
38Die aktuelle Erkenntnislage bestätigt die Möglichkeit der Registrierung ("iscrizione anagrafica") für nach Italien zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte. Der Besitz einer Meldeadresse ist unter anderem Voraussetzung für die Ausstellung von Dokumenten, für den Erhalt von Sozialhilfen (Sant'Egidio 2024, Roma - Dove mangiare, dormire, lavarsi, S. 131; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 224 f.) und für den Zugang zu Gemeindeunterkünften (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, , S. 4; Gemeinsamer Bericht des Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums des Innern und für Heimat und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Aufnahmesituation von Asylantragstellenden sowie anerkannt Schutzberechtigten in Italien, Stand: September 2022 - im Folgenden: AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022 –, S. 13). International Schutzberechtigte sind wie italienische Staatsangehörige dazu verpflichtet, sich in das Einwohnermelderegister einzuschreiben (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade, , S. 4; BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, , S. 7 f.). Der unter Geltung des Salvini-Dekrets beschriebene Ausschluss von Asylbewerbern von der Registrierung ist vom italienischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und durch das Gesetzesdekret 130/2020, umgewandelt durch das Gesetz 173/2020, wieder aufgehoben worden (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 224). Zudem hat er die hier interessierende Gruppe der international Schutzberechtigten schon nicht betroffen (vgl. AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 227).
39Wenn ein Schutzberechtigter untertaucht, wird er zwar nach einiger Zeit aus dem Melderegister gelöscht, die erneute Einschreibung ist jedoch problemlos möglich (BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, , S. 7 f.; AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 28). Der Antrag zur Einschreibung in das Melderegister ist beim zuständigen Gemeindebüro am Wohnort einzureichen; er kann am Schalter vor Ort, per Fax oder über ein Online-Formular gestellt werden. Für die Beantragung wird unter anderem ein gültiges Personaldokument benötigt, ein Mietvertrag oder ein anderer Wohnnachweis (außer bei Obdachlosen), sowie eine italienische Steuernummer. Nicht-EU-Bürger benötigen zudem einen gültigen Aufenthaltstitel oder eine Eingangsbestätigung über einen gestellten Antrag auf Erteilung bzw. Verlängerung eines solchen Titels (vgl. Sant'Egidio 2024, Roma - Dove mangiare, dormire, lavarsi, S. 132, 134).
40Über eine Steuernummer verfügen zurückkehrende Schutzberechtigte bereits aufgrund des Erstaufenthalts in Italien. Sie haben mit der Stellung des Asylantrags eine vorläufige Steuernummer und nach der Zuerkennung internationalen Schutzes mit der Beantragung des Aufenthaltstitels für Schutzberechtigte ihre endgültige alphanumerische Steuernummer erhalten (vgl. etwa Programma integra, https://www.programmaintegra.it/wp/agenzia-delle-entrate-procedura-telematica-per-lattribuzione-del-codice-fiscale-provvisorio-ai-richiedenti-asilo/, abgerufen am ). Soweit diese nicht mehr bekannt sein sollte, kann ein Duplikat der Steuerkarte online oder persönlich beim zuständigen Finanzamt beantragt werden (Agenzia delle entrate <italienische Steuerbehörde>, https://www.agenziaentrate.gov.it/portale/web/english/nse/individuals/tax-identification-number-for-foreign-citizens#:~:text=You%20can%20request%20a%20duplicate,of%20the%20Italian%20Revenue%20Agency, abgerufen am ). Die Steuernummer verliert ihre Gültigkeit nicht; sie hat keinen Zusammenhang mit der Aufenthaltserlaubnis (Agenzia delle entrate, Die Gesundheitskarte - Ein Wegweiser, September 2022, S. 7, https://www.agenziaentrate.gov.it/portale/documents/180684/1194227/DIE_GESUNDHEITSKARTE-Tessera_Sanitaria.pdf/96c144ca-94b4-d686-751b-ea4e620dda03).
41Auch Obdachlose können sich in das Melderegister einschreiben. Sie stellen den Antrag bei der Gemeinde, in der sie leben oder sich überwiegend aufhalten, und erhalten eine virtuelle (fiktive) Anschrift (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade, , S. 4; Sant'Egidio 2024, Roma - Dove mangiare, dormire, lavarsi, S. 133).
42Belastbare Aussagen über die Dauer des Registrierungsverfahrens lassen sich den aktuellen Erkenntnisquellen soweit ersichtlich nicht entnehmen. Wesentliche Faktoren, die in älteren Auskünften für lange Wartezeiten verantwortlich gemacht wurden, dürften jedoch zwischenzeitlich weggefallen sein. Das gilt namentlich für verkürzte Öffnungszeiten während der Covid-19-Pandemie sowie für einen Rückstau, der sich durch die nach Aufhebung des Salvini-Dekrets im Dezember 2020 erforderlich gewordene nachträgliche Registrierung einer Vielzahl von Asylsuchenden gebildet haben kann (.OVG - juris Rn. 57; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, , S. 13). Gewisse Wartezeiten auf eine Registrierung, die in dieser Zeit etwa die Inanspruchnahme von Gemeindeunterkünften hindern, können nichtvulnerable Schutzberechtigte aber durch anderweitige Unterstützungsangebote karitativer, kirchlicher und sonstiger nichtstaatlicher Einrichtungen überbrücken (siehe insbesondere unter 2.2.2 c) dd)).
43c) Die Erkenntnislage zur Unterkunftssituation hat das Berufungsgericht im Wesentlichen dahin gewürdigt, dass rückkehrende nichtvulnerable Schutzberechtigte zwar mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in das staatliche Zweitaufnahmesystem SAI aufgenommen werden, dass sie aber voraussichtlich eine temporäre Unterkunft oder einen Notschlafplatz in den durch karitative und nichtstaatliche Organisationen oder Kirchen betriebenen Einrichtungen finden könnten. Diese Beurteilung erweist sich ausgehend von dem anzuwendenden strengen Maßstab auf der Grundlage der aktuellen Auskunftslage im Ergebnis als zutreffend.
44Auch hinsichtlich der Unterkunft gilt dabei der vom EuGH zu Art. 4 GRC entwickelte strenge Maßstab. Eine Verletzung dieses Grundrechts ist danach erst dann anzunehmen, wenn die physische oder psychische Gesundheit der Schutzberechtigten beeinträchtigt würde oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt würden, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Nach der Rechtsprechung des Senats kann es insoweit genügen, wenn dem Schutzberechtigten ein Schlafplatz in einer von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen oder Privatpersonen gestellten Notunterkunft oder in einer staatlich geduldeten "informellen Siedlung" zur Verfügung steht, sofern die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zumindest zeitweilig Schutz vor den Unbilden des Wetters bieten und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lassen ( 1 B 83.21 [ECLI:DE:BVerwG:2022:190122B1B83.21.0] - juris Rn. 14; VGH Mannheim, Beschluss vom - A 4 S 2850/21 [ECLI:DE:VGHBW:2021:1108.A4S2850.21.00] - juris Rn. 10). Letzteres umfasst insbesondere eine erreichbare Möglichkeit, sich zu waschen.
45Aktuell stellt sich die Erkenntnislage zur Unterkunftssituation in den Bereichen staatliche Unterbringung (aa), öffentlicher bzw. sozialer Wohnraum (bb), regulärer Wohnungsmarkt (cc), (Not-)Unterkünfte bei kirchlichen, kommunalen und anderen nichtstaatlichen Organisationen sowie Privatleuten (dd) und informelle Siedlungen, Wohncontainer, Camps (ee) wie im Folgenden beschrieben dar. Eine Gesamtwürdigung auf dieser aktuellen Grundlage rechtfertigt die Einschätzung, dass nichtvulnerable Schutzberechtigte, die nach Italien zurückkehren, dort bei Entfaltung hinreichender Bemühungen eine den obigen Anforderungen genügende Unterkunft finden können (ff).
46aa) Mit einer Unterbringung in einer staatlichen Aufnahmeeinrichtung können nach Italien zurückkehrende nichtvulnerable international Schutzberechtigte regelmäßig nicht rechnen.
47Das italienische Aufnahmesystem besteht aus Erstaufnahmeeinrichtungen (staatliche Erstaufnahmezentren sowie die - ursprünglich für eine temporäre Notunterbringung konzipierten - CAS, centri di accoglienza straordinaria) und Hotspots einerseits und dem sogenannten Zweitaufnahmesystem (SAI = Sistema di accoglienza e integrazione, vormals SPRAR, dann SIPROIMI) andererseits. Bereits anerkannten Schutzberechtigten steht allein das SAI offen, das primär deren Aufnahme sowie der Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen dient (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 146 ff., 149). Mit dem Gesetzesdekret Nr. 113/2018 (sog. Salvini-Dekret) wurden Asylbewerber aus dem SAI-System ausgeschlossen. Durch das Umwandlungsgesetz Nr. 173/2020 zum Gesetzesdekret Nr. 130/2020 vom (dem sog. Lamorgese-Dekret) wurde mit Wirkung zum das bisherige Modell teilweise wiederhergestellt und ein einheitliches Aufnahmesystem sowohl für Asylbewerber als auch für Schutzberechtigte wiedereingeführt, ohne jedoch eine angemessene und proportionale Ausweitung der Anzahl der verfügbaren Plätze vorzusehen (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 116).
482023 wurde das staatliche Aufnahmesystem erneut reformiert. Das Gesetzesdekret 20/2023 (sog. Cutro-Dekret), in Gesetzesform überführt durch das Gesetz 50/2023, kehrte zu einer klareren Trennung zwischen dem Aufnahmesystem für Asylbewerber und dem Aufnahmesystem für anerkannte Schutzberechtigte zurück. Asylbewerber wurden im Grundsatz erneut vom Zugang zur Unterbringung im SAI-System ausgeschlossen (BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, , S. 7; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 149). Zugang zum SAI haben aus der Gruppe der Asylbewerber seither nur noch vulnerable Personen und solche, die über Resettlement-Programme oder ähnliche humanitäre Zugangswege legal eingereist sind. Als vulnerabel und somit zugangsberechtigt zu SAI-Unterkünften werden nunmehr aus italienischer Sicht auch alle Frauen eingestuft; Schwangere genießen dabei Vorrang (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 149). Ungeachtet dessen ist das SAI-System nach der Reform primär der Aufnahme der anerkannt Schutzberechtigten und unbegleiteten Minderjährigen zu dienen bestimmt. Andere Drittstaatsangehörige haben deshalb nur im Fall verfügbarer Plätze Zugang (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 240). Ausgeschlossen vom Zugang zu SAI-Einrichtungen sind diejenigen Begünstigten des "besonderen Schutzes" (special protection), die vom internationalen Schutz wegen der Erfüllung von Ausschlussklauseln ausgeschlossen sind und deshalb nur diesen eingeschränkten Schutzstatus genießen (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 241).
49Das Cutro-Dekret führte außerdem eine neue Art von vorläufigen Aufnahmeeinrichtungen (provisional centres) ein, die sich auf grundlegende Dienstleistungen wie Lebensmittel, Unterkunft, Kleidung, Gesundheitsversorgung und Sprach- und Kulturvermittlung beschränken. In diese provisorischen Einrichtungen können Asylsuchende für die unbedingt erforderliche Zeit bis zur Feststellung der Verfügbarkeit von Plätzen in staatlichen Aufnahmezentren oder in CAS-Einrichtungen aufgenommen werden (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 149).
50Das SAI-Netzwerk besteht aus kleinen Aufnahmestrukturen und angemieteten Apartments, die anders als die staatlichen Erstaufnahmeeinrichtungen nicht durch die italienische Regierung, sondern auf Freiwilligkeitsbasis durch lokale Behörden (Städte, Gemeinden) in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren bereitgestellt werden. Die Projekte werden in der Regel gemeinsam von Kommunen und zivilgesellschaftlichen Akteuren betrieben und unmittelbar vom Innenministerium finanziert. Die lokalen Behörden können sich freiwillig für Aufnahmeprojekte in ihrem Hoheitsgebiet bewerben und beim Ministerium die Finanzierung beantragen, die in der Regel für drei Jahre bewilligt wird (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 241, 149).
51In den SAI-Einrichtungen werden neben der reinen Unterkunft und Verpflegung (vgl. dazu AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 25; SFH und Pro Asyl, Auskunft an S. 3) auch Unterstützungs- und Integrationsleistungen erbracht. Hierzu gehören etwa Übersetzungs- und sprachlich-kulturelle Vermittlungsdienste, Rechtsberatung, Vermittlung der italienischen Sprache und Schulbesuch für Minderjährige, Gesundheitsversorgung, sozio-psychologische Hilfen vor allem für vulnerable Personen, Ausbildung, Unterstützung bei der Arbeitssuche, Beratung über verfügbare Dienstleistungen zur örtlichen Integration und Information über Programme zur freiwilligen Rückkehr sowie über Freizeit-, sportliche und kulturelle Aktivitäten. Das Gesetzesdekret Nr. 130/2020 unterscheidet nunmehr zwischen Leistungen für im SAI untergebrachte Asylbewerber (first level services) und Leistungen, die anerkannten Schutzberechtigten vorbehalten sind (second level services); zu Letzteren zählen die Unterstützung bei der Integration und Arbeitssuche sowie beruflichen Bildung (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 241 f.).
52Anträge international Schutzberechtigter für eine Unterbringung in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (SAI) müssen auch weiterhin an den "Servizio Centrale", einen vom Innenministerium eingesetzten Zentraldienst, gerichtet werden (vgl. bereits SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Bericht, Januar 2020, S. 54 f.; ebenso SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, , S. 3). Die Anträge können nicht von den Berechtigten selbst ausgefüllt werden; sie werden hauptsächlich von der örtlichen Präfektur, oder den die Erstaufnahmeeinrichtungen verwaltenden Stellen, oder durch Rechtsanwälte beim Servizio Centrale eingereicht. Der Servizio Centrale prüft die Anträge und klärt ab, ob die Person noch ein Recht auf Unterbringung hat und ob ein dem Bedarf entsprechender Platz (in ganz Italien) frei ist. Nur der Servizio Centrale hat einen Überblick über die Projekte und die freien Plätze in den Projekten. Es existiert keine Warteliste; kann kein freier Platz zur Verfügung gestellt werden, muss zu einem späteren Zeitpunkt erneut ein Antrag auf Unterbringung in einem SAI-Projekt gestellt werden (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, , S. 3).
53Der Status als international Schutzberechtigter berechtigt nicht zum Verbleib in einer Erstaufnahme- oder CAS-Einrichtung; diese Einrichtungen müssen Schutzberechtigte nach Zuerkennung eines Schutzstatus verlassen (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 240). Die meisten Präfekturen gestatten den Verbleib nur noch für einige Tage (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, , S. 16). Infolge von Abstimmungs- und Kommunikationsproblemen dauert es meist so lange, bis ein Antrag auf Unterbringung in einer SAI-Einrichtung bearbeitet ist und ein Platz zugewiesen werden kann, dass sich die Schutzberechtigten oft dafür entscheiden, sich unmittelbar an ein SAI-Projekt zu wenden und um Zulassung zu bitten, anstatt auf die Zuweisung durch den Zentraldienst zu warten. Der Servizio Centrale hat keinen Überblick über die Anzahl der bei ihm eingehenden Anträge, was eine Zuweisung der verfügbaren Plätze gemäß den vorgegebenen Prioritätskriterien im Hinblick auf die Vielzahl der Anträge erschwert. Seit Inkrafttreten des Cutro-Dekrets soll der Übergang von einem CAS oder staatlichen Erstaufnahmezentrum zum SAI für Asylbewerber erschwert worden sein. Diese werden nicht selten nach der Zuerkennung eines Schutzstatus aufgefordert, die (Erstaufnahme-)Unterkunft zu verlassen, ohne dass auch nur geprüft wird, ob es verfügbare Plätze in SAI-Einrichtungen gibt. Hat man aber einmal das Unterbringungssystem verlassen, soll es schwierig sein, wiederaufgenommen zu werden. Die Unterbringung im SAI mit seinen knappen verfügbaren Plätzen sei seither noch mehr zu einer bloßen Möglichkeit geworden (vgl. AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 128, 239 f.; siehe auch BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, , S. 16).
54Die Aufenthaltsdauer im SAI-System (vormals SIPROIMI) wurde für Inhaber eines Schutzstatus durch ein Dekret vom ("Moi Dekret") auf sechs Monate festgelegt. Nur in einigen besonders ausgeführten und begründeten Fällen kann danach die Aufnahme nach vorheriger Zustimmung des zuständigen Präfekten um weitere sechs Monate verlängert werden. Dies ist etwa möglich, um den Abschluss von Integrationsmaßnahmen zu ermöglichen oder gesundheitlichen Belangen Rechnung zu tragen, ebenso in Fällen von besonders aufgeführten Vulnerabilitäten oder besonderer Bedürfnisse. Weitere sechs Monate können im Falle fortbestehender ernsthafter gesundheitlicher Gründe oder um ein Schuljahr zu beenden gewährt werden (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 242). Diese Regelungen über die Zeitdauer des Aufenthalts dürften im Wesentlichen fortgelten (vgl. AIDA/ECRE, ebd.; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, , S. 16). Das Gesetzesdekret Nr. 130/2020 hat die Aufnahmedauer im SAI nicht näher geregelt. Es hat aber bestimmt, dass alle dort untergebrachten Personen nach Ablauf der Aufenthaltszeit in weitere Integrationswege überführt werden, für die die zuständigen Kommunen im Rahmen ihrer personellen, sächlichen und finanziellen Ressourcen verantwortlich sind. Der Jahresbericht des Zweitaufnahmesystems zeige, dass dort untergebrachte Flüchtlinge erheblichen Schwierigkeiten bei der Suche nach einer eigenständigen Unterkunft begegnen können (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 242).
55Nach dem SAI-Jahresbericht 2023 verließen im Jahr 2023 22 404 Schutzberechtigte die SAI-Einrichtungen. Weniger als die Hälfte (43,8 %) gingen vorzeitig aus eigenem Antrieb, 2 % mussten die Einrichtung aufgrund einer einseitigen Entscheidung der Einrichtung verlassen, und 52,1 % verließen diese wegen Ablaufs der vorgesehenen Aufenthaltsdauer (Rapporto Annuale SAI, 22. Edizione, Stand: , S. 86). Wenngleich die letztgenannte Zahl Schwierigkeiten bei der Suche nach einer eigenständigen Unterkunft indizieren dürfte (vgl. AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 242), rechtfertigt sie nicht den Schluss, dass sämtliche damit bezeichneten Schutzberechtigten, die die maximale Aufenthaltsdauer im SAI-System in Anspruch nehmen, nicht über eine "Anschlusslösung" verfügen.
56Bestandteil der Aufnahmeübereinkunft, die der Bewohner mit dem Einrichtungsbetreiber abschließt, ist auch die Verpflichtung, die Unterkunft nicht längerfristig unentschuldigt zu verlassen (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 23; BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, , S. 3 und 5). Für anerkannt Schutzberechtigte erlischt das Recht auf den zugewiesenen Aufnahmeplatz in einer SAI-Einrichtung nach mehr als 72 Stunden, das heißt drei Tagen unentschuldigter Abwesenheit (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade, , S. 2; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 243). Dies ergibt sich auch weiterhin aus Art. 40 der SIPROIMI-Richtlinie (BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, , S. 5 und 7). Üblicherweise werden untergetauchte Personen kontaktiert und wird versucht, sie zur Rückkehr zu bewegen. Generell wird die Person nach Ablauf der drei Tage nicht wieder in die Unterkunft gelassen, es sei denn, es liegen triftige Gründe vor, wie eine ausgeprägte Vulnerabilität (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 23; BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, , S. 4).
57Für international Schutzberechtigte, die bereits vor ihrer Weiterreise in einer Zweitaufnahmeeinrichtung (heute: SAI) untergebracht waren, gibt es somit keine Garantie der Wiederaufnahme. Wenn eine Person eine Unterkunft vor Ablauf der vorher festgelegten Aufenthaltsdauer verlassen oder dort die maximale Unterbringungszeit ausgeschöpft hat und anschließend aus einem Mitgliedstaat zurückgeführt wird, kann sie nur nach einer individuellen Bewertung unter Umständen wieder in die Unterkunft zurückkehren; dabei wird die Vulnerabilität der Schutzsuchenden berücksichtigt (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 23, 26; Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade, , S. 2). Besonders vulnerable Personen werden dann laut einer Auskunft eines Vertreters einer SAI-Einrichtung nicht erneut in das SAI, sondern in eine geeignetere Struktur aufgenommen (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 23). Dass bei besonderer Vulnerabilität in individuellen Fällen Ausnahmen vom Verlust des Unterbringungsrechts gemacht werden, bekräftigt auch der UNHCR: Sicher sei, dass vulnerable Personen mit besonderen Bedürfnissen in der Regel zurückkehren können. In diesen Fällen werde die vorher verbrachte Zeit in einer SAI-Einrichtung nicht angerechnet, sondern das Integrationsprojekt und die Aufenthaltszeit beginne von Neuem (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 27 f.; BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, , S. 4). Nach vorherigem Untertauchen in einen EU-Mitgliedstaat haben vulnerable Personen nach vorheriger Prüfung aufgrund der prioritären Behandlung größere Chancen, in ein SAI zurückzukehren (BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, , S. 5).
58Auch nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe erhalten Personen, die bereits früher Zugang zu einem Projekt im Rahmen des SAI-Systems (zuvor: SIPROIMI) hatten, bei einer späteren Rückkehr nach Italien grundsätzlich keinen (erneuten) Zugang mehr. Ausnahmsweise können aber anerkannt Schutzberechtigte beim italienischen Innenministerium einen erneuten Antrag auf Unterbringung stellen, wenn sie aus nunmehr eingetretenen Gründen (neue Vulnerabilitäten) als besonders verletzlich anzusehen sind (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 61; dies., Auskunft an S. 2; siehe auch 24 B 23.30860 [ECLI:DE:BAYVGH:2024:0321.24B23.30860.00] - juris Rn. 36).
59Mit dem Cutro-Dekret ist zudem festgelegt worden, dass international Schutzberechtigte und andere Zugangsberechtigte zum SAI außer in Fällen von höherer Gewalt das Recht auf den Aufnahmeplatz verlieren, wenn sie nicht innerhalb von sieben Tagen nach Bekanntgabe der Zuweisung des Unterbringungsplatzes in der Einrichtung erscheinen, sofern es nicht objektive und nachvollziehbare Gründe für die Verzögerung gibt (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade, , S. 2; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 76, 240). Damit kann auch weiterhin allein die - nicht in Anspruch genommene - Zuweisung für den Verlust ausreichen (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 56; Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 13 f.). Die Betroffenen wissen oftmals nicht, ob sie eine Zuweisung zu einer SAI-Unterkunft erhalten haben, weil sie ihre ursprüngliche Unterkunft zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen hatten. In einem solchen Fall ist ihr Recht auf Unterbringung ebenfalls verwirkt. Der italienische Staat bietet keine Alternativunterkunft an (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, , S. 4). Nur wenn neue Schutzbedarfe (Vulnerabilitäten) vorliegen, kann eine erneute Unterbringung in einem SAI-Projekt beantragt werden (Raphaelswerk e. V., ebd.).
60Zu den Kapazitäten und dem Auslastungsgrad des SAI-Netzwerks liegen aktuell folgende Erkenntnisse vor: Nach dem SAI-Jahresbericht gab es am 43 193 finanzierte Plätze, von denen 37 947 tatsächlich verfügbar waren (Rapporto Annuale SAI, 22. Edizione, Stand: , S. 16, 25, 27 ff., 33). Insgesamt 54 512 berechtigte Personen konnten im Jahr 2023 von einer (zeitweisen) Aufnahme in das SAI profitieren (Rapporto Annuale SAI, 22. Edizione, Stand: , S. 16, 25). Am umfasste das SAI-Netzwerk 881 Projekte mit insgesamt 38 687 finanzierten und auch tatsächlich verfügbaren Plätzen (posti attivi), davon 31 947 für gewöhnliche Begünstigte, 5 976 Plätze für unbegleitete Minderjährige und 764 Plätze für Menschen mit psychischen Erkrankungen und körperlichen Behinderungen. Von diesen 38 687 Plätzen sind 37 803 besetzt und 884 frei gewesen, was einer Auslastung von 97,71 % entspricht (vgl. I dati generali del SAI, , https://www.retesai.it/wp-content/uploads/2024/11/I-dati-generali-del-SAI-.pdf).
61Obwohl das SAI-System in den 20 Jahren seit seiner Einrichtung im ganzen Land langsam, aber stetig ausgebaut wurde (Rapporto Annuale SAI, 22. Edizione, Stand: , S. 28), wird die Gesamtzahl der verfügbaren Plätze als nach wie vor in großem Maße unzureichend bezeichnet, um den bestehenden Bedarf zu decken (vgl. AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 117, 150, 244; so auch die Bewertung des italienischen Flüchtlingsrats im Oktober 2021, vgl. AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 25 f.). Das Regionale Verwaltungsgericht (Tribunale Administrativo Regionale, TAR) Marche hat am entschieden, dass ein Mangel an verfügbaren Plätzen im SAI-System und eine nur geringe Beteiligung lokaler Behörden an SAI-Projekten für vulnerable Personen nicht zum Nachteil der aufnahmebedürftigen Personen gehen könne; es hat die mit Kapazitätserschöpfung begründete Ablehnung der Aufnahme einer Frau mit gesundheitlichen Einschränkungen deshalb aufgehoben (vgl. AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 240 f.).
62Die Schweizerische Flüchtlingshilfe bezeichnet die Zahl der verfügbaren Plätze für Personen mit besonderen Bedürfnissen (psychische oder physische Beeinträchtigungen) als sehr klein, weshalb die Chance auf Erhalt eines solchen Platzes sehr viel geringer als die Chance auf einen "normalen" Platz sei (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, , S. 4).
63Für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sind im SAI-System 3 000 zusätzliche Plätze geschaffen worden (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 121). Im Dezember 2021 wurden zudem 2000 zusätzliche Plätze für den Unterbringungsbedarf afghanischer Asylsuchender aktiviert, die später auch ukrainischen Flüchtlingen zugänglich gemacht wurden (a. a. O., S. 243).
64Nach der vorstehend dargestellten aktuellen Erkenntnislage können in Italien anerkannte nichtvulnerable Schutzberechtigte nach Rückkehr mit der Aufnahme in eine SAI-Unterkunft (mit Verpflegung und weiteren Integrationsleistungen) jedenfalls dann nicht rechnen, wenn sie nach der Zuerkennung ihres Schutzstatus in Italien bereits in einer solchen Unterkunft untergebracht waren oder ihnen ein entsprechender Platz zumindest zugewiesen worden war, sie diesen aber nicht in Anspruch genommen haben. Da die Betroffenen nicht notwendig Kenntnis von einer solchen Zuweisung erlangen, kann nicht allein aus fehlendem Vorbringen zu einem Voraufenthalt in einer SAI-Einrichtung auf das Fortbestehen des Unterbringungsrechts geschlossen werden (so wohl auch 24 B 22.31109 - juris Rn. 35; a. A. 4 LB 68.17 [ECLI:DE:OVGMV:2022:0119.4LB68.17.00] - juris Rn. 26 ff., 35).
65Die von der Beklagten angeführten verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen des italienischen Staatsrats (Consiglio di Stato) vom (N. 10999/2022 REG.PROV.COLL. N. 01750/2022 REG.RIC.) und des Regionalen Verwaltungsgerichts (TAR) Campania vom (N. 04877/2023 REG.PROV.COLL. N. 00389/2023 REG.RIC.) rechtfertigen nicht ohne Weiteres den Schluss, anerkannte Schutzberechtigte könnten gegen einen Verlust des Unterkunftsrechts wegen unberechtigten Verlassens der Unterkunft oder Nichtinanspruchnahme eines zugewiesenen SAI-Platzes erfolgreich klagen. Denn diese Entscheidungen betreffen primär Asylbewerber und sind jedenfalls mit einem Verstoß gegen die Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) begründet worden, deren weitreichende Vorgaben zur Gewährung materieller Aufnahmeleistungen einschließlich einer Unterkunft für anerkannt Schutzberechtigte nicht gelten. Für diese gilt vielmehr Art. 32 RL 2011/95/EU (Anerkennungsrichtlinie), wonach die Mitgliedstaaten Schutzberechtigten nur einen diskriminierungsfreien und chancengleichen Zugang zu Wohnraum (wie anderen rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen) gewähren müssen. Auch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom - C-422/21 [ECLI:EU:C:2022:616] - und das daran anknüpfende Vorabentscheidungsersuchen des Regionalen Verwaltungsgerichts (TAR) Lombardia vom - C-184/24, Sidi Bouzid -, vgl. www.curia.europa.eu (noch anhängig), betreffen die rechtlichen Vorgaben der Aufnahmerichtlinie für Asylbewerber und sind daher nicht ohne Weiteres auf international Schutzberechtigte übertragbar.
66Einer (dem Bundesverwaltungsgericht im Verfahren der Tatsachenrevision selbst nicht möglichen, vgl. § 78 Abs. 8 Satz 4 und 5 AsylG) einzelfallbezogenen Aufklärung durch Anfrage bei den zuständigen italienischen Behörden, ob das Recht auf Unterbringung im SAI-System für einen konkreten Schutzberechtigten noch besteht, bedarf es nach aktueller Erkenntnislage in derartigen Fällen gleichwohl nicht. Denn nichtvulnerable Schutzberechtigte haben die - zur Abwendung einer Verelendung hinreichende - Möglichkeit, außerhalb des staatlichen Unterbringungssystems eine nach dem hier anzuwendenden Maßstab hinreichende, gegebenenfalls wechselnde Unterkunft zu finden (dazu siehe unten). Für diese hier zu beurteilende Personengruppe kann deshalb ohne abschließende Aufklärung zu deren Gunsten unterstellt werden, dass für sie die Möglichkeit der Unterbringung in einer SAI-Einrichtung wegen Ablaufs der maximalen Verweildauer, unentschuldigten Verlassens oder unentschuldigter Nichtinanspruchnahme eines zugewiesenen Aufnahmeplatzes nicht mehr besteht (so der Sache nach auch 24 B 22.31109 - juris Rn. 35).
67Aus diesem Grund bedarf es für diese Fallgruppe auch keiner abschließenden Beurteilung der Frage, ob bzw. mit welcher Wahrscheinlichkeit der Erhalt eines Platzes in einer SAI-Unterkunft nach Rückkehr an fehlenden Kapazitäten scheitern würde (so die Vorinstanz mit nicht ohne Weiteres überzeugender Begründung in dem in Bezug genommenen Urteil vom - 13 A 10948/22.OVG - juris Rn. 53 f., siehe auch .OVG [ECLI:DE:OVGRLP:2024:0123.13A10945.22.OVG.00] - juris Rn. 30 ff.).
68bb) Personen, die eine bestimmte Einkommensgrenze unterschreiten, können in Italien ihre Gemeinde um Zugang zu öffentlichem Wohnraum ("Sozialwohnungen") innerhalb des öffentlichen Wohnungsbaus ("Edilizia Residenziale Pubblica" oder ERP) ersuchen. Öffentlicher Wohnraum macht 5 - 6 % des italienischen Wohnungsmarkts aus (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 244 f.; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, , S. 17; UNHCR-ASGI-SUNIA, The refugee house, Februar 2021, S. 11). In absoluten Zahlen wird der öffentliche Wohnungsbestand auf rund 800 000 Einheiten mit einer Unterbringungskapazität von fast zwei Millionen Menschen geschätzt, wobei es 650 000 offene Anträge auf Zuweisung von Wohnraum gibt. Die Warteliste für öffentlichen Wohnraum ist lang; die Wartezeit kann mehrere Jahre betragen, auch für Familien (SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 67; SFH und Pro Asyl, Auskunft an VGH Kassel, , S. 3; Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 14).
69International Schutzberechtigte haben grundsätzlich Zugang zu öffentlichem Wohnraum bzw. Wohnbeihilfen wie italienische Bürger. Sie können sich jederzeit bewerben, und sie dürfen nicht aufgefordert werden, zusätzliche oder andere Anforderungen zu erfüllen als diejenigen, die für italienische Staatsbürger gelten. Die Bewerbungsanforderungen variieren zwischen den Regionen und manchmal sogar zwischen den Gemeinden innerhalb derselben Region. Als Kriterien kommen in Betracht: Höchsteinkommen, Fehlen von Wohneigentum, Wohnsitz in der Gemeinde, in der der Antrag gestellt wird, keine vorherige Zuweisung von öffentlichem Wohnraum, keine illegalen Beschäftigungen. Wenn über die Zuweisung von Wohnraum in öffentlichen Wohnimmobilien entschieden wird, erhalten Anträge, die den jeweils gestellten Anforderungen entsprechen, Punktzahlen für Ranking-Zwecke. Die Methoden zur Bewertung variieren je nach Regionen und Gemeinden. Punkte können für Einkommen, Familienzusammensetzung, Aufenthaltsdauer in der Gemeinde, Überbelegung, Zusammenleben mit anderen Familien, schwerbehinderte Personen in der Familie, unzureichende oder unhygienische Unterkunft, Räumungsentscheidungen und neu gebildete Familieneinheiten zuerkannt werden. Die Gemeinde veröffentlicht die vorläufige Rangfolge mit Angabe der Frist, innerhalb derer etwaige Einsprüche wegen Bewertungsfehlern eingelegt werden können. Die endgültige Rangliste wird dann veröffentlicht und die verfügbaren Unterkünfte werden auf ihrer Grundlage zugewiesen (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 245).
70Zahlreiche regionale Gesetze sehen vor, dass nur Personen, die in keinem Land der Welt oder zumindest nicht in ihrem Herkunftsland eine Immobilie besitzen, Zugang zu öffentlichem Wohnraum haben. Diese Beschränkung wirkt sich insofern diskriminierend aus, als nur Nicht-EU-Bürger von einer zuständigen Behörde im Herkunftsland ausgestellte Dokumente vorlegen müssen, die den Nichtbesitz von Immobilien in diesem Land bescheinigen. Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde, können sich jedoch grundsätzlich nicht an die Behörden ihres Landes wenden und sind zudem wie Inländer zu behandeln. Sie sind deshalb nicht verpflichtet, Nachweise über den Nichtbesitz von Immobilien im Herkunftsland vorzulegen. So hat denn etwa der Gerichtshof von Mailand bereits im Jahr 2020 festgestellt, dass die an alle Nicht-EU-Bürger gerichtete Anforderung solcher Nachweise diskriminierend ist (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 245 f.).
71Als weitere Voraussetzung für den Zugang zum öffentlichen Wohnungsantragsverfahren verlangen einige Regionen und Gemeinden eine Dauer des Wohnsitzes oder der Berufstätigkeit in dem Gebiet von einigen Jahren. In der italienischen Rechtsprechung zeigt sich jedoch eine Tendenz, welche diskriminierende Klauseln einer erforderlichen Verwurzelung in der Region für unrechtmäßig befindet (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 13). Das Regionalgesetz der Lombardei, das fünf Jahre Aufenthalt verlangte und für ausländische Bürger besonders nachteilig war, wurde vom italienischen Verfassungsgericht mit Urteil Nr. 44/2020 für rechtswidrig erklärt und daher aufgehoben. Darüber hinaus stellte das italienische Verfassungsgericht mit dem Urteil Nr. 9/2021 fest, dass die Aufenthaltsdauer nicht zu den Kriterien für die Vergabe einer höheren Punktzahl für die Zuweisung von öffentlichem Wohnraum gehören dürfe, da sie keine größere Bedürftigkeit indiziere. In demselben Urteil erklärte das Verfassungsgericht, dass die Anforderung legalisierter Dokumente, die das Fehlen von Immobilien im Ausland oder im Herkunftsland belegen, eine diskriminierende Bestimmung darstelle, die gegen Art. 3 der italienischen Verfassung verstoße (vgl. AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 245 f.; zur Problematik siehe auch SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 67; Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 14, sowie BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, , S. 17).
72Wegen dieser administrativen Hindernisse, die unter Umständen erst im Klagewege überwunden werden müssen, und vor allem im Hinblick auf die langen Wartezeiten erscheint es im Ergebnis wenig wahrscheinlich, dass anerkannt Schutzberechtigte nach einer Rückkehr zeitnah Unterkunft in einer Sozialwohnung in Italien finden können.
73cc) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der reguläre (private) Wohnungsmarkt nach Italien zurückkehrenden international Schutzberechtigten im Regelfall schon aufgrund unzureichender finanzieller Mittel nicht offensteht (.OVG - juris Rn. 55; ebenso etwa .A - juris Rn. 62; 24 B 22.31109 - Rn. 36).
74Die Mieten sind im Allgemeinen sehr hoch, vor allem in den großen Städten. Bezahlbare Wohnungen sind schwer zu finden. Viele Flüchtlinge, die in der informellen Wirtschaft arbeiten, können es sich deshalb - insbesondere in Großstädten - nicht leisten, Wohnungen zu mieten. Vermieter verlangen meist einen Arbeitsvertrag und eine gültige Aufenthaltsgenehmigung (vgl. zum Ganzen BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, , S. 17; USDOS, Italy 2023 Human Rights Report, , S. 12; Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 14; SFH, Aufnahmebedingungen in Italien, Januar 2020, S. 71 f.). Der freie Wohnungsmarkt ist beschränkt, weil wegen der hohen Eigentumsquote nur etwa 10 % aller Immobilien frei vermietet werden (UNHCR-ASGI-SUNIA, The refugee house, Februar 2021, S. 7).
75dd) In der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte wird überwiegend festgestellt, dass nach Italien zurückkehrende international Schutzberechtigte ohne besondere Vulnerabilitäten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in einer nichtstaatlichen (Not-)Unterkunft ein (jedenfalls zeitweiliges) Obdach finden können (vgl. .OVG - juris Rn. 63 ff.; VGH Mannheim, Beschluss vom - A 4 S 2850/21 - juris Rn. 9 f.; a. A. .A - juris Rn. 68 ff.). Die aktuelle Erkenntnislage bestätigt diese Annahme.
76Laut Auskunft verschiedener Institutionen (UNHCR, CIR, Caritas, ANCI) steht Begünstigten von internationalem Schutz, die aus einem EU-Mitgliedstaat nach Italien zurückgeführt werden und die keinen Zugang zu einer staatlichen Unterkunft erhalten, ein breites Angebot einer Vielzahl von Nichtregierungsorganisationen zur Verfügung, die entsprechende Unterstützung und Hilfeleistungen anbieten (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade, , S. 3 f.; AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 27 f.). Regional und kommunal bestehen zahlreiche Angebote, die temporäre Unterkunft und zum Teil auch Versorgung und Verpflegung bereitstellen. Insbesondere in Großstädten und regionalen Ballungsräumen werden Unterkünfte und Notschlafplätze angeboten. Unter anderem Kirchen und Freiwilligenorganisationen bieten international Schutzberechtigten zahlreiche Unterbringungsmöglichkeiten an (Auswärtiges Amt, Auskunft an VG Stade, , S. 3 f.; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 151). Die Anzahl der verfügbaren Plätze in diesen Aufnahmeformen ist schwer zu ermitteln. Diese Strukturen werden insbesondere in Notfällen relevant; sie können auch einer Unterbringung in einer SAI-Einrichtung zeitlich nachfolgen oder an deren Stelle treten (AIDA/ECRE, ebd.).
77Um Zugang zu Gemeindeunterkünften zu erhalten, muss die betroffene Person ihren Wohnsitz in der jeweiligen Gemeinde haben, was eine Registrierung im Einwohnermelderegister voraussetzt (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, , S. 4). Eine solche ist anerkannten Schutzberechtigten - wie unter 2.2.2 b) ausgeführt - möglich, sie sind hierzu sogar verpflichtet. In Gemeindeunterkünften können auch italienische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger untergebracht werden, die temporär über keine Wohnung verfügen. Diese Einrichtungen gibt es in allen größeren Städten in Italien. In Rom stehen 288 Plätze zur Verfügung, die hauptsächlich Bett, Bad und drei Mahlzeiten anbieten und auch soziale und medizinische Unterstützung, wenn auch nicht in dem Umfang eines SAI. Dort können Personen für bis zu sechs Monate unterkommen (BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, , S. 7). Einen zentralen Überblick über die Anzahl der Plätze oder die Qualität der Unterkünfte gibt es nicht (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, , S. 4).
78Die NGO Refugees Welcome Italia fördert zahlreiche Initiativen einer familiären Aufnahme ("welcome in the family") für Schutzberechtigte, die das öffentliche Aufnahmesystem verlassen mussten, insbesondere für diejenigen, die keinen Platz in einer SAI-Unterkunft gefunden haben oder diesen vor dem tatsächlichen Abschluss ihrer sozialen Eingliederung verlassen mussten. Refugees Welcome hat im Laufe der Jahre ein bedeutendes Netzwerk auf italienischem Gebiet aufgebaut, wobei die Organisation sowohl mit den Verwaltungen der Aufnahmezentren als auch mit zahlreichen kommunalen Verwaltungen in Kontakt steht (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 151; BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, , S. 2).
79UNHCR bestätigt, dass Einrichtungen der Caritas und andere nichtstaatliche Unterkünfte zur Verfügung stehen. Betroffene werden, wenn sie ihren Antrag auf Rückkehr in eine staatliche Unterkunft stellen, seitens der zuständigen Präfektur oder Quästur hierüber auch informiert. Eine Art "zentrales Netzwerk" gibt es jedoch nicht, sodass auch der UNHCR über keine konkreten Informationen darüber verfügt, wie viele Plätze insgesamt landesweit zur Verfügung stehen. Der UNHCR betreibt eine kostenlose Telefonhotline ("linea verde"), an die sich alle Unterkunftssuchenden im Notfall wenden könnten. Zudem verfügt er über eine Vielzahl an Kooperationspartnern in großen Städten, welche Auskunft zu Unterkunftsmöglichkeiten geben können. Diese betreiben auch selbst Informationsschalter, welche namentlich an den größten italienischen Flughäfen zur Verfügung stünden (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 28; BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, , S. 7).
80Die Hilfsorganisation Sant'Egidio veröffentlicht aktuelle Adressen etwa für Rom, an die sich Bedürftige für ihre Grundbedürfnisse (Unterkunft, Waschen, Verpflegung) wenden können, und sie bietet auch selbst derartige Unterkünfte an (Sant'Egidio 2024, Roma - Dove mangiare, dormire, lavarsi). Auch das Raphaelswerk informiert in einem Informationsblatt über Unterstützungsangebote nichtstaatlicher Hilfsorganisationen (Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, Anhang, S. 19 ff.).
81Nach Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und Borderline-Europe e. V. sind regional organisierte Notunterkünfte nicht langfristig ausgerichtet, es gibt keinen "fixen" Platz. Sie werden meist von Trägern des sogenannten Dritten Sektors, also nicht staatlich, betrieben (z. B. Caritas, Missionari Vincenziani). Manche von ihnen haben Verträge mit der Gemeinde und werden vor allem zu Winterzeiten geöffnet. Die Dauer dieser Projekte der Aufnahme hängt von der Verfügbarkeit der finanziellen Mittel ab, sie sind nicht kontinuierlich garantiert. Diese Einrichtungen haben nur wenige Plätze zur Verfügung, die die Nachfrage nach Unterbringung derer, die auf der Straße leben müssen, nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Borderline-Europe nicht decken. Die Plätze unterliegen zudem einem Rotationssystem und sind nur für kurze Zeit nutzbar, damit möglichst viele Menschen für einige Tage dort unterkommen können. Neben der Rotation müssen die Bewohnerinnen und Bewohner in der Zeit ihres Aufenthaltes die Zentren tagsüber verlassen. Die Nahrungsmittelversorgung muss über andere Stellen gesichert werden. Borderline-Europe kritisiert, ein Großteil des Tages müsse deshalb für die Deckung der Grundbedürfnisse, z. B. in die Nahrungsfindung (Schlangestehen vor karitativen Suppenküchen), investiert werden, was es nach Angaben zahlreicher Geflüchteter ihnen unter anderem unmöglich mache, sich eine Arbeit zu suchen. Auch für Kleidung seien diese selbst verantwortlich. Es gebe keine medizinischen Behandlungen, es sei denn, eine Privatperson oder ein Verein kümmere sich und biete diese Hilfe an. Dieses System garantiere letztlich nicht die Kontinuität der Dienste und die Angemessenheit der Leistungen, insbesondere im Falle von Menschen mit besonderer Vulnerabilität (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, , S. 5; Borderline-Europe e. V., Privat statt Staat?, , S. 4 f.). Auch Borderline-Europe bestätigt aber, dass Italien über ein großes Netz an Nichtregierungsorganisationen verfüge, das sich bemüht, die Lücken des Staates in der Versorgung und Betreuung von Asylsuchenden und anerkannt Schutzberechtigten zu füllen. Diese Projekte sind größtenteils als kurzfristige Notmaßnahme gedacht. Ob und wie lange eine Person Zugang zu Unterstützung durch nichtstaatliche Akteure erhalte, lasse sich nicht voraussagen (Borderline-Europe e. V., a. a. O., S. 12).
82ee) Informelle Siedlungen mit begrenztem oder fehlendem Zugang zu wesentlichen Dienstleistungen sind in Italien verbreitet. Insbesondere Arbeiter in der Landwirtschaft, aber auch Migranten in Großstädten sind nicht selten in behelfsmäßigen, ghettoartigen Unterkünften untergebracht; das trifft auch auf international Schutzberechtigte zu. Werden private Grundstücke besetzt, kann es zur Einleitung von Strafverfahren kommen (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 156 ff.). Nach einem Bericht aus dem Jahr 2022 lebten mindestens 10 000 Migranten, darunter 30 % Asylbewerber oder Flüchtlinge, in informellen Siedlungen in Italien, die oft in abgelegenen Gegenden liegen und sehr schlechten Zugang zu Dienstleistungen (einschließlich Wasser und Elektrizität) haben (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 158; InfoMigrants, In Italy, 10 000 migrant farm workers live in "informal settlements", , https://www.infomigrants.net/en/post/42177/in-italy-10000-migrant-farm-workers-live-in-informal-settlements); auch Überfüllung und inadäquate Zustände in derartigen Unterkünften werden beklagt (USDOS, Italy 2023 Human Rights Report, , S. 11 f.). Ähnliches gelte für Container-Camps oder provisorische Wohnkomplexe, die italienische Behörden mit EU-Mitteln angrenzend an informelle Siedlungen oder in abgelegenen Gebieten haben errichten lassen. Auch in diesen werden teils unzulängliche sanitäre Verhältnisse, Überfüllung und fehlende Möblierung bemängelt (Human Rights Watch <HRW>, Better Solutions Needed for Migrant Workers' Makeshift Settlements in Italy, ; HRW, Letter to European Commissioners Re. Use of EU Funds by Italy to Build Migrant Worker Camps in Breach of Fundamental Rights, ). Informelle Unterkünfte (Zeltstätten, Slums, besetzte Häuser) werden teilweise im Hinblick auf die Grundversorgung (Verpflegung, ambulante medizinische Versorgung) von Hilfsorganisationen unterstützt (SFH und Pro Asyl, Auskunft an VGH Kassel, , S. 7).
83ff) Nach dem oben dargelegten strengen Maßstab für eine Verletzung des Art. 4 GRC hinsichtlich der Unterkunftsbedingungen können Schutzberechtigte zwar nicht auf sämtliche Unterkünfte in informellen Siedlungen, Zeltstädten oder Slums verwiesen werden, insbesondere nicht auf illegale Siedlungen und besetzte Häuser, die von einer staatlichen Räumung bedroht sind, oder auf Unterkünfte, die nicht ein Mindestmaß an Platz oder keine Möglichkeit bieten, sich zu waschen, sofern eine solche auch sonst - etwa über Hilfsorganisationen - nicht erreichbar ist. Abgesehen davon sind aber auch behelfsmäßige Unterkünfte, mit staatlichen Mitteln errichtete Wohncontainer, geduldete Siedlungen und sonstige einfachste Camps mit in Betracht zu nehmen. Eine abgelegene Lage oder ein fehlender Zugang zu weiteren Dienstleistungen (mit Ausnahme einer medizinischen Grundversorgung, die für Schutzberechtigte in Italien gewährleistet ist, siehe unten 2.2.2 f)) sind nach diesem Maßstab nicht unzumutbar. Eine Art. 4 GRC widersprechende Verelendung droht einem nichtvulnerablen Schutzberechtigten ferner nicht schon dann, wenn dieser nur eine temporäre, nicht auf längere Sicht ausgelegte (Not-)Unterkunft finden kann.
84Dies zugrunde gelegt ist aktuell nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass Schutzberechtigte ohne besondere Vulnerabilitäten im Falle einer Rückkehr nach Italien dort nicht zumindest eine (ggf. temporäre, wechselnde) Unterkunft oder Notschlafstelle mit einem Minimum an erreichbaren sanitären Einrichtungen bei einer kirchlichen oder karitativen Einrichtung, in einer Gemeindeunterkunft, einem Wohncontainer oder einer ähnlichen behelfsmäßigen Unterkunft oder bei Privatleuten finden werden. Dass es keine entsprechende Garantie gibt und dies auch nicht allen Schutzberechtigten durchgängig gelingen wird, steht dieser Beurteilung nicht entgegen.
85Der Senat verkennt dabei nicht, dass nach Italien zurückkehrende Schutzberechtigte auf dem begrenzten "Unterkunftsmarkt" mit einer Vielzahl von Migranten - unter anderem auch den Flüchtlingen aus der Ukraine - konkurrieren: Die italienische Regierung hat den im April 2023 erklärten Ausnahmezustand "als Folge des außergewöhnlichen Anstiegs der Migrantenströme, die über die Migrationsrouten des Mittelmeers in das nationale Hoheitsgebiet einreisen", von Oktober 2023 bis April 2024 und erneut um sechs Monate bis Oktober 2024 verlängert (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 116; vgl. auch Entschließung des Ministerrates vom , veröffentlicht im Amtsblatt Nr. 122 vom , https://www.protezionecivile.gov.it/it/normativa/delibera-del-cdm-del-9-aprile-2024-proroga-dello-stato-di-emergenza-flussi-migratori/). Die Zahl der in Italien eintreffenden Asylbewerber ist 2024 verglichen mit dem Vorjahr wieder rückläufig. Während von Januar bis August 2023 137 946 Drittstaatsangehörige (ohne Ukraine-Flüchtlinge) in Italien ankamen, waren es im gleichen Zeitraum 2024 nur 68 673 (UNHCR, Fact Sheet Italy, August 2024, S. 1; UNO-Flüchtlingshilfe, Italien steht weiterhin vor großen Herausforderungen, Stand: Juli 2024, https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/italien). Bis August 2024 kamen laut Auskunft des UNHCR 194 684 Ukrainer in Italien an und stellten dort einen Antrag auf zeitweiligen Schutz (UNHCR, Fact Sheet Italy, August 2024, S. 1). Andererseits ist die Zahl der Asylanträge gestiegen. Während von Januar bis August 2023 82 811 Asylanträge gestellt wurden, waren es von Januar bis August 2024 109 039 (UNHCR, Italy Weekly Snapshot, 11. - ).
86Die zahlreichen Berichte über eine Vielzahl von Unterkunftsmöglichkeiten verschiedenster Art rechtfertigen gleichwohl die Prognose, dass es nichtvulnerablen international Schutzberechtigten mit einer hinreichenden, das "real risk" einer Verletzung von Art. 4 GRC ausschließenden Wahrscheinlichkeit möglich ist, eine solche zeitweilige und ggf. provisorische, aber noch menschenwürdige Unterkunft zu finden, auch wenn es keine Daten über die gesamte Anzahl derartiger - durch sehr verschiedene Anbieter zur Verfügung gestellter - Unterkunftsplätze gibt. Einzelne Berichte über eine verbreitete Obdachlosigkeit, auch von Schutzberechtigten, in Italien, sind nicht derart substantiiert und aktuell, dass sie den Schluss auf eine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfehlung der Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung zuließen. Eine entsprechende Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe aus dem Jahr 2022 stellt vage fest, "viele" Personen mit Schutzstatus in Italien lebten langfristig auf der Straße oder in informellen Unterkünften. Die Wahrscheinlichkeit, dass die zurücküberstellten Personen ohne Unterkunft blieben, sei sehr hoch und habe sich im Zuge der Covid-19-Pandemie und mit dem Ukraine-Krieg noch zusätzlich erhöht. Konkret untermauert wird dies lediglich mit der Angabe, 2018 habe MSF (Médecins sans Frontières) die Zahl der "außerhalb des Systems" lebenden "Personen aus dem Asylbereich" mit 10 000 Personen beziffert (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, , S. 6, 9). Diese Zahl ist weder aktuell, noch ist sie hinreichend klar auf den Maßstab des Art. 4 GRC bezogen; sie ist zudem nicht auf international Schutzberechtigte beschränkt. Angesichts der hohen Zahlen der in Italien aufhältigen Personen aus dem Asylbereich, die schon mit Blick auf die o. g. Ankunftszahlen in den Jahren 2023 und 2024 um ein Vielfaches höher liegen müssen, trägt diese Aussage auch sonst nicht die Annahme, zurückkehrende Schutzberechtigte fänden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keinerlei Obdach im oben beschriebenen Sinne. Dass der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe nicht der Maßstab des Art. 4 GRC zugrunde liegt, bestätigt die darin wiedergegebene Aussage, Borderline-Europe betone, dass "Schlafsäle und Notunterkünfte keinerlei zusätzliche Unterbringungsmöglichkeit zu staatlichen Unterkünften darstellen würden". Dasselbe gilt für den Hinweis, dieses System garantiere nicht die Kontinuität der Dienste und die Angemessenheit der Leistungen (a. a. O., S. 5). Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass in Italien Ende Dezember 2021 96 197 Personen obdachlos und hiervon 38 % ausländische Bürgerinnen und Bürger waren. Es gibt keine offiziellen Zahlen darüber, wie viele von diesen einen Schutzstatus innehatten (BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, , S. 5).
87Die obige Bewertung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich die Situation durch die zusätzlichen rund 194 700 (bis August 2024) hinzugekommenen Flüchtlinge aus der Ukraine zweifellos verschärft hat. Für einen Teil der ukrainischen Flüchtlinge stehen auch Plätze im SAI-Netzwerk zur Verfügung. Konkrete Berichte über eine zahlenmäßig ins Gewicht fallende Zunahme von Schutzberechtigten ohne menschenwürdige (Not-)Unterkunft sind auch seit Beginn dieses Konflikts nicht bekannt geworden. Soweit von einer erheblichen Reduzierung der in Notunterkünften verfügbaren Plätze aufgrund der Covid-19-Pandemie berichtet worden ist (dazu auch .A - juris Rn. 77 f., 98; SFH, Auskunft an OVG Münster, , S. 4), bestehen für ein aktuelles Fortbestehen dieser Lage keine Anhaltspunkte.
88Schließlich war in die Gesamtwürdigung einzustellen, dass der hier zu beurteilenden Personengruppe der nichtvulnerablen Schutzberechtigten ein höheres Maß an Durchsetzungsvermögen und Eigeninitiative abzuverlangen ist, als vulnerablen Personen, und dass bei diesen auch keine besonderen Bedürfnisse bei der Unterbringung zu berücksichtigen sind.
89Auch weibliche Schutzberechtigte müssen sich auf die vorgenannten Unterkünfte verweisen lassen. Ein erhebliches Risiko sexueller Übergriffe in den in Betracht kommenden (Not-)Unterkünften ist weder substantiiert aufgezeigt noch sonst erkennbar. Die Aussage der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, es gebe "Ausbeutung und ein großes Risiko sexueller Übergriffe" (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, , S. 6) bezieht sich auf eine einzelne konkret benannte Unterkunft und ist nicht näher untermauert worden. Die verallgemeinernde Aussage, durch die Selbstverwaltung und das "Leben in einer <Grauzone> besteht die Gefahr von Missbrauch und Ausbeutung" (ebd.), entbehrt jeder Substantiierung.
90Nichtvulnerablen Schutzberechtigten (jeden Geschlechts) ist es nach alledem zumutbar, sich darüber zu informieren, an welchem Ort und bei welchem Anbieter noch Kapazitäten bestehen und ihren Aufenthalt gegebenenfalls dorthin zu verlagern (so auch 24 B 22.31109 - juris Rn. 38). Die vorstehende Lagebewertung zu dem Teilaspekt Unterkunft wird im Übrigen (ohne dass dies für den Senat entscheidungserheblich gewesen wäre) bestätigt durch die Angaben der Klägerinnen im vorliegenden und in dem gemeinsam mit diesem verhandelten Verfahren BVerwG 1 C 23.23 zu ihrer jeweiligen Unterbringung in Italien. So hat die Klägerin des vorliegenden Verfahrens im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht angegeben, sie habe von der Hilfsorganisation "Santi Gideo" (vermutlich Sant'Egidio) eine Unterkunft und Lebensmittel per Coupon erhalten. Die Klägerin des Verfahrens BVerwG 1 C 23.23 hatte vorgetragen, sie sei in einer Kirche in Mailand untergebracht gewesen, in der sie Kleidung und 75 € monatlich erhalten habe.
91d) Zur Gewährleistung der weiteren Grundbedürfnisse, namentlich des Verpflegungsbedarfs, können nach Italien zurückkehrende nichtvulnerable Schutzberechtigte mit erheblicher Wahrscheinlichkeit nicht auf staatliche Sozialleistungen zurückgreifen (aa). Auch insoweit existieren aber Angebote von Hilfsorganisationen und karitative Einrichtungen, die zur Abwendung einer extremen materiellen Notlage zumindest beitragen können (bb).
92aa) Für nichtvulnerable Schutzberechtigte, die keinen Platz in einer staatlichen Unterbringungseinrichtung haben, ist keine ohne Weiteres durchsetzbare Möglichkeit ersichtlich, ihre Grundbedürfnisse durch Inanspruchnahme staatlicher Sozialleistungen zu sichern (siehe auch .A - juris Rn. 138 ff.; 24 B 22.31109 - juris Rn. 31 und 44).
93Anerkannte Schutzberechtigte sind italienischen Staatsbürgerinnen und -bürgern hinsichtlich des Zugangs zu Sozialleistungen rechtlich gleichgestellt (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, , S. 17). Nach den 2023 vom nationalen Statistikinstitut ISTAT veröffentlichten Daten lebten 2022 fast 10 % der italienischen Bevölkerung in absoluter Armut, ein Anstieg gegenüber 2021, der auf die Auswirkungen der Inflation zurückgeführt wird. In Italien lebende Ausländer waren mehr als viermal häufiger von absoluter Armut betroffen. Die Regierung hat im Mai 2023 die Armutsbekämpfungsmaßnahme "Bürgereinkommen" ("Reddito di Cittadinanza") abgeschafft und durch begrenztere Programme für verschiedene Personenkategorien ersetzt (Human Rights Watch, World Report 2024, Italy, ).
94Die beiden mit Gesetzesdekret Nr. 48/2023 geschaffenen Nachfolgeregelungen SFL ("supporto per la formazione e il lavoro", Ausbildungs- und Arbeitsunterstützung) und ADI ("assegno di inclusione", Eingliederungsbeihilfe) unterscheiden zwischen Nicht-Erwerbsfähigen und Erwerbsfähigen, wobei Erwerbsfähige deutlich niedrigere Beträge erhalten: Die Ausbildungs- und Arbeitsunterstützung SFL richtet sich an "erwerbsfähige Personen" zwischen 18 und 59 Jahren ohne vulnerable Familienmitglieder. Sie beträgt 350 € für je maximal 12 Monate, mit Verlängerungsmöglichkeit um je bis zu einem Jahr nach einem Karenzmonat. Der Bezug setzt voraus, dass das Haushaltseinkommen, der sogenannte familiäre ISEE-Wert, 6 000 € pro Jahr nicht übersteigt. Antragstellende müssen sich verpflichten, an regionalen Maßnahmen zur Arbeitsaktivierung oder Weiterbildung teilzunehmen. Schon bei Ablehnung des ersten Angebots erlischt der Anspruch (Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 24; Refugee.info Italy, Financial support and bonuses in Italy, , https://italy.refugee.info/en-us/articles/5388918400663). Antragsberechtigt sind auch Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist. Bei Antragstellung muss der Betroffene seit mindestens fünf Jahren in Italien wohnhaft gewesen sein, davon die letzten beiden Jahre ununterbrochen (Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 25; Revisionserwiderung der Beklagten, , S. 10).
95Die neue Eingliederungsbeihilfe ADI können seit Haushalte erhalten, die als nicht "uneingeschränkt erwerbsfähig" gelten (Haushalte mit mindestens einem Minderjährigen, einer behinderten Person, einer Person über 60 Jahre oder in einer - näher definierten - benachteiligten Situation). Sie wird für jeweils maximal 18 Monate, ebenfalls mit Verlängerungsmöglichkeit um je bis zu einem Jahr nach einem Karenzmonat gewährt und beträgt rund 480 €, maximal 500 € zuzüglich 280 € Mietbeihilfe. Auch dieser Leistungsbezug soll stärker von der Teilnahme an Berufsbildungs- und Eingliederungsmaßnahmen der erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder abhängig sein. Nach Ablauf ist - jeweils nach einem Karenzmonat - erneut ein 18-monatiger Bezug möglich. Auch die Eingliederungsbeihilfe ist an die Nichtüberschreitung bestimmter Einkommensgrenzen sowie die Voraussetzung geknüpft, dass sich der Antragstellende insgesamt mindestens fünf Jahre, davon die letzten beiden Jahre ununterbrochen, legal in Italien aufgehalten hat (Informazione Fiscale, Assegno di inclusione 2024: requisiti, importo e come fare domanda, , https://www.informazionefiscale.it/Assegno-di-inclusione-2024-domanda-requisiti-importo; Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitischer Jahresbericht Italien, Berichtszeitraum: Oktober 2022 bis April 2024, S. 24 f.).
96Von den genannten Sozialleistungen - namentlich auch der Ausbildungs- und Arbeitsunterstützung - können nach Italien zurückkehrende international Schutzberechtigte regelmäßig schon deshalb nicht profitieren, weil sie die Aufenthaltsvoraussetzungen (fünfjähriger rechtmäßiger Aufenthalt in Italien, davon die letzten beiden Jahre ununterbrochen) nicht zeitnah erfüllen können. Zwar dürfte die Vereinbarkeit dieses Aufenthaltskriteriums mit Unionsrecht zweifelhaft sein, weil schutzberechtigte Drittstaatsangehörige damit ungeachtet der formalen Gleichbehandlung mit italienischen Staatsangehörigen (zum Gebot der Inländergleichbehandlung vgl. Art. 29 RL 2011/95/EU) mittelbar diskriminiert werden könnten (vgl. etwa , C-223/22 [ECLI:EU:C:2024:636] -). Konkrete Erkenntnisse, die gegenwärtig die Prognose rechtfertigten, dass die Aufenthaltsvoraussetzung in der behördlichen Praxis wegen des Vorrangs des Unionsrechts unangewendet bliebe oder dass etwaige Leistungsansprüche zumindest auf dem Rechtsweg kurzfristig durchgesetzt werden könnten, liegen aber nicht vor. Insbesondere ist dem Senat keine entsprechende Rechtsprechung italienischer Gerichte bekannt.
97Neben den genannten Leistungen auf nationaler Ebene gibt es vielerorts regionale oder kommunale Vergünstigungen unterschiedlicher Art und Höhe, über die auf lokalen Internetseiten oder durch das lokale CAF (Centro di assistenza fiscale) oder Patronato informiert wird (Refugee.info Italy, Financial support and bonuses in Italy, , https://italy.refugee.info/en-us/articles/5388918400663; Revisionserwiderung der Beklagten, , S. 10, mit beispielhaften Nachweisen). Die Wahrscheinlichkeit, mit der erwerbsfähige international Schutzberechtigte ohne minderjährige Kinder derartige Leistungen erhalten können, kann auf der Grundlage der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen nicht verlässlich beurteilt werden. Denn über die Art, Höhe, regionale Verfügbarkeit und die genauen Voraussetzungen lokaler Leistungen liegen dem Senat keine hinreichenden Informationen vor. Einer weiteren Aufklärung bedarf diese Frage nicht, weil nichtvulnerable Schutzberechtigte ihre zur Abwendung einer Verelendung notwendigen Grundbedürfnisse anderweitig sicherstellen können (zur Unterbringung siehe oben unter c), zur Versorgung mit Lebensmitteln u. a. siehe unten unter bb) und e)).
98bb) Angebote von Hilfsorganisationen und karitativen Einrichtungen können zur Abwendung einer extremen Notlage bei rückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten zumindest beitragen. Anders als bei einer Unterbringung in einer staatlichen Einrichtung wie dem SAI ist bei den für zurückkehrende nichtvulnerable Schutzberechtigte in Betracht kommenden Unterkünften eine Verpflegung zwar häufig nicht inbegriffen. Teilweise ist das aber durchaus der Fall. So bieten etwa kommunale Unterkünfte Bett, Bad und drei Mahlzeiten (vgl. BAMF, Auskunft an OVG Bautzen, , S. 7). Kommunen bewerten die individuelle Unterstützungsbedürftigkeit der Antragsteller und vergeben - ohne Rechtsanspruch - Leistungen im Rahmen der verfügbaren Budgets (BAMF, a. a O., S. 13). Zudem gibt es eine ganze Reihe karitativer, teils kirchlicher Einrichtungen, die Mahlzeiten anbieten (vgl. für Rom Sant'Egidio 2024, Roma - Dove mangiare, dormire, lavarsi, S. 11 ff.). Auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe erwähnt karitative Suppenküchen (SFH, Auskunft an VG Karlsruhe, , S. 5). Auf diese Weise können nichtvulnerable Schutzberechtigte jedenfalls für eine Übergangszeit ihren Verpflegungsbedarf zumutbar abdecken.
99e) International Schutzberechtigte können zudem in Italien eine Beschäftigung aufnehmen und mit dem Erwerbseinkommen - gegebenenfalls in Verbindung mit den erwähnten Unterstützungsleistungen nichtstaatlicher Hilfsorganisationen - ihr Existenzminimum im Sinne der elementarsten Bedürfnisse sicherstellen.
100aa) Das wirtschaftliche Existenzminimum ist immer dann gesichert, wenn erwerbsfähige Personen durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den im vorstehenden Sinne zumutbaren Arbeiten zählen auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, selbst wenn diese im Bereich der sogenannten "Schatten- oder Nischenwirtschaft" angesiedelt sind ( 1 C 10.21 - BVerwGE 175, 227 Rn. 17 m. w. N.).
101Soweit die Schattenwirtschaft bei einer weiten Definition auch kriminelle und andere staatlich sanktionierte Tätigkeiten erfasst (vgl. Schneider/Boockmann, Die Größe der Schattenwirtschaft - Methodik und Berechnungen für das Jahr 2024, Institut für angewandte Wirtschaftsforschung e. V. an der Johannes Kepler Universität Linz, Linz/Tübingen, vom , S. 5 f.), können Schutzberechtigte darauf zur Existenzsicherung allerdings nicht verwiesen werden. Eine Tätigkeit, bei der die Schutzberechtigten selbst einer straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfolgung ausgesetzt wären, ist ihnen nicht zuzumuten. Anders verhält es sich bei einer Erwerbstätigkeit, die im Prinzip auch legal ausgeübt werden kann, die jedoch den öffentlichen Stellen zur Vermeidung von Steuern und Sozialbeiträgen nicht gemeldet wird, sofern dies für den Schutzberechtigten als Arbeitnehmer nicht sanktionsbewehrt ist oder Sanktionen gegen ihn jedenfalls tatsächlich nicht verhängt werden (dazu noch offenlassend 1 B 66.21 - juris Rn. 30). Unter diesen Voraussetzungen ist Schutzberechtigten daher - zumindest für eine Übergangszeit - auch Schwarzarbeit zumutbar. Die allgemeinen Bemühungen der Europäischen Union und Italiens zur Bekämpfung von Schwarzarbeit stehen dem nicht entgegen (anders .A [ECLI:DE:OVGNRW:2021:0121.11A2982.20A.00] - juris Rn. 84 ff.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom - 18a L 1299/24.A [ECLI:DE:VGGE:2024:0823.18A.L1299.24A.00] - juris Rn. 24 ff.). Ist Schwarzarbeit in der Bevölkerung derart weit verbreitet wie in Italien (dazu unten bb) (3)), kann ihre effektive Bekämpfung nicht mehr durch das Verhalten von Einzelpersonen, sondern nur noch durch engmaschige staatliche Kontrollen und spürbare Sanktionierungen von Arbeit- und Auftraggebern bei Verstößen erreicht werden (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom - 4 LB 3/23 [ECLI:DE:OVGSH:2024:0125.4LB3.23.00] - juris Rn. 104; ebenso im Ergebnis .A [ECLI:DE:VGHHE:2024:0806.2A1131.24.00] - juris Rn. 117, zu Griechenland; sowie [ECLI:DE:VGHH:2024:0815.12A3228.24.00] - juris Rn. 75 m. w. N.).
102bb) Die Einschätzung des Berufungsgerichts (BA S. 14, unter Verweis auf das Urteil vom - 13 A 10948/22.OVG - juris Rn. 49 ff., 72 ff.) und weiterer Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe ( 24 B 23.30860 - juris Rn. 39; OVG Schleswig, Urteil vom - 4 LB 4/23 [ECLI:DE:OVGSH:2024:0125.4LB4.23.00] - juris Rn. 95 ff.; OVG Bautzen, Urteil vom - 4 A 341/20.A [ECLI:DE:OVGSN:2022:0314.4A341.20.A.00] - juris Rn. 52 ff.; VGH Mannheim, Beschluss vom - A 4 S 2850/21 - juris Rn. 12; [ECLI:DE:OVGMV:2022:0119.4LB68.17.00] - juris Rn. 30 ff.), wonach nach Italien zurückkehrende international Schutzberechtigte oder sogenannte Dublin-Rückkehrer grundsätzlich auch durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (mit) für ihren Lebensunterhalt sorgen könnten, deckt sich mit der aktuellen Erkenntnislage. Danach haben die Betroffenen Zugang zum italienischen Arbeitsmarkt ((1)), die aktuelle Arbeitsmarktlage lässt eine Beschäftigungsmöglichkeit hinreichend wahrscheinlich erscheinen ((2)) und es besteht jedenfalls auch die Möglichkeit einer in Italien zumutbaren informellen Erwerbstätigkeit in Form von Schwarzarbeit ((3)).
103(1) In Italien anerkannte international Schutzberechtigte genießen in Übereinstimmung mit Art. 26 RL 2011/95/EU einen ungehinderten Zugang zum italienischen Arbeitsmarkt, zu einer selbstständigen Erwerbstätigkeit, zur Registrierung bei Berufsverbänden, Berufsausbildung, einschließlich Auffrischungskursen, Ausbildung am Arbeitsplatz und Dienstleistungen von Arbeitsämtern (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation Italien, , S. 17). Für sie gelten die Rechte und Pflichten gemäß des Gesetzesdekretes Nr. 251/2007 zur Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie. International Schutzberechtigte, die nach Rückkehr im staatlichen Aufnahmesystem nicht wiederaufgenommen werden und eine Beschäftigung suchen müssen, erhalten laut italienischem Innenministerium durch den Aufenthaltstitel Zugang zu Arbeit oder Studium. Unter gewissen Voraussetzungen ist der Aufenthaltstitel in einen dauerhaften Aufenthaltstitel aus beruflichen Gründen umwandelbar (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 20 und 29). Rückkehrende anerkannte Schutzberechtigte, deren italienischer Aufenthaltstitel zwischenzeitlich abgelaufen ist, haben grundsätzlich die Möglichkeit zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, die auch zur Erwerbstätigkeit berechtigt (siehe oben 2.2.2 a)). Bis zur Ausstellung einer neuen Aufenthaltserlaubnis können Betroffene unter anderem beim Arbeitgeber eine Bestätigung des Verlängerungsantrages vorlegen. Neben der Privatinitiative kann die Arbeitsplatzsuche über das Arbeitsamt (Servizio Pubblico bzw. Centri per l'Impiego) erfolgen, wofür eine digitale Identität (SPID) und eine Bereitschaftserklärung zur Nutzung der zur Verfügung gestellten öffentlichen Dienste erforderlich ist. Auf dem Portal "cliclavoro.gov.it" des Ministeriums für Arbeit werden zudem überregionale Stellenangebote sowie Nachrichten und Informationen über die Arbeits- und Berufswelt veröffentlicht. Um sich auf Stellenangebote zu bewerben, ist der Lebenslauf einzustellen (EURES - European Employment Services, Lebens- und Arbeitsbedingungen: Italien, Stellensuche, ). Für Schutzberechtigte, die sich in einer SAI-Einrichtung befinden, erfolgt die Beratung und Unterstützung im Rahmen der Integrationsförderung. Das in den SAI-Einrichtungen tätige Betreuungspersonal begleitet international Schutzberechtigte im Rahmen der Maßnahmen zur Orientierung und Integration auch bei der Suche nach Praktika, Ausbildungs- oder Arbeitsplätzen. Aufgabe des Betreuungspersonals ist es, ein Netzwerk zu den lokalen Behörden und Betrieben aufzubauen (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 12 f.; BAMF, Auskunft an OVG Schleswig, , S. 5 f.). Beratungsangebote und Unterstützung speziell für Migrantinnen und Migranten bieten insbesondere auch UNHCR oder nichtstaatliche Hilfsorganisationen an; auf die bestehenden Angebote wird auch von Behördenseite verwiesen (vgl. u. a. Refugee.info Italy, Finding a job in Italy, https://italy.refugee.info/en-us/articles/5388883260055; AIDA/ECRE, Access to the Labour Market, https://asylumineurope.org/reports/country/italy/content-international-protection/employment-and-education/access-labour-market/; UNHCR Help Italy Work, https://help.unhcr.org/italy/services/work/). Das italienische Arbeitsministerium führt aus, dass es Integrationsprojekte auf lokaler Ebene in vielen italienischen Städten gibt, welche international Schutzberechtigte bei der Arbeitssuche unterstützen. Träger können Behörden, Hilfsorganisationen oder Arbeitsvermittlungsagenturen sein. Zwar bestehen auf dem italienischen Arbeitsmarkt Herausforderungen für international Schutzberechtigte ebenso wie für alle italienischen Staatsbürger, gleichzeitig sind unterschiedliche Möglichkeiten zur Beschäftigungsaufnahme bzw. Inanspruchnahme von Unterstützung und Hilfestellungen vorhanden. Eine Rückkehr Schutzberechtigter ist im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt jedenfalls nicht ausgeschlossen (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 21).
104(2) Zwischen 2021 und 2022 hat sich die Beschäftigungsquote von Migranten in allen OECD-Ländern verbessert und OECD-weit den höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen erreicht. Besonders stark verbesserten sich die Arbeitsmarktergebnisse von Migrantinnen, wobei der Unterschied zwischen den Geschlechtern in mehreren Ländern abnahm. Die verzeichneten Zuwächse sowohl bei der Migration in den Arbeitsmarkt als auch bei der Beschäftigungsquote der ansässigen Migranten hängen damit zusammen, dass in vielen OECD-Ländern ein Arbeitskräftemangel herrscht, was die Arbeitsmigration befördert hat. Sie steht ganz oben auf der politischen Agenda mehrerer Länder, darunter Australien und Deutschland (OECD, International Migration Outlook 2023, 47th edition, S. 11 f., https://www.oecd.org/en/publications/international-migration-outlook-2023_b0f40584-en.html).
105In Italien erreichte die Beschäftigung im Jahr 2022 wieder das Niveau von 2019, allerdings mit einem differenzierten Wachstum je nach Staatsbürgerschaft mit einem stärkeren Anstieg der Ausländer (+ 5,2 %) im Vergleich zu Italienern (+ 2,1 %). Insgesamt machten in 2023 Ausländer 10,3 % der gesamten Erwerbsbevölkerung und 16,0 % der Arbeitslosen aus. Darüber hinaus weisen ihre Anteile an der Gesamtbeschäftigtenzahl erhebliche Schwankungen auf: weniger als 1 % in der öffentlichen Verwaltung, etwa 2 % im Kredit- und Versicherungssektor sowie im Bildungswesen, 15,6 % im Baugewerbe, 17,0 % in Hotels/Restaurants und in der Landwirtschaft und 62,2 % in Familiendienstleistungen. Im Bereich der Hausarbeit hingegen, in dem 70 % der Arbeitnehmer Einwanderer sind, kam es im Jahr 2022 zu einem Rückgang der Zahl der Beschäftigten, insbesondere bei Ausländern. Letztere belaufen sich auf rund 622 000, was einem Rückgang von 8,4 % entspricht, und was in vielen Fällen auf eine Verlagerung hin zur nicht angemeldeten Erwerbstätigkeit hindeutet (Help Desk, Statistical Dossier on Immigration 2023, ). Die Arbeitslosigkeit von international schutzberechtigten Personen wurde Anfang 2021 auf 17,8 % geschätzt, wobei Frauen aus diesem Personenkreis zu 34,9 % erwerbslos seien. Gleichwohl erreiche auch die Erwerbsquote dieses Personenkreises fast die Erwerbsquote von Italienern, das gelte erst recht, wenn nur männliche Schutzberechtigte betrachtet werden (De Sario, Migration at the crossroads. The inclusion of asylum seekers and refugees in the labour market in Italy, 2021, S. 206 ff., https://www.etui.org/sites/default/files/2021-01/Chapter7-Migration%20at%20the%20crossroads.%20The%20inclusion%20of%20asylum%20seekers%20and%20refugees%20in%20the%20labour%20market%20in%20Italy.pdf).
106Nach einer aktuelleren Auskunft haben Zuwanderer in Italien trotz niedrigerem Bildungsniveau und befristeter Arbeitsverträge sogar eher einen Arbeitsplatz als die italienische Bevölkerung. Einwanderer spielen eine wichtige Rolle im italienischen Arbeitsmarkt. Die rund 2,4 Millionen ausländischen Beschäftigten machen mehr als 10 % aller Beschäftigten aus. Die Beschäftigungsquote von Drittstaatsangehörigen liegt bei 59,2 % (vgl. Revisionserwiderung vom , S. 12). Die Zahl ist nach Geschlecht differenziert: 71,7 % der Männer, aber nur 45,4 % der Frauen übten eine Beschäftigung aus (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 19).
107Im September 2024 lag die Beschäftigungsrate in Italien insgesamt bei 62,1 %, die - seit 2020 stetig gefallene - Arbeitslosenquote bei insgesamt nur noch 6,1 %. Seit 2020/2021 ist die bereinigte Beschäftigungszahl von 22 Millionen auf über 24 Millionen angestiegen (ISTAT, September 2024, Employment and Unemployment, Provisional data, , https://www.istat.it/wp-content/uploads/2024/10/Employment-and-unemployment-202409.pdf). Die Erwerbs- und Beschäftigungsquoten von Frauen und jungen Menschen liegen in Italien weiterhin deutlich unter dem EU-Durchschnitt (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht September 2022, S. 19). So lag die Beschäftigungsquote bei Frauen im September 2024 bei 53,4 %, die Arbeitslosenquote aber auch nur bei 6,6 % (ISTAT, ebd.).
108Die größten Beschäftigungssektoren für Migranten sind der Pflegedienstleistungssektor (47,2 %), die Landwirtschaft (18,6 %), das Baugewerbe (16,6 %) sowie der Sektor Handel, Verkehr, Wohnungswesen und Gastronomie (16,2 %) (Dotsey/Lumley-Sapanski, Temporality, refugees, and housing: The effects of temporary assistance on refugee housing outcomes in Italy, Cities 2021, S. 4).
109Migranten sind eine wichtige Ressource für Italien: Nach Abzug der Aufnahmekosten in Höhe von ca. zwei Milliarden € erwirtschaften die Geflüchteten durch ihre Arbeit einen positiven Saldo von ca. 6,5 Milliarden €. Allein in der Landwirtschaft liegt die Quote der illegalen Beschäftigung bei 39 % und ist somit ein Geschäft mit der irregulären Arbeitskraft von Landarbeitern in Höhe von ca. 4,8 Milliarden € (Telepolis, Migranten: Warum sie eine Ressource für Italien sind, ). Auch der UNHCR führt in Übereinstimmung mit dieser Lagebeurteilung aus, dass das wirtschaftliche Wachstum in Italien nach der Covid-19-Pandemie sehr groß und dass ein dementsprechender Bedarf an Arbeitsplätzen vorhanden sei. Allein durch ein Netzwerk von Privatunternehmen konnten bereits etwa 5 000 Migranten in den italienischen Arbeitsmarkt integriert werden (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 28). Der italienische Arbeitsmarkt ist aus demografischen Gründen auf Migration angewiesen (RESPOND, Integration, Policies, Practices and Experiences, Italy Country Report, , S. 26). Verschiedene Quellen thematisieren den Anstieg ausländischer Arbeitskräfte und den Arbeitskräftemangel, insbesondere im Tourismus, der Landwirtschaft und dem Gesundheitswesen. Zugleich werden Bestrebungen der italienischen Regierung beschrieben, wonach ausländischen Arbeitskräften der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden soll (vgl. Euractiv, , https://www.euractiv.de/section/europa-kompakt/news/italien-zwischen-migrationstopp-und-fachkraeftemangel/; OECD, International Migration Outlook 2023, 47th edition, S. 19). International Schutzberechtigte erhalten knapp 80 % des Durchschnittsgehalts von Beschäftigten mit italienischer Staatsangehörigkeit, und es bestehen fast keine Unterschiede im Vergleich zu den in Italien arbeitenden Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union (De Sario, Migration at the crossroads. The inclusion of asylum seekers and refugees in the labour market in Italy, 2021, S. 214, https://www.etui.org/sites/default/files/2021-01/Chapter7-Migration%20at%20the%20crossroads.%20The%20inclusion%20of%20asylum%20seekers%20and%20refugees%20in%20the%20labour%20market%20in%20Italy.pdf). Die Arbeitslöhne haben sich leicht verbessert auf durchschnittlich 45 bis 50 € Arbeitslohn für acht Stunden (Summary Rosarno Observatory, , S. 4 f.).
110(3) Schattenwirtschaft ist in Italien weit verbreitet. Sie deckte 2023 21,6 % des italienischen Bruttoinlandsprodukts ab und lag in den vergangenen 10 Jahren um die 20 % (Statista, Prognose zum Umfang der Schattenwirtschaft in Ländern der OECD 2024, ). Schwarzarbeit gilt in Italien als "Kavaliersdelikt". Etwa 10 % der Bevölkerung Italiens arbeiteten nach Angaben des italienischen Statistikamtes ISTAT in der Schattenwirtschaft, eine Million Haushalte leben ausschließlich von irregulärer Arbeit (Handelsblatt, Schattenwirtschaft, Italien forciert den Kampf gegen Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit, ). Schätzungen zufolge arbeiten in Italien mindestens 3,7 Millionen Menschen illegal, das heißt ohne steuerliche Abgaben zu leisten und vertraglich oder beitragsrechtlich abgesichert zu sein. ISTAT schätzte für 2019 den Anteil der "nicht beobachtbaren Wirtschaft" (Summe aus Schwarzarbeit und weiterer illegaler Angaben) auf 11,3 % des Bruttoinlandsprodukts (AA, BMI und BAMF, Gemeinsamer Bericht, September 2022, S. 18).
111Schwarzarbeit wird europaweit bekämpft. Das Europäische Parlament und der Rat haben durch Beschluss 2016/344/EU vom (ABl. L 65 vom S. 12) eine "Europäische Plattform zur Stärkung der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit" eingerichtet, die unter anderem den Ländern der Europäischen Union helfen solle, wirksamer den verschiedenen Formen der Schwarzarbeit zu begegnen (vgl. .A [ECLI:DE:OVGNRW:2021:0720.11A1689.20A.00] - juris Rn. 133 f.). Auch Italien versucht, mit umfangreichen Maßnahmen gegen Schwarzarbeit vorzugehen; so drohen etwa bei Verstößen Geldstrafen von 2 000 bis 50 000 € (Handelsblatt, Schattenwirtschaft, Italien forciert den Kampf gegen Steuerhinterziehung und Schwarzarbeit, ). In den vergangenen Jahrzehnten ist in Italien ein dramatischer Anstieg von Schwarzarbeit, illegalen Anwerbungsmethoden und damit einhergehender Ausbeutung von ausländischen Arbeitskräften zu verzeichnen gewesen (sog. "caporalato"). Zur Bekämpfung dieser Zustände sind bestehende Strafen verschärft und neue Straftatbestände gegen kriminelle Arbeitgeber geschaffen worden; der italienische Staat gehe vermehrt gegen illegale Beschäftigung und Ausbeutung von Ausländern vor (RESPOND, Integration, Policies, Practices and Experiences, Italy Country Report, , S. 27 f.). Die Beklagte verweist auf das Gesetz 199/2016, durch das strengere Maßnahmen gegen die Ausbeutung von Arbeitskräften und die nicht angemeldete Erwerbstätigkeit eingeführt wurden, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf dem Agrarsektor liegt. Das Arbeitsministerium hat einen "Arbeitsausschuss für die Festlegung einer neuen Strategie zur Bekämpfung der illegalen Anwerbung und Ausbeutung von Arbeitskräften in der Landwirtschaft" eingesetzt. In diesem Ausschuss sind mehrere Institutionen, sowohl auf zentraler als auch auf lokaler Ebene, Sozial- und Wirtschaftspartner sowie internationale Organisationen vertreten. Der Ausschuss steht unter dem Vorsitz des Arbeitsministers und sein Mandat läuft bis 2025. Im ganzen Land wurden zahlreiche Maßnahmen finanziert, durchgeführt und geplant, um das Phänomen der Ausbeutung von Arbeitskräften zu überwachen und zu bekämpfen. Diese Maßnahmen konzentrieren sich auch auf die Identifizierung, den Schutz und die Unterstützung der Opfer von Arbeitsausbeutung, wobei ausländischen Bürgern besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. "Nicht angemeldete" oder "irreguläre" Arbeit ist in Italien illegal und wird nach mehreren verwaltungs-, straf- und zivilrechtlichen Bestimmungen geahndet und verfolgt. Zu den einschlägigen Vorschriften gehören das Gesetzesdekret Nr. 81/2015, das die Sicherheit am Arbeitsplatz regelt und Strafen für nicht angemeldete Erwerbstätigkeit vorsieht, das Gesetzesdekret Nr. 151/2015, das die Arbeit auf der Grundlage von Gutscheinen regelt, sowie die Höchstdauer von nicht angemeldeten Arbeitsverhältnissen gemäß Art. 2222 des Zivilgesetzbuchs und das Gesetzesdekret Nr. 12/2002. Das Strafgesetzbuch stellt verschiedene Formen der menschlichen Ausbeutung wie Sklaverei (Art. 600), Menschenhandel, auch zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft (Art. 601), Zwangsarbeit, Arbeitsausbeutung und illegale Vermittlung (Art. 603-bis und 603-ter) unter Strafe. Das Migrationsgesetz (Gesetzesdekret 286/1998) gewährleistet gleiche Beschäftigungschancen für ausländische Arbeitnehmer (Art. 2) und bestraft irreguläre Einwanderung aufgrund von Menschenhandel (Art. 12). Es schützt auch die Opfer von Gewalt und schwerer Ausbeutung, einschließlich der Ausbeutung von Arbeitskräften und illegaler Anwerbung (Art. 18, 18-bis und 22). Unter den Initiativen der Regierung Meloni zur Wiederbelebung der italienischen Wirtschaft liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der Bekämpfung der Schwarzarbeit. Im Dezember 2022 wurde der Nationale Plan zur Bekämpfung der Schwarzarbeit 2023 - 2025 aufgestellt, der die Einrichtung des Nationalen Portals für Schwarzarbeit (PNS), die Erhöhung der Kontrollen am Arbeitsplatz um 20 % und die Verschärfung von Sanktionen vorsieht. Mit Dekret des Ministers für Arbeit und Sozialpolitik Nr. 57/2023 vom wurde ein Nationaler Ausschuss zur Verhütung und Bekämpfung der Schwarzarbeit mit der Aufgabe eingesetzt, die Umsetzung und den Fortschritt der im nationalen Plan vorgesehenen Aktivitäten zu koordinieren und zu überwachen. Ein weiteres Dekret Nr. 58/2023 vom zur Aktualisierung des Nationalen Plans zur Bekämpfung von Schwarzarbeit für den Dreijahreszeitraum 2023 - 2025 und des Umsetzungsfahrplans enthält "Maßnahmen zur Förderung der regulären Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte in der Landwirtschaft durch die Bekämpfung illegaler Ansiedlungen und die Förderung aktiver politischer Aktionen", durch Vorbeugung, Überwachung und Bekämpfung des Phänomens, Schutz und Hilfe für die Opfer der Ausbeutung und die Wiedereingliederung in die Arbeitswelt. Hierunter fallen die Vorgaben zur Umwandlung in angemeldete Arbeitsverhältnisse. Laut dem Bericht der amerikanischen NGO Freedom House (https://freedomhouse.org/country/italy/freedom-world/2023) bestehe hinsichtlich Menschenhandel und Ausbeutung von Arbeitskräften aber weiterhin Anlass zur Sorge, insbesondere in Bezug auf Asylsuchende, Flüchtlinge und Migranten aus Osteuropa. Die Covid-19-Pandemie und die Energiekrise nach Beginn des Kriegs in der Ukraine hätten die Anfälligkeit der Migranten für Ausbeutung und die Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen gesteigert. Der Handel mit Frauen und Mädchen zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung gebe ebenso weiterhin Anlass zur Sorge (Revisionserwiderung vom , S. 13 ff.).
112Am koordinierte das Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik im Rahmen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitsausbeutung eine große landesweite außerordentliche Überwachungsaktion. Im Rahmen des Einsatzes wurden 310 landwirtschaftliche Betriebe kontrolliert. Von diesen erwiesen sich 206 als nicht regelgerecht, was 66,45 % der Gesamtzahl entspricht. Insgesamt wurden 2 051 Arbeiter kontrolliert, von denen sich herausstellte, dass 616 irregulär arbeiteten, wovon wiederum 216 schwarz beschäftigt waren. Im Einzelnen waren 38,32 % der untersuchten Arbeitsplätze mit Nicht-EU-Bürgern besetzt. 308 von diesen waren irregulär beschäftigt, darunter 96 Personen in Schwarzarbeit und 22 ohne gültige Aufenthaltserlaubnis. Die Inspektionen führten zu 128 Betriebsuntersagungen, die 41,29 % der inspizierten Unternehmen betrafen. Die mit diesen Untersagungen verbundenen Beträge beliefen sich auf 250 800 €. Zu den Gründen zählten 60 Untersagungen wegen Schwarzarbeit und 51 wegen schwerwiegender Sicherheitsverstöße. Darüber hinaus wurden Bußgelder und Verwaltungsstrafen in Höhe von insgesamt 1 686 161 € verhängt. Im Bereich des Strafrechts wurden 171 Personen, darunter 157 Unternehmensleiter, wegen Verstößen gegen Arbeitsschutzvorschriften an die Justizbehörden verwiesen. Es wurden 382 Verfügungen ausgestellt und 2 Beschlagnahmungsanordnungen erlassen. Darüber hinaus wurden 10 Personen wegen illegaler Vermittlung und Arbeitsausbeutung angezeigt (Help Desk Anticaporalato, National operation against labour exploitation in the agricultural sector, , https://www.helpdeskanticaporalato.org/national-operation-against-labour-exploitation-in-the-agricultural-sector/).
113(4) Zusammenfassend ist festzustellen, dass international Schutzberechtigte in Italien nach der geltenden Rechtslage den gleichen ungehinderten Zugang zum Arbeitsmarkt haben wie italienische Beschäftigte. Insbesondere berechtigt der Aufenthaltsstatus zur Erwerbstätigkeit. Zur Arbeitsplatzsuche und beruflichen Qualifizierung stehen ihnen staatliche sowie nichtstaatliche Unterstützungsmöglichkeiten und -programme zur Verfügung. Ausländer machen etwa 10 % der gesamten italienischen Erwerbsbevölkerung aus. Die Beschäftigungsquote der Gesamterwerbsbevölkerung entspricht etwa der von "Zuwanderern", wobei sie bei Frauen im Vergleich zu Männern niedriger liegt. Die größten Beschäftigungssektoren für "Migranten" sind der Pflegedienstleistungssektor, die Landwirtschaft, das Baugewerbe sowie der Sektor Handel, Verkehr, Wohnungswesen und Gastronomie. Es besteht ein Beschäftigungsmarkt gerade auch für geringfügig Qualifizierte, die einen nicht unerheblichen Teil des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften. Der italienische Arbeitsmarkt ist - nicht zuletzt auch aus demografischen Gründen - auf Migration angewiesen, was etwa durch die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte, insbesondere als Saisonarbeitskräfte belegt wird. International Schutzberechtigte erhalten knapp 80 % des Durchschnittsgehalts von Beschäftigten mit italienischer Staatsangehörigkeit, und es bestehen fast keine Unterschiede im Vergleich zu den in Italien arbeitenden Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union. Schattenwirtschaft ist in Italien weit verbreitet und deckt im Durchschnitt der vergangenen Jahre etwa 20 % des Bruttoinlandsprodukts ab, wobei dort geschätzt mindestens 3,7 Millionen Menschen arbeiten. Italien hat eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, insbesondere in der Landwirtschaft, ergriffen. Sanktionen richten sich dabei erkennbar allein gegen kriminelle Arbeitgeber, etwa wegen Steuerhinterziehung, Nichtabführen von Sozialabgaben, fehlender Anmeldung und Ausbeutung von Arbeitnehmern sowie illegaler Anwerbungsmethoden und Menschenhandels. Betroffenen Arbeitnehmern wird dagegen Hilfe als Opfer von Ausbeutung und Unterstützung zur Umwandlung in angemeldete Arbeitsverhältnisse angeboten. Die aktuell auf einem Tiefstand von rund 6 % angelangte Arbeitslosenquote und der erkennbare Bedarf an geringqualifizierten Beschäftigten belegen, dass es international Schutzberechtigten in Italien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit möglich erscheint, gegebenenfalls durch die angebotenen Unterstützungsmaßnahmen bei der Arbeitsvermittlung, eine Beschäftigung auf dem "legalen" Arbeitsmarkt zu finden. Auch wenn die Beschäftigungsquote ausländischer Frauen geringer ist, belegt sie ebenfalls einen hinreichenden Beschäftigungsbedarf. Maßgebliche Faktoren für die Erlangung einer Beschäftigung sind dabei einerseits Eigeninitiative bei der Arbeitsplatzsuche und der Wille, das erforderliche Verfahren bei der staatlichen Arbeitsverwaltung zu durchlaufen. Soweit es dem genannten Personenkreis weitgehend an lokalen Netzwerken, beruflichen Qualifikationen und Sprachkenntnissen fehlt, wird ebenfalls Unterstützung angeboten. Mit dem erzielbaren Erwerbseinkommen lassen sich - gegebenenfalls unter zusätzlicher Inanspruchnahme der unter d) bb) genannten Unterstützungsangebote - jedenfalls die elementarsten Bedürfnisse im Sinne des strengen Maßstabs der oben geschilderten Rechtsprechung decken. Selbst wenn dies nicht gelingen sollte, erscheint eine informelle Erwerbstätigkeit im Bereich der Schattenwirtschaft möglich und zumutbar. Wie deren Anteil an der Gesamtwirtschaft Italiens belegt, besteht auch hier erheblicher Beschäftigungsbedarf.
114Soweit das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hingegen zu der Überzeugung gelangt ist, international Schutzberechtigte seien im Fall der Rückkehr nach Italien nicht in der Lage, sich aus eigenen, durch Erwerbstätigkeit zu erzielenden Mitteln mit dem für ein Überleben notwendigen Gütern zu versorgen (Urteil vom - 11 A 1674/20.A - juris Rn. 102 ff.), basiert dies zum einen auf einer seinerzeit prognostizierten Arbeitslosenquote für 2021 von 10 % und den durch die Covid-19-Pandemie bedingten Einschränkungen am Arbeitsmarkt, die sich in der aktuellen Erkenntnislage nicht mehr widerspiegeln. Zum anderen hält es entgegen dem oben dargelegten Maßstab eine Tätigkeit in der sogenannten Schattenwirtschaft generell für unzumutbar.
115f) Die medizinische Versorgung für international Schutzberechtigte in Italien weist keine Mängel auf, die in einem absehbaren Zeitraum nach Rückkehr erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen besorgen lassen. Das gilt ohne Weiteres jedenfalls für den hier zu behandelnden Personenkreis nichtvulnerabler Schutzberechtigter, die nicht an schwerwiegenden Krankheiten leiden.
116Eine medizinische Grundversorgung ist für nach Italien zurückkehrende international Schutzberechtigte gegeben und praktisch erreichbar: In Italien haben italienische Staatsangehörige, ausländische Gebietsansässige und ausländische Staatsangehörige mit Aufenthaltsgenehmigung Anspruch auf Gesundheitsversorgung; dieser Anspruch sieht das Recht vor, einen Hausarzt für Erwachsene bzw. für Minderjährige unter 14 Jahren einen Kinderarzt auszuwählen. Um Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen zu können, ist eine (kostenlose) Registrierung beim Staatlichen Gesundheitsdienst (Servizio Sanitario Nazionale - SSN) und die Wahl des Hausarztes bzw. Kinderarztes anhand einer beim örtlichen Gesundheitsdienst (ASS) ausliegenden Liste erforderlich (EURES - European Employment Services, Lebens- und Arbeitsbedingungen: Italien, , S. 50; AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 249).
117Die Registrierung beim SSN ist für legal in Italien aufhältige Personen auch dann möglich, wenn sie noch keine Aufenthaltserlaubnis besitzen, aber die Erstausstellung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels beantragt haben. Sie erfolgt bei dem für den Wohnsitz zuständigen örtlichen Büro des Gesundheitsdienstes (Azienda Sanitaria Locale - ASL) (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, , S. 15; Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 15). Vorzulegen sind ein gültiges Identitätsdokument, die italienische Steuernummer sowie der Aufenthaltstitel oder der erhaltene Nachweis über dessen Beantragung (Agenzia delle entrate, Die Gesundheitskarte - ein Wegweiser, September 2022, S. 6, https://www.agenziaentrate.gov.it/portale/documents/180684/1194227/DIE_GESUNDHEITSKARTE-Tessera_Sanitaria.pdf/96c144ca-94b4-d686-751b-ea4e620dda03; Raphaelswerk e. V., ebd.). Nach Italien zurückkehrende international Schutzberechtigte verfügen bereits aufgrund ihres Erstaufenthalts über eine Steuernummer (siehe näher oben unter 2.2.2 b)). Falls der Antragsteller im nationalen Register der Wohnbevölkerung noch nicht eingetragen ist, ist zunächst die Aktualisierung des mit der Steuernummer verbundenen Steuerdomizils zu beantragen. Dazu ist bei einer beliebigen Amtsstelle der Agentur der Einnahmen ein ausgefüllter Vordruck AA4/8, ein gültiger Personalausweis und die Aufenthaltserlaubnis oder der Beleg über den Antrag auf Erteilung oder Verlängerung der Erlaubnis einzureichen (Agenzia delle entrate, Die Gesundheitskarte - ein Wegweiser, a. a. O., S. 8). Nach anderen Auskünften ist bei der Antragstellung auch ein Wohnsitznachweis (Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 15) bzw. eine Selbstauskunft über den Wohnsitz (Refugee Info Italy, Your right to public healthcare, , S. 3) vorzulegen. Nach der zuletzt genannten Quelle ist es zwar empfehlenswert, aber nicht zwingend, zuerst die Wohnsitzregistrierung vorzunehmen.
118Bei der Registrierung wird eine Gesundheitskarte (Krankenversicherungskarte) ausgestellt, die bei der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen vorzulegen ist. Sie ist kostenlos und hat bei ausländischen Bürgern die gleiche Gültigkeitsdauer wie die Aufenthaltserlaubnis. Die Gesundheitskarte wird an das Steuerdomizil des Antragstellers geschickt (d. h. die Adresse, die in der Datenbank der Agentur der Einnahmen verzeichnet ist und der in Italien registrierten Meldeadresse entspricht) (vgl. EURES - European Employment Services, Lebens- und Arbeitsbedingungen: Italien, , S. 50; Agenzia delle entrate, Die Gesundheitskarte - ein Wegweiser, a. a. O., S. 2 f., 6 ff.). Wenn Asylbewerber keine Wohnsitzmeldung verzeichnen können, erhalten sie auch keine Gesundheitskarte (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, , S. 15).
119Beim Staatlichen Gesundheitsdienst registrierte Asylbewerber und Inhaber eines Schutzstatus haben dieselben Rechte und Pflichten in Bezug auf medizinische Versorgung und Beitragszahlung wie italienische Staatsbürger (vgl. etwa Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 15). Das gilt unabhängig davon, ob sie staatliche Versorgung genießen oder nicht. Die Registrierung berechtigt zu folgenden Leistungen: freie Wahl eines Hausarztes bzw. Kinderarztes (kostenlose Arztbesuche, Hausbesuche, Rezepte usw.), Geburtshilfe und gynäkologische Betreuung bei der Familienberatung (consultorio familiare) ohne allgemeinärztliche Überweisung sowie kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern. Das Recht auf medizinische Versorgung gilt für die Dauer der Aufenthaltserlaubnis und erlischt auch nicht im Rahmen der Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis (AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 249). In der Praxis besteht bei abgelaufener Aufenthaltserlaubnis bis zur Erneuerung derselben, die aufgrund bürokratischer Verzögerungen einige Zeit dauern kann, indes keine Garantie auf Zugang zu nicht notwendiger medizinischer Versorgung. Eine medizinische Notversorgung ist indessen unabhängig vom Aufenthaltsstatus gewährleistet. Eines der größten Hindernisse für den Zugang zu Gesundheitsdiensten ist die Sprachbarriere (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, , S. 15).
120Für bestimmte medizinische Leistungen (Untersuchungen und Medikamente) muss mitunter ein "Ticket" als Eigenbeteiligung an den Ausgaben des nationalen Gesundheitswesens gezahlt werden (Refugee Info Italy, Your right to public healthcare, , S. 4; Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 15). Beim SSN registrierte Schutzberechtigte haben indes wie italienische Staatsbürger abhängig vom Einkommen, der Beschäftigungssituation oder in besonderen Situationen (Schwangerschaft oder bestimmte Krankheiten) einen Anspruch auf Befreiung. Die Anspruchsberechtigung bei geringem Einkommen oder Arbeitslosigkeit besteht bei einem jährlichen Familieneinkommen von weniger als 8 263,31 € bei Alleinlebenden und von weniger als 11 362,05 € bei Personen, die einen finanziell abhängigen Partner haben. Dieser Höchstbetrag erhöht sich für jedes unterhaltsberechtigte Kind um 516,46 € (Refugee Info Italy, Your right to public healthcare, , S. 4).
121Die Befreiung bei Arbeitslosigkeit wird regional unterschiedlich praktiziert. In einigen Regionen Italiens sind Schutzberechtigte nicht von der Beteiligung an ihren medizinischen Behandlungskosten ausgenommen, weil sie - solange sie nie in Italien gearbeitet haben - als unbeschäftigt und nicht als arbeitslos betrachtet werden. In anderen Regionen wird die Befreiung hingegen angewandt, bis die Schutzberechtigten einen Arbeitsplatz finden (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Italien, , S. 17, AIDA/ECRE, Country Report Italy, 2023 Update, S. 249 f.; Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 15). Im Zeitraum von 2017 bis 2023 sind indes eine Reihe von Gerichtsentscheidungen ergangen, nach denen die Unterscheidung zwischen unbeschäftigten/inaktiven und arbeitslosen Personen für die Zwecke des Zugangs zu Gesundheitsleistungen keine Anwendung findet und daher insoweit auch Personen, die noch nie in Italien gearbeitet haben, als arbeitslos gelten können (AIDA/ECRE, ebd.). Damit haben Schutzberechtigte auch vor erstmaliger Beschäftigung in Italien Anspruch auf Befreiung von der Eigenbeteiligung.
122Probleme kann es geben, wenn der angemeldete Wohnsitz nicht dem tatsächlichen Wohnort entspricht, da ein Hausarzt in der Nähe des angemeldeten Wohnsitzes gewählt werden muss. Als weitere Hürden beim Zugang zur Gesundheitsversorgung werden die generell langen Wartezeiten im italienischen Gesundheitssystem und sprachliche Verständigungsschwierigkeiten benannt, da keine Sprachmittler zur Verfügung gestellt werden. Einige Organisationen bieten medizinische Versorgung für Personen an, die keinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst haben. In vielen Fällen steht Asylsuchenden und anerkannten Flüchtlingen, die noch nicht im nationalen Gesundheitsdienst eingeschrieben sind, in der Praxis nur die Notversorgung in Notaufnahmen von Krankenhäusern zur Verfügung (Raphaelswerk e. V., Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, Oktober 2022, S. 15 f.).
123Diese Erkenntnislage ist zusammenfassend dahin zu würdigen, dass nach Italien zurückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten die Registrierung beim SSN und der Erhalt der Gesundheitskarte möglich und damit die medizinische Grundversorgung - ungeachtet möglicher Probleme bei der sprachlichen Verständigung - hinreichend gewährleistet ist. Namentlich haben sie unter denselben Voraussetzungen wie italienische Staatsangehörige bei Unterschreitung bestimmter Einkommensgrenzen oder Arbeitslosigkeit Anspruch auf Befreiung von etwa erforderlichen Zuzahlungen ("Tickets"). Ein Anspruch auf Notversorgung besteht auch bereits vor der erfolgten Registrierung beim SSN. Nach dieser Erkenntnislage ist nicht zu erwarten, dass nichtvulnerable Schutzberechtigte nach ihrer Rückkehr nach Italien in absehbarer Zeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen Mängeln der medizinischen Versorgung in eine mit Art. 4 GRC unvereinbare Lage geraten.
1242.2.3 Zusammenfassend lassen sich bei den Aufnahme- und Lebensbedingungen der Personengruppe der nichtvulnerablen Schutzberechtigten in Italien aktuell keine Schwachstellen feststellen, die die für eine Verletzung von Art. 4 GRC erforderliche besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass sie bei einer Rückkehr nach Italien in eine Lage extremer materieller Not geraten, die es ihnen nicht erlaubt, ihre elementarsten Grundbedürfnisse hinsichtlich Unterkunft, Verpflegung und Hygiene zu befriedigen. Das gilt auch für weibliche Schutzberechtigte. Da auch die Klägerin zu dieser Gruppe zählt (siehe oben 2.1 b)) und die Beurteilung der abschiebungsrelevanten Lage nicht von weiteren individuellen, vom Berufungsgericht bisher nicht festgestellten Umständen abhängt, kann der Senat die im vorliegenden Verfahren ergangene Unzulässigkeitsentscheidung abschließend bestätigen.
1252.3 Hat die Unzulässigkeitsentscheidung somit Bestand, gilt gleiches auch für die auf §§ 35, 36 Abs. 1 AsylG gestützte Abschiebungsandrohung. Diese ist auch ihrerseits nicht wegen einer Fehlbeurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage in Italien rechtswidrig. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG, das nach dem hier ergänzend anwendbaren § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG (vgl. 1 C 8.23 - juris Rn. 23 f.) zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung führen würde, besteht nicht. Das Berufungsgericht hat in rechtlicher Hinsicht zutreffend ausgeführt, dass die gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK maßstäbliche Erheblichkeitsschwelle schon kraft Art. 52 Abs. 3 GRC derjenigen des Art. 4 GRC entspricht (BA S. 16). Auch § 60 Abs. 7 AufenthG bietet keinen weitergehenden Schutz. Damit sind die im Rahmen der Überprüfung der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG getroffenen Feststellungen zur allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage sowie die fallbezogene Anwendung auf die Klägerin ohne Weiteres auf die Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zu übertragen.
1262.4 Das auf § 11 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 AufenthG beruhende nationale Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von 30 Monaten (§ 11 Abs. 3 AufenthG) hat ebenfalls Bestand, da die Abschiebungsandrohung, an die es anknüpft, nicht aufzuheben ist.
1272.5 Das Oberverwaltungsgericht hat auch den hilfsweise gestellten Antrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG unter im Ergebnis zutreffender Beurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage in Italien abgewiesen. Auf die obigen Ausführungen zum Nichtvorliegen eines Abschiebungsverbots wird Bezug genommen.
1283. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:211124U1C24.23.0
Fundstelle(n):
LAAAJ-86287