Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verwerfung der Berufung als unzulässig wegen fehlender Angabe einer aktuellen ladungsfähigen Anschrift - Vorhandensein einer Safe-ID
Gesetze: § 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 11 Abs 2 S 1 ERVV, § 12 Abs 1 ERVV
Instanzenzug: SG Frankfurt Az: S 16 AS 891/22 Gerichtsbescheidvorgehend SG Frankfurt Az: S 16 AS 1133/23 Gerichtsbescheidvorgehend SG Frankfurt Az: S 16 AS 179/23 Gerichtsbescheidvorgehend SG Frankfurt Az: S 16 AS 200/23 Gerichtsbescheidvorgehend SG Frankfurt Az: S 16 AS 15/23 Gerichtsbescheidvorgehend SG Frankfurt Az: S 16 AS 184/23 Gerichtsbescheidvorgehend SG Frankfurt Az: S 16 AS 57/23 Gerichtsbescheidvorgehend SG Frankfurt Az: S 16 AS 1116/23 Gerichtsbescheidvorgehend SG Frankfurt Az: S 16 AS 1284/23 Gerichtsbescheidvorgehend Hessisches Landessozialgericht Az: L 7 AS 188/23 Urteil
Gründe
11. Nach § 73a SGG iVm § 114 Abs 1 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet; das ist hier nicht der Fall. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers erfolgreich zu begründen. Da kein Anspruch auf Bewilligung von PKH besteht, ist auch der Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).
2Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Solche Zulassungsgründe sind nach summarischer Prüfung des Streitstoffs auf der Grundlage des Inhalts der Gerichtsakten sowie unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers nicht erkennbar.
3Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist nur anzunehmen, wenn eine Rechtsfrage aufgeworfen wird, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Dies ist hier nicht der Fall. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht, weshalb eine Divergenzrüge keine Aussicht auf Erfolg verspricht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
4Nach Aktenlage ist schließlich nicht ersichtlich, dass ein Verfahrensmangel geltend gemacht werden könnte, auf dem die angefochtene Entscheidung des LSG beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG). Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass ein Verfahrensmangel darin liegt, dass das LSG in Abwesenheit des Klägers verhandelt und entschieden hat. Das LSG hat den Kläger ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen, dass auch im Falle seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann. Dies ist zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ausreichend (vgl - juris RdNr 7; BH - juris RdNr 10).
5Auch ist nicht zu beanstanden, dass das LSG dem Kläger entgegengehalten hat, dass dieser bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens trotz Aufforderung keine aktuelle ladungsfähige Anschrift mitgeteilt hat (so bereits BH - juris RdNr 5 - auch zum Folgenden). Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren setzt im Regelfall mindestens die Angabe der Anschrift des Rechtsuchenden voraus ( - SozR 4-1500 § 90 Nr 1 RdNr 4 mwN; - juris RdNr 14). Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG [Kammer] vom - 1 BvR 2211/94 - juris RdNr 2). Adressänderungen während des Rechtsstreits hat der Kläger unverzüglich mitzuteilen ( - juris RdNr 9 f). Ein häufiger Wechsel der Unterkunft enthebt den Betroffenen nicht von dieser Obliegenheit. Ausnahmen vom Erfordernis der Angabe einer ladungsfähigen Anschrift können nur dann gemacht werden, wenn dem Betroffenen dies aus schwerwiegenden beachtenswerten Gründen unzumutbar ( - SozR 4-1500 § 90 Nr 1 RdNr 8) oder aufgrund Obdachlosigkeit unmöglich ist ( 9 B 79.11 ua - Buchholz 310 § 82 VwGO Nr 24 = juris RdNr 11 mwN). Dass eine solche Ausnahmekonstellation vorliegt, hat das LSG - ebenso ein anderer Senat desselben Gerichts ( - juris RdNr 33 ff) - mit ausführlicher Begründung verneint. Bei der im PKH-Verfahren durchzuführenden summarischen Prüfung bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Annahme des LSG fehlsam wäre. Insbesondere enthält das Vorbringen des Klägers hierzu keinerlei substantiierten Vortrag. Die bloße Behauptung, obdachlos gewesen zu sein, reicht nicht aus.
6Entgegen der Auffassung des Klägers reicht es aufgrund der Umstände des konkreten Falles nicht aus, dass dieser über eine sogenannte Safe-ID im Sinne des besonderen elektronischen Bürger- und Organisationenpostfachs (eBO) verfügt, so dass der Senat dahinstehen lassen kann, ob dies auch generell gilt. Zwar hat der Inhaber eines eBO im Rahmen der Identitätsfeststellung unter anderem seine Anschrift nachzuweisen (§ 11 Abs 2 Satz 1 Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) und Anschriftsänderungen mitzuteilen (§ 12 Abs 1 ERVV). Die im Falle des Klägers mit seiner Safe-ID in den Metadaten hinterlegte postalische Anschrift entspricht aber gerade nicht dessen aktueller Anschrift zum Zeitpunkt der Entscheidung des LSG. Vielmehr handelt es sich um die bei Klageerhebung angegebene Adresse, die der Kläger inzwischen aufgegeben hat. Dies genügt nicht, denn die Obliegenheit, eine aktuelle postalische Anschrift anzugeben, dient nicht lediglich der Identifizierung des Klägers und der Zustellbarkeit gerichtlicher Mitteilungen, sondern auch der etwaigen Vollstreckung von gegen den Kläger festgesetzten Kosten ( - SozR 4-1500 § 90 Nr 1 RdNr 7; Binder in Berchtold, SGG, 6. Aufl 2021, § 92 RdNr 5; Föllmer in jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 92 RdNr 16, 18).
7Ob die fehlende Mitteilung der Anschrift im vorliegenden Fall dazu führt, dass - so das LSG - die Berufungen selbst unzulässig waren oder lediglich die Klagen (vgl im letzteren Sinne BH - juris RdNr 13, 16 unter Hinweis auf IVb ZR 4/87 - BGHZ 102, 332 ff), kann dahinstehen. Denn auch bei Zulässigkeit der Berufungen könnten Revisionen des Klägers allenfalls dazu führen, dass der Senat den Tenor der Berufungsentscheidungen dahingehend abändert, dass die Berufungen zurückgewiesen - statt verworfen - werden. Die klageabweisenden Entscheidungen des SG hätten hierdurch in gleicher Weise Bestand. Die Entscheidung durch Prozessurteil statt Sachurteil, die grundsätzlich einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG darstellen kann, wirkt sich daher im vorliegenden Fall nicht zulasten des Klägers aus. In einer solchen Konstellation kommt die Gewährung von PKH nicht in Betracht, weil es für die hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des PKH-Verfahrens nicht ausreicht, einen lediglich vorübergehenden Erfolg im (Zwischen-)Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde herbeizuführen ( BH - juris RdNr 16; vgl auch BH - juris RdNr 9). Insofern liegt auch Mutwilligkeit vor, weil eine Partei, die keine PKH beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung absehen würde (vgl § 114 Abs 2 ZPO).
82. Die vom Kläger persönlich beim BSG erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der vorgenannten Entscheidung des LSG ist schon deshalb nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht den zwingenden gesetzlichen Vorschriften des § 73 Abs 4 SGG über den Vertretungszwang beim BSG entspricht. Auf diese Zulässigkeitsvoraussetzung hat das LSG den Kläger in der Rechtsmittelbelehrung seiner Entscheidung ausdrücklich hingewiesen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:220125BB4AS11924BH0
Fundstelle(n):
NAAAJ-86282