Instanzenzug: Az: 2 U 1371/22vorgehend LG Mainz Az: 6 O 95/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2Der Kläger erwarb im März 2014 von der Beklagten einen von dieser hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4MATIC, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
3Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie Zug um Zug gegen Zahlung einer "von der Beklagten noch darzulegenden" Nutzungsentschädigung (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weiteren Schadens (Berufungsantrag zu 2), die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 3) sowie die Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der Annahme des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 4) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge zu 1, 3 und 4 weiter, soweit er sein Klagebegehren auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.
Gründe
4Die mit Blick auf die Rechtfertigung des Klageziels aus Delikt uneingeschränkt zugelassene (vgl. VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 Rn. 10 f. mwN) und auch im Übrigen zulässige Revision hat Erfolg
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
6Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte könne nicht festgestellt werden.
7Ein möglicherweise in Betracht kommender Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheide jedenfalls deshalb aus, weil sich das Berufungsgericht nicht davon habe überzeugen können, dass die Beklagte schuldhaft, insbesondere fahrlässig, gehandelt habe. Hinsichtlich des von dem Kläger gerügten Thermofensters beruhe dies darauf, dass das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), hätte die Beklagte seinerzeit zur Erlangung der Typgenehmigung diesem die Existenz eines Thermofensters mitgeteilt, die Funktion nicht als unzulässig beurteilt hätte, nachdem das KBA für solche Beanstandungen trotz vollständiger Kenntnis "im Detail" seit Jahren keinen Anlass sehe. Im Ergebnis nichts Anderes gelte hinsichtlich der von dem Kläger ebenfalls gerügten Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), nachdem diese Funktion vom KBA in vielen Fällen - auch bei dem hier gegebenen Motortyp - nicht beanstandet worden sei, wobei es entscheidend auf die Grenzwertkausalität abgestellt habe. Vor diesem Hintergrund könne die Implementierung dieser Funktion auch insoweit nicht als rechtlich unvertretbar und damit als fahrlässig bewertet werden, wie sie Fahrzeuge betreffe, die wie dasjenige des Klägers einem wenn auch noch nicht bestandskräftigen Rückruf unterlagen. Denn für die Beklagte sei zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs des Klägers nicht erkennbar gewesen, bei welchen Fahrzeugen die KSR grenzwertkausal gewesen sei und bei welchen nicht. Dass es sich bei der KSR um eine unzulässige Abschalteinrichtung gehandelt habe, sei jedenfalls im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs des Klägers für die Beklagte nicht offenkundig gewesen, womit auch ein Fahrlässigkeitsvorwurf gegen sie nicht erhoben werden könne.
II.
8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
91. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
102. Nicht frei von Rechtsfehlern sind allerdings die Erwägungen des Berufungsgerichts zu einem Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV.
11a) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
12Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Dem Kläger kann jedoch - was das Berufungsgericht auch erwogen hat - nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20).
13b) Einen Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV durfte das Berufungsgericht nicht gestützt auf die von ihm zum Verschulden angestellten Erwägungen verneinen (vgl. etwa VIa ZR 1284/22, juris Rn. 15 ff.; Urteil vom - VIa ZR 1291/22, juris Rn. 13 ff.; Urteil vom - VIa ZR 1283/22, juris Rn. 16 ff.; Urteil vom - VIa ZR 1080/22, juris Rn. 12).
14aa) Der Senat hat nach Erlass des angegriffenen Urteils entschieden, dass ein Verschulden des Fahrzeugherstellers vermutet wird ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 59 ff.). Der Fahrzeughersteller kann sich zwar durch einen von ihm darzulegenden und zu beweisenden unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten ( aaO, Rn. 63). Das setzt indessen zunächst die Darlegung und - erforderlichenfalls - den Nachweis eines entsprechenden Rechtsirrtums seitens des Fahrzeugherstellers voraus ( VIa ZR 1284/22, juris Rn. 16). Der Irrtum muss außerdem die Rechtmäßigkeit der konkreten, in Rede stehenden Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten betreffen. Nur in Bezug auf einen in diesen Einzelheiten konkret festgestellten Irrtum der maßgebenden Personen kann - zuder Sorgfaltsmaßstab der Fahrlässigkeit sachgerecht geprüft und die Unvermeidbarkeit festgestellt werden (vgl. etwa VIa ZR 1283/22, juris Rn. 17). Die strengen Maßstäbe dafür hat der Senat in seiner Entscheidung vom ebenfalls ausgeführt ( aaO, Rn. 63 bis 70). Danach setzt eine Entlastung aufgrund einer hypothetischen Genehmigung durch die für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde voraus, der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ( aaO, Rn. 66). (Urteil vom - VIa ZR 1284/22, juris Rn. 16)
15bb) Maßstäben ist das Berufungsgericht, das seine Entscheidung vor dem Urteil des Senats vom (BGHZ 237, 245) gefällt hat, nicht gerecht geworden. Ein Anspruch des Klägers auf Ersatz des Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kann nicht unter Hinweis auf die Bewertung eines Thermofensters oder einer anderen Abschalteinrichtung durch das KBA ohne weiteres verneint werden. Bezüglich des Vorliegens des Verschuldens greift - was das Berufungsgericht nicht in gebotener Weise berücksichtigt hat - vielmehr zunächst eine Vermutung zulasten des Fahrzeugherstellers ein, dem seine Entlastung obliegt.
16Die hypothetische Bewertung einer Abschalteinrichtung durch das KBA ist in diesem Zusammenhang nur für die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums des beklagten Fahrzeugherstellers bedeutsam. Dindessen keine tragfähigen Feststellungen dazu getroffen, sämtliche Repräsentanten der Beklagten hätten sich im maßgeblichen Zeitpunkt in einem Rechtsirrtum befunden. Erst im Anschluss an die Darlegung und den Nachweis dieser Umstände Bedeutung gewinnen, ob eine festgestellte Abschalteinrichtung in all ihren für die Bewertung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten von der damit befassten nationalen Behörde genehmigt worden wäre. Dazu fehlen genügende und rechtsfehlerfreie Feststellungen. Für den Fall eines das Fahrzeug des Klägers betreffenden, von dem KBA veranlassten Rückrufs läge dies jedenfalls hinsichtlich der davon betroffenen Funktion auch fern.
17Soweit das Berufungsgericht bezogen auf die KSR schließlich darauf abstellt, für die Beklagte sei zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs deren Einstufung als unzulässige Abschalteinrichtung nicht erkennbar gewesen, hätte das Berufungsgericht berücksichtigen müssen, dass die Bedeutung der Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht höchstrichterlich und insbesondere nicht durch den Gerichtshof der Europäischen Union geklärt war (vgl. etwa VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 15 am Ende). Dieser Umstand kann - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, das im Übrigen selbst von einer "unsicheren Rechtslage" ausgeht - einer Entlastung der Beklagten gerade entgegenstehen (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 69 f.), zumal diese selbst nicht vorgetragen hat, Rechtsrat eingeholt zu haben. Ohnehin kann aus dem Umstand, dass für die Beklagte die Einstufung der KSR als unzulässige Abschalteinrichtung nicht offenkundig gewesen sein mag, nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass auch ein Fahrlässigkeitsvorwurf gegen sie nicht erhoben werden könne.
III.
18Die angefochtene Entscheidung ist demnach in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
19Das Berufungsgericht wird nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:180225UVIAZR516.23.0
Fundstelle(n):
UAAAJ-86177