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BGH Urteil v. - VI ZR 311/23

Haftung der Quelle einer Veröffentlichung als mittelbarer Störer für die redaktionelle Gestaltung

Leitsatz

1.    Die Haftung als mittelbarer Störer darf nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, welche die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben. Der Mitverursachungsbeitrag allein reicht zur Begründung der Verantwortlichkeit nicht aus; vielmehr bedarf die Zurechnung der fremden Rechtsverletzung einer zusätzlichen Rechtfertigung. Diese besteht in der Regel in der Verletzung zumutbarer Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfpflichten.

2.    Die Verantwortung für die redaktionelle Gestaltung ihrer Veröffentlichungen obliegt grundsätzlich allein der Presse. Die Presse hat bei einer Veröffentlichung die Rechte der davon Betroffenen zu wahren, über die hierzu nötige Fachkunde zu verfügen und die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen. Selbst wenn eine Person (zutreffende) Informationen an die Presse gegeben hat, ist sie deshalb grundsätzlich nicht für die Gestaltung redaktioneller Beiträge verantwortlich, die auf dieser Grundlage erstellt werden (Weiterführung des Senatsurteils vom - VI ZR 30/09, BGHZ 187, 354).

Gesetze: § 823 Abs 1 BGB, § 1004 Abs 1 S 1 BGB, § 1004 Abs 1 S 2 BGB, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 GG, Art 8 Abs 1 MRK

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 16 U 34/22vorgehend LG Frankfurt Az: 2-03 O 107/21

Tatbestand

1Die Kläger nehmen den Beklagten als Quelle einer nach ihrer Auffassung ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzenden Berichterstattung in Anspruch. Sie verlangen von ihm, es zu unterlassen, ihre Identifikation im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Kindesmissbrauchs durch Einwilligung in die Veröffentlichung seines Bildnisses und seines Vor- und Nachnamens zu ermöglichen, wenn dies Ausdruck findet wie in der Berichterstattung.

2Der Beklagte ist der Großvater mütterlicherseits der im Jahr 2004 geborenen Klägerin und des im Jahr 2007 geborenen Klägers. Beide Kläger befinden sich seit 2016 in intensiver therapeutischer Behandlung, unter anderem bei der Heilpraktikerin M. Die Klägerin war im Jahr 2016 zeitweise suizidal und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht. Der Kläger musste die Schule wechseln und hat große Probleme, sich zu konzentrieren. Im Jahr 2017 zeigte der Vater der Kläger den Beklagten wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs der Kläger an. Das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde im Oktober 2018 mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Im Zeitraum der vorgeworfenen Taten wohnten die Familie der Kläger und der Beklagte mit seiner Ehefrau unmittelbar nebeneinander in einem Dorf mit etwa 3.000 Einwohnern. Etwa 2016/2017 zogen die Kläger mit ihren Eltern in ein rund 6 km entferntes Dorf. Mit Bescheiden vom wurden die Kläger vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nach den Leitlinien für die Gewährung von Leistungen aus dem Fonds sexueller Missbrauch im familiären Bereich als Betroffene sexuellen Missbrauchs im familiären Bereich anerkannt. Ihnen wurde rückwirkend die Kostenübernahme für therapeutische Einzelsitzungen bei der Heilpraktikerin M. in Höhe von jeweils maximal 10.000 € bewilligt. In einem gerichtlichen Vergleich von August 2018 verpflichtete sich der Vater der Kläger gegenüber dem Beklagten, die Behauptung zu unterlassen, der Beklagte habe die Kläger sexuell missbraucht.

3Im Jahr 2020 führte der Beklagte Gespräche mit einem Volontär einer Tochtergesellschaft der dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetretenen Verlagsgruppe, der Recherchen für eine beabsichtigte Berichterstattung durchführte. Dabei informierte der Beklagte den Volontär über die ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe des Kindesmissbrauchs. Auf Frage des Volontärs erklärte sich der Beklagte damit einverstanden, in einem etwaigen Zeitungsartikel über die Geschehnisse namentlich benannt zu werden. Er willigte auch in die Veröffentlichung eines Fotos von ihm ein. Zu diesem Zeitpunkt stand noch nicht fest, ob und wie über die Geschehnisse berichtet werden würde. Dem Beklagten wurde auch nicht die Möglichkeit eingeräumt, den Artikel vor der Veröffentlichung zu prüfen.

4Am veröffentlichte die Tochtergesellschaft der Streithelferin auf www.welt.de einen Artikel, der mit den Worten "Die Wunderheilerin, die Familien entzweit" überschrieben ist. Der Artikel wird mit einem Bildnis des Beklagten und seiner Ehefrau eingeleitet, unter dem sich folgender, den Vor- und Nachnamen des Beklagten enthaltender Text befindet:

5Sodann heißt es, wobei die Namen des Beklagten und der genannten Orte jeweils vollständig angegeben werden, während die Kläger mit durch Sternchenhinweis kenntlich gemachten Pseudonymen "Felix" und "Marie" bezeichnet werden:

6Im Anschluss daran wird ein Fall geschildert, in dem die Heilpraktikerin M. den sexuellen Missbrauch eines zweijährigen Jungen durch seinen Vater diagnostiziert habe. Der Verdacht habe sich nicht verifizieren lassen und das gegen den Vater eingeleitete Verfahren sei eingestellt worden. Sodann heißt es auszugsweise:

7Einen inhaltsgleichen Artikel unter dem abweichenden Titel "Im Fadenkreuz der Wunderheilerin" veröffentlichte die Tochtergesellschaft der Streithelferin am in der Tageszeitung "Die Welt".

8Das Landgericht hat den Beklagten verurteilt, es zu unterlassen, durch Einwilligung in die Veröffentlichung seines Bildnisses und seines Vor- und Nachnamens die Identifikation der Kläger im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Kindesmissbrauchs zu ermöglichen, wenn dies Ausdruck findet wie in dem oben dargestellten Artikel. Das Landgericht hat den Beklagten darüber hinaus verurteilt, den Klägern vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu erstatten. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehren die Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Gründe

I.

9Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht den Klägern gegen den Beklagten kein Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 GG zu. Der Beklagte sei nicht passivlegitimiert. Er sei nicht als Störer im Sinne des § 1004 BGB zu qualifizieren. Zwar habe er durch die im Vorfeld der Berichterstattung erteilte und seiner eigenen Willensentscheidung unterliegenden Zustimmung zur Nennung seines vollständigen Namens und zur Veröffentlichung seines Fotos an der streitgegenständlichen Berichterstattung mitgewirkt. Damit habe er aber nicht die maßgebende Ursache für die von den Klägern beanstandete Ermöglichung ihrer Identifikation im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Kindesmissbrauchs gesetzt, sondern lediglich zu der von einem "Tatnäheren", nämlich dem Redakteur als Verfasser der streitgegenständlichen Berichterstattung, begangenen (etwaigen) Rechtsverletzung der Kläger einen mittelbaren Beitrag geleistet. Der mittelbare Verursachungsbeitrag des Beklagten allein genüge aber grundsätzlich nicht, um seine Verantwortlichkeit zu begründen. Vielmehr bedürfe die Zurechnung der Rechtsverletzung einer zusätzlichen Rechtfertigung. Die Haftung des mittelbaren Störers setze deshalb die Verletzung von Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfpflichten voraus. Der Beklagte habe keine zumutbaren Prüfpflichten verletzt. Die Prüfpflichten des Beklagten erstreckten sich nicht auf die konkrete Presseveröffentlichung. Eine solche Ansicht würde den unterschiedlichen Aufgaben und Einflussmöglichkeiten der Streithelferin einerseits und des Beklagten als Informant andererseits nicht gerecht. Der Beklagte habe auch nicht damit rechnen müssen, dass seine Zustimmung zur Namensnennung und Fotoveröffentlichung zur Grundlage einer gegenüber den Klägern (möglicherweise) persönlichkeitsrechtswidrigen Berichterstattung des Presseunternehmens habe werden können. Der Beklagte habe sich vielmehr darauf verlassen dürfen, dass der Redakteur der Streithelferin, der ihn bei seinen Recherchen gefragt habe, ob er ihn namentlich und mit dem Foto in dem Artikel bringen könne, die ihm überlassenen Informationen einschließlich der erteilten Zustimmung zu deren Veröffentlichung in eigener Verantwortung auf ihre rechtliche Zulässigkeit prüfe, insbesondere ob eine Berichterstattung identifizierend erfolgen dürfe im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht der (reflexartig) tangierten Kläger.

II.

10Gegen diese Erwägungen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Den Klägern steht der geltend gemachte, auf die Ermöglichung der Identifikation der Kläger in dem streitgegenständlichen Artikel gestützte Verletzungsunterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 GG nicht zu. Sie können vom Beklagten nicht verlangen, es zu unterlassen, durch eine Einwilligung in die Veröffentlichung seines Bildnisses und seines Vor- und Nachnamens die Identifikation der Kläger im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Kindesmissbrauchs zu ermöglichen, wenn dies Ausdruck findet wie in dem streitgegenständlichen Artikel. Zwar werden die Kläger durch diese Veröffentlichung in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt (1.). Der Beklagte ist für diese Rechtsverletzung aber nicht verantwortlich (2.).

111. Die Darstellung der Geschehnisse in dem streitgegenständlichen Artikel verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläger.

12a) Die Berichterstattung greift - anders als es im Berufungsurteil anklingt - in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Kläger ein. Die Kläger sind unmittelbar in ihren Rechten betroffen und nicht bloß reflexartig tangiert.

13aa) Gegen rechtsverletzende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht kann nur der unmittelbar Verletzte, nicht auch derjenige vorgehen, der von den Fernwirkungen eines Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht eines anderen nur mittelbar belastet wird, solange diese Auswirkungen nicht auch als Verletzung des eigenen Persönlichkeitsrechts zu qualifizieren sind. Insoweit kann für das Persönlichkeitsrecht unbeschadet seiner Ausbildung als ein erst durch Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall zu ermittelndes Schutzgut nichts anderes gelten als für die in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter und absoluten Rechte (Senatsurteil vom - VI ZR 265/04, BGHZ 165, 203, 211, juris Rn. 21 mwN). Durch eine Presseberichterstattung unmittelbar in seinem Persönlichkeitsrecht betroffen kann aber nicht nur sein, wer im Mittelpunkt der Veröffentlichung steht oder auf wen sie zielt. Erscheint die Persönlichkeitssphäre des Dritten selbst als zum Thema des Berichts zugehörig, so ist sie auch dann berührt, wenn die Veröffentlichung auf eine andere Person zielt und diese Person im Mittelpunkt der Berichterstattung steht (vgl. , BGHZ 165, 203, 212 f., juris Rn. 24; vom  - VI ZR 1214/20, AfP 2024, 55 Rn. 14).

14bb) So verhält es sich im Streitfall. Zwar zielt der Artikel in erster Linie auf eine Kritik an der als "Wunderheilerin" bezeichneten Heilpraktikerin M. und der zuständigen Aufsichtsbehörde ab. Die Heilpraktikerin habe mit "höchst fragwürdigen", "wissenschaftlich unhaltbaren Methoden" in mehreren Fällen einen sexuellen Missbrauch von Kindern durch nahe Angehörige diagnostiziert, der nach der Bewertung der im Artikel im Einzelnen dargestellten Tatsachen durch den Verfasser "offenbar" nie stattgefunden habe. Durch ihre "unwissenschaftliche Arbeit" habe sie Familien entzweit und das Leben der zu Unrecht Beschuldigten zerstört. Anhand von zwei konkreten Fällen werden die gravierenden Auswirkungen der von M. getroffenen Missbrauchsdiagnosen - insbesondere - auf die zu Unrecht Bezichtigten näher dargestellt und die Frage aufgeworfen, warum das für die Aufsicht über Heilpraktiker zuständige örtliche Gesundheitsamt ihr nicht das Handwerk lege. In diesem Zusammenhang wird das Schicksal des - durch Angabe seines vollen Namens, seines Wohnortes und seines Berufs sowie durch Abdruck seines Bildes identifizierten - Beklagten in den Vordergrund gerückt. Der Artikel beleuchtet die "rasend schnell" eingetretene gesellschaftliche Ausgrenzung, die der Beklagte in seiner Dorfgemeinschaft erfahren habe, nachdem in der Praxis der Heilpraktikerin M. der Vorwurf aufgekommen und von seinem Schwiegersohn aufgegriffen worden sei, er habe seine beiden Enkel missbraucht.

15Gleichzeitig gehört aber auch die Persönlichkeitssphäre der Kläger selbst zum Thema der Berichterstattung. Die Kläger werden in dem Artikel als vermeintliche Opfer eines sexuellen Missbrauchs dargestellt. Sie sind die im Artikel erwähnten Enkel des Beklagten, die von diesem nach Auffassung seines Schwiegersohns missbraucht worden sind und deren Gesundheitszustand, Verhaltensweisen und Behandlung durch die Heilpraktikerin in dem Artikel näher beschrieben werden. Trotz der Änderung ihrer Vornamen durch die Redaktion und ihres vom Namen des Beklagten abweichenden Nachnamens sind sie für potentielle Leser identifizierbar. Die Identifizierbarkeit ist bereits dann gegeben, wenn eine nicht namentlich genannte Person zumindest für einen Teil des Leser- oder Adressatenkreises aufgrund der gemachten Angaben hinreichend erkennbar wird. Dabei genügt es, wenn sich die Identität des Betroffenen für einen Teil der Leser erst im Zusammenspiel mit deren sonstigen, also gerade nicht allein aus der Berichterstattung selbst abgeleiteten Kenntnissen ergibt oder mühelos ermitteln lässt (vgl. , Rn. 28; vom - VI ZR 1214/20, AfP 2024, 55 Rn. 15). Aufgrund der im Artikel mitgeteilten Umstände (vollständiger Name und Bild des Beklagten, Verwandtschaftsverhältnis, ehemals unmittelbare Nachbarschaft in einem Dorf, Alter der Klägerin) können zumindest die zum erweiterten sozialen Umfeld gehörenden Personen die Kläger identifizieren.

16b) Die identifizierende Darstellung in dem Artikel berührt die Kläger in mehrfacher Hinsicht in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

17aa) Die Erörterung der Frage, ob die Kläger sexuell missbraucht wurden, betrifft sie in ihrer Intimsphäre. Gleiches gilt für die Mitteilung, dass eine entsprechende Verdachtsdiagnose im Rahmen ihrer therapeutischen Behandlung gestellt worden ist. Diese Umstände sind nach ihrem Inhalt von höchstpersönlicher Natur und dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensumstände der (vermeintlichen) Missbrauchsopfer zuzuordnen (vgl. , BGHZ 230, 71 Rn. 43; vom - VI ZR 332/09, AfP 2012, 47 Rn. 11; BVerfGE 80, 367, 374; BVerfG, AfP 2009, 365 Rn. 25 f.).

18bb) Die Mitteilung der als behandlungsbedürftig bewerteten Befindlichkeiten und Verhaltensweisen der Kläger, die Anlass für die Inanspruchnahme der Behandlung waren, und die Offenbarung des Umstands, dass sich die Kläger aus diesen Gründen in die Behandlung der Heilpraktikerin M. begaben, berühren die Kläger in ihrer Privatsphäre. Denn Angaben über den (psychischen) Gesundheitszustand eines Menschen sind ebenso wie Informationen darüber, dass und weshalb er sich ärztlich oder therapeutisch behandeln lässt, wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als "privat" einzustufen (vgl. , AfP 2024, 139 Rn. 49; vom - VI ZR 338/21, AfP 2023, 241 Rn. 13; vom - VI ZR 382/15, VersR 2017, 365 Rn. 25 f.; BVerfGE 32, 373, 379 f.).

19cc) Betroffen ist darüber hinaus das Recht der im Zeitpunkt der Berichterstattung 13- und 16-jährigen Kläger auf ungehinderte Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ungestörte kindgemäße Entwicklung (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 175/14, BGHZ 206, 347 Rn. 18; BVerfG, AfP 2003, 537, juris Rn. 6). Kinder bedürfen eines besonderen Schutzes, weil sie sich erst zu eigenverantwortlichen Personen entwickeln müssen. Ihre Persönlichkeitsentfaltung kann dadurch, dass persönliche Angelegenheiten zum Gegenstand öffentlicher Erörterung gemacht werden, wesentlich empfindlicher gestört werden als die von Erwachsenen (vgl. , BGHZ 206, 347 Rn. 18; vom - VI ZR 137/13, AfP 2014, 325 Rn. 9; vom - VI ZR 304/12, BGHZ 198, 346 Rn. 17; BVerfGE 101, 361, 385; 119, 1, 24; 120, 180, 199). Der konkrete Umfang des Rechts des Kindes auf ungestörte kindgemäße Entwicklung ist vom Schutzzweck her unter Berücksichtigung der Entwicklungsphasen des Kindes zu bestimmen (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 175/14, BGHZ 206, 347 Rn. 18; BVerfG, AfP 2003, 537, juris Rn. 6).

20c) Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläger ist rechtswidrig. Das Interesse der Kläger am Schutz ihrer Persönlichkeit überwiegt das Recht der den Artikel veröffentlichenden Verlagsgesellschaft auf Meinungsfreiheit und das von ihr verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit.

21aa) Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss grundsätzlich erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom  - VI ZR 1214/20, AfP 2024, 55 Rn. 19 mwN).

22bb) Im Streitfall sind das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse der Kläger am Schutz ihres Persönlichkeitsrechts mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht des den Artikel veröffentlichenden Zeitungsverlags auf Meinungsfreiheit und dem von ihm verfolgten Informationsinteresse der Öffentlichkeit abzuwägen.

23cc) Diese Abwägung fällt zugunsten der Kläger aus.

24(1) Dabei kann offenbleiben, ob sich die Kläger deshalb nicht auf den öffentlichkeitsabgewandten Schutz ihrer Intim- und ggf. auch ihrer Privatsphäre berufen dürfen, weil ihr Vater - wie der Beklagte behauptet - den Vorwurf, die Kläger seien vom Beklagten sexuell missbraucht worden, im gesamten regionalen Umfeld bekannt gemacht habe (vgl. dazu , BGHZ 230, 71 Rn. 43; vom  - VI ZR 332/09, AfP 2012, 47 Rn. 12). Keiner Entscheidung bedarf auch die Frage, ob sich die minderjährigen Kläger ein derartiges Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen müssten (vgl. dazu Senatsurteil vom  - VI ZR 403/19, VersR 2022, 449 Rn. 16 mwN).

25(2) Denn auch wenn man das Recht der Kläger auf Achtung ihrer Intim- und Privatsphäre nicht mit in die Abwägung einstellt, gebührt ihren verbleibenden Schutzinteressen der Vorrang. Die streitgegenständliche Berichterstattung verletzt das Recht der Kläger auf ungehinderte Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ungestörte kindgemäße Entwicklung.

26(a) Der durch die identifizierende Berichterstattung bewirkte Eingriff ist erheblich. Die Darstellung der die Kläger betreffenden Geschehnisse ist geeignet, deren Entwicklung zur und ihre Entfaltung als Persönlichkeit nachhaltig zu behindern. Im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels befanden sich die Kläger in einer besonders schutzwürdigen Phase ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Sie waren zu diesem Zeitpunkt 13 und 16 Jahre alt und kurz vor oder in der Pubertät. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren sie in den Jahren zuvor - unabhängig von der Frage, ob sie missbraucht worden sind oder nicht - mit massiv belastenden Ereignissen konfrontiert worden und befanden sich in vulnerablem Gesundheitszustand. Beide Kläger befanden sich seit 2016 in intensiver therapeutischer Behandlung. Die Klägerin war im Jahr 2016 zeitweise suizidal und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht. Der Kläger musste die Schule wechseln und hatte große Probleme, sich zu konzentrieren. Bei beiden Klägern war im Rahmen der therapeutischen Behandlung der Verdacht aufgekommen, sexuell missbraucht worden zu sein. Sie wurden als Opfer in einem - im Jahr 2017 eingeleiteten und im Oktober 2018 eingestellten - Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs durch ihren Großvater geführt und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als Betroffene sexuellen Missbrauchs im familiären Bereich anerkannt. Sie mussten ihre vertraute Umgebung verlassen und in ein 6 km entferntes Dorf ziehen.

27Der streitgegenständliche Artikel, in dem die Missbrauchsvorwürfe kritisch beleuchtet und konkrete Verhaltensweisen und Befindlichkeiten der Kläger geschildert werden, die zu der entsprechenden Verdachtsdiagnose durch die Heilpraktikerin M. geführt haben, konfrontiert die Kläger erneut mit den sie belastenden Ereignissen. Er ruft die Geschehnisse konkret in Erinnerung und ist deshalb geeignet, die psychische Verarbeitung des Geschehenen durch die Kläger zu behindern und etwaige traumatische Erfahrungen zu reaktualisieren. Zugleich begründet er die berechtigte Befürchtung der Kläger, dass die Berichterstattung die Diskussion um ihre Opfereigenschaft in ihrem sozialen Umfeld erneut anregen könnte und sie auf die sie belastenden Geschehnisse angesprochen werden könnten. Diese Befürchtung genügt, um eine Beeinträchtigung des Rechts der Kläger auf ungestörte kindgemäße Entwicklung zu bejahen. Denn der Feststellung konkreter Beeinträchtigungen für die Persönlichkeitsentfaltung des Minderjährigen oder zu einer Gefährdung seines Wohls bedarf es für die Annahme einer Beeinträchtigung des Rechts auf kindgemäße Entwicklung nicht (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 175/14, BGHZ 206, 347 Rn. 24; BVerfGK 8, 173, 176; BVerfG, AfP 2003, 537). Diese Beeinträchtigung ist auch unabhängig davon gegeben, ob der Vater der Kläger die Missbrauchsvorwürfe zuvor in der Dorfgemeinschaft umfassend bekannt gemacht hatte.

28(b) Demgegenüber wiegen das Recht des den Artikel veröffentlichenden Zeitungsverlags auf Meinungsfreiheit und das von ihm verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit weniger schwer. Zwar hat der Artikel einen hohen Informationswert. Es besteht auch ein erhebliches und berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit an einer kritischen Befassung mit den beruflichen Leistungen einer Heilpraktikerin, die mit jedenfalls unüblichen, medizinisch nicht anerkannten Methoden den sexuellen Missbrauch von Kindern durch nahe Angehörige diagnostiziert. Ein berechtigtes Informationsinteresse ist auch in Bezug auf die Auswirkungen einer derartigen Diagnose auf die Betroffenen - so auch auf den (ehemals) Beschuldigten - gegeben. Dieses Interesse erstreckt sich aber nicht auf die Identität der vermeintlichen Missbrauchsopfer (vgl. auch Senatsurteil vom  - VI ZR 309/22, AfP 2023, 422 Rn. 32). Dies wird durch die Schilderung des weiteren vermeintlichen Missbrauchsfalls im zweiten Teil des Artikels, in der die Betroffenen effektiv anonymisiert worden sind, anschaulich verdeutlicht.

292. Der Beklagte ist für diese Rechtsverletzung aber nicht verantwortlich. Er ist nicht Störer im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB analog.

30a) Der Beklagte haftet nicht als unmittelbarer Störer (in der Diktion des I. Zivilsenats "Täter"; zu den unterschiedlichen Begrifflichkeiten des Senats einerseits und des I. Zivilsenats andererseits vgl. , NJW 2017, 2029 Rn. 18; vom - VI ZR 34/15, BGHZ 209, 139 Rn. 16; jeweils mwN). Denn er hat die Verletzung der Rechte der Kläger nicht unmittelbar herbeigeführt. Er hat den streitgegenständlichen Artikel weder verfasst noch veröffentlicht. Dementsprechend leiten die Kläger die Verantwortlichkeit des Beklagten für die durch die streitgegenständliche Veröffentlichung bewirkte Rechtsverletzung daraus ab, dass der Beklagte durch Einwilligung in die Veröffentlichung seines Bildnisses und seines Vor- und Nachnamens die Identifikation der Kläger ermöglicht hat.

31b) Der Beklagte ist aber auch nicht als mittelbarer Störer zu qualifizieren.

32aa) Grundsätzlich ist als mittelbarer Störer verantwortlich, wer, ohne unmittelbarer Störer zu sein, in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Beeinträchtigung des Rechtsguts beiträgt. Dabei kann als Beitrag auch die Unterstützung oder Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten genügen, sofern der in Anspruch Genommene die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 340/14, BGHZ 206, 289 Rn. 34 mwN).

33Die Haftung als mittelbarer Störer darf aber nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden, welche die rechtswidrige Beeinträchtigung nicht selbst vorgenommen haben (vgl. , BGHZ 187, 354 Rn. 12; vom - VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219 Rn. 22; vom - VI ZR 1244/20, K&R 2022, 752 Rn. 26; jeweils mwN). Der Mitverursachungsbeitrag allein reicht zur Begründung der Verantwortlichkeit nicht aus; vielmehr bedarf die Zurechnung der fremden Rechtsverletzung einer zusätzlichen Rechtfertigung (vgl.  Xa ZR 2/08, BGHZ 182, 245 Rn. 36 f. - MP3-Player-Import; vom - I ZR 120/96, NJW 1999, 1960, juris Rn. 24 ff. - Möbelklassiker; vom - I ZR 121/08, CR 2010, 458, Rn. 19 - Sommer unseres Lebens; vom - V ZR 44/10, NJW 2011, 753 Rn. 12 ff.; vom - V ZR 118/13, NJW 2015, 2027 Rn. 14; vom - V ZR 324/13, GRUR 2015, 578 Rn. 12). Diese besteht in der Regel in der Verletzung zumutbarer Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfpflichten. Die Beurteilung, ob und inwieweit dem als mittelbarer Störer in Anspruch Genommenen eine Prüfung zuzumuten war, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, wobei die Funktion und Aufgabenstellung des in Anspruch Genommenen und die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat, zu berücksichtigen sind (vgl. , BGHZ 187, 354 Rn. 12; vom - VI ZR 93/10, BGHZ 191, 219 Rn. 22; vom - VI ZR 1244/20, K&R 2022, 752 Rn. 26; , GRUR 1999, 418, juris Rn. 24 - Möbelklassiker; vom  - I ZR 124/03, WM 2006, 1694 Rn. 32 - Rechtsanwalts-Ranglisten; vom - I ZR 240/12, GRUR 2015, 485 Rn. 49 f. - Kinderhochstühle im Internet III). Letztlich geht es dabei um den Zuschnitt von Verantwortungsbereichen (, NJW 2015, 2027 Rn. 13). Soweit dem Senatsurteil vom  (VI ZR 373/02, AfP 2004, 119, juris Rn. 37 ff.) insoweit etwas anderes zu entnehmen sein sollte, wird daran nicht festgehalten.

34bb) Nach diesen Grundsätzen ist der Beklagte nicht als mittelbarer Störer zu qualifizieren. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, hat er keine zumutbaren Verhaltenspflichten verletzt. Er war weder verpflichtet, von einer Einwilligung in die Veröffentlichung seines Namens und seines Lichtbildes im Zusammenhang mit einem vom Volontär des Zeitungsverlags noch zu verfassenden Artikel abzusehen, noch war er gehalten, die Erteilung seiner Einwilligung von der Zusage abhängig zu machen, dass ihm der anschließend verfasste Artikel vor der Veröffentlichung zur Überprüfung vorgelegt wird.

35(1) Die Verantwortung für die redaktionelle Gestaltung ihrer Veröffentlichungen obliegt grundsätzlich allein der Presse (vgl. , AfP 1994, 141 juris Rn. 28 - Beipackzettel; vom - I ZR 227/93, AfP 1996, 64 Rn. 21 f. - Produktinformation III; BVerfG, AfP 2019, 512 Rn. 17; AfP 2020, 392 Rn. 18). Die Presse hat bei einer Veröffentlichung die Rechte der davon Betroffenen zu wahren, über die hierzu nötige Fachkunde zu verfügen und die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen (BVerfG, AfP 2020, 392 Rn. 18). Selbst wenn eine Person (zutreffende) Informationen an die Presse gegeben hat, ist sie deshalb grundsätzlich nicht für die Gestaltung redaktioneller Beiträge verantwortlich, die auf dieser Grundlage erstellt werden (vgl. Senatsurteil vom  - VI ZR 30/09, BGHZ 187, 354 Rn. 12; , AfP 1994, 141 juris Rn. 28 - Beipackzettel; vom - I ZR 227/93, AfP 1996, 64 Rn. 21 f. - Produktinformation III; BVerfG, AfP 2019, 512 Rn. 17; BVerfG, AfP 2020, 392 Rn. 18). Eine andere Betrachtungsweise würde die Arbeits- und Verantwortungsstrukturen der Pressearbeit und vorangehender Recherchen nicht in ausreichender Weise berücksichtigen (vgl. BVerfG, AfP 2020, 392 Rn. 18). Zur Pressefreiheit gehört grundsätzlich die Eigenverantwortlichkeit für die inhaltliche Gestaltung von Pressebeiträgen, die Art und Weise der Verwertung ihr zuteil gewordener Informationen und die hierbei zu beachtenden Grenzen (vgl. BVerfGE 97, 125, 144; BVerfG, AfP 2019, 512 Rn. 17). Dem entspricht, als deren Kehrseite, dass für die Sicherstellung der Einhaltung dieser Grenzen die jeweils für die Veröffentlichung verantwortlichen Redakteure und die sie beauftragenden Verlage auch selbst haftbar sind, grundsätzlich aber nicht die nur im Vorfeld der Berichterstattung tätigen Akteure (vgl. BVerfG, AfP 2019, 512 Rn. 17; Senatsurteil vom - VI ZR 30/09, BGHZ 187, 354 Rn. 12).

36(2) Nach diesen Grundsätzen trafen den Beklagten im Zusammenhang mit der Erteilung seiner Einwilligung in die Veröffentlichung seines Namens und seines Lichtbildes keine Verhaltenspflichten, deren Verletzung seine Verantwortlichkeit als mittelbarer Störer begründen könnte. Umstände, die es rechtfertigen könnten, ausnahmsweise eine Mitverantwortung des Beklagten für die die Kläger identifizierende rechtswidrige Berichterstattung zu bejahen, sind weder festgestellt noch zeigt die Revision übergangenen Sachvortrag dazu auf. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Beklagte auf die konkrete inhaltliche Gestaltung der Berichterstattung keinen Einfluss. Im Zeitpunkt der Gespräche des Beklagten mit dem Volontär des den Artikel veröffentlichenden Zeitungsverlags stand nicht einmal fest, ob, und wenn ja, wie über die Geschehnisse berichtet werden würde. Durch die Einwilligung hatte der Beklagte lediglich über seine Rechte verfügt. Er hatte auf den Bildnisschutz (vgl. dazu Senatsurteil vom - VI ZR 309/22, AfP 2023, 422 Rn. 12) und den Schutz davor verzichtet, in einer ihn identifizierenden Berichterstattung als Person dargestellt zu werden, die im Verdacht stand, sich wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern strafbar gemacht zu haben (vgl. zum diesbezüglichen Schutz: , K&R 2016, 336 Rn. 16, 32 mwN; vom  - VI ZR 262/21, AfP 2023, 417 Rn. 18). Er durfte darauf vertrauen, dass der für den Artikel verantwortliche Journalist von seiner Einwilligung nur unter Achtung der Persönlichkeitsrechte der Kläger Gebrauch machen würde.

von Pentz                        Oehler                        Allgayer

                        Böhm                        Linder

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:171224UVIZR311.23.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-85918