Instanzenzug: LG Duisburg Az: 35 Ks 7/23
Gründe
1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung und wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat verurteilt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine isolierte Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von einem Jahr verhängt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2 1. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung lässt im Schuld- und Strafausspruch sowie in der Maßregelanordnung nach §§ 69, 69a StGB keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.
3 2. Hingegen hält die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Urteilsgründe belegen die Erfolgsaussicht der Maßregel nicht.
4 a) Der Senat hat seiner Entscheidung insoweit die zum in Kraft getretene Neufassung des § 64 StGB (BGBl. I Nr. 203 S. 2) zugrunde zu legen (§ 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO; vgl. hierzu Rn. 6; Beschluss vom – 1 StR 354/23 Rn. 1; Beschluss vom – 4 StR 364/23 Rn. 7 mwN). Nach § 64 StGB nF darf die Maßregel nur angeordnet werden, wenn aufgrund „tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist“, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist des § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen. Durch die Neufassung sind die Anforderungen an eine günstige Behandlungsprognose „moderat angehoben“ worden, indem jetzt eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ vorausgesetzt ist (vgl. BR-Drucks. 687/22 S. 79; Rn. 6). Dabei ist die Beurteilung der Erfolgsaussicht im Rahmen einer richterlichen Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonst maßgeblichen, also prognosegünstigen und -ungünstigen Umstände vorzunehmen (vgl. BR-Drucks. 687/22 S. 79; Rn. 6; so bereits zu § 64 StGB aF Rn. 13; Beschluss vom – 2 StR 28/22 Rn. 8).
5 b) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen der Kammer zur Erfolgsaussicht der Maßregel nicht gerecht. Sie hat sich zu dieser Frage der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, wonach es zwar seitens des Angeklagten bislang keinen Kontakt zur Suchtberatung gegeben habe und ein Behandlungsversuch in einer Suchtklinik nach kürzester Zeit abgebrochen worden sei. Jedoch sei der Angeklagte kognitiv leistungsfähig, grundsätzlich reflexionsfähig, in seiner bisherigen Lebensgestaltung recht flexibel und damit – auch unter Berücksichtigung von Hinweisen auf narzisstische und dissoziale Persönlichkeitszüge – grundsätzlich in der Lage, erfolgreich an einer Entwöhnungstherapie teilzunehmen. So habe der Angeklagte selbst glaubhaft angegeben, dass er seinen Betäubungsmittelkonsum als problematisch ansehe und darauf verzichten möchte. Nach Ansicht der Kammer begründet dies die konkrete Aussicht, dass der Angeklagte die Notwendigkeit zu einer Verhaltensänderung in Bezug auf den übermäßigen Rauschmittelkonsum eingesehen habe und die Gelegenheit zur Durchführung einer Therapie wahrnehmen und nutzen werde.
6 Damit hat die Kammer die erforderliche Gesamtabwägung in den Urteilsgründen nicht vorgenommen. Denn die knappen Ausführungen lassen eine Auseinandersetzung mit dem festgestellten gewichtigen prognoseungünstigen Umstand einer langjährig verfestigten Polytoxikomanie des Angeklagten in Gestalt einer Abhängigkeit von Alkohol, Cannabis, Kokain und Benzodiazepinen als „Hauptdrogen im Alltag“ nicht erkennen. Dies wäre zur Beurteilung der Behandlungsfähigkeit des Angeklagten hingegen erforderlich gewesen (vgl. Rn. 7). Die Ausführungen der Kammer können allenfalls eine Krankheitseinsicht des Angeklagten als prognosegünstigen Umstand belegen. Vor dem Hintergrund des festgestellten Therapieabbruchs des Angeklagten in der Vergangenheit sind damit hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Therapieabschluss in den Urteilsgründen aber nicht dargetan.
7 3. Die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf somit erneuter Prüfung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen.
Quentin Maatsch Scheuß
Tschakert Gödicke
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:160125B4STR47.24.0
Fundstelle(n):
WAAAJ-85845