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BAG Urteil v. - 5 AZR 272/23

Freie Mitarbeit - Arbeitsverhältnis - Rückabwicklung - Rechtsmissbrauch

Instanzenzug: Az: 31 Ca 11764/21 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 7 Sa 610/22 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Rückzahlung von Honoraren und Umsatzsteuer, die die Klägerin der Beklagten in den Jahren 2015 bis 2018 für geleistete Dienste im Rahmen eines als freie Mitarbeit behandelten Vertragsverhältnisses gezahlt hat.

2Die Beklagte, die ein Schreibbüro betreibt, übernahm seit 1998 für die Klägerin bzw. deren Rechtsvorgängerin diverse Arbeiten, die sie der Klägerin im Streitzeitraum mit 18,50 Euro pro Stunde zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung stellte. Schriftliche Vereinbarungen zur Zusammenarbeit existieren nicht.

3Mit einem mit „Ausschluss einer Scheinselbständigkeit“ übertitelten Schreiben vom verlangte die Rechtsvorgängerin der Klägerin von der Beklagten Auskunft darüber, ob sie versicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftige und auch für andere Auftraggeber tätig sei. Dem kam die Beklagte nach und teilte unter dem mit, sie sei im Jahr 2014 voraussichtlich zu ca. 60 % für die Rechtsvorgängerin der Klägerin und zu ca. 40 % für andere Auftraggeber tätig, versicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftige sie nicht.

4Aufgrund einer anonymen Anzeige kam es 2019 zu einer Prüfung nach § 28p SGB IV, aufgrund derer die Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd mit gegenüber der Klägerin ergangenen, bestandskräftig gewordenen Bescheiden vom und eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung der Beklagten in den Jahren 2015 bis 2018 feststellte und die Nachzahlung von 33.604,75 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen forderte. Einen von der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd gegenüber der Beklagten erlassenen Bescheid hat diese nach erfolglosem Widerspruch im Klageweg angefochten, eine rechtskräftige Entscheidung der Sozialgerichte hierzu steht noch aus. Die Zusammenarbeit der Parteien endete im September 2019, die Beklagte lehnte es ab, „auf Lohnsteuerkarte“ zu arbeiten.

5Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat die Klägerin - soweit für die Revision von Belang - unter Berufung auf die festgestellte Sozialversicherungspflicht der Beschäftigung die Rückzahlung aus ihrer Sicht zu viel gezahlter Honorare begehrt und behauptet, für die von der Beklagten verrichteten Tätigkeiten hätte in einem entsprechenden Arbeitsverhältnis nach dem Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit - Medizinische Fachangestellte in der Altersgruppe 25 bis unter 55 Jahren - die in Bayern übliche Stundenvergütung nur 14,80 Euro brutto betragen. Ferner hat sie die Erstattung von Umsatzsteuer begehrt, für deren Zahlung es an einem Rechtsgrund fehle.

6Die Klägerin hat zuletzt sinngemäß beantragt,

7Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, sie sei stets als freie Mitarbeiterin tätig gewesen und habe zu keinem Zeitpunkt in einem Arbeitsverhältnis zur Klägerin bzw. deren Rechtsvorgängerin gestanden. Zudem liege die übliche Vergütung für eine in einem Arbeitsverhältnis ausgeübte Tätigkeit wie die ihre im Raum München weit höher als der von der Klägerin angenommene Stundensatz. Außerdem genieße sie Vertrauensschutz, denn zwischen den Parteien habe stets Einigkeit bestanden, dass ihr Vertragsverhältnis ein freies Dienstverhältnis sei.

8Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der von ihm zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

Gründe

9Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Ihre Berufung gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts kann ohne weitere tatsächliche Feststellungen nicht mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts, das Rückzahlungsverlangen der Klägerin sei rechtsmissbräuchlich, zurückgewiesen werden. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht entscheiden, ob und ggf. in welchem Umfang die Klage begründet ist. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

10I. Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft, ob das Vertragsverhältnis der Parteien generell oder jedenfalls für den Streitzeitraum als Arbeitsverhältnis einzuordnen ist und, wenn ja, die Beklagte für ihre - wiederum nicht näher festgestellte - Tätigkeit eine geringere als die tatsächlich gezahlte Vergütung erhalten hätte.

111. Bei seinen Überlegungen hat das Landesarbeitsgericht zwar im Ansatz noch zutreffend angenommen, dass - erweist sich ein als freie Mitarbeit behandeltes Vertragsverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis - nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einem Verlangen des Arbeitgebers auf Rückzahlung überhöhter Honorare der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehen kann. Denn durch die Vereinbarung und Behandlung eines Rechtsverhältnisses als freie Mitarbeit kann beim Mitarbeiter ein schützenswertes Vertrauen darauf entstehen, dass ihm die erhaltenen Vorteile nicht wieder entzogen werden, sofern er nicht selbst die Einordnung des Vertragsverhältnisses als Arbeitsverhältnis geltend macht ( - Rn. 37, BAGE 120, 104; - 5 AZR 178/18 - Rn. 22, BAGE 167, 144).

122. Das Landesarbeitsgericht hat aber außer Bedacht gelassen, dass nicht jeder Widerspruch zwischen zwei Verhaltensweisen als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) zu werten ist und die Rechtsordnung widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zulässt ( - Rn. 38, BAGE 161, 335; - 5 AZR 556/01 - zu II 4 b der Gründe, BAGE 104, 86;  - Rn. 39 mwN). Deshalb kommt es in Fällen wie dem vorliegenden für das Entstehen eines schützenswerten Vertrauens des Mitarbeiters in das „Behaltendürfen“ der aus der Behandlung der Beschäftigung als „freie Mitarbeit“ gezogenen Vorteile maßgeblich auf die Umstände an, die zu deren Begründung und nicht zu derjenigen eines Arbeitsverhältnisses geführt haben. Von Bedeutung können - gerade bei längerer Dauer der Beschäftigung - ferner die Modalitäten der Durchführung des Vertragsverhältnisses im Laufe der Zeit sein. So genügt in der Regel die bloße Hinnahme eines Vertragsschlusses über eine freie Mitarbeit und der entsprechenden vergütungsmäßigen Behandlung nicht für das Entstehen eines schützenswerten Vertrauens ( - zu II 4 c der Gründe, aaO). Ein solches wird auch ausgeschlossen sein, wenn der andere am Rechtsverhältnis beteiligte Teil gerade vom Mitarbeiter in dem Glauben bestärkt wurde, es läge kein Arbeitsverhältnis vor (vgl.  - zu I 2 a der Gründe). Zu all dem fehlt es an tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts.

13II. Für die weitere Prüfung der Begründetheit der Klage auf Rückzahlung von Vergütung im fortgesetzten Berufungsverfahren wird das Landesarbeitsgericht - nachdem bislang keine rechtlichen Hinweise (§ 139 ZPO) zu entscheidungserheblichen Gesichtspunkten erfolgten - zunächst den Parteien wegen deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und auf Gewährleistung eines fairen Verfahrens (vgl.  - Rn. 42 mwN) die Möglichkeit zu ergänzendem Sachvortrag geben müssen. Bei der weiteren Sachbehandlung ist Folgendes zu beachten:

141. Bislang hat die Klägerin das Entstehen eines Anspruchs aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB wegen überhöhter Vergütung (zu den Voraussetzungen  - Rn. 15 mwN, BAGE 167, 144) noch nicht ausreichend schlüssig dargelegt.

15a) Die für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses als Anspruchstellerin darlegungs- und beweispflichtige Klägerin hat es im bisherigen Verfahrensverlauf an substantiiertem Tatsachenvortrag fehlen lassen, der zwingend eine Einordnung des Vertragsverhältnisses der Parteien als Arbeitsverhältnis erfordert. Sie verweist im Wesentlichen nur auf die sozialversicherungsrechtliche Einordnung als Beschäftigung iSv. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV, die zwar das Arbeitsverhältnis umfasst, jedoch nicht vollkommen deckungsgleich mit diesem ist ( - Rn. 17 mwN, BAGE 167, 144). Anders als in der zitierten Entscheidung (ebd. Rn. 18 ff.) haben die Parteien im vorliegenden Rechtsstreit auch nicht übereinstimmend vorgetragen, die Beklagte sei im Rahmen ihrer Beschäftigung bei der Klägerin Arbeitnehmerin gewesen. Die Beklagte hat sich vielmehr bis in die Revisionsinstanz gegen die Annahme, zwischen den Parteien habe ein Arbeitsverhältnis bestanden, verwahrt und in ihrer Revisionserwiderung darauf beharrt, sie habe „stets ein selbständiges Schreibbüro betrieben“.

16b) Wäre das Vertragsverhältnis der Parteien - jedenfalls im Streitzeitraum - als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren und hätten die Parteien ihrer Vergütungsvereinbarung eine unrichtige rechtliche Beurteilung zugrunde gelegt, bedürfte es der Auslegung, ob die Vergütung unabhängig von der rechtlichen Einordnung des bestehenden Vertrags geschuldet oder gerade an diese geknüpft war (vgl.  - Rn. 24 ff. mwN, BAGE 167, 144). Zu Vertragsverhandlungen - insb. auch zu solchen anlässlich der Begründung der Zusammenarbeit -, dem konkreten Inhalt der nur mündlichen Vereinbarungen und das ursprüngliche Honorar und dessen Entwicklung fehlt bislang jeglicher Sachvortrag der Parteien.

17c) Sollte - wovon die Klägerin ohne Begründung offenbar ausgeht - die vereinbarte Vergütung nicht unabhängig von der rechtlichen Einordnung des Vertragsverhältnisses geschuldet sein, hat die Klägerin eine ohne Rechtsgrund geleistete Vergütungsdifferenz bislang nicht hinreichend schlüssig dargetan. Sie beruft sich einerseits auf eine übliche Vergütung (§ 612 Abs. 2 BGB), die sie unter Bezugnahme auf den Entgeltatlas der Bundesagentur für Arbeit als durchschnittliches Gehalt für eine Medizinische Fachangestellte in Bayern in der Altersgruppe 25 bis unter 55 Jahren annehmen will, ohne allerdings näher auszuführen, dass die Beklagte - die unter Berufung auf „gehaltsvergleich.com“ und „Stepstone“ auf höhere Stundensätze kommt - überhaupt als solche tätig war und ohne auf deren Einwand, das Gehaltsniveau in München und Umgebung liege über dem bayerischen Durchschnitt, einzugehen. Andererseits hat die Klägerin sowohl in ihrer Berufungs- als auch in ihrer Revisionsbegründung ausgeführt, bei ihr bzw. ihrer Rechtsvorgängerin hätten „zwei unterschiedliche Vergütungsordnungen für angestellte und freie Mitarbeiter“ bestanden, so dass es der Erläuterung bedarf, aus welchen Gründen die Parteien bei zutreffender Einordnung ihres Vertragsverhältnisses nicht eine Vergütung nach der hausinternen Vergütungsordnung für angestellte Mitarbeiter - deren Höhe die Klägerin bislang nicht offengelegt hat - vereinbart hätten.

18d) Außerdem - auch dies hat die Klägerin bislang nicht berücksichtigt - muss sich der Arbeitgeber im Rahmen des § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht nur die für das Arbeitsverhältnis durch Auslegung ermittelte oder nach § 612 Abs. 2 BGB maßgebliche übliche Vergütung, sondern auch die hierauf entfallenden Arbeitgeberanteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag anrechnen lassen ( - Rn. 39 mwN, BAGE 167, 144).

192. Erweist sich das Vertragsverhältnis der Parteien - jedenfalls im Streitzeitraum - rechtlich als Arbeitsverhältnis und hätte die Klägerin der Beklagten in einem solchen eine geringere Vergütung als die im Streitzeitraum geleistete gezahlt, wird das Landesarbeitsgericht - nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien - zu prüfen haben, ob dem Verlangen auf Rückzahlung der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehen kann. Dazu bedarf es Feststellungen zu den Details der Begründung der nur mündlich vereinbarten Zusammenarbeit und der Entwicklung des Vertragsverhältnisses insbesondere auch im Hinblick auf die von der Beklagten im Laufe der jahrzehntelangen Zusammenarbeit übernommenen, möglicherweise über die typischen Aufgaben eines Schreibbüros hinausgehenden Arbeitsinhalte. Für die Zubilligung von Vertrauensschutz maßgeblich ist es insbesondere, ob die Klägerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin der Beklagten die Wahl ließ, auch in einem Arbeitsverhältnis tätig zu werden oder ihr eine „freie Mitarbeit“ gleichsam oktroyierte oder ob es gerade die Beklagte war, die nur im Rahmen einer solchen tätig werden wollte. Für Letzteres könnte es ein Indiz sein, dass die Beklagte 2019 eine weitere Zusammenarbeit ablehnte, weil sie nicht „auf Lohnsteuerkarte“ arbeiten wollte. Sollten der Klägerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin - worauf das Schreiben vom hindeuten könnte - ernsthafte Zweifel am Vorliegen einer „freien Mitarbeit“ gekommen sein, wäre der Frage nachzugehen, warum die Klägerin bzw. deren Rechtsvorgängerin die Beklagte nicht vor die Wahl stellte, die Zusammenarbeit auch formal auf die Grundlage eines Arbeitsverhältnisses zu stellen oder zu beenden.

20III. Zur Klage auf Rückzahlung von Umsatzsteuer, die die Beklagte der Klägerin im Streitzeitraum zu den Honoraren mit in Rechnung stellte und an das zuständige Finanzamt abführte, beschränkt sich der Senat auf folgende Hinweise:

211. Zur Beantwortung der Frage, ob die Beklagte von der Klägerin die Umsatzsteuer ohne Rechtsgrund iSd. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB erhalten hat, bedarf es zunächst der Feststellung, ob das Rechtsverhältnis der Parteien im Streitzeitraum als Arbeitsverhältnis einzuordnen und die Beklagte daher nicht zur Ausweisung von Umsatzsteuer berechtigt war (sog. Steuerausweis durch Nichtunternehmer, § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG). Wäre dies der Fall, kann die Klägerin grundsätzlich die an die Beklagte gezahlte Umsatzsteuer von dieser zurückerstattet verlangen, während die Beklagte wiederum Erstattung vom Fiskus nach § 14c Abs. 2 Satz 3 bis 5 UStG erlangen kann (sog. Rückabwicklung „übers Eck“, vgl. (PKH) -;  - Rn. 49). Nur soweit Letzteres aus Gründen des Steuerrechts ausgeschlossen wäre, käme eine Entreicherung der Beklagten nach § 818 Abs. 3 BGB in Betracht (vgl.  - Rn. 24; - KZR 90/13 - Rn. 40 mwN).

222. Angesichts dessen bleibt gegen den Anspruch auf Rückzahlung ohne Rechtsgrund geleisteter Umsatzsteuer grundsätzlich kein Raum für den Einwand eines Rechtsmissbrauchs, zumal ein Direktanspruch der Klägerin gegen den Fiskus entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ( - [Reemtsma Cigarettenfabriken]; - C-83/23 - [H GmbH]) nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht kommt. Ein solcher ist beim derzeitigen Verfahrensstand nicht ersichtlich.

23IV. Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird das Landesarbeitsgericht auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:041224.U.5AZR272.23.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-85765