Essigspray EXTRA STARK
Leitsatz
Essigspray EXTRA STARK
1. Voraussetzung für die parallele Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (Biozid-VO) und der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen (CLP-VO) im Sinn des Art. 2 Abs. 3 Buchst. m, Art. 69 Abs. 1, Art. 72 Abs. 1 Biozid-VO ist, dass das streitgegenständliche Produkt in den Geltungsbereich beider Verordnungen fällt.
2. Für Reinigungsmittel, die keine Biozidprodukte sind, ist der Anwendungsbereich der Biozidverordnung nicht eröffnet.
Gesetze: § 547 Nr 6 ZPO, Art 2 Abs 3 Buchst m EUV 528/2012, Art 3 Abs 1 Buchst a EUV 528/2012, Art 69 Abs 1 EUV 528/2012, Art 69 Abs 2 UAbs 1 EUV 528/2012, Art 72 Abs 1 EUV 528/2012, Art 72 Abs 3 EUV 528/2012, EGV 1272/2008
Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 6 U 219/22vorgehend LG Frankfurt Az: 3-10 O 31/22
Tatbestand
1Die Klägerin und die Beklagte zu 1, deren (Mit-)Geschäftsführer der Beklagte zu 2 ist, vertreiben bundesweit Reinigungsmittel. Seit 2021 bewarb und vertrieb die Beklagte zu 1 in Deutschland das Reinigungsmittel "H. by S. Essigspray EXTRA STARK". Dabei handelt es sich um ein Gemisch, das jedenfalls aus 10 % Essigsäure, Zitronensäure sowie Duftstoffen besteht.
2Auf der vertriebenen Flasche befanden sich - auf der Rückseite - unter anderem die Angaben "hochwirksame und gleichzeitig umweltfreundliche Mischung" sowie - auf dem Aufkleber am Sprühkopf - "Naturhygiene" (vgl. Anlage K 1):
3Auf ihrer Internetseite hielt die Beklagte zu 1 ab Februar 2021 bis zum eine Produktbeschreibung vor, in der es auszugsweise hieß (Anlage K 6, S. 4):
Aufgrund seiner natürlichen, aber starken Wirksamkeit - ohne chemische Rückstände - beseitigt H. Essigspray EXTRA STARK mit seiner neuen Rezeptur 99,99 % aller Bakterien, Schimmelpilze und speziellen Viren. Deshalb ist es gut zu wissen: H. Essigspray EXTRA STARK ist eine wirksame und gleichzeitig natürliche Alternative zu vielen chemischen Desinfektionsmitteln für Flächen im Haushalt!
4Die Beklagte zu 1 bewarb das Produkt "H. by S. Essigspray EXTRA STARK" dort zudem mit verschiedenen Aussagen, unter anderem mit "hygienisch sicher".
5Die Klägerin meint, die Aufmachung und Bewerbung des Produkts verstoße gegen Marktverhaltensregelungen der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (Biozid-VO) sowie gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot. Sie mahnte die Beklagten mit Schreiben vom ab und erwirkte den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Nach deren Zustellung stellte die Beklagte zu 1 den eigenen Vertrieb des angegriffenen Produkts ein.
6Die Beklagten legten gegen die Beschlussverfügung teilweise Widerspruch ein und gaben im Übrigen - unter anderem hinsichtlich der Produktbeschreibung im Internet - eine Abschlusserklärung ab. Sie sind der Ansicht, bei dem angegriffenen Produkt handle es sich nicht um ein Biozid im Sinn der Biozidverordnung. Jedenfalls sei mit ihrer Abschlusserklärung eine Zweckbestimmung als Biozid entfallen.
7Das Landgericht hat die Beklagten nach Teilklagerücknahme antragsgemäß unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel verurteilt (Ziffer 1),
es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr das Produkt "H. by S. Essigspray EXTRA STARK"
a) entgegen Art. 69 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 (Biozid-VO) anzubieten und/oder anbieten zu lassen mit den auf dem Etikett enthaltenen Angaben
aa) "… hochwirksame und gleichzeitig umweltfreundliche Mischung …"
und/oder
bb) "Naturhygiene"
und/oder
b) anzubieten und/oder anbieten zu lassen, ohne dabei die in Art. 69 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 (Biozid-VO) aufgeführten Kennzeichnungen, insbesondere die dem Biozid-Produkt von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin oder der Europäischen Kommission zugewiesene Zulassungsnummer, auf dem Etikett anzugeben
und/oder
c) zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, ohne dabei die in Art. 72 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 (Biozid-VO) aufgeführten Hinweise, insbesondere "Biozidprodukte vorsichtig anwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformationen lesen.", anzugeben
und/oder
d) mit der Angabe
"hygienisch sicher"
zu bewerben und/oder bewerben zu lassen,
wenn und soweit das Produkt "H. by S. Essigspray EXTRA STARK" angeboten und/oder beworben wird, wie ersichtlich in Anlage K 1.
8Das Landgericht hat die Beklagten außerdem zur Erstattung der Abmahnkosten nebst Zinsen (Ziffer 2) sowie Auskunftserteilung (Ziffer 3) verurteilt und ihre Schadensersatzpflicht festgestellt (Ziffer 4).
9Die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgen die Beklagten ihren Klagabweisungsantrag weiter.
Gründe
10I. Das Berufungsgericht hat die Klage für begründet erachtet. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es zunächst auf den in sein Urteil eingerückten Wortlaut eines von ihm erlassenen früheren Urteils (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom - 6 U 128/22, juris) Bezug genommen, in dem im Wesentlichen Folgendes ausgeführt ist:
11Das streitgegenständliche Produkt unterfalle der Biozidverordnung, weil es als Biozid bestimmt sei. Dafür sei eine objektive, für den Verkehr erkennbare Zweckbestimmung zu verlangen. Davon sei im Streitfall vor allem mit Blick auf die Gestaltung der Flasche auszugehen, die eine Form habe, die der Verkehr ausschließlich aus dem Bereich der Reinigungsmittel kenne. Die Tatsache, dass das Produkt auch einem anderen Zweck - nämlich der Zubereitung von Lebensmitteln - dienen könne, führe nicht zu einer Nichtanwendung der Biozidverordnung. Bei Dual-Use-Produkten komme es nicht auf den Schwerpunkt der Verwendung an. Die Anwendung der Biozidverordnung sei auch nicht aufgrund der Bereichsausnahme des Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. e Biozid-VO ausgeschlossen, wonach die Verordnung nicht für Biozidprodukte gelte, die in den Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 über Lebensmittelhygiene fielen. Eine Einschränkung der Anwendbarkeit der Biozidverordnung wegen des Umstands, dass das Produkt der Beklagten auch die Voraussetzungen des Lebensmittelbegriffs erfülle, komme nicht in Betracht. Die Produkte gehörten auch gemäß Art. 2 Abs. 1 Biozid-VO einer Produktart an, die im Anhang V der Verordnung aufgeführt sei. Gegen die hiernach nach Art. 69 Abs. 2 Biozid-VO bestehenden Kennzeichnungspflichten hätten die Beklagten verstoßen.
12Das Berufungsgericht hat sodann ergänzt, es bestehe kein Anlass, von diesen Ausführungen aus dem früheren Urteil abzuweichen. Soweit die Beklagten meinten, im Rahmen der Gesamtwürdigung dürften einzelne Angaben mit Blick auf ihre Abschlusserklärung nicht mehr berücksichtigt werden, sei dem entgegenzuhalten, dass die Wiederholungsgefahr nur insoweit entfallen sei, wie die Abschlusserklärung reiche. Die einzelnen Werbeaussagen seien im Hinblick auf das Werbeverbot der Biozidverordnung (Art. 72 Biozid-VO) untersagt worden; hierauf beziehe sich auch die Abschlusserklärung. Die jetzt noch streitgegenständlichen Anträge bezögen sich aber auf Art. 69 Abs. 2 Biozid-VO.
13II. Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsurteil ist gemäß § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben, weil es nicht gemäß § 547 Nr. 6, § 545 Abs. 1 ZPO mit Gründen versehen ist.
141. Nach § 545 Abs. 1 ZPO kann die Revision nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht. Nach § 547 Nr. 6 ZPO ist eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen, wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist. Zum Inhalt des Berufungsurteils heißt es in § 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO, dieses enthalte anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen (Nr. 1) die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen und (Nr. 2) eine kurze Begründung für die Abänderung, Aufhebung oder Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.
152. Eine Entscheidung ist im Sinn des § 547 Nr. 6 ZPO nicht mit Gründen versehen, wenn aus ihr nicht zu erkennen ist, welche tatsächlichen Feststellungen und welche rechtlichen Erwägungen für die getroffene Entscheidung maßgebend waren (, BGHZ 39, 333, 337 - Warmpressen; Beschluss vom - I ZB 9/69, NJW 1971, 39 [juris Rn. 5] - Eurodigina; Urteil vom - I ZR 17/22, BGHZ 237, 1 [juris Rn. 10] - Aminosäurekapseln). Das ist auch dann der Fall, wenn zwar Gründe vorhanden, diese aber ganz unverständlich, verworren oder sachlich inhaltslos sind und deshalb in Wirklichkeit nicht erkennen lassen, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend waren (vgl. BGHZ 39, 333, 337 - Warmpressen; , NJW 1999, 3192 [juris Rn. 13]; MünchKomm.ZPO/Krüger, 6. Aufl., § 547 Rn. 16). Ein Begründungsmangel liegt auch dann vor, wenn das Berufungsurteil auf einen von mehreren Klageanträgen oder Ansprüchen nicht eingeht (vgl. , NJW-RR 1993, 706 [juris Rn. 8]; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl., § 547 Rn. 15).
163. Nach diesen Maßstäben ist das Berufungsurteil hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs nicht mit Gründen versehen. Entsprechendes gilt für die Ansprüche auf Erstattung der Abmahnkosten, Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzpflicht, soweit diese auf denselben Anspruchsvoraussetzungen wie der Unterlassungsanspruch beruhen.
17a) Dem Berufungsurteil fehlt es an Gründen, soweit das Berufungsgericht die Verurteilung der Beklagten nach Ziffer 1 a und 1 b des Tenors des landgerichtlichen Urteils gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1, §§ 3a, 3 Abs. 1 UWG wegen Verstößen gegen Art. 69 Abs. 2 Unterabs. 1 Biozid-VO bestätigt hat.
18aa) Art. 69 Biozid-VO regelt die Pflichten der Zulassungsinhaber für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung von Biozidprodukten. Ein von dieser Vorschrift erfasstes Biozidprodukt ist nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a Biozid-VO ein Stoff oder ein Gemisch, das dazu bestimmt ist, auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu bekämpfen. Nach Art. 69 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Biozid-VO stellen die Zulassungsinhaber sicher, dass das Etikett hinsichtlich der Risiken des (Biozid-)Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit nicht irreführend ist und keinesfalls Angaben wie "Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial", "ungiftig", "unschädlich", "natürlich", "umweltfreundlich", "tierfreundlich" oder ähnliche Hinweise enthält. Nach Art. 69 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Buchst. c Biozid-VO muss das Etikett außerdem deutlich lesbar und unverwischbar die dem Biozidprodukt von der zuständigen Behörde oder der Kommission zugeteilte Zulassungsnummer enthalten.
19bb) Das Berufungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil zwar die Biozideigenschaft des streitgegenständlichen Produkts im Sinn des Art. 3 Abs. 1 Buchst. a Biozid-VO geprüft. Seine Ausführungen sind bezogen auf den konkreten Fall aber unverständlich und lassen nicht erkennen, welche Überlegungen insoweit für die Entscheidung maßgebend waren.
20(1) Das Berufungsgericht hat angenommen, das streitgegenständliche Produkt der Beklagten unterfalle der Biozidverordnung. Es hat dafür aus seinem früheren Urteil zitiert, in dem es unter anderem darauf hingewiesen hatte, der Umstand, dass das Produkt auch einem anderen Zweck, nämlich der Zubereitung von Lebensmitteln, dienen könne ("Dual-Use-Produkt"), führe nicht zur Nichtanwendung oder einer Einschränkung der Anwendbarkeit der Biozidverordnung; die Bereichsausnahme für Biozidprodukte, die in den Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 über Lebensmittelhygiene (Lebensmittelhygieneverordnung) fielen, sei nicht einschlägig.
21(2) Diese Ausführungen haben keinen Bezug zu den konkreten Umständen des Streitfalls und lassen damit nicht erkennen, mit welcher Begründung das Berufungsgericht das angegriffene Produkt als Biozidprodukt qualifiziert hat. Während die Produkte, die in der früheren Entscheidung des Berufungsgerichts verfahrensgegenständlich waren, (auch) als Lebensmittel beworben wurden, die Flaschenform nach seinerzeitiger Auffassung des Berufungsgerichts aber für ein Reinigungsmittel und eine Bestimmung als Biozid sprach (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom - 6 U 128/22, juris Rn. 33 bis 38), geht es vorliegend nicht um eine Bewerbung des streitgegenständlichen Produkts (auch) als Lebensmittel. Die Beklagten machen vielmehr geltend, es handle sich bei ihrem Produkt um ein (auch entsprechend gekennzeichnetes) Reinigungsmittel, das nicht unter die Biozidverordnung falle, weil es nicht als Biozid, sondern "nur" als Reinigungsmittel bestimmt sei. Diese maßgeblichen Umstände des Streitfalls hat das Berufungsgericht nicht adressiert, was dadurch verdeutlicht wird, dass es die Bereichsausnahme für in den Geltungsbereich der Lebensmittelhygieneverordnung fallende Biozidprodukte gemäß Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. e Biozid-VO thematisiert hat, die im Streitfall nicht in Rede steht.
22cc) Auch zu den weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 69 Abs. 2 Unterabs. 1 Biozid-VO fehlt es an einer hinreichenden Begründung. Das Berufungsgericht hat aus seiner Annahme, bei dem Produkt der Beklagten handle es sich um ein Biozid, auf einen Verstoß gegen Art. 69 Abs. 2 Biozid-VO geschlossen, ohne die Voraussetzungen dieser Vorschrift zu prüfen.
23(1) Es fehlen Feststellungen dazu, ob die Beklagten Zulassungsinhaber im Sinn des Art. 3 Abs. 1 Buchst. p Biozid-VO und damit Normadressaten des Art. 69 Biozid-VO sind (vgl. , GRUR 2024, 1229 [juris Rn. 12] = WRP 2024, 1059 - Essigspray, mwN). Auf Feststellungen des Landgerichts kann insofern nicht zurückgegriffen werden. Das Berufungsgericht hat zwar gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen; auch das Landgericht hat zu der Passivlegitimation der Beklagten aber keine Feststellungen getroffen.
24(2) Soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, die Beklagten hätten gegen die nach Art. 69 Abs. 2 Biozid-VO bestehenden Kennzeichnungspflichten verstoßen, kann dies zwar den vom Tenor des Landgerichts Ziffer 1 b erfassten Verstoß gegen die Verpflichtung gemäß Art. 69 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Buchst. c Biozid-VO begründen, die Zulassungsnummer auf dem Etikett anzugeben. Das Berufungsurteil enthält aber keine Begründung dazu, weshalb die vom Landgericht ebenfalls verbotenen Angaben - "hochwirksame und gleichzeitig umweltfreundliche Mischung" und/oder "Naturhygiene" (Tenor Ziffer 1 a) - als dort ausdrücklich genannte Angaben oder als "ähnliche Hinweise" in den Verbotsbereich des Art. 69 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Biozid-VO fallen.
25b) Die Verurteilung der Beklagten nach dem Tenor des Landgerichts Ziffer 1 c und 1 d wegen Verstößen gegen Art. 72 Abs. 1 und 3 Biozid-VO hat das Berufungsgericht ebenfalls bestätigt, ohne dass es das Urteil insoweit mit Gründen versehen hat.
26aa) Nach Art. 72 Abs. 1 Biozid-VO ist jeder Werbung für Biozidprodukte folgender Hinweis hinzuzufügen: "Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformationen lesen." Diese Sätze müssen sich von der eigentlichen Werbung deutlich abheben und gut lesbar sein. Nach Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Biozid-VO darf in der Werbung für Biozidprodukte das Produkt nicht in einer Art und Weise dargestellt werden, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend ist. Die Werbung für ein Biozidprodukt darf nach Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO zudem auf keinen Fall die Angaben "Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial", "ungiftig", "unschädlich", "natürlich", "umweltfreundlich", "tierfreundlich" oder ähnliche Hinweise enthalten. Werbung ist nach der Legaldefinition in Art. 3 Abs. 1 Buchst. y Biozid-VO ein Mittel zur Förderung des Verkaufs oder der Verwendung von Biozidprodukten durch gedruckte, elektronische oder andere Medien.
27bb) Das Berufungsurteil enthält zu den Voraussetzungen eines Verstoßes gegen Art. 72 Abs. 1 und 3 Biozid-VO keine Begründung.
28Das Berufungsgericht spricht zunächst zwar davon, dass Gegenstand des Verfahrens das Angebot (Ziffer 1 a und 1 b) und das Bewerben (Ziffer 1 c und 1 d) sei. Nachfolgend weist es zu der von den Beklagten abgegebenen Abschlusserklärung jedoch darauf hin, dass diese sich auf das Werbeverbot der Biozidverordnung beziehe, die jetzt noch streitgegenständlichen Anträge aber Art. 69 Abs. 2 Biozid-VO beträfen. Danach ist das Berufungsgericht im Ergebnis offensichtlich davon ausgegangen, dass Ansprüche wegen einer Verletzung von Art. 72 Abs. 1 und 3 Biozid-VO nicht (mehr) streitgegenständlich seien. Mit Blick auf seine Entscheidung, die Verurteilung der Beklagten nach dem Tenor des Landgerichts Ziffer 1 c und 1 d dennoch zu bestätigen, ist das Urteil damit nicht nur in sich widersprüchlich, sondern lässt auch nicht erkennen, welche tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen für diese Entscheidung maßgebend waren.
29III. Danach ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
30IV. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
311. Das Berufungsgericht wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren erneut prüfen müssen, ob das von der Klägerin angegriffene Produkt der Beklagten in den Geltungsbereich der Biozidverordnung fällt.
32a) Das Berufungsgericht muss sich dabei mit den Umständen des Streitfalls und insbesondere mit dem Vortrag der Beklagten befassen, wonach das von der Klägerin beanstandete Produkt unter Berücksichtigung seiner Ausstattung und gemessen an der Zweckbestimmung nicht als Biozidprodukt, sondern als Reinigungsmittel zu qualifizieren sei, das entsprechend der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen (CLP-VO) gekennzeichnet gewesen sei.
33b) Die Biozidverordnung gilt nach Art. 2 Abs. 3 Buchst. m Biozid-VO allerdings unbeschadet der CLP-Verordnung, sofern - was hier nicht der Fall ist - in ihr oder in anderen Unionsvorschriften nicht ausdrücklich anders geregelt. Auch Art. 69 Abs. 1 Biozid-VO und Art. 72 Abs. 1 Biozid-VO schreiben explizit die parallele Anwendung von Biozidverordnung und CLP-Verordnung vor. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass das Produkt in den Geltungsbereich beider Verordnungen fällt (vgl. auch Erwägungsgrund 47 der CLP-Verordnung).
34c) Das Berufungsgericht hat bei seiner Würdigung, ob es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt um ein Biozid handelt, bislang außer Acht gelassen, dass nicht jedes Reinigungsmittel gleichzeitig auch ein Biozid ist. Für bloße Reinigungsmittel, die keine Biozidprodukte sind, ist der Anwendungsbereich der Biozidverordnung nicht eröffnet. Für eine Definition des Begriffs "Reinigung" kann auf Art. 2 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 648/2004 über Detergenzien zurückgegriffen werden. Danach bezeichnet der Ausdruck "Reinigung" das Verfahren, durch das eine unerwünschte Ablagerung von einem Substrat oder aus einem Substrat entfernt und in einen gelösten oder dispergierten Zustand gebracht wird. Diese Differenzierung zwischen (bloßen) Reinigungsmitteln und Biozidprodukten wird durch die Einführung in Anhang V "Hauptgruppe 1: Desinfektionsmittel" der Biozidverordnung bestätigt, wonach diese Produktarten keine Reinigungsmittel umfassen, bei denen eine biozide Wirkung nicht beabsichtigt ist.
35d) Das Berufungsgericht wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren eine Gesamtschau des Produkts und seiner Aufmachung vornehmen und prüfen müssen, ob sich daraus eine objektive, für den Verkehr erkennbare Zweckbestimmung gerade als Biozid (vgl. BGH, GRUR 2024, 1229 [juris Rn. 26] - Essigspray) - und nicht als bloßes Reinigungsmittel, bei dem keine biozide Wirkung beabsichtigt ist - ergibt.
36In diesem Zusammenhang muss sich das Berufungsgericht auch mit dem Einwand der Beklagten auseinandersetzen, die Abschlusserklärung bezüglich der Werbeaussage im Internet,
[a]ufgrund seiner natürlichen, aber starken Wirksamkeit - ohne chemische Rückstände - beseitigt H. Essigspray EXTRA STARK mit seiner neuen Rezeptur 99,99 % aller Bakterien, Schimmelpilze und speziellen Viren,
habe eine Zweckbestimmung als Biozid entfallen lassen.
2. Hält das Berufungsgericht den Anwendungsbereich der Biozidverordnung auch nach erneuter Prüfung für eröffnet, wird es die Voraussetzungen der geltend gemachten Unterlassungsansprüche der Klägerin als Mitbewerberin gemäß
§ 8
Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1,
wegen Verstößen gegen die Biozidverordnung erneut prüfen müssen.
a) Hinsichtlich der Verurteilung nach dem Tenor des landgerichtlichen Urteils Ziffer 1 b und 1 c weist der Senat darauf hin, dass sich ein Anspruch insoweit nicht aus § 3a UWG, sondern aus dem Vorenthalten einer wesentlichen Information gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 UWG in der bis zum geltenden Fassung (aF) sowie § 5a Abs. 1, § 5b Abs. 4 UWG in der ab dem geltenden Fassung (nF) in Verbindung mit Art. 69 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Buchst. c Biozid-VO und Art. 72 Abs. 1 Biozid-VO ergeben kann.
39aa) In Fällen der Verletzung einer Informationspflicht in Bezug auf kommerzielle Kommunikation ist die Unlauterkeit einer geschäftlichen Handlung allein nach § 5a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 UWG aF (§ 5a Abs. 1, § 5b Abs. 4 UWG nF) zu beurteilen (vgl. , GRUR 2024, 1449 [juris Rn. 21] = WRP 2024, 1345 - nikotinhaltige Liquids, mwN).
40bb) Das für die Verurteilung nach Ziffer 1 b des landgerichtlichen Tenors maßgebliche Gebot des Art. 69 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 Buchst. c Biozid-VO, die dem Biozidprodukt von der zuständigen Behörde oder der Kommission zugeteilte Zulassungsnummer auf dem Etikett deutlich lesbar und unverwischbar anzugeben, fällt in den Anwendungsbereich der Bestimmungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 UWG aF, § 5a Abs. 1, § 5b Abs. 4 UWG nF. Dasselbe gilt für das der Verurteilung nach Ziffer 1 c des landgerichtlichen Tenors zugrundeliegende Gebot des Art. 72 Abs. 1 Biozid-VO, jeder Werbung für Biozidprodukte den deutlich von der eigentlichen Werbung abgehobenen und gut lesbaren Hinweis "Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformationen lesen." hinzuzufügen.
41b) Für eine Bestätigung der Verurteilung nach dem Tenor des Landgerichts Ziffer 1 a und 1 b sind die Voraussetzungen des Art. 69 Abs. 2 Biozid-VO zu prüfen und muss insbesondere die Frage geklärt werden, ob die Beklagten Zulassungsinhaber und damit Normadressaten der Vorschrift sind. Ist das der Fall, wird sich das Berufungsgericht bei der Überprüfung des vom Landgericht ausgesprochenen Verbots eines Angebots des streitgegenständlichen Produkts mit den Angaben "hochwirksame und gleichzeitig umweltfreundliche Mischung" und/oder "Naturhygiene" (Tenor Ziffer 1 a) wegen eines Verstoßes gegen Art. 69 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Biozid-VO gegebenenfalls an der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Senats zu der Frage orientieren müssen, welche Angaben als "ähnliche Hinweise" vom Verbot des Art. 69 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Biozid-VO erfasst werden (zu Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO vgl. , GRUR 2024, 1226 = WRP 2024, 908 - dm-Drogerie Markt; , GRUR 2024, 1736 [juris Rn. 27 bis 31] = WRP 2024, 1484 - Hautfreundliches Desinfektionsmittel II; Urteil vom - I ZR 197/22, juris Rn. 30 bis 34 - Desinfektionsschaum).
42c) Für die Entscheidung über die Berufung gegen die Verurteilung nach dem Tenor Ziffer 1 c und 1 d muss das Berufungsgericht sich erstmals mit Art. 72 Abs. 1 und 3 Biozid-VO befassen. Was den geltend gemachten Verstoß gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO durch die Angabe "hygienisch sicher" (Tenor Ziffer 1 d) betrifft, wird auf die Ausführungen zu Art. 69 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 Biozid-VO verwiesen (oben Rn. 41).
433. Kommt das Berufungsgericht nach erneuter Prüfung zu dem Ergebnis, das Produkt der Beklagten falle nicht in den Anwendungsbereich der Biozidverordnung oder die Angabe "hygienisch sicher" stelle keinen "ähnlichen Hinweis" im Sinn des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO dar, wird es sich mit dem von der Klägerin (nur) wegen der beanstandeten Werbung mit der Angabe "hygienisch sicher" (Tenor Ziffer 1 d) neben dem Verstoß gegen die Biozidverordnung geltend gemachten Unterlassungsanspruch wegen einer lauterkeitsrechtlichen Irreführung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG in der bis zum geltenden Fassung (§ 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG in der seit dem geltenden Fassung) befassen müssen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:060225UIZR40.24.0
Fundstelle(n):
DAAAJ-85698