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BAG Urteil v. - 10 AZR 242/23

Sozialkassen des Baugewerbes - tariflicher Verzugszinsanspruch - Geltung VTV im Zinszeitraum - gesetzlicher Verzugszinsanspruch - Streitgegenstand

Instanzenzug: ArbG Wiesbaden Az: 10 Ca 16/22 SK Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 10 Sa 1629/22 SK Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen auf Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft.

2Der Kläger ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft verpflichtet. Der Kläger verlangt von dem nicht originär tarifgebundenen Beklagten zuletzt die Zahlung von Verzugszinsen in Höhe von 3.970,40 Euro für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum für Beiträge betreffend die Monate Dezember 2008 bis Juni 2010.

3In einem Vorprozess wurde der Beklagte durch Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom (- 10 Sa 7/19 SK -) rechtskräftig verurteilt, für die Monate Dezember 2008 bis Juni 2010 Sozialkassenbeiträge in Höhe von 76.389,44 Euro an den Kläger zu zahlen. Das Landesarbeitsgericht nahm dabei an, der Beklagte sei Arbeitgeber bulgarischer Staatsangehöriger gewesen, die in einem formal als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) organisierten Personenverbund baugewerbliche Leistungen ausgeführt hätten. Bereits zuvor war der Beklagte wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt vom Landgericht Mannheim mit Urteil vom zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden.

4Das Sozialkassenkonto des Beklagten wurde zum geschlossen, die - vermeintliche - GbR im Jahr 2014 im Gewerberegister gelöscht.

5Mit Mahnantrag vom , eingegangen am , hat der Kläger unter Bezugnahme auf eine Verzugszinsrechnung einen Betrag in Höhe von 17.465,58 Euro geltend gemacht. Der Mahnbescheid ist am erlassen und dem Beklagten am zugestellt worden. Berechnet hat der Kläger die Zinsforderungen gemäß „§ 20 Abs. 1 VTV in der bis Ende 2018 geltenden Fassung“. Das ist der Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom idF vom (VTV 2015).

6Zum Zeitpunkt des Entstehens der Hauptforderung galten der VTV vom idF vom (VTV 2007 II, Januar 2008 bis Dezember 2009) bzw. der VTV vom (VTV 2009, Januar 2010 bis Dezember 2011).

7Der Geltungsbereich ist im VTV 2007 II - ebenso wie in den nachfolgenden VTV - auszugsweise wie folgt geregelt:

8Der VTV 2007 II bestimmt darüber hinaus ua.:

9Der VTV 2009 sieht - ebenso wie der VTV vom idF vom (VTV 2011) und idF vom (VTV 2012) - in den §§ 21 und 23 identische Regelungen vor. Abweichend hiervon bestimmen der VTV vom (VTV 2013 I), der VTV vom idF vom (VTV 2013 II) und idF vom (VTV 2014) ebenso wie der VTV 2015 jeweils in § 20 Folgendes:

10Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Beklagte sei mangels Beitragszahlung verpflichtet, die geforderten Verzugszinsen auf Basis des VTV zu zahlen. Die geltend gemachten Zinsansprüche seien im Mahnantrag durch die Bezugnahme auf die übersandte Verzugszinsberechnung hinreichend individualisiert worden. Auch für Verzugszeiträume „nach Kontenschließung“ könnten Zinsen auf tariflicher Grundlage und in tariflicher Höhe verlangt werden. Die Verzugszinsansprüche knüpften unmittelbar an die Lage vor Kontenschließung, nicht aber an die fortbestehende Tarifunterworfenheit des Arbeitgebers an. Maßgeblich seien der Zeitpunkt der Entstehung der Beitragsansprüche und die in diesem Zeitpunkt vorhandene tarifliche Regelung. Allgemein lasse die Änderung von Umständen, die einen höheren Zinssatz begründeten, dessen Höhe bei weiter andauerndem Verzug unberührt, wie etwa im Fall des § 288 Abs. 2 BGB, wenn der Schuldner nach Eintritt des Verzugs vom Unternehmer zum Verbraucher werde, oder des § 352 HGB aF bei Verlust der Kaufmannseigenschaft nach Abschluss des Handelsgeschäfts. Im Übrigen komme auch eine Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG analog in Betracht. Mindestens stünden dem Kläger Zinsen in gesetzlicher Höhe zu. Insoweit handle es sich um denselben Streitgegenstand, dem Klageanspruch liege ein einheitlicher Lebenssachverhalt zugrunde.

11Der Kläger hat - nach teilweiser Klagerücknahme - zuletzt beantragt,

12Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, als Privatperson betreffe ihn der VTV nicht. Jedenfalls seien die geforderten Beträge verjährt. Seine „Firma“ habe er zum nicht geschlossen. Er habe alle Arbeitnehmer - unter anderer Firmierung - weiterbeschäftigt, weshalb die kürzere Verjährungsfrist nach § 21 Abs. 1 Satz 1 VTV vom (VTV 2018) Anwendung finde. Im Übrigen sei die Zinsforderung falsch berechnet. Ihn treffe auch kein Verschulden, denn das Urteil des Landesarbeitsgerichts sei erst im Jahr 2019 gefällt worden.

13Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagbegehren in gleichem Umfang wie zuletzt vor dem Landesarbeitsgericht weiter.

Gründe

14Die nur zum Teil zulässige Revision ist nicht begründet.

15I. Die Revision ist unzulässig, soweit der Kläger gesetzliche Verzugszinsen begehrt. Insoweit entspricht die Revisionsbegründung nicht den gesetzlichen Vorgaben.

161. Die Zulässigkeit der Revision setzt ua. voraus, dass sie ordnungsgemäß begründet ist. Dafür müssen gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Revisionsgründe angegeben werden. Bei Sachrügen sind diejenigen Umstände bestimmt zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO). Die Revisionsbegründung muss den angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung. Der Revisionsführer muss darlegen, warum er die Begründung des Berufungsgerichts für unrichtig hält. Allein die Darstellung anderer Rechtsansichten ohne jede Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung ebenso wenig wie die Wiedergabe des bisherigen Vorbringens. Es reicht auch nicht aus, wenn der Revisionsführer die tatsächlichen und/oder rechtlichen Würdigungen des Berufungsgerichts lediglich mit formelhaften Wendungen rügt ( - Rn. 11 mwN). Hat das Berufungsgericht seine Entscheidung auf zwei voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Revisionsbegründung beide Erwägungen angreifen. Andernfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig ( - Rn. 13 mwN). Sind mehrere Ansprüche Gegenstand des angefochtenen Urteils, müssen die Revisionsgründe für jeden von ihnen dargelegt werden. Das ist - ausnahmsweise - nur dann nicht erforderlich, wenn das Bestehen eines Anspruchs unmittelbar von dem Bestehen eines anderen abhängt, der seinerseits mit der Revision in zulässiger Weise angegriffen wird ( - zu A der Gründe, BGHZ 128, 156; vgl. auch  - Rn. 67). Diese Grundsätze gelten auch bei quantitativ abgrenzbaren Teilen eines einheitlichen Streitgegenstandes ( - zu A der Gründe).

172. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht, soweit der Kläger seinen Antrag auf die gesetzlichen Verzugszinsregelungen (§ 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 BGB) stützt.

18a) Anders als das Landesarbeitsgericht in seiner diesbezüglichen Hauptbegründung meint, ist vom Streitgegenstand, den der Kläger zur Entscheidung gestellt hat, auch der gesetzliche Zinsanspruch umfasst.

19aa) Der Kläger hat zwar erstmalig in der Revision ausdrücklich die Auffassung vertreten, dass ihm Verzugszinsansprüche auch nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 BGB zustünden. Aus § 308 Abs. 1 ZPO ergibt sich aber die Verpflichtung des Gerichts zu prüfen, ob die Klage nicht insoweit (teilweise) begründet ist, als sie auf eine nicht ausdrücklich geltend gemachte Anspruchsgrundlage gestützt werden kann. Das setzt voraus, dass es sich nicht um ein „aliud“ - und insoweit um einen anderen Streitgegenstand - handelt. Ob das der Fall ist, hängt von den konkreten Umständen und Ansprüchen sowie dem erkennbaren Begehren der klagenden Partei ab. Sie bestimmt den Streitgegenstand ( - Rn. 20 mwN). Nach dem zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff bestimmt sich der Gegenstand des Verfahrens durch den gestellten Antrag (Klageantrag) und dem ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund). Der Lebenssachverhalt umfasst das ganze, dem Klageantrag zugrunde liegende tatsächliche Geschehen, das bei natürlicher, vom Standpunkt der Parteien ausgehender Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehört oder gehört hätte (st. Rspr., zB  - Rn. 24 mwN).

20bb) Hiervon ausgehend handelt es sich bei dem Anspruch auf gesetzliche Verzugszinsen im Zusammenhang mit einem vorrangig verfolgten Anspruch auf tarifliche Verzugszinsen nach dem VTV um einen einheitlichen Streitgegenstand. Wird ein tariflicher Zinsanspruch geltend gemacht, begehrt der Kläger typischerweise mindestens gesetzliche Zinsen, und der vorgetragene Lebenssachverhalt beinhaltet alle Tatbestandsvoraussetzungen auch für einen solchen Anspruch (vgl. zum Verhältnis gesetzlicher Mindestlohnanspruch - vertragliche Vergütung  - Rn. 19, BAGE 165, 205).

21(1) Der Kläger hat von Beginn des Verfahrens an Zinsen wegen Verzugs mit Beitragsforderungen begehrt und zu den Umständen des Verzugs vorgetragen. Zinsen wegen Verzugs in der gesetzlich vorgesehenen Höhe stehen dem Gläubiger ebenfalls zu, sobald Verzug mit einer Geldschuld (vgl. §§ 288, 286 BGB) - hier die Beitragsforderungen - gegeben ist. Die Höhe von Verzugszinsen ist gesetzlich in § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB festgelegt und für den Schuldner anhand der Hauptforderung hinreichend berechenbar. Es handelt sich um einen pauschalierten Mindestschaden ( - Rn. 34 mwN, BAGE 175, 182), mit dessen Geltendmachen jeder Schuldner üblicherweise zu rechnen hat. Somit konnte auch der Beklagte seine Verteidigung hierauf einstellen.

22(2) Auch setzt der gesetzliche Verzugszinsanspruch nicht mehr voraus als der tarifliche Verzugszinsanspruch. Beide fordern den Verzug mit einer Geldschuld, im Fall des tariflichen Anspruchs darüberhinausgehend die Geltung des VTV und den Verzug mit einer Beitragsschuld nach dem VTV (vgl. zB § 20 VTV 2015). Auf Basis des für den tariflichen Verzugszinsanspruch vorgetragenen Sachverhalts kann auch über den gesetzlichen Verzugszinsanspruch entschieden werden. Es sind - anders als im umgekehrten Fall - keine weitergehenden Umstände darzulegen.

23(3) Aus der Klagebegründung sind zudem keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Kläger seine Forderung nicht auch auf die gesetzliche Anspruchsgrundlage für Zinsen stützen bzw. - soweit der gesetzliche Zinsanspruch im Streitzeitraum niedriger war - nicht mindestens diesen vom Beklagten erlangen wollte.

24b) Das Landesarbeitsgericht hat in Bezug auf den gesetzlichen Verzugszinsanspruch vorrangig angenommen, es handle sich um einen anderen Streitgegenstand als bei den Verzugszinsen auf tariflicher Grundlage, der nicht anhängig sei. Es hat über diesen Anspruch aber - trotz einer etwas unklaren Ausdrucksweise - im Rahmen einer Hilfs- bzw. Alternativbegründung entschieden. Es nimmt insoweit an, dass sich am Ergebnis - nämlich der Zurückweisung der Berufung gegen das klagabweisende Urteil des Arbeitsgerichts - nichts ändere, wenn man einen einheitlichen Streitgegenstand annähme. Es fehle nämlich - was näher ausgeführt wird - an einer hinreichend bestimmten Darlegung des gesetzlichen Verzugszinsanspruchs bis zum Ablauf des Kalenderjahres 2021. Deshalb wäre ein Anspruch auf Verzugszinsen in Höhe der gesetzlichen Zinsen verjährt.

25c) Mit dieser Argumentation des Landesarbeitsgerichts hat sich der Kläger nicht hinreichend auseinandergesetzt, so dass die Revision insoweit unzulässig ist. Der Kläger geht in seiner Revision zwar argumentativ auf die Frage ein, ob ein oder zwei Streitgegenstände gegeben sind und meint - zu Recht -, es liege ein einheitlicher Streitgegenstand vor. Die Revision des Klägers setzt sich aber nicht mit der weiteren - alternativen - Begründung des Landesarbeitsgerichts auseinander, wonach gesetzliche Zinsansprüche auch bei Annahme eines einheitlichen Streitgegenstands jedenfalls verjährt seien. Allein der Hinweis, das Gericht habe die Zinsen selbst berechnen können, genügt nicht. Es fehlt an einem Angriff gegen das Argument des Landesarbeitsgerichts, der Anspruch sei bis zum Ende des Kalenderjahres 2021 nicht hinreichend bestimmt dargelegt worden. Der Kläger führt auch nicht etwa aus, dass und warum eine solche Darlegung des Anspruchs bis Ende 2021 nicht erforderlich gewesen wäre.

26II. Soweit die Revision zulässig ist, ist sie unbegründet. Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum Januar bis Mai 2018 keinen Anspruch auf die Zahlung von tariflichen Verzugszinsen und zwar weder unmittelbar noch nachwirkend aus dem VTV 2007 II bzw. VTV 2009, den VTV 2011 und 2012, den VTV 2013 I, 2013 II und 2014 oder dem VTV 2015. Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es für Ansprüche auf tarifliche Verzugszinsen nicht darauf an, welcher Tarifvertrag im Zeitpunkt der Entstehung des Hauptanspruchs galt, sondern auf den im Verzugszeitraum maßgeblichen Tarifvertrag. Im Anspruchszeitraum unterfiel der Beklagte jedoch nicht den VTV.

271. Grundsätzlich ist es den Tarifvertragsparteien unbenommen, einen eigenständigen tariflichen Verzugszinsanspruch festzulegen, der auch höher als der gesetzliche Verzugszinssatz sein darf. § 288 Abs. 1 BGB ist insoweit dispositiv (vgl.  - Rn. 41, BAGE 167, 361). Von dieser Dispositionsbefugnis haben die Tarifvertragsparteien der VTV Gebrauch gemacht. Dabei zeigt die Historie der tariflichen Verzugszinsregelungen, dass sie keine dauerhafte Festschreibung eines Verzugszinssatzes vorgenommen, sondern diesen unterschiedlich hoch ausgestaltet haben. So wird etwa in den VTV 2007 II und 2009 und den VTV 2011 und 2012 hinsichtlich der Höhe auf den gesetzlichen Verzugszinssatz verwiesen. In den VTV 2013 I, 2013 II, 2014 und 2015 ist hingegen jeweils ein Zinssatz in Höhe von 1,0 vH der Beitragsforderung für jeden angefangenen Monat des Verzugs festgelegt und im VTV 2018 nunmehr in Höhe von 0,9 vH der Beitragsforderung.

282. Mit Blick auf zeitlich aufeinanderfolgende Tarifverträge gilt grundsätzlich das Ablösungsprinzip, dh. die neuen tariflichen Regelungen lösen die alten tariflichen Regelungen ab (st. Rspr., vgl. zB  - Rn. 37 mwN). Etwas anderes kann gelten, wenn die Tarifvertragsparteien in Übergangsbestimmungen selbst abweichende Regelungen treffen, wie beispielsweise im Hinblick auf die Verfallfristen in § 21 Abs. 1 Satz 2 VTV 2018 erfolgt (vgl. dazu  - Rn. 44). Mit der Ablösung des Tarifvertrags endet nach § 5 Abs. 5 Satz 3 TVG auch dessen Allgemeinverbindlichkeit (vgl.  - Rn. 27, BAGE 120, 84; - 9 AZR 41/05 - Rn. 20, BAGE 116, 366). Gleiches gilt nach den Bestimmungen des SokaSiG; auch insoweit war die Rechtsnormerstreckung auf die Zeit bis zur Beendigung des jeweiligen Tarifvertrags begrenzt ( - Rn. 47).

293. Mit der Regelung über den betrieblichen Geltungsbereich eines Tarifvertrags wird nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG eine Voraussetzung für dessen normative Wirkung festgelegt (vgl.  - Rn. 24 ff., BAGE 165, 100; zum persönlichen Geltungsbereich als Anspruchsvoraussetzung  - Rn. 26, BAGE 151, 235). Im Fall nicht tarifgebundener Arbeitgeber erfolgt eine Erstreckung im Weg der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE), die mit Einschränkungen versehen sein kann. Fällt ein Arbeitgeber nicht unter den originären bzw. ggf. durch AVE eingeschränkt erstreckten betrieblichen Geltungsbereich der Sozialkassentarifverträge, gelten diese nicht und Ansprüche aus diesen können nicht entstehen. Gleiches gilt, wenn ein Betrieb aus dem betrieblichen Geltungsbereich der VTV durch Änderung der Tätigkeit herauswächst (vgl. zB  -) oder der Betrieb aufgegeben wird; ab diesem Zeitpunkt können tarifliche Ansprüche grundsätzlich nicht mehr entstehen (vgl.  - zu I 2 a der Gründe, BAGE 78, 155). Jedenfalls für den Außenseiterarbeitgeber, der vorher kraft AVE (oder aufgrund des SokaSiG) an den Sozialkassentarifvertrag gebunden war, enden dann die laufenden Rechtsbeziehungen zur gemeinsamen Einrichtung. Eine Nachbindung nach § 3 Abs. 3 TVG oder eine Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG) findet nach der Rechtsprechung des Dritten und des Neunten Senats, der sich der erkennende Senat anschließt, in einem solchen Fall nicht statt; auch eine analoge Anwendung dieser Normen scheidet aus (vgl.  - zu B I 3 der Gründe; - 9 AZR 66/91 - zu I 2 der Gründe, aaO; - 9 AZR 89/93 - zu III 1 d der Gründe, BAGE 77, 70; - 3 AZR 586/92 - zu I 2 c der Gründe mwN).

304. Dem Kläger steht nach diesen Grundsätzen kein Anspruch auf einen tariflichen Verzugszins zu.

31a) Ein solcher ergibt sich nicht aus § 24 VTV 2007 II bzw. § 23 VTV 2009. Die Normen sehen vor, dass im Fall des Zahlungsverzugs mit Sozialkassenbeiträgen die zuständige Kasse Anspruch auf Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe hat. Die der Zinsforderung zugrunde liegenden, rechtskräftig ausgeurteilten Beitragsforderungen stammen auch aus der Zeit von Dezember 2008 bis Juni 2010. In diesem Zeitraum galten der VTV 2007 II (§ 7 Abs. 8 iVm. der Anlage 33 SokaSiG) bzw. der VTV 2009 (§ 7 Abs. 7 iVm. der Anlage 32 SokaSiG). Das führt aber nicht dazu, dass sich die Verzugszinsansprüche auf die rückständigen Beitragsforderungen statisch und dauerhaft nach § 24 VTV 2007 II bzw. § 23 VTV 2009 richten. Maßgeblich ist nicht der Zeitpunkt der Entstehung der Beitragsforderung, sondern der Zeitpunkt der Entstehung der Verzugszinsforderung und somit der Verzugszinszeitraum, hier Januar bis Mai 2018 (vgl. bereits  - Rn. 30). Für diesen Zeitraum bedurfte es einer Anspruchsgrundlage für die Zinsforderung. Als solche können weder der VTV 2007 II noch der VTV 2009 herangezogen werden, da diese nicht mehr galten, sondern der VTV 2007 II durch den VTV 2009 und dieser durch den VTV 2011 (§ 7 Abs. 6 iVm. der Anlage 31 SokaSiG) zum abgelöst worden war.

32aa) Im Zeitpunkt der Entstehung der Beitragsforderungen (Dezember 2008 bis Juni 2010) unterfiel der Beklagte dem räumlichen und seine Arbeitnehmer dem persönlichen Geltungsbereich des VTV 2007 II bzw. 2009 (jeweils § 1 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1). Auch der betriebliche Geltungsbereich (§ 1 Abs. 2 VTV 2007 II bzw. 2009) war eröffnet. In dem Vorprozess der Parteien vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht über die Beitragspflicht des Beklagten (- 10 Sa 7/19 SK -) ist dies für den Zeitraum Dezember 2008 bis Juni 2010 angenommen worden. Zwar handelte es sich hierbei im Vorprozess nur um eine Vorfrage, so dass keine entsprechende Feststellung in Rechtskraft erwachsen ist (vgl.  - Rn. 44 mwN, BAGE 167, 196). Für den hiesigen Rechtsstreit kann allerdings ebenfalls von der Eröffnung des betrieblichen Geltungsbereichs ausgegangen werden. Der Kläger hat unter Verweis auf den Vorprozess behauptet, dass der Beklagte bis Ende 2013 einen Baubetrieb geführt habe. Zudem ist unstreitig, dass damals baugewerbliche Leistungen ausgeführt worden waren. Der Beklagte hat die Eröffnung des betrieblichen Geltungsbereichs ebenfalls nicht bestritten, sondern nur gemeint, er als „Privatperson“ könne nicht in Anspruch genommen werden.

33bb) Der Beklagte befand sich im Anspruchszeitraum auch in Verzug mit der Beitragsschuld.

34(1) Der Beklagte schuldet dem Kläger Sozialkassenbeiträge für den Zeitraum Dezember 2008 bis Juni 2010. Diese Ansprüche sind dem Kläger rechtskräftig in Höhe von 76.389,44 Euro zugesprochen worden (Hessisches Landesarbeitsgericht - 10 Sa 7/19 SK -). Damit ist eine Beitragsschuld präjudizierend festgestellt (vgl.  - Rn. 50 mwN, BAGE 167, 196).

35(2) Der Beklagte war mit der Beitragszahlung im Anspruchszeitraum - 1. Januar bis  - schuldhaft in Verzug, was nach § 286 BGB zu beurteilen ist ( - Rn. 17 mwN).

36(a) Die vorliegend relevanten Beiträge für die Monate Dezember 2008 bis Juni 2010 wurden nach § 22 Abs. 1 Satz 1 VTV 2007 II bzw. nach § 21 Abs. 1 Satz 1 VTV 2009 jeweils am 15. des Folgemonats fällig. Damit liegt eine kalendermäßige Bestimmung des Termins für die Leistung vor. Eine Mahnung war nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB entbehrlich. Verzug trat jeweils ab dem Folgetag der Fälligkeit ein (vgl.  - Rn. 58 mwN, BAGE 167, 196).

37(b) Der Beklagte unterließ schuldhaft, die fälligen Beiträge zu leisten. Insbesondere ist ein Verschulden nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Beklagte annehmen durfte, nicht zur Leistung von Beiträgen verpflichtet zu sein, solange er nicht rechtskräftig verurteilt war.

38(aa) An einen unverschuldeten Rechtsirrtum sind strenge Anforderungen zu stellen. Ein Rechtsirrtum ist nur dann entschuldigt, wenn der Irrende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte. Der Schuldner muss die Rechtslage sorgfältig prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten ( - Rn. 63 mwN, BAGE 167, 196). Ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (vgl.  - Rn. 21 mwN, BAGE 175, 182).

39(bb) Hiernach liegt kein entschuldbarer Rechtsirrtum vor. Der Beklagte konnte und durfte im Verzugszeitraum nicht davon ausgehen, nicht der Beitragspflicht der Sozialkassen des Baugewerbes zu unterliegen, auch wenn das Landesarbeitsgericht erst am (- 10 Sa 7/19 SK -) - nachfolgend rechtskräftig - entschieden hat, dass der Beklagte unter den Geltungsbereich des VTV fiel und Sozialkassenbeiträge abzuführen hatte. Er durfte bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht darauf vertrauen, dass die Gerichte seine Auffassung teilen würden, die von ihm gewählte „GbR-Konstruktion“ würde ein Unterfallen unter den Geltungsbereich mangels Arbeitgeberstellung seiner Person verhindern.

40cc) Ein Anspruch aus dem VTV 2007 II bzw. 2009 setzt allerdings auch voraus, dass diese Tarifverträge im Anspruchszeitraum noch galten. Denn maßgeblich für den Anspruch auf Verzugszinsen ist nicht der Zeitpunkt der Entstehung der Beitragsforderungen, auf die Zinsen begehrt werden, sondern der Zeitraum der Entstehung des Verzugs, für den Zinsen begehrt werden (vgl. bereits  - Rn. 30). Für diesen Zeitraum bedarf es einer Anspruchsgrundlage.

41(1) Zinsen sind zwar akzessorisch zur Hauptforderung (vgl.  (B) - zu III 1 a der Gründe, BAGE 93, 168). Hierauf besteht so lange ein Anspruch, wie die Hauptforderung - hier die Beitragsschuld - noch besteht. Der tarifliche Anspruch auf Verzugszinsen hat aber eigene Tatbestandsvoraussetzungen (schuldhafte Nichtleistung der Beitragsforderung trotz Fälligkeit, § 24 VTV 2007 II bzw. § 23 VTV 2009). Er entsteht nicht bereits mit der dem Verzugszinsanspruch zugrunde liegenden Hauptforderung, sondern erst, wenn sämtliche Voraussetzungen des Verzugstatbestands erfüllt sind. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Tarifnorm, der an den gesetzlichen Begriff des Verzugs (§ 286 BGB) anknüpft. Mit dem Verzug liegt ein Dauertatbestand vor, der erst endet, wenn die Hauptforderung erfüllt ist. Mit jedem weiteren Tag der Nichtleistung verlängert sich der Zeitraum, für den Zinsen wegen Verzugs mit der Erfüllung der Beitragsschuld gefordert werden können. Denn das verzugsauslösende Moment ist das Unterlassen der Schuldbegleichung, hier der Beitragszahlung. In Abhängigkeit hierzu entsteht der Verzug täglich neu, Verzugszinsansprüche wachsen sukzessive weiter an. Die Zinsansprüche für den streitgegenständlichen Zeitraum (Januar bis Mai 2018) sind danach erst im Jahr 2018 entstanden und nicht bereits mit Fälligkeit der Beitragsschuld.

42(2) Im Jahr 2018 waren der VTV 2007 II bzw. 2009 - wie dargelegt (Rn. 31) - durch nachfolgende Sozialkassentarifverträge abgelöst worden und galten nicht mehr. Damit kann der Kläger hieraus keine tariflichen Ansprüche für den Anspruchszeitraum mehr herleiten. Die ablösenden Tarifverträge enthalten auch keine (Übergangs-)Bestimmungen, die eine Fortgeltung der Zinsbestimmungen aus diesen VTV anordnen würden.

43(3) Soweit der Kläger unter Verweis auf § 288 Abs. 2 BGB und § 352 HGB aF meint, dass nach allgemeinen Grundsätzen die Änderung von Umständen, die einen höheren Verzugszinssatz begründeten, dessen Höhe bei weiter andauerndem Verzug unberührt lasse, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Sowohl beim Verlust der Kaufmannseigenschaft nach Abschluss des Handelsgeschäfts (§ 352 HGB aF; vgl. dazu zB Oetker/Pamp HGB 8. Aufl. § 352 Rn. 9; Heymann HGB 2. Aufl. § 352 Rn. 15) als auch in dem Fall, dass der Schuldner nach Eintritt des Verzugs vom Unternehmer zum Verbraucher wird (§ 288 Abs. 2 BGB), ist die Rechtslage nicht mit der vorliegenden vergleichbar. Beide Normen knüpfen an eine Eigenschaft zum Zeitpunkt des der Zinsforderung zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts an und bestimmen für diesen Fall einen höheren Zinssatz. Der Charakter eines Rechtsgeschäfts ändert sich nicht dadurch, dass ein Vertragspartner später die Kaufmannseigenschaft verliert oder Verbraucher wird und nicht mehr Unternehmer ist. Ein Zinsanspruch nach diesen Normen kann aber in einem späteren Verzugszeitraum ebenfalls nur bestehen, solange die Norm gilt bzw. entsprechende Übergangsregelungen dies anordnen (vgl. zB zur Änderung der gesetzlichen Zinsbestimmungen Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3, § 5 Satz 1 EGBGB; vgl. dazu auch  - Rn. 11 f., BAGE 122, 168).

44b) Ebenso wenig kann sich ein Zinsanspruch aus § 23 VTV 2011 ergeben. Dieser Tarifvertrag ist mit Wirkung zum durch den VTV 2012 (§ 7 Abs. 5 iVm. der Anlage 30 SokaSiG) abgelöst worden, ohne dass dort hinsichtlich des Zinsanspruchs Übergangsbestimmungen enthalten waren. Gleiches gilt hinsichtlich des Zinsanspruchs aus § 23 VTV 2012, der mit Wirkung zum durch den VTV 2013 I (§ 7 Abs. 4 iVm. der Anlage 29 SokaSiG) abgelöst wurde.

45c) Kein unmittelbarer oder nachwirkender Anspruch auf die tariflichen Verzugszinsen für den Streitzeitraum kann sich auch aus Normen des VTV 2013 I ergeben.

46aa) § 20 VTV 2013 I sieht einen Anspruch auf tarifliche Verzugszinsen in Höhe von einem Prozent pro Monat vor. Für den VTV 2013 I gilt allerdings ebenfalls, dass dieser im Anspruchszeitraum der Verzugszinsen (Januar bis Mai 2018) bereits abgelöst war und zwar mit Wirkung ab dem durch den VTV 2013 II (§ 7 Abs. 3 iVm. der Anlage 28 SokaSiG).

47bb) An diesem Ergebnis ändert der Umstand, dass der Beklagte dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV 2013 I nur bis zum unterfiel und von dem ablösenden VTV 2013 II wegen Aufgabe des Betriebs nicht mehr erfasst war, nichts. Hieraus ergibt sich - entgegen der Auffassung des Klägers - keine „Fortwirkung“ der Zinsregelung in § 20 VTV 2013 I.

48(1) Dass der Beklagte im Kalenderjahr 2014 noch einen Baubetrieb unterhielt und damit dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV 2013 II unterfiel, hat der hierfür darlegungs- und beweisbelastete Kläger (st. Rspr., zB  - Rn. 22 mwN) nicht behauptet. Vielmehr hat er vorgetragen, dass das Sozialkassenkonto des Beklagten bereits zum geschlossen worden war und eine Abmeldung im Gewerberegister im Jahr 2014 erfolgt sei. Den - sowieso unkonkreten - Vortrag des Beklagten, er habe „die Firma“ - unter anderem Namen - fortgeführt, hat der Kläger sich nicht zu eigen gemacht.

49(2) Unterfiel der Beklagte ab dem wegen Betriebsaufgabe nicht mehr dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV, können ab diesem Zeitpunkt tarifliche Ansprüche gegen ihn oder von ihm gegen die Sozialkassen grundsätzlich nicht mehr entstehen. Eine Nachbindung nach § 3 Abs. 3 TVG oder eine Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG) findet in einem solchen Fall nicht statt; auch eine analoge Anwendung dieser Normen scheidet aus (Rn. 29). Zu den tariflich geregelten Ansprüchen, für die der Geltungsbereich eröffnet sein muss, gehört auch der Anspruch auf die tariflichen Zinsen nach § 20 Abs. 1 VTV 2013 I (vgl.  - Rn. 30 f.; - 10 AZR 195/06 - Rn. 13, 15, BAGE 122, 168). Für die vom Kläger erwogene Annahme einer isolierten Fortwirkung gerade der Zinsbestimmung eines VTV gibt es keine Grundlage.

50d) Ein Zinsanspruch im Streitzeitraum aus dem VTV 2013 II scheitert sowohl daran, dass dieser mit Wirkung zum durch den VTV 2014 abgelöst worden ist, als auch daran, dass der Beklagte seit dem nicht mehr dem betrieblichen Geltungsbereich der VTV unterfiel. Gleiches gilt hinsichtlich des VTV 2014, der mit Wirkung zum durch den VTV 2015 abgelöst worden ist.

51e) Der Kläger hat schließlich - wovon das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgegangen ist - auch keinen Anspruch auf die begehrten Zinsen nach § 20 Abs. 1 VTV 2015, der im streitigen Verzugszeitraum für allgemeinverbindlich erklärt war (AVE vom , BAnz. AT B4). Die Pflicht des Arbeitgebers zur Zinszahlung in der vom Kläger geltend gemachten tariflich festgelegten Höhe von 1,0 vH der Beitragsforderung für jeden angefangenen Monat des Verzugs folgt zwar grundsätzlich aus § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. I bis V iVm. § 20 Abs. 1 VTV 2015 (vgl.  - Rn. 12 ff.). Voraussetzung ist aber die Tarifgeltung für den säumigen Arbeitgeber, insbesondere also auch das Unterfallen unter dessen betrieblichen Geltungsbereich (§ 1 Abs. 2 VTV 2015). Hieran fehlt es - wie dargelegt - bereits seit dem .

52III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:041224.U.10AZR242.23.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-85697