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BVerwG Urteil v. - 11 A 16/23

Tatbestand

1Der Kläger wendet sich gegen die Planfeststellung einer Höchstspannungsfreileitung.

2Der Planfeststellungsbeschluss vom genehmigt die Errichtung und den Betrieb einer 380 kV-Höchstspannungsfreileitung im Abschnitt "Garrel_Ost - Cappeln_West". Die Leitung ist Abschnitt 3 des als Nr. 6 in den Bundesbedarfsplan aufgenommenen Vorhabens "Höchstspannungsleitung Conneforde - Landkreis Cloppenburg - Merzen/Neuenkirchen; Drehstrom, Nennspannung 380 kV".

3Der Kläger ist Landwirt. In seinem Eigentum steht ein von ihm bewirtschaftetes Grundstück (Gemarkung ..., ..., ...), das durch die geplante Leitung zwischen den Masten 40 und 41 überspannt wird. Der Kläger hat Bedenken gegen das Vorhaben insbesondere im Hinblick auf die Immissionsbelastung seines Grundstücks und bevorzugt ein Erdkabel anstelle einer Freileitung.

4Der Kläger beantragt,

den Planfeststellungsbeschluss der Beklagten vom für die Errichtung und den Betrieb der 380-kV-Leitung Conneforde - Landkreis Cloppenburg - Merzen/Neuenkirchen, Planfeststellungsabschnitt 3: Umspannwerk Garrel_Ost - Umspannwerk Cappeln_West aufzuheben,

hilfsweise,

den Planfeststellungsbeschluss für rechtswidrig und nicht vollziehbar zu erklären.

5Die Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,

die Klage abzuweisen.

6Sie verteidigen den Planfeststellungsbeschluss.

Gründe

7Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO, § 6 Satz 1 BBPlG i. V. m. Nr. 6 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BBPlG für die Entscheidung über die Klage zuständig.

8Die Klage ist unbegründet. Der Kläger kann weder die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses noch die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit verlangen. Der Planfeststellungsbeschluss verletzt ihn nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

91. Weil das Grundstück des Klägers mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung in Anspruch genommen wird (§ 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 EnWG), hat er einen aus Art. 14 Abs. 3 GG abgeleiteten Anspruch auf gerichtliche Überprüfung der objektiven Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses (sog. Vollüberprüfungsanspruch), soweit der geltend gemachte Fehler für die Inanspruchnahme seines Grundstücks kausal ist (stRspr, vgl. 9 A 64.07 - BVerwGE 134, 308 Rn. 24 und vom - 4 A 10.21 - UPR 2023, 495 Rn. 12). Die Prüfung ist allerdings auf den Prozessstoff beschränkt, den der Kläger durch die binnen der Frist nach § 6 Satz 1 UmwRG eingegangene Klagebegründung vom bestimmt hat (vgl. 11 A 6.23 - NVwZ 2024, 1508 Rn. 10 m. w. N.). Das fristgerechte Vorbringen muss den Anforderungen des § 67 Abs. 4 VwGO genügen, also aus sich heraus hinreichend verständlich sein, den Gegenstand der Rüge deutlich machen und rechtlich einordnen (vgl. 4 A 14.19 - BVerwGE 173, 132 Rn. 47 und vom - 7 A 11.23 - juris Rn. 47).

102. Der Planfeststellungsbeschluss geht zutreffend davon aus, dass der Kläger bei der Bewirtschaftung des Grundstücks keinen schädlichen Umwelteinwirkungen durch unzumutbare elektrische, magnetische und elektromagnetische Felder ausgesetzt ist (§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 BImSchG; PFB S. 168 f., S. 254).

11Die Anforderungen zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen und zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch elektrische, magnetische und elektromagnetische Felder werden durch die Verordnung über elektromagnetische Felder (26. BImSchV) konkretisiert ( 4 A 5.18 - NVwZ-RR 2019, 944 Rn. 87). Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 der 26. BImSchV gelten die Grenzwerte für Niederfrequenzanlagen nach dem Anhang 1a der 26. BImSchV nur an Orten, die zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt sind. Letzteres ist bei dem landwirtschaftlich genutzten, im Außenbereich gelegenen Grundstück des Klägers nicht der Fall. Die Grenzwerte des Anhangs 1a der 26. BImSchV, die beispielsweise für Wohngebäude gelten (elektrische Feldstärke: 5 kV/m; magnetische Flussdichte nach § 3 Abs. 2 Satz 1 der 26. BImSchV: 100 µT), finden also keine Anwendung. Gleichwohl hat die Beigeladene ihre Einhaltung geprüft. Danach werden die Werte auf dem Grundstück des Klägers unterschritten (Anlage 8 zum Immissionsbericht vom , Anlage 11 des Planfeststellungsbeschlusses). Nach den Erläuterungen der Beigeladenen werden im Spannfeld zwischen den Masten 40 und 41 höchstens 4,8 kV/m (elektrische Feldstärke) und 43,4 µT (magnetische Flussdichte) erreicht. Bedenken gegen die Richtigkeit der Berechnungen sind weder dargetan noch ersichtlich.

12Entsprechendes gilt für Lärmimmissionen. Weil sich auf dem Grundstück des Klägers kein schutzbedürftiger Raum befindet, finden die Richtwerte von 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts (vgl. Nr. 6.6 i. V. m. Nr. 6.1 Abs. 1 Buchst. d TA Lärm) keine Anwendung. Hiervon unabhängig hat die Beigeladene die Einhaltung dieser Richtwerte überprüft und ist zum Ergebnis gelangt, dass sie unterschritten werden. Nach ihren Erläuterungen zur Anlage 8 des Immissionsberichts vom wird als Höchstwert unmittelbar unter der Leitung ein Schalldruckpegel von 44,4 dB(A) erreicht. Gegen diese Berechnung sind Einwände nicht erhoben oder ersichtlich.

133. Der Kläger zeigt keine Abwägungsfehler auf.

14Nach § 43 Abs. 3 Satz 1 EnWG sind bei der Planfeststellung die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Das Abwägungsgebot verlangt, dass - erstens - eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass - zweitens - in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge eingestellt werden muss, und dass - drittens - weder die Bedeutung der öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die zur Planung ermächtigte Stelle in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (stRspr, vgl. 4 C 21.74 - BVerwGE 48, 56 <63 f.> und vom - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 73).

15a) Die Beklagte hat fehlerfrei davon abgesehen, die Planfeststellung abzulehnen und sich damit für die Nullvariante zu entscheiden. Die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und der vordringliche Bedarf zur Gewährleistung eines sicheren und zuverlässigen Netzbetriebs sind für Vorhaben der Anlage zu § 1 Abs. 1 BBPlG gesetzlich festgestellt. Diese Feststellungen sind nach § 12e Abs. 4 Satz 2 EnWG für die Planfeststellung nach den §§ 43 bis 43d EnWG verbindlich. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Bedarfsfeststellung den ihm insoweit eingeräumten weiten Gestaltungs- und Prognosespielraum ( 4 A 14.19 - BVerwGE 173, 132 Rn. 29) überschritten haben könnte, sind nicht erkennbar.

16b) Ohne Erfolg rügt der Kläger eine unzureichende Berücksichtigung seiner privaten Belange.

17Die Beklagte hat die Betroffenheit seines Grundstücks erkannt. Der Grunderwerbsplan regelt die Inanspruchnahme des Grundstücks hinreichend bestimmt (Anlage 14.1 <Grunderwerbsverzeichnis>, S. 7: ..., ...). Der Lage- und Grunderwerbsplan (Anlage 7.1, Blatt 22) ist zwar im Gegensatz zu dem von dem Kläger als Anlage K1 zur Klagebegründung vorgelegten Eigentümerlageplan nicht genordet, er lässt aber keine Zweifel an der räumlichen Verortung des Vorhabens auf dem Grundstück.

18Die Rüge des Klägers, das Grundstück sei nicht mehr landwirtschaftlich nutzbar, genügt nicht den Anforderungen an die Substantiierung von Prozessvortrag gemäß § 6 Satz 1 UmwRG i. V. m. § 67 Abs. 4 VwGO. Der Planfeststellungsbeschluss hat die Einwände des Klägers - zusammen mit weiteren, parallel gelagerten Einwendungen - zurückgewiesen (vgl. PFB S. 442) und die landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsnachteile des Vorhabens aus allgemeiner Perspektive behandelt (PFB S. 252 ff. und S. 298). Mit diesen Erwägungen setzt die Klagebegründung sich nicht auseinander.

19c) Ohne Fehler hat der Planfeststellungsbeschluss von einer Führung der Leitung als Erdkabel im Bereich des Grundstücks des Klägers abgesehen.

20Das Vorhaben ist in der Anlage zu § 1 Abs. 1 BBPlG unter der Nr. 6 mit einem "F" gekennzeichnet. Es kann deshalb - als Vorhaben zur Höchstspannungs-Drehstrom-Übertragung - gemäß § 2 Abs. 6 BBPlG als Pilotprojekt nach Maßgabe des § 4 BBPlG als Erdkabel errichtet und betrieben werden. Unter den Voraussetzungen von § 4 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. Satz 1 BBPlG kann die Planfeststellungsbehörde die Führung als Erdkabel von der Vorhabenträgerin verlangen. Davon hat die Beklagte im Bereich des Grundstücks des Klägers keinen Gebrauch gemacht, sondern die Voraussetzungen für ein Erdkabel, insbesondere nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BBPlG, verneint. Nach dieser Vorschrift kann im Falle des Neubaus eine Höchstspannungs-Drehstrom-Übertragungsleitung eines Vorhabens nach § 4 Abs. 1 BBPlG auf technisch und wirtschaftlich effizienten Teilabschnitten als Erdkabel errichtet und betrieben oder geändert werden, wenn die Leitung in einem Abstand von weniger als 200 Metern zu Wohngebäuden errichtet werden soll, die im Außenbereich im Sinne des § 35 des Baugesetzbuchs liegen.

21Der Planfeststellungsbeschluss nimmt fehlerfrei an, dass der Bereich zwischen den Gebäuden ... und ... nicht die Voraussetzungen für eine solche Engstelle erfüllt. Der Abstand zwischen der Trassenmitte und dem nächstgelegenen Punkt der Außenwände beider Wohngebäude beträgt nach dem Lage- und Grunderwerbsplan (Anlage 7.1, Blatt 22, Maßstab: 1:2 000) jeweils mehr als 200 m. Gegen die Richtigkeit der im Plan verzeichneten Abstände sind keine Einwände erhoben oder ersichtlich.

22Zu Recht ist die Beklagte bei der Bemessung des Abstands von der Trassenmitte - und nicht z. B. von dem äußeren Leiterseil - ausgegangen (PFB S. 307). Maßgeblich für die Ermittlung von Engstellen im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BBPlG ist der Abstand der Trassenmitte vom nächstgelegenen Punkt der Außenwand des jeweiligen Wohngebäudes (vgl. zu § 2 Abs. 2 Satz 1 EnLAG: 4 A 2.16 u. a. - DVBl. 2017, 1039 Rn. 41 und vom - 4 A 16.16 - NVwZ-RR 2017, 768 Rn. 95). Der Senat sieht keinen Anlass zu einer Korrektur oder Abweichung von der Rechtsprechung zu § 2 Abs. 2 EnLAG, an der sich die behördliche Praxis orientiert hat.

23Auf die Maßgeblichkeit der Trassenmitte, also deren Aufpunkt auf der Erdoberfläche, deutet schon der systematische Zusammenhang von § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BBPlG und § 4 Abs. 1 BBPlG hin: Als "die Leitung" betrachtet das Gesetz in § 4 Abs. 1 BBPlG nicht ein einzelnes Leiterseil, sondern das Vorhaben als solches, welches unter den in § 4 Abs. 2 BBPlG normierten Voraussetzungen "als Erdkabel" errichtet werden kann. Dass die Trassenmitte der maßgebliche Bezugspunkt für die Abstandsberechnung ist, bestätigt ferner der Entstehungszusammenhang der Regelung. Die Abstandsvorgaben von 400 m bzw. 200 m sind an § 2 Abs. 2 EnLAG angelehnt (vgl. BT-Drs. 18/6909, S. 4), bei dessen Erlass das raumplanerische Abstandsgebot des Landes-Raumordnungsprogramms Niedersachsen 2008 (LROP 2008) Orientierung bot, das seinerseits von der Trassenmitte ausging (vgl. LROP 2008, Erläuterungen zu Abschnitt 4.2, Ziffer 07, Sätze 6 bis 8). Im Übrigen hat auch der Gesetzgeber die Rechtsprechung des 4. Senats des Bundesverwaltungsgerichts nicht zum Anlass genommen, von dieser abweichend einen anderen Bezugspunkt als die Trassenmitte zu bestimmen. Entgegen der Annahme des Klägers ist ein größerer Abstand auch nicht aus Gründen des Gesundheitsschutzes geboten. Denn der von den Abstandsregelungen bezweckte Schutz tritt neben den fachrechtlich schon durch das Immissionsschutzrecht normierten Gesundheitsschutz ( 4 A 15.20 - NVwZ 2023, 678 Rn. 22). Er richtet sich vor allem gegen visuelle Belastungen des Wohnumfelds (vgl. 11 VR 2.23 - NVwZ 2024, 684 Rn. 17).

24d) Die Beklagte hat sich ohne Fehler gegen eine Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung entschieden. Von einer Gleichstromübertragung durfte sie ohne Weiteres absehen, weil in Nr. 6 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BBPlG gesetzlich der Bedarf für das Vorhaben als Drehstromleitung festgestellt wurde.

25e) Die Rüge, der Planfeststellungsbeschluss berücksichtige verschiedene Maßgaben aus der landesplanerischen Feststellung vom unzureichend, genügt nicht den Anforderungen des § 6 Satz 1 UmwRG i. V. m. § 67 Abs. 4 VwGO. Die Klagebegründung setzt sich nicht damit auseinander, dass der Planfeststellungsbeschluss eine Engstellenbetrachtung (Maßgabe 6) sowie eine Minimierungsprüfung in Bezug auf Geräuschimmissionen (Maßgabe 8) durchgeführt hat und die Trassenplanung darauf ausgerichtet war, eine Inanspruchnahme landwirtschaftlich genutzter Flächen auf das erforderliche Maß zu beschränken (Maßgabe 15). Dass die Berücksichtigung dieser Maßgaben nicht zu der von dem Kläger gewünschten Führung der Leitung als Erdkabel geführt hat, begründet keinen Abwägungsfehler.

26Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:021024U11A16.23.0

Fundstelle(n):
PAAAJ-85616