Instanzenzug: Truppendienstgericht Nord Az: N 9 VL 27/23 Urteil
Tatbestand
1Das Verfahren betrifft die Ahndung einer Fahnenflucht, eines öffentlichen Erweisens des Hitlergrußes und einer nationalsozialistischen Grußformel.
21. Der ledige und kinderlose Soldat wurde ... in ... geboren und ... eingebürgert. Nach dem Realschulabschluss leistete er eineinhalb Jahre Wehrdienst und absolvierte eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Sodann besuchte er eine Fachhochschule ohne Abschluss. Nach Verkaufstätigkeiten und einem Aufenthalt in ... trat er 2017 wieder in die Bundeswehr ein und wurde Zeitsoldat. Zuletzt wurde er 2020 zum Oberfeldwebel befördert. Er gehörte bis Ende Oktober 2021 der ... in M. an. Dort sollte er zum Feldwebel für das militärische Nachrichtenwesen ausgebildet werden. Mangels Sicherheitsüberprüfung wurde er zum November 2021 zur ... in M. auf den Dienstposten eines Stabsdienstfeldwebels versetzt. Seit Ende Oktober 2022 ist er vorläufig des Dienstes enthoben. Seine Dienstzeitverpflichtung endet im Januar ...
32. In der letzten planmäßigen Beurteilung vom erzielte der Soldat einen Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung von 6,40. Er habe eine Art "Rossnatur" und sei stets bereit, freiwillig Aufträge zu übernehmen, auch wenn sie mit außerordentlichen persönlichen Härten verbunden seien. Er sei wie ein Bergsee: ruhig, klar und gelassen. Mangels abgeschlossener Ausbildung und wegen der fehlenden Sicherheitsüberprüfung, die er jeweils nicht zu verantworten habe, werde er als "Mann für alle Fälle" verwendet. Es zeichne sich ab, dass mit ihm ein ausgezeichneter Stabsarbeiter heranwachse. Bei weiterer Entwicklung bestehe die echte Chance, einen Berufssoldaten zu gewinnen. Die Entwicklungsprognose lautete "bis zur allgemeinen Laufbahnperspektive".
4Ein Antrag des Soldaten auf Übernahme als Berufssoldat wurde im September 2021 abgelehnt.
5Sein früherer Disziplinarvorgesetzter Hauptmann L. erklärte in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung, der Soldat sei in der ... als Stabsdienstfeldwebel überfordert gewesen. Anfangs habe er sehr engagiert geschienen und sei vom Schirrmeister unterstützt worden. Dann habe er grobe Wiederholungsfehler gemacht. Seine Leistungen lägen deutlichst unter denen der anderen Portepees. Sein Ziel, Berufssoldat zu werden, sei unerreichbar. Die Kameraden, die viel Zeit investiert hätten, um ihn anzulernen, seien "mit dem Latein am Ende gewesen". Der Soldat sei dann in der ... für Unterstützungstätigkeiten eingesetzt worden. Dort habe alles "super funktioniert".
6In einer Sonderbeurteilung vom erhielt der Soldat in der Eignungs- und in der Befähigungsbeurteilung in allen Kategorien ein "nicht geeignet", in der Leistungsbeurteilung in den bewerteten Einzelmerkmalen teilweise "erfüllt die Leistungserwartungen überwiegend" und teilweise "erfüllt die Leistungserwartungen nicht". Er sei nicht belastbar, als Organisationsfeldwebel nach kurzer Zeit überfordert gewesen, habe zu keinem Zeitpunkt die Mindestanforderungen für seinen Dienstposten erfüllt und sei für keinen Soldaten ein Vorbild in Aufgaben- und Pflichterfüllung. Das Gesamturteil lautete "G 0".
73. In den sachgleichen Strafverfahren wurden gegen den Soldaten mit Strafbefehlen vom wegen Fahnenflucht und vom wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen Geldstrafen verhängt. In weiteren Strafverfahren erhielt der Soldat 2005 wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung und vorsätzlicher Körperverletzung eine Anweisung zur Erbringung von Arbeitsleistungen, 2006 wegen vorsätzlicher gemeinschaftlicher Körperverletzung eine Ermahnung, 2009 wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung eine Auflage zur Erbringung von Arbeitsleistungen, 2010 wegen fahrlässiger Körperverletzung eine Geldauflage nebst einmonatigem Fahrverbot, 2011 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine Geldstrafe, 2012 wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung eine siebenmonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung, 2022 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr eine Geldstrafe und 2024 wegen Sachbeschädigung eine Geldstrafe.
84. Das Truppendienstgericht hat den Soldaten mit Urteil vom in den Dienstgrad eines Hauptgefreiten herabgesetzt.
9Es sei erwiesen, dass der Soldat am entgegen dem befohlenen Dienstplan ungenehmigt nicht zum Dienst erschienen sei, sondern ihm bis zur Rückführung durch die Feldjäger am ferngeblieben sei, wobei er beabsichtigt habe, sich dauerhaft dem Wehrdienst zu entziehen und dadurch die Beendigung seines Dienstverhältnisses zu erreichen.
10Ebenso stehe fest, dass der Soldat am nach dem Aussteigen aus einem Bundeswehrfahrzeug am Bahnhof U. im Beisein zweier Kameraden sowie wenigstens zehn Zivilisten vor dem Bahnhof den Hitlergruß ausgeführt und sich von seinen Kameraden mit den Worten "Heil Hitler, jetzt kann ich es ja sagen" verabschiedet habe. Er habe auf diese Weise den Anschein erweckt, als Angehöriger der Streitkräfte nicht auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu stehen.
11Der Soldat habe seine Taten damit begründet, dass er aus psychischen Gründen in M. keinen Dienst mehr habe leisten können. Er habe in M. im Februar 2021 von einer zivilen russischen Person "einen auf den Kopf bekommen" und sich nicht mehr sicher gefühlt. In der ... sei er dienstlich unzufrieden gewesen. Er habe Herzrasen und Schlafstörungen gehabt, wenn er nach dem Wochenende dorthin habe fahren müssen. Seine Fahnenflucht beruhe auf einem Burnout. Eigentlich habe er bis zu einer von ihm beantragten Versetzung krankgeschrieben werden wollen. Die Ärzte an standortfremden Sanitätszentren hätten ihn aber immer zum Truppenarzt nach M. geschickt. Er sei daraufhin aus Verzweiflung und Ratlosigkeit dem Dienst ferngeblieben. Er habe keine Entlassung beabsichtigt, sondern nur nicht mehr nach M. gewollt. Sein Traumberuf sei Berufssoldat. Zu den Vorfällen am Bahnhof sei es gekommen, weil er nach seiner Vernehmung vom selben Tag gedacht habe, er sei jetzt "raus", und weil er nicht mehr nach M. gewollt habe.
12Nach den Feststellungen der Kammer sei dem Soldaten "Honig um den Bart geschmiert" worden, um seine Zustimmung zu der mangels Sicherheitsüberprüfung erforderlichen, ausbildungsgemäßen Versetzung als Stabsdienstfeldwebel an die ... zu erhalten, obwohl er wenig geeignet geschienen habe. Der dortige Disziplinarvorgesetzte Hauptmann L. habe die Zuversetzung noch zu verhindern versucht. Laut Hauptmann L. hätten sich dessen Befürchtungen bewahrheitet. Der Soldat habe keinen guten Stand bei den Kameraden gehabt und sich gemobbt gefühlt. Man habe ihn daher Hilfstätigkeiten in der ... ausüben lassen. Der Soldat habe nicht verstanden, weshalb er Mannschaftstätigkeiten verrichten solle, und im daher gestellten Versetzungsantrag angegeben, bundesweit einsetzbar zu sein, "eben nur nicht in M.".
13Die dienstliche Überforderung des Soldaten gepaart mit dem Gefühl, sich in M. nicht mehr sicher bewegen zu können, sowie eine von ihm als ungerecht empfundene, wegen eines Verstoßes gegen einen Befehl und COVID-19-Schutzvorschriften im April 2021 verhängte Disziplinarbuße für die Teilnahme an der Zusammenkunft, bei der er den Schlag auf den Kopf erlitten habe, hätten ihn zunehmend resignierter erscheinen lassen und zu andauernden Krankschreibungen geführt.
14Flottillenarzt M., Truppenarzt in M., habe in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung erläutert, dass beim Soldaten im Februar 2020 eine Verhaltensstörung aufgrund einer Spiel- und Alkoholsucht und später eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund des Angriffs in M. diagnostiziert worden seien. Infolge des Angriffs sei der Antrieb des Soldaten gemindert gewesen. Die Schlafstörungen und Panikattacken, mit denen er sich beim Truppenarzt vorgestellt habe, seien möglicherweise auf den Dienstort M. zurückzuführen. Zwar sei es dem Soldaten nicht zuzumuten gewesen, sich im Sanitätsversorgungszentrum M. krankschreiben zu lassen, er hätte sich aber telefonisch bei seinem Disziplinarvorgesetzten melden können. Sinngemäß habe Flottillenarzt M. erklärt, dass die Panikattacken eine Dienstunfähigkeit begründet hätten, die durch eine Therapie hätte behoben werden können.
15Hauptmann L. habe erstinstanzlich ausgesagt, dass in Absprache mit ihm ärztlicherseits eine Wiedervorstellung immer wieder in M. habe erfolgen sollen, um den Soldaten zu sehen und den Genesungsprozess zu begleiten. Dies habe der Soldat nicht nachvollziehen können, habe er doch beim Versuch standortfremder Krankmeldungen stets gesagt, dass er nicht nach M. könne.
16Schließlich habe sich der Soldat entschlossen, ab dem ohne Krankenstatus nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, und habe am an Hauptmann L. gemailt:
"[...] Alles in mir wehrt sich nach M. zu fahren und mein Körper und Psyche rebellieren dagegen [...] dass ich es einfach aussitze und sehe, was passiert, mit dem Risiko von den Feldjägern abgeholt zu werden, in Knast zu gehen und danach entlassen zu werden [...] Warum kann ich nicht so lange Dienstunfähig geschrieben werden solange meine Versetzung durch ist [...] Warum werd ich immer nur eine Woche krank geschrieben, muss mich um alles selbst kümmern [...] und immer wieder in M. auftauchen soll was mich immer kränker macht und sich wie Schikane anfühlt ... Bitte haben Sie Verständnis dass ich niemanden zu nahe treten will und einfach nur entweder endgültig raus aus der Bundeswehr will weil mir zu viel Schlechtes dort passiert ist oder einfach nur versetzt werden möchte um neu anzufangen [...]".
17Am habe der Soldat an Hauptmann L. gemailt:
"[...] Jetzt wurde ich heute von den Feldjägern mitgenommen und bin in H. in Gewahrsam [...] hiermit beantrage ich die sofortige Kündigung aus dem Soldatenverhältnis auf Grund des Traumaerlebnisses, des Burnouts und weil ich keine Waffe mehr in die Hand nehmen kann [...]."
18In der Folge sei der Soldat eine Woche lang krankgeschrieben und am in seiner Einheit vernommen worden. Auf seinen Wunsch hin sei er danach zum Bahnhof U. gebracht worden, wo es zu den festgestellten Vorfällen gekommen sei. Der Zeuge Oberfeldwebel H., der den Soldaten morgens "gut restalkoholisiert" zuhause abgeholt und ihn nach der Vernehmung zum Bahnhof gefahren habe, habe ausgesagt, dass der Soldat in das Auto zu ihm und zum Oberstabsgefreiten G. lächelnd "Heil Hitler" gesagt habe. Das Bundeswehrfahrzeug sei als solches erkennbar und der Bahnhofsvorplatz gut besucht gewesen.
19Durch seine Fahnenflucht habe der Soldat vorsätzlich gegen die Pflicht zum treuen Dienen verstoßen, durch die Missachtung des Dienstplans gegen die Gehorsamspflicht. Er habe sich zum Fernbleiben entschlossen, obwohl ihm mindestens eine Kontaktaufnahme zum Disziplinarvorgesetzten und das Aufsuchen eines Sanitätsversorgungszentrums außerhalb von M. zumutbar gewesen wären. Durch den Hitlergruß habe der Soldat vorsätzlich die Verfassungstreuepflicht verletzt. Wer sich in der Öffentlichkeit nationalsozialistischer Symbolik bediene, begründe den Anschein, nicht hinter dem Staat des Grundgesetzes zu stehen. Darüber hinaus habe der Soldat mit allen Taten gegen die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verstoßen.
20Für die Fahnenflucht sei Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Höchstmaßnahme. Erschwerend hinzu trete der Hitlergruß, der bereits isoliert eine Dienstgradherabsetzung indiziere, wenn - wie hier - keine nationalsozialistische Gesinnung zugrunde liege.
21Dennoch sei von der Höchstmaßnahme abzusehen. Zwar sei der Soldat nicht vermindert schuldfähig gewesen. Auch sei seine Situation nicht so außergewöhnlich gewesen, dass ein rechtstreues Verhalten nicht habe erwartet werden können. Mildernd zu berücksichtigen sei aber die vom Soldaten als überlastend empfundene Lebensphase. Der Soldat sei unverschuldet auf einen Dienstposten in der ... versetzt worden, bei dem klar gewesen sei, dass er ihm nicht gewachsen sei. Dort habe er sich gemobbt gefühlt. Von dem Dienstposten sei er mit der Begründung genommen worden, dass er in der ... weiter ausgebildet werde. Dort seien ihm indes Mannschaftsaufgaben übertragen worden. Er habe sich abgeschoben gefühlt. Zeitgleich sei sein Traum, Berufssoldat zu werden, geplatzt. Hinzu komme der im Februar 2021 erlittene Kopfschlag. Der Soldat sei in "alte Verhaltensmuster" zurückgefallen, habe Alkohol konsumiert und den falschen Entschluss gefasst, einen "Schlussstrich" zu ziehen, d. h. nicht auf die Bescheidung seines Versetzungsantrags zu warten, sondern dem Dienst fernzubleiben, bis er entlassen oder - erpressend - sein Antrag schneller bearbeitet werde. Insgesamt sei sein Verhalten wesensfremd.
225. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft macht mit ihrer maßnahmebeschränkten Berufung geltend, von der für die Fahnenflucht als Regelmaßnahme anzusetzenden Höchstmaßnahme sei nicht abzuweichen. Der Soldat sei sich der Unzulässigkeit seines Verhaltens bewusst gewesen. Er habe klar zum Ausdruck gebracht, dass er durch sein unerlaubtes Fernbleiben entweder eine Entlassung oder eine schnellere Versetzung habe erzwingen wollen. An Fürsorge habe es nicht gefehlt. Nachdem mit Unterstützung der Vorgesetzten und Kameraden erst versucht worden sei, dem Soldaten bei den Aufgaben eines Stabsdienstfeldwebels zu helfen, sei seiner Überforderung dadurch begegnet worden, dass ihm Aufgaben übertragen worden seien, denen er gewachsen gewesen sei. Vielmehr lägen Erschwernisgründe vor. Der Soldat habe in einer Vorgesetztenstellung versagt. Sein Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht sei unzureichend gewürdigt worden. Er habe die gesamte Truppe dem Verdacht ausgesetzt, dass dort nationalsozialistisches Gedankengut vorhanden und derartige Verhaltensweisen dort gängig seien. Erschwerend zu berücksichtigen sei schließlich, dass der Soldat vorläufig des Dienstes enthoben worden sei.
236. Die Bundeswehrdisziplinaranwaltschaft hält aus denselben Gründen die Höchstmaßnahme für angemessen.
247. Hinsichtlich der Einzelheiten zur Person des Soldaten und zur Begründung des erstinstanzlichen Urteils wird auf dieses verwiesen. Zu den im Berufungsverfahren eingeführten Unterlagen wird auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung Bezug genommen.
Gründe
25Die zulässige Berufung ist begründet. Der Soldat ist aus dem Dienstverhältnis zu entfernen.
261. Aufgrund der verfahrensfehlerfreien Tat- und Schuldfeststellungen des Truppendienstgerichts steht für den Senat bindend fest, dass der Soldat sich in tatsächlicher Hinsicht wie vom Truppendienstgericht festgestellt verhalten und mit seiner Fahnenflucht vorsätzlich seine Pflichten zum treuen Dienen (§ 7 SG), zum Gehorsam (§ 11 SG) und zum innerdienstlichen Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) und mit seinem Verhalten am Bahnhof vorsätzlich, aber ohne nationalsozialistische Gesinnung seine Pflichten zur Verfassungstreue (§ 8 SG) und zum innerdienstlichen Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) verletzt hat.
27Denn bei einer - wie hier - auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung hat der Senat seiner Entscheidung gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 327 StPO grundsätzlich die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts zugrunde zu legen und auf dieser Grundlage über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden. Der Prozessstoff wird somit nicht mehr von der Anschuldigungsschrift, sondern allein von den Tat- und Schuldfeststellungen im angefochtenen Urteil bestimmt (vgl. 2 WD 3.22 - juris Rn. 18). Dabei erfasst die Bindungswirkung auch die konkreten Straftatbestände, aus denen das Truppendienstgericht einen strafrechtlich begründeten Verstoß gegen § 7 SG abgeleitet hat (vgl. 2 WD 11.21 - juris Rn. 30).
28Etwas anderes gilt nur, wenn die erstinstanzliche Entscheidung an schweren Mängeln des Verfahrens im Sinne von § 120 Abs. 1 Nr. 2, § 121 Abs. 2 WDO leidet. Dazu zählen unzureichende oder widersprüchliche Feststellungen zur Tat- und Schuldfrage. Denn Voraussetzung für die Entscheidung über die angemessene Disziplinarmaßnahme im Berufungsverfahren ist, dass die durch die Beschränkung der Berufung unangreifbar gewordenen Tat- und Schuldfeststellungen hinreichend nachvollziehbar, in sich schlüssig und widerspruchsfrei sind ( 2 WD 3.19 - juris Rn. 12 m. w. N.).
29Letzteres ist hier der Fall. Dies gilt insbesondere für die im Zentrum der Würdigung stehende Annahme des Truppendienstgerichts, der Soldat habe die Pflicht zum treuen Dienen durch eine Fahnenflucht verletzt. Eine Fahnenflucht liegt nach § 16 Abs. 1 WStG vor, wenn ein Soldat eigenmächtig seine Truppe oder Dienststelle verlässt oder ihr fernbleibt, um die Beendigung des Wehrdienstverhältnisses zu erreichen. Unerheblich ist, ob er die Truppe oder Dienststelle bereits mit Fahnenfluchtabsicht verlassen oder diese Absicht erst später gefasst und ob er sie vor Beendigung der Abwesenheit wieder aufgegeben hat (vgl. Lingens/Korte, Wehrstrafgesetz, 6. Aufl. 2023, § 16 Rn. 14). Das Truppendienstgericht hat die Annahme einer Fahnenflucht auf den Strafbefehl vom gestützt, mit welchem dem Soldaten vorgeworfen wurde, eigenmächtig die Truppe oder seine Dienststelle verlassen zu haben oder ihr ferngeblieben zu sein, um die Beendigung seines Wehrdienstverhältnisses zu erreichen. Diesen Strafbefehl hat der Soldat nicht angefochten. Er steht auch im Einklang mit den im Strafbefehl angeführten Beweismitteln, insbesondere mit den im unmittelbaren zeitlichen Kontext zur unerlaubten Abwesenheit abgegebenen Erklärungen des Soldaten in seiner Vernehmung am und in seinen E-Mails vom 13. und .
302. Bei Art und Maß der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Dabei legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde, das hier zur Verhängung der Höchstmaßnahme führt. Diese besteht gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 5, § 63 WDO in der Entfernung aus dem Dienstverhältnis.
31a) Auf der ersten Stufe bestimmt der Senat zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Der Schwerpunkt des gemäß § 18 Abs. 2 WDO einheitlich zu ahndenden Dienstvergehens liegt in der Fahnenflucht, bei der regelmäßig die Höchstmaßnahme angezeigt ist (vgl. 2 WD 3.21 - juris Rn. 17 m. w. N.). Denn mit einer Fahnenflucht verstößt ein Soldat auf das Schwerste gegen die Pflicht zum treuen Dienen (vgl. BT-Drs. 2/3040 S. 27). Die Bundeswehr kann ihre Aufgaben nur erfüllen, wenn nicht nur das innere Gefüge der Streitkräfte so gestaltet ist, dass sie ihren militärischen Aufgaben gewachsen ist, sondern auch ihre Angehörigen im erforderlichen Maße jederzeit präsent und einsatzbereit sind. Der Dienstherr muss sich darauf verlassen können, dass jeder Soldat seinen Pflichten zur Verwirklichung des Verfassungsauftrags der Bundeswehr nachkommt und alles unterlässt, was dessen konkreter Wahrnehmung zuwiderläuft. Dazu gehören insbesondere die Pflichten zur Anwesenheit und gewissenhaften Dienstleistung. Die Verletzung der Pflicht zur militärischen Dienstleistung berührt nicht nur die Einsatzbereitschaft der Truppe, sie erschüttert auch die Grundlagen des Dienstverhältnisses selbst (vgl. 2 WD 6.21 - juris Rn. 32 m. w. N.).
32b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die ein Abweichen von der Regelmaßnahme gebieten. Da Milderungsgründe umso gewichtiger sein müssen, je schwerer ein Dienstvergehen wiegt (vgl. 2 WD 23.20 - BVerwGE 173, 352 Rn. 29 m. w. N.), und sie deshalb vor allem bei einer grundsätzlich verwirkten Höchstmaßnahme von hohem Gewicht sein müssen ( 2 WD 15.11 - juris Rn. 43), ist hier kein Abweichen von der Höchstmaßnahme geboten.
33aa) Das Dienstvergehen wiegt äußerst schwer.
34(1) Denn der Soldat hat gleich mehrere Kernpflichten in gravierender Weise verletzt. Sein Verstoß gegen die Pflicht zum treuen Dienen wird dadurch erschwert, dass er im Zuge der Fahnenflucht, die nach § 16 Abs. 1 WStG ohne Rücksicht auf die tatsächliche Dauer der Abwesenheit strafbar ist (vgl. BT-Drs. 2/3040 S. 27), 13 Tage lang eigenmächtig abwesend war. Dabei verstieß er - was bei einer Fahnenflucht nicht regelmäßig der Fall ist - zudem gegen die Gehorsamspflicht als weitere zentrale Dienstpflicht. Fehlt die Bereitschaft zum Gehorsam, kann die Funktionsfähigkeit einer Armee gelähmt oder jedenfalls in Frage gestellt werden (vgl. 2 WD 6.94 - BVerwGE 103, 143 <143 f.>). Hinzu tritt die Verfassungstreuepflichtverletzung durch das öffentliche Erweisen des Hitlergrußes auf dem Bahnhofsvorplatz vor dem mit zwei Kameraden einschließlich eines Mannschaftssoldaten besetzten Bundeswehrfahrzeug. Damit erzeugte der Soldat nicht nur den irrigen Eindruck einer hohen Identifikation mit verfassungsfeindlichem Gedankengut. Sein Verhalten war wegen der auf dem Bahnhofsvorplatz anwesenden Zivilisten auch geeignet, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, dass derartige Verhaltensweisen in der Bundeswehr gängig seien. Das öffentliche Erweisen des Hitlergrußes ist schon bei isolierter Betrachtung im Regelfall mit einer Dienstgradherabsetzung zu ahnden (vgl. 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 LS 2 und Rn. 46 m. w. N.). Erschwerend hinzu kommt schließlich die weitere Verfassungstreuepflichtverletzung durch die Äußerung "Heil Hitler, jetzt kann ich es ja sagen!" gegenüber den Kameraden im Bundeswehrfahrzeug, die diesen gegenüber den Eindruck einer hohen Identifikation des Soldaten mit verfassungsfeindlichem Gedankengut verstärkte.
35(2) Bei allen Taten versagte der Soldat wegen seines Dienstgrads als Oberfeldwebel in einer Vorgesetztenstellung (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV), die ihn nach § 10 SG zu vorbildlicher Pflichterfüllung verpflichtete, was das Gewicht des Dienstvergehens erhöht (vgl. 2 WD 7.20 - NVwZ-RR 2021, 770 Rn. 40 m. w. N.).
36(3) Das Dienstvergehen hatte darüber hinaus nachteilige Auswirkungen für den Dienstherrn. Denn der Soldat ist deshalb seit mehr als zwei Jahren vorläufig des Dienstes enthoben. Eine vorläufige Dienstenthebung ist zu Lasten eines Soldaten zu gewichten, wenn er sie durch sein Verhalten verursacht hat, dem Bund dadurch ein erheblicher finanzieller Schaden entstanden ist und die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung (dazu 2 WDB 2.20 - NZWehrr 2021, 121 <126>) keinen durchgreifenden Zweifeln unterliegt (vgl. 2 WDB 14.20 - juris Rn. 12). Diese Voraussetzungen liegen vor. Denn ein Anordnungsgrund nach § 126 Abs. 1 WDO ist regelmäßig gegeben, wenn - wie hier - mindestens eine Dienstgradherabsetzung im Raum steht und der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde (vgl. 2 WDB 5.20 - juris Rn. 24 m. w. N.). Durch die vorläufige Dienstenthebung steht die Arbeitskraft des Soldaten dem Dienstherrn trotz hälftiger Fortzahlung der Bezüge seit gut zwei Jahren nicht zur Verfügung.
37(4) Gegen den Soldaten spricht des Weiteren seine aus dem Zentralregisterauszug ersichtliche wiederholte Straffälligkeit, wobei er die letzten vier der insgesamt zehn verzeichneten Straftaten als Zeitsoldat beging.
38(5) Besonders schwer wiegt, dass sich das Dienstvergehen ereignete, nachdem gegen den Soldaten im April 2021 bereits eine Disziplinarbuße und im Juni 2022 wegen der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr eine Geldstrafe verhängt worden waren, die Taten am Bahnhof unmittelbar nach seiner Anhörung zur Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens wegen seiner Fahnenflucht stattfanden und der Soldat nur vier Monate nach der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens mit der Sachbeschädigung erneut eine Straftat beging. Dies zeigt, dass er selbst unter dem Eindruck von Strafen, einer Disziplinarmaßnahme und eines laufenden gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht gewillt ist, sich rechtstreu zu verhalten.
39bb) Die für den Soldaten sprechenden Umstände sind nicht so gewichtig, dass von der bereits allein durch die Fahnenflucht indizierten Höchstmaßnahme unter Berücksichtigung der aufgezeigten Erschwernisgründe abgewichen werden kann.
40(1) Seiner Geständigkeit kommt wegen der eindeutigen Beweislage kein großes Gewicht zu.
41(2) Zwar befand er sich zur Tatzeit in einer von ihm als belastend empfundenen Lebenssituation. Er hielt es am Dienstort M. nicht mehr aus. Gut eineinhalb Jahre vor dem Dienstvergehen verpasste ihm eine russische Zivilperson in M. einen Kopfschlag, der zu erheblichen Verletzungen führte, für die er eine Schmerzensgeldzahlung erhielt. Fortan fühlte er sich in M. unsicher. Wegen der gegen ihn verhängten Disziplinarbuße für den Verstoß gegen COVID-19-Schutzvorschriften und die Befehlslage bei der Zusammenkunft, bei der er den Kopfschlag erlitt, fühlte er sich zudem nicht ausreichend als Opfer gesehen. Hinzu kam eine zunehmende Dienstunzufriedenheit. Sein Antrag auf Übernahme als Berufssoldat wurde abgelehnt. Seine Ausbildung zum Feldwebel im militärischen Nachrichtenwesen scheiterte an der fehlenden Sicherheitsüberprüfung. Er stimmte in der Hoffnung, Karriere zu machen, einer Versetzung zur ... in M. zu, wo er als Stabsdienstfeldwebel überfordert war, weshalb ihm Mannschaftsdienstaufgaben in der ... zugewiesen wurden. Schließlich beantragte er wenige Monate vor dem Dienstvergehen seine Versetzung, zu der es nicht mehr kam. Diese Umstände führten zu wiederholten Krankschreibungen des Soldaten. Ausweislich seiner Gesundheitsakte litt er insbesondere an Schlafstörungen, Angstzuständen, Panikattacken und Magen-Darm-Problemen. Der Truppenarzt Flottillenarzt M. hat erstinstanzlich ausgesagt, dass der Soldat zuletzt am Dienstort M. dienstunfähig gewesen sei. Dies ist mildernd zu berücksichtigen.
42(3) Diese Gesichtspunkte begründen aber keinen Milderungsgrund in den Umständen der Tat mit dem Gewicht eines klassischen Milderungsgrundes. Dies wäre anzunehmen, wenn die Situation, in der der Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet gewesen wäre, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden könnte (vgl. 2 WD 4.20 - juris Rn. 56 m. w. N.). Derartige Besonderheiten lagen nicht vor. Eine erneute Begegnung mit der russischen Zivilperson, die dem Soldaten den Kopfschlag verpasst hatte, war auf dem Kasernengelände und in der Dienststelle nicht zu befürchten. Der vermeintliche Widerspruch zwischen dem Schmerzensgeld für den erlittenen Angriff und der Disziplinarbuße lag nicht vor. Dass der Soldat bei der Zusammenkunft den Kopfschlag erlitt, ändert nichts daran, dass er an dieser Zusammenkunft nach der damaligen Vorschriften- und Befehlslage nicht teilnehmen durfte. Auch eine Ablehnung eines Antrags auf Übernahme als Berufssoldat ist nicht derart ungewöhnlich, dass ein rechtstreues Verhalten nicht mehr erwartet werden kann. Grund für die ausgebliebene Sicherheitsüberprüfung, welche die Versetzung zur ... nach sich zog, war ausweislich des Berichts des AMEOS Klinikums für Psychiatrie und Psychotherapie vom nach den Angaben des Soldaten gegenüber den Ärzten jedenfalls auch sein zunehmender Alkoholkonsum, der im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung kritisch bewertet worden war. Seiner Überforderung auf dem seiner Ausbildung entsprechenden Dienstposten des Stabsfeldwebels an der ... war nach den gescheiterten Hilfestellungen durch den Schirrmeister und die Kameraden im Wege der Übertragung von Unterstützungstätigkeiten in der ... Rechnung getragen worden. Dass sich der Soldat dort wiederum unterfordert fühlte, begründet ebenfalls keine seelische Ausnahmesituation. Der Soldat nahm trotz der empfundenen psychischen Belastungen nicht alle zur Verfügung stehenden Hilfsangebote in Anspruch. Er erschien wiederholt nicht zu Terminen, obwohl ihm erläutert worden war, dass er sich an Absprachen halten müsse, um Hilfe zu bekommen. Er unterzog sich auch keiner ambulanten Psychotherapie, die nach den erstinstanzlichen Angaben von Flottillenarzt M. mit Überweisung sofort möglich gewesen wäre.
43(4) Der Soldat war bei Begehung der Taten ferner nicht vermindert schuldfähig im Sinne des § 21 StGB. Es fehlt bereits an einem dafür erforderlichen Eingangsmerkmal im Sinne des § 20 StGB.
44(a) Eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung im Sinne des § 20 StGB folgte nicht aus einer akuten Alkoholintoxikation. Es ist auszuschließen, dass der Soldat während seines gesamten 13-tägigen Abwesenheitszeitraums unter Alkoholeinfluss stand, zumal man ihm bei seinem Aufgreifen durch die Feldjäger nach der erstinstanzlichen Aussage des Zeugen Stabsfeldwebel B. nur ein leichtes Unwohlsein anmerkte, ansonsten sei alles "ok" gewesen. Bei den nachmittäglichen Vorfällen am Bahnhof erreichte ein etwaiger Restalkoholeinfluss beim Soldaten, der morgens vom Zeugen Oberfeldwebel H. dessen erstinstanzlicher Aussage zufolge "gut restalkoholisiert" zuhause abgeholt und in die Dienststelle gebracht worden war, jedenfalls keinen Grad, der eine verminderte Schuldfähigkeit zur Folge hatte. Denn aus den Akten ergeben sich keine Hinweise auf Ausfallerscheinungen des Soldaten auf der Dienststelle im Rahmen seiner dortigen Vernehmung oder auf der späteren Fahrt zum Bahnhof.
45Zwar wäre die enthemmende Wirkung einer ganz oder zeitweisen Alkoholisierung auch bereits im Vorstadium des § 21 StGB schuldmildernd zu berücksichtigen, wenn der frühere Soldat wegen einer Alkoholerkrankung schuldlos Alkohol konsumiert und wegen dieses Zustandes das Dienstvergehen begangen hätte (vgl. 2 WD 21.18 - NVwZ-RR 2019, 961 Rn. 35). Auch dies war aber nicht der Fall. Nach dem Entlassungsbericht des AMEOS Klinikums für Psychiatrie und Psychotherapie vom wurde der Soldat dort im November 2019 zwecks Abklärung des Verdachts eines Alkoholabhängigkeitssyndroms stationär behandelt. Festgestellt wurde dabei lediglich ein schädlicher Gebrauch von Alkohol mit einer Gefahr einer Abhängigkeitsentwicklung. Hinweise darauf, dass in der Folgezeit die Schwelle zu einer Alkoholerkrankung überschritten wurde, ergeben sich aus der Gesundheitsakte nicht. Damit bleibt es bei dem Grundsatz, dass ein Soldat, der sich schuldhaft - also fahrlässig oder vorsätzlich - alkoholisiert und sich damit in einen zum Dienstvergehen führenden Zustand versetzt, dafür verantwortlich ist (vgl. 2 WD 2.21 - juris Rn. 43).
46(b) Der Soldat war bei den Taten auch nicht infolge des im Entlassungsbericht vom des Weiteren diagnostizierten pathologischen Spielens (ICD-10 F 63.0) vermindert schuldfähig im Sinne des § 21 StGB. Eine Spielsucht stellt für sich genommen noch keine schwere andere seelische Störung im Sinne des § 20 StGB dar. Nur wenn sie zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen führt, kann ausnahmsweise eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit anzunehmen sein. Zudem muss sich die Spielsucht in der konkreten Tatsituation ausgewirkt haben. Die begangenen Straftaten müssen der Fortsetzung des Spielens gedient haben ( - juris Rn. 23 m. w. N.; 2 WD 6.23 - NZWehrr 2024, 327 Rn. 50). Hier fehlt es bereits an Letzterem. Aus den nachstehenden Gründen lag auch keine schwerste Persönlichkeitsveränderung vor.
47(c) Aus der jeweils im Juni 2022 truppenärztlich diagnostizierten mittelgradigen depressiven Episode und akuten Belastungsreaktion folgt ebenfalls keine verminderte Schuldfähigkeit zur Tatzeit.
48Da es bei Depressionen eine große Bandbreite an Ausprägungs- und Schweregraden gibt, genügt ein allgemeiner Hinweis auf diese Diagnose zur Begründung einer verminderten Schuldfähigkeit nicht. Für die Feststellung, ob eine mittelgradige depressive Episode den Schweregrad eines Eingangsmerkmals im Sinne des § 20 StGB erreicht, sind vielmehr der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit entscheidend (vgl. - NStZ-RR 2019, 334 <335> m. w. N.). Maßgeblich ist, ob die Symptome in ihrer Gesamtheit das Leben des Betroffenen vergleichbar schwer und mit ähnlichen - auch sozialen - Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (vgl. - juris Rn. 11 m. w. N.; 2 WD 4.20 - NZWehrr 2022, 74 <79> und vom - 2 WD 30.20 - NVwZ-RR 2022, 949 Rn. 43). Von wesentlicher Bedeutung ist, ob es infolge der die Störungen begründenden Verhaltens- und Erlebnisbesonderheiten auch im Alltag zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (vgl. - juris Rn. 7 m. w. N.). Nur dann ist anzunehmen, dass nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervorgetreten sind, die sich im Rahmen dessen halten, was auch bei voll schuldfähigen Menschen anzutreffen und oft Ursache für strafbares Verhalten ist (Stimmungsschwankungen, geringe Frustrationstoleranz, Tendenz zu Streitereien und Impulsivität; vgl. 2 WD 6.21 - juris Rn. 23 m. w. N.). Entsprechendes gilt für eine akute Belastungsreaktion (ICD-10 F 43.0), die in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation als ein relativ unspezifisches ("gemischtes und wechselndes") Störungsbild mit unterschiedlichen Ausprägungen des Schweregrads beschrieben wird (vgl. - juris Rn. 28).
49Gemessen daran lagen beim Soldaten zur Tatzeit keine so gravierenden Einschränkungen seines beruflichen und sozialen Handlungsvermögens wie bei krankhaften seelischen Störungen vor. Er traf sich regelmäßig mit Freunden und führte eine Partnerschaft. Gravierende Einschränkungen in seiner sozialen Interaktion wurden von keinem Zeugen aufgezeigt. Sein Disziplinarvorgesetzter Hauptmann L. hat erstinstanzlich ausgesagt, der Soldat habe nie den Eindruck gemacht, dass er angespannt gewesen sei oder nervlich vor einem Kollaps gestanden habe. Er sei nur verstrickt in seine Wünsche gewesen, was er habe erreichen wollen. Der psychopathologische Befund im Bericht des AMEOS Klinikums vom ist ebenfalls unauffällig. Zwar war der Soldat laut Flottillenarzt M. zuletzt in M. dienstunfähig. Andernorts war er aber dem Grunde nach dienstfähig. Er hatte in seinem, einige Monate vor dem Dienstvergehen gestellten Versetzungsantrag selbst erklärt, mit Ausnahme des Dienstortes M. bundesweit einsetzbar zu sein.
50(5) Anhaltspunkte für eine Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 31 Abs. 1 Satz 1 SG) bestehen ebenfalls nicht. Der dienstlichen Überforderung des Soldaten an der ... wurde erst durch Hilfestellungen seitens des Schirrmeisters und Kameraden und sodann durch die Betrauung mit Aufgaben, denen er gewachsen war, Rechnung getragen. Wegen seiner gesundheitlichen Situation wurde in Absprache mit seinem Disziplinarvorgesetzten eine wöchentliche truppenärztliche Vorstellung als Fürsorgemaßnahme vereinbart.
51(6) Der Soldat befand sich beim Erweisen des Hitlergrußes und der Äußerung "Heil Hitler, jetzt kann ich es ja sagen" schließlich auch nicht in einem Verbotsirrtum (§ 17 StGB). Seine Behauptung, er habe gedacht, nicht mehr Soldat zu sein, ist unglaubhaft. Er war unmittelbar zuvor lediglich zur beabsichtigten Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens und zu einer beabsichtigten vorläufigen Dienstenthebung angehört worden, während derer alle soldatischen Pflichten bis auf die Pflicht zur militärischen Dienstleistung fortbestehen sollten. Ungeachtet dessen ist die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen auch für Nicht-Soldaten nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar.
52cc) Ist danach das Vertrauen in den Soldaten zerstört und deswegen die Höchstmaßnahme zu verhängen, kann eine - etwaige - überlange Verfahrensdauer keine maßnahmemildernde Wirkung mehr entfalten (vgl. 2 WD 29.18 - NZWehrr 2020, 124 <128>).
533. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat nach § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 WDO der Soldat zu tragen; Gründe, die dies im Sinne des § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WDO unbillig erscheinen lassen, liegen nicht vor. Ebenso besteht kein Grund, die dem Soldaten im Berufungsverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen aus Billigkeitsgründen gemäß § 140 Abs. 3 Satz 3 WDO dem Bund aufzuerlegen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:041224U2WD26.24.0
Fundstelle(n):
QAAAJ-85607