Instanzenzug: Az: 6 U 249/22vorgehend Az: 10 O 78/22
Tatbestand
1 Der Beklagte ist Verwalter in dem auf Antrag vom am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin); bereits am bestellte ihn das Insolvenzgericht zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Verfügungen der Schuldnerin waren nur noch mit seiner Zustimmung möglich. Drittschuldnern wurde verboten, an die Schuldnerin zu zahlen. Der vorläufige Insolvenzverwalter wurde ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der Schuldnerin einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen. Die Schuldnerin ist ein Dienstleistungsunternehmen, das sich von in Heilberufen tätigen Personen und sonstigen Leistungserbringern deren Forderungen aus ärztlichen Verordnungen abtreten lässt und diese bei den Krankenkassen einzieht. Die Klägerin ist Inhaberin einer Apotheke.
2 Klägerin und Schuldnerin standen seit 2012 in ständiger Geschäftsbeziehung. Grundlage des Vertrags waren - zumindest ursprünglich - Allgemeine Geschäftsbedingungen der Schuldnerin aus dem Jahr 2003, die auszugsweise wie folgt lauteten:
"§ 1
Die P. übernimmt für die Apotheke ab dem Vertragsbeginn laufend die Rezeptabrechnungstätigkeit und das Einziehen der Rezeptforderungen sowie weitere Tätigkeiten nach diesem Vertrag. Dabei hat die P. die gesetzlichen Bestimmungen zu beachten und einzuhalten. Die Einziehung der Forderungen erfolgt im Namen der P. , jedoch für Rechnung der Apotheke.
§ 3
Wenn die Apotheke die Rezepte rechtzeitig übergibt, erhält sie eine Abschlagszahlung in vereinbarter Höhe […]. Ergibt sich durch die Vorschusszahlung für den aktuellen Abrechnungsmonat eine Überzahlung, wird der Vorschuss im Folgemonat entsprechend gekürzt. Im Falle der Beendigung der Zusammenarbeit ist die Apotheke verpflichtet, etwaige Überzahlungen auszugleichen.
§ 6
Die P. unterhält zum Ausgleich der Apotheken-Forderungen bei einem Geldinstitut ein für alle Kunden einheitliches Fremdgeldkonto. Die P. verfügt über dieses Konto nur zu Gunsten ihrer Apotheken, zu Gunsten der Bank, nach Maßgabe der den Abrechnungskunden bereits gezahlten Abschlagszahlungen, zu Gunsten der Kostenträger und zu eigenen Gunsten in Höhe der ihr für ihre Tätigkeit zustehenden Vergütung.
Die Apotheke tritt ihre gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen gegenüber den Kostenträgern an die P. ab. […] Die P. hat das Recht, die Forderungen an die kreditgewährende und die jeweilige Zahlung vorfinanzierende Bank abzutreten, welche die Zahlung bzw. Überweisung an die Apotheke vornimmt."
3 In den vom Beklagten für maßgeblich erachteten Allgemeinen Geschäftsbedingungen aus dem Jahr 2016 unterscheidet sich lediglich § 6 Satz 1 der AGB. Danach unterhielt die P. bei Geldinstituten zum Ausgleich der Forderungen der Apotheke "ein eindeutig durch das Institutionskennzeichen der Apotheke bestimmtes, für die Kunden des jeweiligen Abrechnungskreises (IK) einheitliches Konto".
4 Die von der Klägerin für den Abrechnungsmonat August 2020 angemeldeten Forderungen in Höhe von 171.227,27 € und von weiteren 3.579,24 € wurden - vorbehaltlich ihrer Qualifikation als Masseverbindlichkeit - zur Tabelle festgestellt. Die Klägerin begehrt zur Prüfung möglicher Ansprüche Auskunft darüber, wann, ob durch die Schuldnerin oder den Beklagten als (vorläufigen) Insolvenzverwalter sowie ob auf ein Geschäftskonto der Schuldnerin oder ein Treuhandkonto des Beklagten Rezeptabrechnungen für den Monat August 2020 eingezogen wurden, ferner - falls ein Einzug auf Geschäftskonten der Schuldnerin erfolgt sei - ob es sich hierbei um ein Treuhandkonto gehandelt habe. Ihre Klage blieb vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Gründe
5Die Revision ist weitgehend begründet.
I.
6Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Auskunftsansprüche schieden jedenfalls deshalb aus, weil die Auskunftserteilung dem Beklagten nicht zumutbar sei, soweit er für Geschäftskonten der Schuldnerin Hunderttausende Buchungen einzelnen Leistungserbringern zuordnen müsse. Ob dasselbe für von ihm eingezogene Buchungen gelte, könne offenbleiben. Jedenfalls stehe der Klägerin für den Monat August kein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO zu, sodass auch ein die Vereitelung eines solchen Rechts voraussetzendes Ersatzaussonderungsrecht nach § 48 InsO nicht bestehe. Insoweit komme es entscheidend darauf an, welchem Vermögen die Forderungen im maßgeblichen Zeitpunkt nach Inhalt und Zweck der gesetzlichen Regelung haftungsrechtlich zuzuordnen seien. Diese Zuordnung werde nach dinglichen Gesichtspunkten vorgenommen. Schuldrechtliche Ansprüche könnten zu einer abweichenden Vermögenszuweisung führen. Daran fehle es vorliegend sowohl hinsichtlich der Erstattungsforderungen als auch hinsichtlich der Guthaben auf Konten der Schuldnerin und des Beklagten.
7Vorliegend sei die Forderungsabtretung unbedingt erfolgt. Deshalb komme es nicht entscheidend darauf an, dass das atypische Vertragsverhältnis am ehesten als unechtes Factoring zu qualifizieren sei. Die Abtretung sei wirksam. Die Weitergabe der Daten sei durch § 300 Abs. 2 SGB V erlaubt; eine Strafbarkeit nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB scheide aus. Dass § 300 Abs. 2 SGB V nur die Befugnis enthalte, externe Rechenzentren in Anspruch zu nehmen, eine Abtretung von Forderungen hierfür nicht erforderlich sei, vermöge keinen Gesetzesverstoß zu begründen; hierfür bedürfte es einer isolierten Strafbarkeit der Abtretung.
8Der Klägerin stehe auch kein Anspruch auf Aussonderung am Kontoguthaben zu. Geldansprüche seien grundsätzlich nicht aussonderungsfähig. Anderes gelte nur, wenn das Konto offen ausgewiesen oder sonst nachweisbar ausschließlich zur Aufnahme von treuhänderisch gebundenen Fremdgeldern bestimmt sei. Guthaben auf Konten, die auch für eigene Zwecke des Treuhänders genutzt werden könnten, seien nicht aussonderungsfähig. Vorliegend sei schon zweifelhaft, ob ein Treuhandverhältnis angenommen werden könne. Die Schuldnerin habe monatliche Abschlagszahlungen erhalten; eine Abrechnung habe erst nachträglich stattgefunden. Selbst bei Annahme eines Treuhandverhältnisses seien nach nicht ausreichend bestrittenem Vortrag des Beklagten nur Abrechnungskonten geführt worden. Auch seien nach nicht ausreichend bestrittenem Vortrag des Beklagten die Regelungen in § 6 Satz 2 der AGB nicht beachtet und zwischen den Abrechnungskonten zum Ausgleich der jeweiligen Salden mehrmals täglich Umbuchungen vorgenommen worden. Anderes gelte auch nicht für die vom Beklagten ab dem eingerichteten Insolvenzverwaltertreuhandkonten. Allein der vom Zufall abhängige Umstand, dass Beträge separierbar auf den Konten vorhanden seien, begründe keine Vermögenszuweisung zugunsten der betroffenen Apotheker.
II.
9Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, soweit die Klägerin Auskunft begehrt, ob, wann, durch wen und auf welches Konto die Schuldnerin oder der Beklagte Forderungen der Klägerin auf Vergütung bei den Krankenkassen eingezogen hat.
101. Können nach den einem Anspruchsteller bekannten Umständen Aussonderungsansprüche oder Ersatzaussonderungsansprüche hinsichtlich bestimmter Forderungen bestehen, kann dieser vom Insolvenzverwalter Auskunft verlangen (vgl. , WM 2024, 2244 Rn. 15 mwN), wenn die weitere Frage, ob Ansprüche wirklich bestehen und gegebenenfalls in welchem Umfang, von Umständen abhängt, über die nur der Insolvenzverwalter Kenntnis hat (vgl. , WM 2004, 295, 296 unter II.1) und zu denen er die Auskunft unschwer, das heißt ohne unbillig belastet zu sein, zu geben vermag, während der Anspruchsteller über diese Umstände in entschuldbarer Weise im Ungewissen ist und er sich die notwendigen Kenntnisse nicht in zumutbarer Weise selbst beschaffen kann (vgl. , WM 2000, 1209, 1212 unter II.2.a). So liegt der Streitfall.
112. Die Klägerin ist Inhaberin der Forderungen geblieben, so dass ihr hinsichtlich dieser Ansprüche ein Aussonderungsrecht zusteht. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Abtretung der Forderungen an die Schuldnerin nicht durch § 300 Abs. 2 Satz 1 SGB V gedeckt. Mit der Abtretung gestattet die Schuldnerin dem Rechenzentrum eine Verarbeitung geschützter Sozialdaten, die mit § 300 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 2 SGB V nicht im Einklang steht. Eine solche Abtretung ist nichtig (§ 134 BGB). Dies hat der Senat mit Urteil vom heutigen Tag im Verfahren IX ZR 182/23 (zVb) zur insoweit wortgleichen, sonstige Leistungserbringer betreffenden Parallelvorschrift in § 302 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V entschieden und dort näher begründet. Hierauf nimmt der Senat Bezug. Auch eine etwaige Weiterabtretung durch die Schuldnerin an die finanzierende Bank geht damit mangels Verfügungsberechtigung der Schuldnerin ins Leere.
133. Die Klägerin benötigt daher zur Prüfung etwaiger Ansprüche gegen die Masse Auskunft darüber, wann (und damit auch ob), durch wen und auf welches Konto Rezept-Abrechnungen eingezogen worden sind.
144. Die Klägerin ist in Unkenntnis über die verlangten Informationen. Sie kann sie sich auch nicht in zumutbarer Weise auf andere Weise beschaffen. Insoweit kann dahinstehen, ob ihr Auskunftsansprüche auch gegen die Krankenkassen zustehen. Es ist nämlich unzumutbar, die Klägerin auf die Geltendmachung unterstellter Auskunftsansprüche gegen eine Vielzahl von Krankenkassen zu verweisen, wenn die Schuldnerin oder der Beklagte entsprechende Abrechnungen vorgenommen hat, Forderungen eingezogen hat und beim Beklagten über die Vorgänge entsprechende Geschäftsunterlagen vorliegen. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass nach der Vertragskonzeption die Schuldnerin die Abrechnung der Rezepte gegenüber den Krankenkassen, den Einzug der Vergütung bei den Krankenkassen und auch die Abrechnung über den Einzug gegenüber der Klägerin (§§ 1, 3 der AGB) übernommen hat.
155. Ein Auskunftsrecht scheidet nicht deshalb aus, weil die Auskunftserteilung dem Beklagten unzumutbar wäre. Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass Arbeits- und Zeitaufwand des Auskunftspflichtigen und schutzwürdiges Interesse des Auskunftsberechtigten in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen müssen. Dies gilt in besonderem Maße, wenn es um die Pflicht des Insolvenzverwalters zur Auskunft über Vorgänge im Schuldnerbetrieb geht, an denen er selbst nicht beteiligt war; denn der Verwalter muss im Interesse aller Verfahrensbeteiligten auf eine zügige Abwicklung des Verfahrens hinwirken. Insbesondere in Großinsolvenzen könnte der für die Auskunftserteilung erforderliche Aufwand Ausmaße annehmen, die dem Verwalter für seine eigentliche Aufgabe der Sicherung und Verwertung der Masse nur noch wenig Zeit ließe. Es entspricht auch nicht dem Sinn des Insolvenzverfahrens, die Masse in einem nicht unerheblichen Umfang mit Kosten zu belasten, die mit der Sicherung der Rechte der Aus- und Absonderungsberechtigten verbunden sind. Die Voraussetzungen für eine Einschränkung der Auskunftspflicht unter den genannten Gesichtspunkten muss der Verwalter jedoch im Einzelnen und bezogen auf die jeweiligen Tatsachen darlegen, deren Mitteilung der Auskunftsberechtigte verlangt (vgl. , WM 2000, 1209, 1212 f unter II.2.b).
16In den Blick zu nehmen ist das konkrete Auskunftsbegehren der Klägerin. Sie begehrt Auskunft für den auf den Monat August 2020 beschränkten Zeitraum darüber, durch wen (Schuldnerin oder vorläufigen/endgültigen Insolvenzverwalter), auf welches Konto (Geschäftskonto der Schuldnerin oder Treuhandkonto des Beklagten) und wann Vergütungsansprüche der Klägerin eingezogen wurden. Diese Auskünfte kann der Beklagte mit vertretbarem Aufwand erteilen: im Kern muss er für den Monat August 2020 nachvollziehen, gegenüber welchen Krankenkassen Rezepte der Klägerin abgerechnet wurden und wann die jeweilige Krankenkasse auf die entsprechende Sammelabrechnung (im Wege einer Abschlagszahlung oder endgültig) entweder auf das Geschäftskonto der Schuldnerin oder auf ein Treuhandkonto gezahlt hat. Diese Angaben sind mit vertretbarem Aufwand ermittelbar. Die Pflicht zur Erstellung entsprechender Abrechnungen durch die Schuldnerin entspricht im Übrigen dem Vertragsmodell der Schuldnerin. Es handelt sich auch nicht um weit zurückliegende Geschäftsvorgänge. Betroffen sind selbst unter Berücksichtigung etwaiger Auskunftsbegehren anderer Leistungserbringer die Abrechnungszeiträume ab August 2020 und damit Vorgänge, die sich in zeitlicher Hinsicht an der Schnittstelle zur Bestellung des Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter oder sogar nach seiner Bestellung ereignet haben. Der konkret gestellte Auskunftsantrag zwingt den Beklagten nicht, im Falle der Vornahme von Abzügen durch die Krankenkassen eine abschließende Zuordnung dieser Abzüge zu Rezepten der Klägerin vorzunehmen. Er erfüllt die begehrte Auskunft, wann Rezeptforderungen eingezogen wurden, auch dann, wenn er sich auf die Mitteilung beschränkt, eine Krankenkasse habe auf eine Sammelrechnung nur einen bestimmten Teilbetrag geleistet. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob dem Beklagten eine solche Zuordnung - etwa anhand der ihm von den Krankenkassen zu erteilenden Abrechnungen über die Sammelabrechnungen - möglich und zumutbar wäre.
17Im Ergebnis als richtig erweist sich das angefochtene Urteil, soweit es den für den Fall eines Forderungseinzugs auf ein Konto der Schuldnerin gestellten Antrag auf Auskunft darüber abweist, ob es sich bei dem Konto um ein offenes Treuhandkonto oder um ein Geschäftskonto handele. Diese Frage ist nach den getroffenen Feststellungen geklärt; ein Bedürfnis für die Auskunft besteht nicht. Insoweit ist die Revision zurückzuweisen (§ 561 ZPO).
18MünchKomm-InsO/Ganter, 4. Aufl., § 47 Rn. 281; Sinz, Factoring in der Insolvenz, Rn. 490; jeweils für Abrechnungskonten im Rahmen unechten Factorings)
192. Selbst bei Einordnung eines Kontos der Schuldnerin als grundsätzlich aussonderungsfähiges Treuhandkonto wäre nach den von der Revision ebenfalls nicht angegriffenen Feststellungen diese Qualifikation durch die Vornahme von - mehrmals täglich erfolgten - Umbuchungen zum Ausgleich der jeweiligen Salden entfallen. Durch diese Umbuchungen hat die Schuldnerin nämlich die Zweckbindung der jeweils für verschiedene Abrechnungskreise eingerichteten Konten missachtet; sie hat die Guthaben somit systematisch auch für eigene Zwecke, nämlich zum Ausgleich von eigenen Kreditverbindlichkeiten gegenüber Banken, genutzt. Guthaben auf Konten, die auch für eigene Zwecke des Treuhänders genutzt werden, können in der Insolvenz des Treuhänders - auch bei Treuhandabrede, wie vorliegend nicht - nicht ausgesondert werden. Nutzt der Treuhänder das Guthaben auf einem (zunächst) ausschließlich für Fremdgeld bestimmten und genutzten Konto (auch) für eigene Zwecke, entfällt das Aussonderungsrecht regelmäßig auch hinsichtlich des verbliebenen, im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch vorhandenen Bestandes (vgl. , BGHZ 188, 317 Rn. 15).
20Im Übrigen ist das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben. Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, entscheidet der Senat in der Sache selbst (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Schoppmeyer Röhl Schultz
Weinland Kunnes
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:060225UIXZR181.23.0
Fundstelle(n):
PAAAJ-85493