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BGH Beschluss v. - 2 StR 503/24

Instanzenzug: LG Gießen Az: 5 KLs 2/24

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in vollem Umfang Erfolg.

I.

2Soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, hat das Landgericht im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Der Angeklagte und              T.        , die, langjährig befreundet, gemeinsam ein Zimmer in einer Flüchtlingsunterkunft bewohnten, waren am in Streit geraten wie zuvor schon oft, wenn beide alkoholisiert waren. T.       , der eine Blutalkoholkonzentration von maximal 2,92 ‰ aufwies, trat an den auf seinem Bett sitzenden Angeklagten heran. Er brachte dem 67 Jahre alten Angeklagten, der etwa 160 cm groß und infolge einer schlecht ausgeheilten Verletzung im Gebrauch des linken Arms eingeschränkt war, durch zwei Faustschläge in das Gesicht eine blutende Verletzung am Nasenrücken bei. Der Angeklagte, der eine Blutalkoholkonzentration von maximal 2,74 ‰ aufwies, ergriff ein ausgeklappt auf einer Ablage am Bett liegendes Klappmesser, stand auf und schwang das Messer ungezielt bogenförmig in Richtung des Oberkörpers und Halses des um einige Jahre jüngeren, größeren und körperlich überlegenen T.        , um diesen von weiteren Schlägen abzuhalten. Dabei nahm er billigend in Kauf, T.          mit dem Messer zu treffen und ihm abstrakt lebensgefährliche Verletzungen zuzufügen. Mit mindestens einer dieser Bewegungen brachte er T.           je eine Schnittwunde am Brustkorb und an der linken Halsseite bei. T.            griff nach dem Messer, um es dem Angeklagten wegzunehmen. In der Rangelei um das Messer brachte der Angeklagte mit mindestens einer weiteren Bewegung T.        einen Schnitt sowie knöcherne und Muskelverletzungen an der linken Hand bei. Außerdem erlitt T.        je eine Schnittwunde am rechten Unterarm und am linken Oberarm, von denen nicht festgestellt werden konnte, aus welcher Phase der Auseinandersetzung sie herrührten. Er ging stark blutend zu Boden und war unfähig, sich selbst zu helfen. Ein Bewohner eines anderen Zimmers wurde wenige Minuten später auf ihn und den im Zimmer sitzenden Angeklagten aufmerksam und veranlasste die Alarmierung des Rettungsdienstes. T.         wurde in ein Klinikum in G.      verbracht und operiert. Er war durchgehend kreislaufstabil und befand sich zu keiner Zeit in akuter Lebensgefahr.

42. Das Schwurgericht hat den Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB schuldig gesprochen. Einen Tötungsvorsatz hat es unter näherer Begründung im Einzelnen verneint.

5Der Angeklagte sei nicht durch Notwehr nach § 32 StGB gerechtfertigt gewesen. Zwar sei er einem noch andauernden oder fortgesetzt drohenden rechtswidrigen Angriff T.        auf seine körperliche Unversehrtheit ausgesetzt gewesen. Seine Verteidigung unter Einsatz des Messers sei aber nicht erforderlich gewesen. Der Angeklagte habe das potentiell tödliche Mittel gegen den unbewaffneten Kontrahenten nicht ohne vorherige Ankündigung einsetzen dürfen, die in der konkreten Kampflage möglich und erfolgversprechend gewesen wäre. Er sei keinen massiveren Schlägen ausgesetzt gewesen als bei Auseinandersetzungen zwischen beiden Kontrahenten in der Vergangenheit und habe auch keine stärkeren erwartet. Schon der Vorhalt eines aufgeklappten Messers führe regelmäßig zur Beendigung einer zuvor unbewaffnet geführten Auseinandersetzung, da jedem bekannt sei, dass es auch bei nur einmaligem Einsatz geeignet sei, todbringende Verletzungen zu verursachen. Ohne weiteres möglich sei dem Angeklagten auch gewesen, stattdessen zunächst in Arme oder Beine seines Kontrahenten zu stechen.

II.

6Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung und damit eine Rechtfertigung durch Notwehr verneint hat, halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

71. Eine in einer Notwehrlage verübte Tat ist gemäß § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht. Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven ex-ante-Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden (st. Rspr.; vgl. , BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 20 Rn. 8; BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 138/16, NStZ 2016, 593; vom – 2 StR 363/18, NStZ 2019, 598, 599, Rn. 10, und vom – 5 StR 175/22, NStZ 2023, 156, 157, Rn. 6; jeweils mwN). Wird eine Person rechtswidrig angegriffen, ist sie grundsätzlich berechtigt, dasjenige Abwehrmittel zu wählen, welches eine endgültige Beseitigung der Gefahr gewährleistet. Der Angegriffene muss auf weniger gefährliche Verteidigungsmittel nur zurückgreifen, wenn deren Abwehrwirkung unzweifelhaft ist und ihm genügend Zeit zur Abschätzung der Lage zur Verfügung steht (, aaO, und vom – 5 StR 564/15, NStZ 2017, 276; BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 523/15, NStZ 2016, 526, 527; vom – 2 StR 363/18, aaO, und vom – 5 StR 175/22, aaO).

8Auch der sofortige, das Leben des Angreifers gefährdende Einsatz eines Messers kann durch Notwehr gerechtfertigt sein. Gegenüber einem unbewaffneten Angreifer ist dessen Gebrauch zwar regelmäßig anzudrohen und, sofern dies nicht ausreicht, der Versuch zu unternehmen, auf weniger sensible Körperpartien einzustechen. Diese Einschränkungen stehen jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Drohung oder der weniger gefährliche Messereinsatz unter den konkreten Umständen eine so hohe Erfolgsaussicht haben, dass dem Angegriffenen das Risiko eines Fehlschlags und der damit verbundenen Verkürzung seiner Verteidigungsmöglichkeiten zugemutet werden kann. Angesichts der geringen Kalkulierbarkeit des Fehlschlagrisikos dürfen an die in einer zugespitzten Situation zu treffende Entscheidung für oder gegen eine weniger gefährliche Verteidigungshandlung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (, aaO, und vom – 2 StR 118/16, NStZ-RR 2018, 69, 70; BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 363/18, aaO, und vom – 5 StR 175/22, aaO; jeweils mwN).

92. Diesen Maßstab hat die Schwurgerichtskammer verfehlt.

10a) Rechtsfehlerhaft hat sie in ihre Erwägungen zur Erforderlichkeit der Verteidigung den Umstand einbezogen, dass der Angeklagte schon in früheren Streitigkeiten sogar schwerere Schläge von T.         erhalten habe und dass ein nicht sofort erfolgender Messereinsatz deshalb nicht „zu einer stark erhöhten Gefahr für weitere Verletzungen … geführt hätte“. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Verteidigung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB geht es nicht darum, ob eine weitere Eskalation der Situation hinaufbeschworen wird. Maßgeblich ist vielmehr die Frage, ob in der zugespitzten Angriffssituation die Verteidigung gewährleistet, dass der Angriff endgültig beendet wird (BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 363/18, NStZ 2019, 598, 599, Rn. 15, und vom – 5 StR 175/22, NStZ 2023, 156, 157, Rn. 7).

11b) Die auf der Grundlage dieses rechtsfehlerhaften Ansatzes getroffenen Feststellungen lassen überdies eine Auseinandersetzung mit dem Risiko vermissen, dass dem körperlich unterlegenen, in der Benutzung eines seiner Arme eingeschränkten Angeklagten auf eine verbale Androhung des Messereinsatzes die einzige ihm zur Verfügung stehende Verteidigungswaffe durch T.          hätte entwunden werden können. Offen lassen die Feststellungen aber andererseits, wie die Zuschrift des Generalbundesanwalts zutreffend bemerkt, auch, ob in dem dynamischen Geschehen der stark alkoholisierte T.         für eine verbale Androhung überhaupt erreichbar gewesen wäre. Der vom Landgericht in diesem Zusammenhang herangezogene Erfahrungssatz, eine vorherige Androhung eines Messereinsatzes werde jedermann regelmäßig zur Beendigung einer bis dahin unbewaffnet geführten Auseinandersetzung veranlassen, existiert nicht (dazu Rückert, NStZ 2023, 158 f.).

12c) Schließlich setzen sich die Feststellungen auch nicht damit auseinander, dass in den ungezielten, mit bedingtem Verletzungsvorsatz geführten bogenförmigen Bewegungen des Messers auch eine Androhung seines erst folgenden gezielten Einsatzes für den Fall einer weiteren Fortsetzung des Angriffs gesehen werden könnte (vgl. , NStZ-RR 2011, 238). Ob es sich demgegenüber bei mit direktem Verletzungsvorsatz geführten Stichen gegen Arme oder Beine des Angreifers in der konkreten Kampflage überhaupt um mildere Mittel der Verteidigung gehandelt hätte, hat das Landgericht ebenso unerörtert gelassen wie die Frage, ob sie in gleicher Weise zur sofortigen Unterbindung des Angriffs geeignet gewesen wären.

III.

13Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

141. Der neue Tatrichter wird sorgfältiger als bisher geschehen zu überprüfen haben, ob aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht zum Zeitpunkt der Tatbegehung eine Fortsetzung des Angriffs von T.         noch zu erwarten war. Dieser hatte nach den vom Landgericht lediglich wiedergegebenen Angaben des Angeklagten nicht zu einem weiteren Schlag ausgeholt, sondern die Arme und Hände „unten gehabt“.

152. Im Falle der erneuten Verneinung einer Rechtfertigung durch Notwehr wird der neue Tatrichter zu bedenken haben, dass der Angeklagte durch die in den Faustschlägen liegende Misshandlung zum Zorn gereizt und auf der Stelle zur Tat hingerissen gewesen sein könnte. Unter den Voraussetzungen der 1. Alternative des § 213 StGB ist auch im Rahmen des § 224 StGB regelmäßig die Annahme eines minder schweren Falles geboten, wenn dem nicht ausnahmsweise gravierende erschwerende Umstände entgegenstehen (st. Rspr.; vgl. , StV 2017, 530, 531, Rn. 33, und vom – 1 StR 67/18, StV 2018, 740, 742, Rn. 26; BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 27/14, Rn. 6; und vom – 6 StR 325/23, NStZ-RR 2023, 313).

Menges                          Grube                          Schmidt

                  Lutz                         Zimmermann

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:211124B2STR503.24.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-85369