Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-24 S 113/21vorgehend AG Frankfurt Az: 387 C 374/20 (98)
Tatbestand
1Die Klägerin beansprucht von der Beklagten die Rückzahlung des Reisepreises für eine Pauschalreise.
2Die Klägerin buchte im August 2019 bei der Beklagten für sich und ihren Ehemann eine zwölftägige Busreise "Nordkap und Lofoten", die vom 23. August bis stattfinden und 1.798 Euro kosten sollte. Die Klägerin leistete eine Anzahlung in Höhe von 325 Euro.
3Mit E-Mail vom erklärte die Klägerin unter Bezugnahme auf unklare Corona-Beschränkungen in den Zielländern den Rücktritt von der Reise.
4Die Reise konnte nicht durchgeführt werden. Die Beklagte rechnete unter Einbehalt der Anzahlung weitere 34,60 Euro an Stornierungskosten gegenüber der Klägerin ab.
5Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 325 Euro nebst Zinsen verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Gründe
6 Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
7 I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
8 Das Amtsgericht habe die Beklagte zu Recht zur Rückzahlung der Anzahlung verurteilt. Die Beklagte könne gegenüber der Klägerin nicht mit einem Entschädigungsanspruch aufrechnen, da die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB erfüllt seien.
9 Die Corona-Pandemie habe im Frühjahr 2020 zu einer nahezu weltweiten Abschottung und zu einer nahezu vollständigen Einstellung des internationalen Flugverkehrs geführt und stelle einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB dar.
10 Die Klägerin schulde gemäß § 651h Abs. 3 BGB keine Entschädigungsleistung. Dies gelte unabhängig davon, ob im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nach einer ex-ante-Betrachtung bereits hinreichende Anhaltspunkte bestanden hätten, dass die vom Reiseveranstalter geplante Reise infolge der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Eine ex-ante-Betrachtung sei jedenfalls dann nicht maßgeblich, wenn der Reiseveranstalter die Reise vor deren Beginn selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstandes abgesagt habe.
11 II. Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
12 1. Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil die Klägerin nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Damit ist die Beklagte zur Rückzahlung der Anzahlung verpflichtet.
13 2. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte dem Anspruch der Klägerin entgegenhalten könnte, nicht ausgeschlossen werden.
14 a) Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Covid-19-Pandemie im vorgesehenen Reisezeitraum einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.
15 Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand wertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (vgl. , NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 21; Urteil vom - X ZR 115/22, NJW-RR 2024, 193 Rn. 18; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 17; Urteil vom - X ZR 58/23 Rn. 21). Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. , RRa 2023, 183 Rn. 45 - UFC; Urteil vom - C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 48 - Kiwi Tours) und gilt auch für den im Streitfall maßgeblichen Reisezeitraum im August/September 2020.
16 b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf eine erhebliche Beeinträchtigung nicht schon deshalb bejaht werden, weil die Reise nach der Rücktrittserklärung abgesagt bzw. nicht durchgeführt worden ist.
17 Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist (, RRa 2024, 62 Rn. 28 ff. - Kiwi Tours).
18 Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung hat der Gerichtshof damit nicht nur über die Frage entschieden, ob der Reisende in der genannten Konstellation zum Rücktritt berechtigt ist. Der Gerichtshof hat sich vielmehr mit der Frage befasst, ob der Reisende berechtigt ist, ohne Zahlung einer Gebühr vom Vertrag zurückzutreten, und entschieden, dass nach dem Rücktritt eingetretene Ereignisse weder zum Wegfall noch zur Begründung eines solchen Rechts führen dürfen (, RRa 2024, 62 Rn. 35 - Kiwi Tours).
19 III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
20 Das Berufungsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts der Klägerin konkrete Umstände absehbar waren, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB begründen.
21 Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.
22 Hierbei wird das Berufungsgericht insbesondere auch zu berücksichtigen haben, dass eine im Zeitpunkt des Rücktritts begründete Ungewissheit über die weitere Entwicklung ein starkes Indiz dafür bilden kann, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war. Von Bedeutung kann hierbei gegebenenfalls auch sein, ob die Durchführung der Reise dem Reisenden trotz der außergewöhnlichen Umstände und der daraus resultierenden Risiken, insbesondere auch unter Berücksichtigung etwaiger Hygiene- und Schutzmaßnahmen und räumlichen Verhältnisse bei der Durchführung der Reise zumutbar war (, NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rn. 37, 58). Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat, ist dem Reisenden auch nicht ohne weiteres zuzumuten, mit einer Entscheidung über den Rücktritt bis kurz vor Reisebeginn zuzuwarten (, MDR 2024, 1570 Rn. 43 ff.).
23 Entgegen der Auffassung der Revision wird es bei den zu treffenden Feststellungen nicht auf die konkrete Kenntnis des Reisenden bezüglich konkreter (Schutz-)Maßnahmen am Bestimmungsort der Reise ankommen. Maßgeblich sind nicht die konkreten Kenntnisse des vom Vertrag zurücktretenden Reisenden, sondern die Erkenntnismöglichkeiten aus der Sicht eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsreisenden zum Rücktrittszeitpunkt (, RRa 2024, 186 Rn. 72 - Tez Tour; C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 32 - Kiwi Tours).
24 IV. Für ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV besteht kein Anlass.
25 Wie oben bereits aufgezeigt wurde, hat der Gerichtshof die für die Entscheidung des Streitfalls erheblichen Fragen zur Auslegung von Art. 12 der Richtlinie (EU) 2015/2302 bereits beantwortet. Dies gilt auch für die Frage, ob ein Entschädigungsanspruch davon abhängt, dass die Reise tatsächlich durchgeführt wird.
Bacher Hoffmann Deichfuß
Marx von Pückler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280125UXZR30.22.0
Fundstelle(n):
MAAAJ-85267