Zur Verfahrensaussetzung bei zweifelhafter Annahme einer atypisch stillen Gesellschaft
Leitsatz
1. NV: Erscheint es möglich, dass Erträge aus einer stillen Beteiligung als atypisch stiller Gesellschafter im Rahmen einer Mitunternehmerschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes bezogen wurden, muss das Finanzgericht das Verfahren über den streitigen Einkommensteuerbescheid gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung aussetzen, bis durch einen —positiven oder negativen— Bescheid entschieden ist, ob eine gesonderte und einheitliche Feststellung geboten ist. Unterbleibt dies, liegt ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens vor (vgl. , BFHE 273, 22).
2. NV: Bleibt das Mitunternehmerrisiko eines stillen Gesellschafters hinter der Rechtsstellung zurück, die das Handelsgesetzbuch dem Kommanditisten zuweist, kann nur dann von einem atypisch stillen Gesellschaftsverhältnis ausgegangen werden, wenn bei Würdigung der Gesamtumstände des Streitfalls die Möglichkeit zur Entfaltung von Mitunternehmerinitiative besonders stark ausgeprägt ist. Diese Möglichkeit kann sich bei einer stillen Beteiligung an einer GmbH & Co. KG auch aus der Stellung des stillen Gesellschafters als Geschäftsführer der GmbH & Co. KG ergeben.
Gesetze: EStG § 20 Abs. 1 Nr. 4; EStG § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2; FGO § 74; AO § 179 Abs. 1; AO § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a; AO § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2; HGB § 233
Instanzenzug:
Tatbestand
I.
1 Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden als Eheleute in den Streitjahren 2013 bis 2016 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand am neben weiteren Geschäftsführern als Geschäftsführer der A KG tätig und erzielte daraus Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Vor seiner Bestellung zum Geschäftsführer war er als Projektleiter bei der A KG angestellt.
2 Die A KG ist ein international tätiges Unternehmen. Sie ist die operative Zwischenholding der A-Gruppe und unterhält Tochtergesellschaften beziehungsweise unselbständige Niederlassungen in der Bundesrepublik Deutschland sowie in zahlreichen anderen Ländern.
3 Der Kläger schloss am mit der A KG einen Gesellschaftsvertrag zur Begründung einer „typischen Stillen Gesellschaft“. Mit Wirkung zum wurde der ursprüngliche Gesellschaftsvertrag neu gefasst. Darüber hinaus wurde mit Datum vom ein Nachtrag wegen einer Rangrücktrittserklärung vereinbart.
4 Der ursprüngliche Gesellschaftsvertrag sah eine Einlageverpflichtung des Klägers in Höhe von 100.000 DM vor. Nach der Währungsumstellung belief sich die Einlage des Klägers auf 51.129,19 €. Zur Anpassung der prozentualen Beteiligung des Klägers an das erhöhte Kapital der A KG stockte der Kläger seine Einlage auf 100.000 € auf. Mit Neufassung des Gesellschaftsvertrags im Jahr 2006 erhöhte sich die Einlageverpflichtung des Klägers auf insgesamt 200.000 €. Die Einlage konnte durch Bareinzahlung oder Stehenlassen von Tantieme- und Vergütungsansprüchen beziehungsweise durch Gutschrift von künftigen Gewinnanteilen aus der stillen Gesellschaft erbracht werden. Der Kläger erfüllte sämtliche Einlageverpflichtungen durch das Stehenlassen von Gewinnanteilen.
5 Maßgeblich für die Ergebnisbeteiligung des Klägers war nach der Neufassung des Gesellschaftsvertrags im Jahr 2006 der Jahresüberschuss beziehungsweise Jahresfehlbetrag laut Gewinn- und Verlustrechnung des geprüften Jahresabschlusses der A KG. Die jeweilige Beteiligung des Klägers am Jahresergebnis richtete sich nach dem Verhältnis der im Gesellschaftsvertrag vereinbarten Einlage des Klägers zum Gesamtkapital der A KG, wobei sich das Gesamtkapital aus dem Gesellschaftskapital der A KG, den weiteren Einlagen der Gesellschafter der A KG beziehungsweise verbundener Unternehmen sowie den Einlagen weiterer stiller Gesellschafter zusammensetzte. Das Gesamtkapital der A KG betrug am insgesamt 10.293.000 €. Die Ergebnisbeteiligung sämtlicher stiller Gesellschafter war auf maximal 25 % begrenzt.
6 Die jeweils auf den Kläger entfallende Beteiligung am Jahresergebnis war nach den Regelungen des Gesellschaftsvertrags wie folgt zu verwenden:
- Solange die Einlage noch nicht vollständig geleistet war, waren jeweils 50 % der auf den Kläger entfallenden Gewinnanteile dem Kapitalkonto gutzuschreiben (§ 6 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags);
- sofern die Ergebnisbeteiligung negativ ausfiel, wurden die auf den Kläger entfallenden Verlustanteile auf dem Verlustkonto des Klägers verbucht. Gewinnanteile aus Folgejahren dienten, sofern die Einlage bereits vollständig geleistet war, dem Ausgleich des Verlustkontos;
- sofern Gewinne nicht vorrangig dem Kapitalkonto oder dem Verlustkonto gutzuschreiben waren, wurden 25 % des jeweiligen Gewinnanteils auf dem Rücklagenkonto verbucht. Das Rücklagenkonto war mit 2 % per annum (p.a.) über dem Basiszins der Deutschen Bundesbank gemäß § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu verzinsen;
- sämtliche Gewinnanteile, die weder dem Kapitalkonto, Verlustkonto oder Rücklagenkonto zuzuführen waren, wurden dem Darlehenskonto gutgeschrieben. Das Darlehenskonto wurde mit 2 % p.a. über dem Basiszins der Deutschen Bundesbank gemäß § 247 BGB verzinst, wobei für die Zinsberechnung ein Durchschnittsbetrag des Darlehenskontos zugrunde gelegt wurde.
7 Während der Kläger Guthaben vom Darlehenskonto jederzeit entnehmen konnte, war das Guthaben auf dem Rücklagenkonto vor Beendigung der stillen Gesellschaft nicht entnahmefähig. Dem Kläger stand im Innenverhältnis in begrenztem Umfang ein Stimmrecht in Angelegenheiten der A KG als Geschäftsinhaberin der stillen Gesellschaft zu. Das Stimmrecht bemaß sich nach dem Verhältnis der Einlage des Klägers zum Gesamtkapital. Der Kläger hatte außerdem das Recht auf Erhalt des jeweiligen Jahresabschlusses.
8 Die stille Gesellschaft war unbefristet. Der Gesellschaftsvertrag sah für den Fall der Beendigung des Anstellungsverhältnisses vor, dass die stille Gesellschaft unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum nächsten 31.12. durch beide Parteien gekündigt werden konnte. Im Übrigen konnten sowohl die A KG als auch der Kläger die stille Gesellschaft nach Ablauf einer bestimmten Mindestlaufzeit jederzeit unter Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, erstmals jedoch auf den . Eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund war jederzeit möglich. Die stille Gesellschaft endete automatisch bei Auflösung der A KG, Tod des stillen Gesellschafters oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A KG beziehungsweise Ablehnung eines solchen mangels Masse.
9 Bei Beendigung der stillen Gesellschaft hatte der Kläger Anspruch auf das Auseinandersetzungsguthaben, welches sich aus dem Nominal- und Haftungskapital zusammensetzt, das heißt dem Saldo aus Kapital-, Verlust-, Rücklagen- und Darlehenskonto. Einen Anspruch auf Beteiligung an den stillen Reserven der A KG sowie an Gewinnen beziehungsweise Verlusten aus nicht bilanzierungspflichtigen schwebenden Geschäften hatte der Kläger nicht. Das Auseinandersetzungsguthaben sollte auf Basis des letzten geprüften Jahresabschlusses berechnet werden. Das Auseinandersetzungsguthaben war grundsätzlich in fünf Jahresraten auszuzahlen, wobei der ausstehende Betrag des Auseinandersetzungsguthabens mit 2 % p.a. über dem Basiszins der Deutschen Bundesbank gemäß § 247 BGB zu verzinsen war. Das Auseinandersetzungsguthaben stand im Rang hinter allen sonstigen Verbindlichkeiten der A KG zurück und sollte vom Kläger nur eingefordert werden können, wenn und soweit hierdurch keine Überschuldung der A KG begründet oder erhöht werden würde.
10 In der Nachtragsvereinbarung zum Gesellschaftsvertrag vom vereinbarten der Kläger und die A KG eine Rangrücktrittsvereinbarung. Eine Rückzahlung der Einlage sowie des Rücklagenkontos bei Beendigung der Gesellschaft sollte nur nach Befriedigung sämtlicher Gesellschaftsgläubiger und nur zugleich mit der Befriedigung der Kommanditisten beziehungsweise der übrigen stillen Gesellschafter erfolgen, also so behandelt werden, als wären die Ansprüche statutarisches Eigenkapital. Ziel der Nachtragsvereinbarung war es, die Einlage und die Rücklage des Klägers unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes weiterhin als Eigenkapital in der Bilanz der A KG ausweisen zu können.
11 Die stille Einlage und die Rücklage des Klägers entwickelten sich wie
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Jahr | Einlage in € | Rücklage in € | Gesamteinlage in € |
2012 | 200.000 | ||
2013 | 200.000 | ||
2014 | 200.000 | ||
2015 | 200.000 |
12
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Jahr | Jahresergebnis A KG in € | Gesamteinlage Kläger in € | Ergebnisanteil Kläger in € | Verhältnis Ergebnisanteil zu Jahresergebnis in % | Verhältnis Ergebnisanteil zu Gesamteinlage in % |
2012 | 1,80 | 84,22 | |||
2013 | 1,80 | 58,60 | |||
2014 | 1,77 | 47,47 | |||
2015 | 1,80 | 30,79 |
13 Im Zusammenhang mit der Beendigung des Dienstverhältnisses des Klägers zum vereinbarten die A KG und der Kläger mit Schreiben vom einvernehmlich die Aufhebung der stillen Gesellschaft zum .
14 Der Kläger erklärte die Einkünfte aus der stillen Beteiligung an der A KG im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2013 unter Vorlage einer Steuerbescheinigung der A KG über den Kapitalertragsteuereinbehalt. Für die Streitjahre 2014 bis 2016 wurden diese Einkünfte und die darauf einbehaltene Kapitalertragsteuer vom Kläger nicht erklärt. Die Veranlagung erfolgte jeweils erklärungsgemäß für das Streitjahr 2013 mit Einkommensteuerbescheid vom , für das Streitjahr 2014 mit Einkommensteuerbescheid vom , für das Streitjahr 2015 mit Einkommensteuerbescheid vom und für das Streitjahr 2016 mit Einkommensteuerbescheid vom .
15 Im Rahmen einer bei der A KG durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung des Finanzamts Z vertrat dieses die Auffassung, die Erträge aus der stillen Beteiligung des Klägers seien als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit anzusehen. Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) schloss sich dieser Rechtsauffassung an und erließ jeweils am geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre. Den Änderungsbescheid für das Jahr 2013 stützte das FA auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO), während es die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2014 bis 2016 gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO änderte. Der Kläger legte gegen die Änderungsbescheide Einsprüche ein, die das FA mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurückwies.
16 Die hiergegen erhobene Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2023, 101 mitgeteilten Gründen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat entschieden, dass die dem Kläger aus der stillen Beteiligung zugeflossenen Erträge als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu qualifizieren und nicht vorrangig durch dessen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit veranlasst seien.
17 Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Bundesrechts sowie einen Verfahrensfehler. Das FA trägt vor, das FG habe bei seiner Gesamtwürdigung der tatsächlichen Umstände des Streitfalls wesentliche Umstände nicht beachtet und sei deshalb zu einem unzutreffenden Ergebnis gekommen. Das FG habe bei der Würdigung ferner gegen Denkgesetze verstoßen. Das FA rügt außerdem eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch das FG. Dieses hätte die Akten der Lohnsteueraußenprüfung des Finanzamts Z zum Verfahren beiziehen müssen.
18 Das FA beantragt,
das aufzuheben und die Klage abzuweisen.
19 Die Kläger beantragen,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
20 Sie verteidigen die Vorentscheidung.
Gründe
II.
21 1. Die Revision ist zulässig. Insbesondere genügt das Revisionsvorbringen des FA noch den Begründungserfordernissen des § 120 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FA hat nicht ausschließlich die Tatsachenfeststellung des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) im Rahmen der Abgrenzung der Einkunftsarten angegriffen, sondern in (noch) genügender Weise die vom FG herangezogenen abstrakten Kriterien zur Abgrenzung der Einkunftsarten als rechtsfehlerhaft gerügt. Hierin liegt eine Sachrüge des FA.
22 2. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
23 Es liegt ein von Amts wegen zu beachtender Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens vor, da das FG das Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2013 bis 2016 nicht gemäß § 74 FGO ausgesetzt hat, um den —gegebenenfalls negativen— Abschluss eines Verfahrens zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte zu der Frage abzuwarten, ob sich der Kläger an der A KG als atypisch stiller Gesellschafter beteiligt hat. Dieser Verfahrensfehler führt auch ohne Rüge im Revisionsverfahren zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung, damit das FG die gebotene Aussetzung des Verfahrens vornehmen kann (vgl. nur , BFHE 273, 22, BStBl II 2021, 614, Rz 10, m.w.N.).
24 a) Ein Feststellungsverfahren ist im Streitfall durchzuführen, weil es zumindest möglich erscheint, dass der Kläger —anders als bisher von den Beteiligten übereinstimmend angenommen— die streitigen Erträge aus seiner stillen Beteiligung als atypisch stiller Gesellschafter im Rahmen einer Mitunternehmerschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) bezogen haben könnte. In diesem Fall wären die Einkünfte des Klägers aus der stillen Gesellschaft in gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheiden für die Streitjahre festzustellen.
25 aa) Einkommensteuerpflichtige Einkünfte sind gemäß § 179 Abs. 1 i.V.m. § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO gesondert und einheitlich festzustellen, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Bei einem Gewerbebetrieb ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn mehrere Personen den Betrieb als Unternehmer (Mitunternehmer) führen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Mitunternehmer in diesem Sinne ist auch, wer sich am Betrieb eines anderen als atypisch stiller Gesellschafter beziehungsweise diesem ähnlicher Innengesellschafter beteiligt (vgl. z.B. , BFH/NV 2016, 1559; vom - VIII R 46/18, BFHE 273, 22, BStBl II 2021, 614, Rz 12, m.w.N.).
26 bb) Ein Verfahren zur gesonderten und einheitlichen Feststellung muss bereits dann durchgeführt werden, wenn es zweifelhaft ist oder nur möglich erscheint, dass Einkünfte vorliegen, an denen mehrere im Inland ansässige Personen beteiligt sind (vgl. , BFH/NV 2021, 1; vom - VIII R 46/18, BFHE 273, 22, BStBl II 2021, 614). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Zweifel rechtlicher oder tatsächlicher Natur sind. In beiden Fällen entspricht es dem Zweck des Feststellungsverfahrens und der dem § 179 AO zugrunde liegenden Kompetenzverteilung, eine inhaltlich identische Sachbehandlung gegenüber allen potentiell betroffenen Steuerpflichtigen sicherzustellen (, BFHE 273, 22, BStBl II 2021, 614, Rz 13). Ein Feststellungsverfahren ist auch dann durchzuführen, wenn das für dieses Verfahren zuständige Finanzamt zugleich für die Festsetzung der Einkommensteuer aller möglicherweise an den Einkünften beteiligter Steuerpflichtiger zuständig ist (vgl. , BFHE 258, 1, BStBl II 2018, 33, m.w.N.). Es kann nur unterbleiben, wenn offensichtlich ein Fall von geringer Bedeutung im Sinne des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegt (vgl. , BFH/NV 2015, 1588).
27 b) Im Streitfall kommt es auf Grundlage der Tatsachenfeststellungen des FG in Betracht, dass der Kläger die streitigen Einnahmen weder als Arbeitnehmer noch als typisch stiller Gesellschafter, sondern als atypisch stiller Gesellschafter im Rahmen einer Mitunternehmerschaft erzielt hat (hierzu unter aa und bb). Es liegt auch kein Fall von geringer Bedeutung im Sinne des § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO vor, der den Erlass gesonderter und einheitlicher Feststellungsbescheide für die Streitjahre entbehrlich machen würde (hierzu unter cc).
28 aa) Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch Einnahmen aus der Beteiligung an einem Handelsgewerbe als stiller Gesellschafter oder aus partiarischen Darlehen, es sei denn, dass der Gesellschafter oder Darlehensgeber als Mitunternehmer anzusehen ist. Mitunternehmer ist derjenige Gesellschafter, der kumulativ Mitunternehmerinitiative entfalten kann und Mitunternehmerrisiko trägt (z.B. , BFHE 252, 193, BStBl II 2016, 517; vom - IV R 19/20, BFH/NV 2023, 1062, Rz 38).
29 aaa) Mitunternehmerinitiative bedeutet vor allem Teilnahme an unternehmerischen Entscheidungen, wie sie zum Beispiel Gesellschaftern oder diesen vergleichbaren Personen als Geschäftsführer, Prokurist oder in anderer leitender Anstellung obliegen. Ausreichend ist in der Regelausprägung dieses Merkmals schon die Möglichkeit zur Ausübung von Gesellschafterrechten, die wenigstens den Stimm-, Kontroll- und Widerspruchsrechten angenähert sind, die einem Kommanditisten nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) zustehen oder die den gesellschaftsrechtlichen Kontrollrechten nach § 716 Abs. 1 BGB entsprechen (, BFHE 258, 459, BStBl II 2017, 1133, und vom - IV R 19/20, BFH/NV 2023, 1062, Rz 39).
30 bbb) Mitunternehmerrisiko trägt, wer gesellschaftsrechtlich oder diesem Status wirtschaftlich vergleichbar am Erfolg oder Misserfolg eines gewerblichen Unternehmens teilnimmt. Dieses Risiko wird im Fall der Regelausprägung durch eine Beteiligung am Gewinn und Verlust sowie an den stillen Reserven des Anlagevermögens einschließlich eines Geschäftswerts vermittelt (Beschluss des Großen Senats des , BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751; , BFHE 258, 459, BStBl II 2017, 1133, und vom - IV R 19/20, BFH/NV 2023, 1062, Rz 40).
31 ccc) Die angesprochenen Merkmale können im Einzelfall mehr oder weniger ausgeprägt sein und ein geringeres mitunternehmerisches Risiko kann durch eine besonders starke Ausprägung des Initiativrechts ausgeglichen werden und umgekehrt. Beide Merkmale müssen jedoch vorliegen. Ob dies der Fall ist, ist unter Berücksichtigung aller die rechtliche und wirtschaftliche Stellung einer Person insgesamt bestimmenden Umstände zu würdigen (z.B. , BFHE 258, 459, BStBl II 2017, 1133, und vom - IV R 19/20, BFH/NV 2023, 1062, Rz 41). Im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls kann die Bezeichnung des Vertragsverhältnisses durch die Vertragsschließenden selbst als stille Gesellschaft lediglich als Indiz berücksichtigt werden (vgl. , BFH/NV 2018, 1268, m.w.N.).
32 ddd) Das volle Mitunternehmerrisiko eines atypisch stillen Gesellschafters ist im Regelfall dadurch gekennzeichnet, dass das Unternehmen im Innenverhältnis (das heißt mit schuldrechtlicher Wirkung) auf gemeinsame Rechnung und Gefahr des Geschäftsinhabers sowie des stillen Gesellschafters geführt wird. Der Stille muss daher nicht nur am laufenden Unternehmenserfolg beteiligt sein. Darüber hinaus müssen die Regelungen des Gesellschaftsvertrags die Gewähr dafür bieten, dass er (grundsätzlich) im Fall der Beendigung des Gesellschaftsverhältnisses entsprechend seinem Gewinnanteil Anspruch auf den Zuwachs der stillen Reserven des Betriebsvermögens einschließlich des Zuwachses an dem —nach den üblichen Methoden des Geschäftsverkehrs ermittelten— Firmenwert hat (vgl. , BFHE 258, 459, BStBl II 2017, 1133, m.w.N.; vom - VIII R 46/18, BFHE 273, 22, BStBl II 2021, 614, Rz 19).
33 Im Streitfall legen einerseits die erheblichen Gewinnanteile des Klägers, die sich in den Streitjahren 2013 bis 2015 auf mehr als das Doppelte seiner ursprünglichen stillen Einlage von 200.000 € beliefen und diese auch im Streitjahr 2016 deutlich überstiegen, ebenso wie die Thesaurierung von Gewinnanteilen auf dem Rücklagenkonto sowie der vereinbarte Rangrücktritt, ein eigenes unternehmerisches Interesse des Klägers am Erfolg der A KG nahe. Andererseits sprechen die Deckelung der Gewinnbeteiligung aller stillen Gesellschafter auf maximal 25 % des Gewinns und der Ausschluss der Beteiligung des Klägers an den stillen Reserven der A KG für ein unterausgeprägtes Mitunternehmerrisiko.
34 eee) Bleibt das Mitunternehmerrisiko des stillen Gesellschafters —etwa mangels einer in die steuerrechtliche Beurteilung einzubeziehenden Beteiligung an den stillen Reserven wie im Streitfall— hinter der Rechtsstellung zurück, die das Handelsgesetzbuch dem Kommanditisten zuweist, so kann dennoch von einer Mitunternehmerstellung aufgrund eines atypisch stillen Gesellschaftsverhältnisses ausgegangen werden, wenn bei Würdigung der Gesamtumstände des Streitfalls seine Möglichkeit zur Entfaltung von Mitunternehmerinitiative besonders stark ausgeprägt ist (vgl. z.B. , BFHE 258, 459, BStBl II 2017, 1133; vom - VIII R 5/04, BFH/NV 2007, 906, m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des BFH kann eine besonders ausgeprägte Mitunternehmerinitiative sogar den Ausschluss des stillen Gesellschafters von der Beteiligung am Verlust, den stillen Reserven und dem Geschäftswert kompensieren (vgl. z.B. , BFHE 135, 297, BStBl II 1982, 389; vom - VIII R 122/86, BFHE 163, 346; vom - VIII R 46/18, BFHE 273, 22, BStBl II 2021, 614, Rz 20). Damit kommt eine Kompensation der fehlenden Beteiligung des Klägers an den stillen Reserven der A KG auch im Streitfall in Betracht.
35 (1) Für die Annahme einer besonders stark ausgeprägten Mitunternehmerinitiative genügt es nicht, dass die Kontrollbefugnisse des § 233 HGB beispielsweise im Sinne der Rechte nach § 717 BGB ausgedehnt werden. Erforderlich ist vielmehr, dass dem Stillen Aufgaben der Geschäftsführung, mit denen ein nicht unerheblicher Entscheidungsspielraum und damit auch Einfluss auf grundsätzliche Fragen der Geschäftsleitung verbunden ist, zur selbständigen Ausübung übertragen werden; der stille Gesellschafter muss wie ein Unternehmer auf das Schicksal des Unternehmens Einfluss nehmen können. Dies kann zwar auch bei Einräumung umfassender Weisungsrechte zu bejahen sein. Nicht ausreichend sind hingegen bloße Zustimmungsvorbehalte oder nur faktische —das heißt rechtlich nicht abgesicherte— Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Unternehmensführung (vgl. , BFHE 258, 459, BStBl II 2017, 1133, m.w.N.; vom - VIII R 46/18, BFHE 273, 22, BStBl II 2021, 614, Rz 21).
36 (2) Die rechtlichen Grundlagen für die personenbezogene, auf den einzelnen Mitunternehmer zu betrachtende Mitunternehmerinitiative müssen grundsätzlich in dem Unternehmen selbst angelegt sein. Für die Gewichtung der Mitunternehmerinitiative eines stillen Gesellschafters sind daher grundsätzlich die gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen der stillen Gesellschaft selbst heranzuziehen; ihnen kommt regelmäßig besonderes Gewicht zu (vgl. , BFHE 258, 459, BStBl II 2017, 1133, m.w.N.; vom - VIII R 46/18, BFHE 273, 22, BStBl II 2021, 614, Rz 22). Wie der Senat bereits entschieden hat, ist allerdings bei einer GmbH & Still die Möglichkeit des stillen Gesellschafters zur Entfaltung einer besonders stark ausgeprägten Mitunternehmerinitiative nicht nur anhand des Gesellschaftsvertrags der stillen Gesellschaft zu beurteilen. Diese kann sich vielmehr auch aus der Stellung als Organ der GmbH ergeben, denn der GmbH-Geschäftsführer, der zugleich stiller Gesellschafter ist, wird über die GmbH —formal gesehen nur mittelbar— als stiller Gesellschafter „im Dienst der Personengesellschaft“ tätig, weil bei einer GmbH & Still deren Unternehmensgegenstand regelmäßig mit dem des Inhabers des Handelsgewerbes (das heißt der GmbH) identisch ist (, BFHE 273, 22, BStBl II 2021, 614, Rz 22). Die Möglichkeit des stillen Gesellschafters zur Ausprägung einer gesteigerten Mitunternehmerinitiative muss durch Geschäftsführungsbefugnisse oder anderweitige Direktionsrechte rechtlich abgesichert sein (, BFHE 273, 22, BStBl II 2021, 614, Rz 23). Diese Gesamtbildbetrachtung bei Prüfung der Mitunternehmerinitiative hat der Senat auch für die stille Beteiligung eines Kommanditisten an einer GmbH & Co. KG herangezogen (, BFHE 163, 336).
37 (3) Hiervon ausgehend könnte im Streitfall, in dem der Kläger als stiller Gesellschafter zwar nicht Kommanditist, aber Geschäftsführer der A KG ist, an der er sich still beteiligt, eine Überausprägung der Einflussnahmemöglichkeiten des Klägers gegenüber der für einen atypisch stillen Gesellschafter oder Kommanditisten üblichen Ausgestaltung vorliegen. Die Geschäfte einer Innengesellschaft werden durch den Geschäftsinhaber im eigenen Namen, wenn auch im Innenverhältnis für Rechnung aller Gesellschafter der Innengesellschaft geführt (, BFHE 198, 101, BStBl II 2002, 464, unter II.A.2.b aa). Mit der Geschäftsführung auf Ebene der A KG als Geschäftsinhaberin führt der Kläger somit mittelbar auch die Geschäfte der stillen Innengesellschaft. Dies könnte ihm insgesamt eine so gesteigerte Einflussnahme auf den unternehmerischen Erfolg der A KG und gesteigerte Mitunternehmerinitiativrechte vermitteln, da dem Kläger nach den Regelungen des stillen Gesellschaftsvertrags zudem —neben dem typischen Anspruch auf Erhalt des Jahresabschlusses sowie des Prüfungsberichts des Abschlussprüfers— im Innenverhältnis in begrenztem Umfang auch ein Stimmrecht in Angelegenheiten der A KG als Geschäftsinhaberin zustand.
38 bb) Von einer Aussetzung des Klageverfahrens gegen die Einkommensteuerbescheide der Streitjahre gemäß § 74 FGO durfte das FG nicht absehen, weil ein Fall von geringer Bedeutung gemäß § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO gegeben ist. Weist ein Fall rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten auf, so ist er nicht von geringer Bedeutung (vgl. , BFH/NV 2015, 1588, m.w.N.). Hiervon ist im Streitfall auszugehen, da vom FA zu ermitteln ist, welche Befugnisse dem Kläger als Geschäftsführer der A KG zustanden, um beurteilen zu können, ob hinreichend ausgeprägte Mitunternehmerinitiativrechte des Klägers bestanden haben, die die Unterausprägung des Mitunternehmerrisikos ausgleichen können.
39 3. Im Rahmen des (noch durchzuführenden) Feststellungsverfahrens ist die Frage des Bestehens einer atypisch stillen Gesellschaft als Mitunternehmerschaft und der Mitunternehmerstellung des Klägers zu klären.
40 Dabei wäre vom FA für die (mögliche) atypisch stille Gesellschaft ein vom Feststellungsverfahren der A KG getrenntes Feststellungsverfahren durchzuführen. Im Fall der atypisch stillen Beteiligung an einer KG hat die frühere Rechtsprechung des Senats die Stellung eines atypisch stillen Gesellschafters, der nicht zugleich Kommanditist war, als weiteren Mitunternehmer und dessen Aufnahme in den Feststellungsbescheid der KG zwar für zutreffend erachtet (vgl. , BFHE 163, 336). In jüngeren Entscheidungen zu dieser Frage hat der IV. Senat des BFH indes betont, es sei grundsätzlich ausgeschlossen, die Besteuerungsgrundlagen für verschiedene Gesellschaften in einem Bescheid gesondert und einheitlich festzustellen. Erforderlich ist grundsätzlich, eine eigene gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung für die atypisch stille Innengesellschaft einerseits und die KG als Geschäftsinhaberin andererseits durchzuführen (, BFH/NV 2017, 475, Rz 29 bis 33, m.w.N.). Handelt es sich bei dem Inhaber des Handelsgewerbes, an dem sich ein anderer atypisch still beteiligt, wie im Streitfall, um eine Personengesellschaft, entsteht durch die Errichtung der atypisch stillen Gesellschaft eine doppelstöckige Personengesellschaftsstruktur mit der Personengesellschaft als Geschäftsinhaberin und Obergesellschaft und der atypisch stillen Innengesellschaft als Untergesellschaft (, BFH/NV 2023, 1062, Rz 34). Die Verselbständigung jeder Gesellschaft oder Gemeinschaft schließt es grundsätzlich aus, die Besteuerungsgrundlagen für verschiedene Gesellschaften (hier: einerseits die [mögliche] A KG & atypisch Still als Untergesellschaft und andererseits die A KG als Obergesellschaft einer doppelstöckigen Personengesellschaft) in einem Bescheid gesondert und einheitlich festzustellen (, BFHE 252, 193, BStBl II 2016, 517, Rz 25). Dem schließt sich der erkennende Senat an.
41 4. Da die Revision bereits wegen des von Amts wegen zu beachtenden Verstoßes des FG gegen § 74 FGO Erfolg hat, kommt es auf die vom FA erhobene Verfahrensrüge nicht an.
42 5. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:U.191124.VIIIR10.22.0
Fundstelle(n):
DStR-Aktuell 2025 S. 6 Nr. 7
VAAAJ-85196