Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-24 S 257/21vorgehend AG Frankfurt Az: 383 C 147/21 (43)
Tatbestand
1 Der Kläger beansprucht von der Beklagten die Rückzahlung des restlichen Reisepreises für eine Pauschalreise.
2 Der Kläger buchte bei der Beklagten für sich und seine Ehefrau eine Pauschalreise "Riviera & Mehr 2020", die vom 4. bis stattfinden und 598 Euro kosten sollte. Der Kläger zahlte den vollständigen Reisepreis an die Beklagte.
3 Mit Schreiben vom erklärte der Kläger den Rücktritt von der Reise. Er bezog sich darauf, dass weder er noch seine Ehefrau aus gesundheitlichen Gründen an der Reise teilnehmen könnten, weil in Bus und Bahn eine Maskenpflicht bestehe und beide zur Risikogruppe gehörten.
4 Die Beklagte behielt eine Stornierungsgebühr in Höhe von 151,60 Euro ein. Am sagte die Beklagte die Reise ab. Mit Schreiben vom bestätigte die Beklagte die vollständige Erstattung der geleisteten Zahlungen.
5 Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Rückzahlung eines Betrages in Höhe von 151,60 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Gründe
6Die zulässige Revision bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.
7I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
8Das Amtsgericht habe die Beklagte zu Recht zur Rückzahlung des restlichen Reisepreises verurteilt. Der Kläger sei als Buchender einer sogenannten Familienreise aktivlegitimiert.
9Die Beklagte könne gegenüber dem Kläger nicht mit einem Entschädigungsanspruch aufrechnen, da die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB erfüllt seien.
10Der Ausbruch der Corona-Pandemie habe im Frühjahr 2020 zu einer nahezu weltweiten Abschottung und zur Annullierung sämtlicher internationaler Flüge geführt und stelle einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB dar.
11Der Kläger schulde gemäß § 651h Abs. 3 BGB keine Entschädigungsleistung. Dies gelte unabhängig davon, ob im Zeitpunkt seiner Rücktrittserklärung nach einer ex-ante-Betrachtung bereits hinreichende Anhaltspunkte bestanden hätten, dass die vom Reiseveranstalter geplante Reise infolge der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Eine ex-ante-Betrachtung sei jedenfalls dann nicht maßgeblich, wenn der Reiseveranstalter die Reise vor deren Beginn selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstandes abgesagt habe.
12Ob die Beklagte die Rückzahlung auch deshalb schulde, weil sie in dem Schreiben vom vorbehaltslos die Rückzahlung des Reisepreises in voller Höhe zugesagt habe, könne dahinstehen. Das Schreiben sei an den Kläger adressiert und beziehe sich auf "ihre coronabedingt stornierte Reise", weshalb der Kläger habe davon ausgehen können, dass die Beklagte ihm den Reisepreis trotz seiner Rücktrittserklärung vollständig zurückzahlen werde. Zu dem Schreiben habe die Beklagte in beiden Instanzen nicht Stellung genommen.
13II. Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
141. Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil der Kläger nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Damit ist die Beklagte zur Rückzahlung des restlichen Reisepreises verpflichtet.
152. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte dem Anspruch des Klägers entgegenhalten könnte, nicht ausgeschlossen werden.
16a) Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Covid-19-Pandemie im vorgesehenen Reisezeitraum einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.
17Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand wertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (vgl. , NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 21; Urteil vom - X ZR 115/22, NJW-RR 2024, 193 Rn. 18; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 17; Urteil vom - X ZR 58/23 Rn. 21). Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. , RRa 2023, 183 Rn. 45 - UFC; Urteil vom - C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 48 - Kiwi Tours) und gilt auch für den im Streitfall maßgeblichen Reisezeitraum im Oktober 2020.
18b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf eine erhebliche Beeinträchtigung im Streitfall jedoch nicht schon deshalb bejaht werden, weil die Reise nach der Rücktrittserklärung abgesagt worden ist.
19Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist (, RRa 2024, 62 Rn. 28 ff. - Kiwi Tours).
20III. Die angefochtene Entscheidung erweist sich jedoch aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
21Die Beklagte ist schon deshalb zur vollständigen Erstattung des Reisepreises verpflichtet, weil sie dies dem Kläger mit Schreiben vom verbindlich zugesagt hat.
221. Das Schreiben hat folgenden Wortlaut:
Heute bestätigen wir die vollständige Erstattung der von Ihnen geleisteten Zahlungen zu Ihrer Reise, welche während der Corona-Beschränkungen nicht durchgeführt werden konnte. Wir bitten Sie die Verzögerung hinsichtlich der Erstattung zu entschuldigen.
232. Wie die Revisionserwiderung zu Recht geltend macht und auch das Berufungsgericht in seiner Hilfserwägung zutreffend ausgeführt hat, ist diesem Schreiben aus Empfängersicht zu entnehmen, dass sich die Beklagte zur vollständigen Rückzahlung des Reisepreises verpflichtet.
24Dass das Schreiben nach dem Vorbringen der Beklagten nur für Reisende bestimmt war, die vor der Absage der Reise nicht zurückgetreten waren, und nur irrtümlich an den Kläger versandt worden ist, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Dieser Umstand geht aus dem Schreiben nicht hervor und war für den Kläger auch nicht aus anderen Gründen erkennbar. Eine unverzügliche Anfechtung ist, wie die Revisionserwiderung zu Recht geltend macht, nicht vorgetragen.
253. Der Senat kann abschließend über diese Frage entscheiden, weil zusätzliche oder abweichende Feststellungen nicht in Betracht kommen.
26Nach den tatbestandlichen Feststellungen des Amtsgerichts hat sich der Kläger bereits in erster Instanz auf das Schreiben vom berufen. Wie die Revision aufzeigt, hat die Beklagte zwar abweichend von den Ausführungen des Berufungsgerichts zu diesem Schreiben Stellung genommen. Ihre in der Klageerwiderung erhobenen Einwendungen sind aus den oben dargelegten Gründen aber rechtlich nicht erheblich.
27IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Bacher Hoffmann Deichfuß
Marx von Pückler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280125UXZR60.22.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-85132