Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 2-24 S 163/21vorgehend AG Frankfurt Az: 383 C 417/20 (43)
Tatbestand
1 Die Klägerin beansprucht die Rückzahlung des restlichen Reisepreises für eine Pauschalreise.
2 Am buchte die 77 Jahre alte Klägerin bei der Beklagten eine Reise ab Bremen nach Singapur, Java und Bali, die vom 21. März bis stattfinden und 3.524 Euro kosten sollte. Die Klägerin zahlte den vollständigen Reisepreis an die Beklagte.
3 Mit Schreiben vom erklärte die Klägerin aufgrund der Covid-19-Pandemie den Rücktritt von der Reise.
4 Die Beklagte zahlte 2.012,80 Euro an die Klägerin zurück. Am sagte sie die Reise unter Bezugnahme auf die damals aktuelle Situation ab. Dem Begehren der Klägerin nach Rückzahlung des restlichen Reisepreises kam sie nicht nach.
5 Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 1.511,20 Euro nebst Zinsen verurteilt und die Klage abgewiesen, soweit sie auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtet war. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiter die Abweisung der Klage. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Gründe
6Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
7I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
8Das Amtsgericht habe die Beklagte zu Recht zur Rückzahlung des restlichen Reisepreises verurteilt. Die Beklagte könne gegenüber der Klägerin nicht mit einem Entschädigungsanspruch aufrechnen, da die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB erfüllt seien.
9Der Ausbruch der Corona-Pandemie habe im Frühjahr 2020 zu einer nahezu weltweiten Abschottung und vollständigen Einstellung des internationalen Flugverkehrs geführt und stelle einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB dar.
10Die Klägerin schulde gemäß § 651h Abs. 3 BGB keine Entschädigungsleistung. Dies gelte unabhängig davon, ob im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung bereits hinreichende Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass die geplante Reise infolge der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Eine ex-ante-Betrachtung sei jedenfalls dann nicht maßgeblich, wenn der Reiseveranstalter die Reise vor deren Beginn selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstandes abgesagt habe.
11II. Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
121. Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil die Klägerin nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Damit ist die Beklagte zur Rückzahlung des restlichen Reisepreises verpflichtet.
132. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte dem Anspruch der Klägerin entgegenhalten könnte, nicht ausgeschlossen werden.
14a) Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Covid-19-Pandemie im vorgesehenen Reisezeitraum einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.
15Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand wertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (vgl. , NJW-RR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 21; Urteil vom - X ZR 115/22, NJW-RR 2024, 193 Rn. 18; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 17; Urteil vom - X ZR 58/23 Rn. 21). Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. , RRa 2023, 183 Rn. 45 - UFC; Urteil vom - C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 48 - Kiwi Tours) und gilt auch für den im Streitfall maßgeblichen Reisezeitraum im März/April 2020.
16b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf eine erhebliche Beeinträchtigung im Streitfall jedoch nicht schon deshalb bejaht werden, weil die Reise nach der Rücktrittserklärung abgesagt worden ist.
17Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist (, RRa 2024, 62 Rn. 28 ff. - Kiwi Tours).
18III. Die angefochtene Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
191. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die Klage nicht schon dann ohne weiteres begründet, wenn die Beklagte für die wirksame Einbeziehung ihrer Allgemeinen Reisebedingungen, die eine pauschalierte Entschädigung vorsehen, keinen Beweis angetreten hat.
20Falls der Beklagten ein Entschädigungsanspruch dem Grunde nach zusteht, die in ihren Allgemeinen Reisebedingungen enthaltenen Regelungen zur Höhe des Anspruchs aber nicht zum Bestandteil des Vertrags geworden oder unwirksam sind, steht der Beklagten eine Entschädigung in der im Gesetz (§ 651h Abs. 2 Satz 2 BGB) vorgesehenen Höhe zu. Der Beklagten wird gegebenenfalls Gelegenheit gewährt werden müssen, zu den hierfür maßgeblichen Umständen vorzutragen.
212. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die Klage auch nicht deshalb ohne weiteres begründet, weil die Reise später abgesagt worden ist.
22Nach § 651h Abs. 2 Satz 2 BGB bestimmt sich die Höhe der Entschädigung mangels abweichender vertraglicher Regelung nach dem Reisepreis abzüglich des Werts der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie abzüglich dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwirbt. Eine Absage der Reise führt nicht ohne weiteres dazu, dass die Höhe der ersparten Aufwendungen dem Reisepreis entspricht oder diesen sogar übersteigt.
23IV. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
24Das Berufungsgericht hat sich - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - nicht mit der Erwägung des Amtsgerichts, dass der Reiseantritt für einen altersbedingten Risikopatienten unzumutbar sei, auseinandergesetzt und auch keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts der Klägerin konkrete Umstände absehbar waren, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB begründen.
25Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.
26Hierbei wird das Berufungsgericht insbesondere auch zu berücksichtigen haben, dass eine im Zeitpunkt des Rücktritts begründete Ungewissheit über die weitere Entwicklung ein starkes Indiz dafür bilden kann, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war. Hierbei sind gegebenenfalls auch individuelle Gesundheitsrisiken zu berücksichtigen, denen die Reisenden bei Durchführung der Reise ausgesetzt wären (, NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rn. 62 ff.; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 31 ff.). Wie der Senat bereits entschieden hat, ist dem Reisenden auch nicht ohne weiteres zuzumuten, mit einer Entscheidung über den Rücktritt bis kurz vor Reisebeginn zuzuwarten (, MDR 2024, 1570 Rn. 43 ff.).
27Entgegen der Auffassung der Revision wird es bei diesen Feststellungen auch nicht zwingend des Vortrags belastbarer Tatsachen bedürfen, aufgrund derer im Rücktrittszeitpunkt am Bestimmungsort der Reise mit einer höheren Ansteckungsgefahr als am Heimatort zu rechnen war. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist § 651h Abs. 3 BGB auch dann anwendbar, wenn dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort des Reisenden vorliegen ( Rn. 22).
28Entgegen der Auffassung der Revision wird es bei den zu treffenden Feststellungen auch nicht auf die konkrete Kenntnis des Reisenden bezüglich konkreter (Schutz-)Maßnahmen am Bestimmungsort der Reise ankommen. Maßgeblich sind nicht die konkreten Kenntnisse des vom Vertrag zurücktretenden Reisenden, sondern die Erkenntnismöglichkeiten aus der Sicht eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsreisenden zum Rücktrittszeitpunkt (, RRa 2024, 186 Rn. 72 - Tez Tour; C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 32 - Kiwi Tours).
Bacher Hoffmann Deichfuß
Marx von Pückler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280125UXZR54.22.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-85129