Instanzenzug: LG Berlin I Az: 502 KLs 2/24 Urteil
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Volksverhetzung, und Billigung von Straftaten in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Volksverhetzung und Verbreiten von Propagandamitteln terroristischer Organisationen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe hat es zur Bewährung ausgesetzt und zudem die Einziehung eines Mobiltelefons angeordnet. Die Angeklagte beanstandet mit ihrer Revision die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel ist unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
2Ergänzend zu der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bedarf allein der näheren Erörterung, dass die Angeklagte in Bezug auf Tat 2 der Urteilsgründe auch des Verbreitens von Propagandamitteln terroristischer Organisationen schuldig ist.
31. Nach den hierzu vom Landgericht getroffenen Feststellungen postete die Angeklagte am Mittag des über ihren öffentlich einsehbaren Instagram-Account, der 468 Follower hatte, einen Beitrag mit einem Bild, das einen augenscheinlich getöteten oder schwer verletzten, am Boden liegenden männlichen israelischen Soldaten zeigt, dem eine andere Person einen beschuhten Fuß auf den Kopf stellt. Das Bild war zuvor auf einem Telegram-Kanal veröffentlicht worden und in einer Ecke sowie mittels eines „Wasserzeichens“ in arabischer Schrift mit dem Namen „ “ versehen. Wie die Angeklagte zumindest für möglich hielt und in Kauf nahm, handelte es sich hierbei um die offizielle Medienstelle der durch die Durchführungsverordnung (EU) 2021/138 des Rates vom verbotenen Hamas. Durch die Zurschaustellung des israelischen Soldaten im Kontext des auf dem Kopf abgestellten Fußes wollte die Angeklagte für jedermann erkennbar ihre Sympathie mit dem am Morgen desselben Tages begonnenen Angriff der Hamas auf den Staat Israel sowie dem durch diesen begangenen Völkermord zum Ausdruck bringen und beides gutheißen. Der Angeklagten war bewusst, dass die Darstellung als Infragestellung des Existenzrechts des Staates Israel und zugleich als Aufruf zu Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung in Deutschland und dort lebende israelische Staatsangehörige aufgefasst würde.
42. Der Schuldspruch wegen Verbreitens von Propagandamitteln terroristischer Organisationen - in Tateinheit mit Volksverhetzung und mit Billigung von Straftaten (§ 130 Abs. 1 Nr. 2, § 140 Nr. 2 StGB) - ist nicht zu beanstanden. Der Straftatbestand des § 86 Abs. 2 StGB ist erfüllt und begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
5a) Mit dem durch das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten, Strafbarkeit der Verbreitung und des Besitzes von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern und Verbesserung der Bekämpfung verhetzender Inhalte sowie Bekämpfung von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen vom (BGBl. I S. 4250) neu gefassten § 86 Abs. 2 StGB wird im weiteren Sinne die Verbreitung von Propagandamitteln einer Organisation unter Strafe gestellt, die im Anhang der Durchführungsverordnung (EU) 2021/138 des Rates vom zur Durchführung des Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) 2020/1128 (ABl. L 43 vom , S. 1) als juristische Person, Vereinigung oder Körperschaft aufgeführt ist.
6An der Bestimmtheit dieser Strafvorschrift im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB bestehen unabhängig davon keine Zweifel, dass die in Bezug genommene Durchführungsverordnung (EU) 2021/138 des Rates vom bereits durch Art. 2 Durchführungsverordnung (EU) 2021/1188 des Rates vom aufgehoben worden ist (ABl. L 258 S. 14), auf die weitere Durchführungsverordnungen folgten (Durchführungsverordnungen [EU] 2022/147, 2022/1230, 2023/420, 2023/1505, 2024/329, 2024/2055). So muss der Gesetzgeber einen Straftatbestand nicht stets vollständig im förmlichen Gesetz umschreiben, sondern darf auf andere Vorschriften verweisen. Solche Verweisungen sind als vielfach übliche und notwendige gesetzestechnische Methode anerkannt, sofern die Verweisungsnorm hinreichend klar erkennen lässt, welche Vorschriften im Einzelnen gelten sollen, und wenn diese Vorschriften dem Normadressaten durch eine frühere ordnungsgemäße Veröffentlichung zugänglich sind. Dabei kann der Gesetzgeber auf Vorschriften eines anderen Normgebers verweisen, denn eine solche Verweisung bedeutet rechtlich nur den Verzicht, den Text der in Bezug genommenen Vorschriften in vollem Wortlaut in die Verweisungsnorm aufzunehmen. Das gilt auch für Verweisungen auf Normen und Begriffe des Rechts der Europäischen Union. Die mit einer Verweisung in aller Regel verbundene gesetzestechnische Vereinfachung ist verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der verweisende Gesetzgeber sich den Inhalt von Rechtsvorschriften des anderen Normgebers in der Fassung zu eigen macht, wie sie bei Erlass seines Gesetzesbeschlusses galt (statische Verweisung). Verweist ein Gesetzgeber hingegen auf andere Vorschriften in ihrer jeweils geltenden Fassung (dynamische Verweisung), kann dies dazu führen, dass er den Inhalt seiner Vorschriften nicht mehr in eigener Verantwortung bestimmt und damit der Entscheidung Dritter überlässt (s. insgesamt , BVerfGE 153, 310 Rn. 78 f. mwN).
7Hieran gemessen handelt es sich bei der Bezugnahme auf den Anhang der Durchführungsverordnung (EU) 2021/138 des Rates um eine zulässige statische Verweisung (vgl. im Ausgangspunkt ebenso Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 86 Rn. 5a; NK-StGB/Paeffgen/Klesczewski, 6. Aufl., § 86 Rn. 23a; Fischer/Anstötz, StGB, 72. Aufl., § 86 Rn. 11a; Theune, StV 2024, 416, 417). Bereits nach dem Gesetzeswortlaut wird die konkret, zumal mit genauer Fundstelle im Amtsblatt der Europäischen Union bezeichnete Durchführungsverordnung herangezogen. Hierauf stellt auch die Gesetzesbegründung ab, wonach durch diese Bezeichnung „eine gleichwertige Rechtssicherheit und Transparenz zu den erfassten Organisationen wie im Falle eines nationalen Verbots nach dem Vereinsgesetz“ bestehe (BT-Drucks. 19/31115 S. 10). Im Rahmen der vorzunehmenden Auslegung (vgl. , wistra 2024, 425 Rn. 23 mwN) ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, die Verweisung nicht als statische, sondern als dynamische zu verstehen.
8Die Aufhebung der in Bezug genommenen Durchführungsverordnung ändert unter den hier gegebenen Umständen an der Wirksamkeit der Verweisung nichts (vgl. Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 86 Rn. 5a; Fischer/Anstötz, StGB, 72. Aufl., § 86 Rn. 11a; anders NK-StGB/Paeffgen/Klesczewski, 6. Aufl., § 86 Rn. 23a; Theune, StV 2024, 416). Bei einer statischen Verweisung hat weder die Änderung des in Bezug genommenen Gesetzes Auswirkungen auf den Inhalt der Verweisungsnorm, noch kommt es darauf an, ob die Bezugsnorm bereits oder noch gilt (s. , NJW 2018, 3091 Rn. 24; , NStZ-RR 2021, 283, 284; jeweils mwN). Mithin führt die Aufhebung oder sonst fehlende Geltung der in Bezug genommenen Norm grundsätzlich nicht dazu, dass die Verweisung „ins Leere geht“ (vgl. , BGHR StGB § 2 Abs. 3 Gesetzesänderung 20 Rn. 12; anders aber NK-StGB/Paeffgen/Klesczewski, 6. Aufl., § 86 Rn. 23a). Inwieweit hiervon bei dem Wegfall der Listung durch den Rat der Europäischen Union möglicherweise Abweichungen - etwa im Sinne einer teleologischen Reduktion - vor dem Hintergrund in Betracht kommen, dass mit der Strafvorschrift Listungen durch den Rat der Europäischen Union nachvollzogen werden sollen (vgl. BT-Drucks. 19/31115 S. 9; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 86 Rn. 5a), bedarf hier keiner näheren Betrachtung. Denn die in Rede stehende Hamas ist in den Anhängen der folgenden Durchführungsverordnungen jeweils weiter aufgeführt worden.
9b) Die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 86 Abs. 2 StGB sind nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen erfüllt. Danach handelte es sich bei dem von der Angeklagten in einen Internet-Beitrag eingestellten Bild um ein Propagandamittel (§ 86 Abs. 3 Satz 2 StGB) der Hamas. Der Inhalt (§ 11 Abs. 3 StGB) stellte das Existenzrecht des Staates Israel in Frage und war letztlich mit einer entsprechenden aktiv kämpferischen, aggressiven Tendenz gegen dessen Bestand und Sicherheit gerichtet (vgl. zum Propagandamittel , BGHR StGB § 86 Propagandamittel 1 Rn. 7 mwN). Ferner ergibt sich, dass die Propaganda von der Hamas selbst ausging und somit der erforderliche Organisationsbezug besteht (s. allgemein , BGHSt 26, 258, 262).
Schäfer Berg Hohoff
Anstötz Voigt
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:181224B3STR507.24.0
Fundstelle(n):
GAAAJ-85123