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BAG Urteil v. - 6 AZR 209/23

Hauptstadtzulage - arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz

Instanzenzug: Az: 56 Ca 4530/21 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 12 Sa 513/22 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Zahlung einer Hauptstadtzulage.

2Die Klägerin ist bei dem beklagten Land als Schulleiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung ua. der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung. Die Klägerin ist in Entgeltgruppe 15 Entgeltordnung zum TV-L eingruppiert.

3Mit Art. 3 Nr. 2 Haushaltsumsetzungsgesetz 2020 vom (GVBl. Berlin S. 535) beschloss das Abgeordnetenhaus von Berlin die Regelung des § 74a Bundesbesoldungsgesetz in der Überleitungsfassung für Berlin (BBesG BE). Die Vorschrift trat nach Art. 7 Satz 3 des Gesetzes zum in Kraft. Unter Berücksichtigung der durch das „Gesetz zur Anpassung der Besoldung und Versorgung für das Land Berlin 2021 und zur Änderung weiterer Vorschriften (BerlBVAnpG 2021)“ vom (GVBl. Berlin S. 146), dort Art. 2 Nr. 1 Buchst. b, mit Wirkung zum Inkrafttreten vorgenommenen Änderungen lautet die Vorschrift auszugsweise:

4In § 74b BBesG BE ist ua. für von § 74a BBesG BE nicht erfasste Beamte mit Dienstbezügen oberhalb der Besoldungsgruppe A 13 mit Amtszulage ein Zuschuss zum Firmenticket von monatlich - maximal - 15,00 Euro geregelt. Nach § 74b Abs. 3 Satz 1 BBesG BE kann dieser Zuschuss den Arbeitnehmern des Landes in entsprechender Anwendung gewährt werden.

5Mit Rundschreiben IV Nr. 75/2020 vom über die „Gewährung einer außertariflichen Hauptstadtzulage an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (Beschäftigte) und auszubildende Personen“ (iF Rundschreiben) erklärte der Finanzsenator von Berlin ua.:

6Am beantragte die Klägerin bei dem beklagten Land die Hauptstadtzulage als monatlichen steuerpflichtigen Zulagenbetrag. Sie erklärte, auf den monatlichen Zuschuss zu einem Firmenticket für den öffentlichen Nahverkehr zu verzichten. Mit Schreiben vom machte sie die Zulage mit einem Betrag von 150,00 Euro monatlich ab November 2020 geltend. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Zahlung dieser Zulage für die Zeit von November 2020 bis Januar 2022.

7Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch auf Zahlung der Hauptstadtzulage folge aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser finde Anwendung, weil das beklagte Land außerhalb tariflicher Bindungen eine eigene Entscheidung getroffen habe, die Hauptstadtzulage den Arbeitnehmern zu gewähren. Eine Differenzierung allein nach Entgeltgruppen sei nicht gerechtfertigt, insbesondere stellten finanzielle Überlegungen keinen sachlichen Grund dar. Zweck der Sonderzahlung, der auf alle Arbeitnehmer zutreffe, sei es, die in Berlin gestiegenen Preise für Wohnen und Leben auszugleichen. Durch die Zahlung der außertariflichen Zulage nur für bestimmte Entgeltgruppen werde das Entgeltgefüge des Tarifvertrags ausgehebelt. Die Differenzierung verletze auch die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.

8Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,

9Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt.

10Es hat die Auffassung vertreten, wegen der Vergütung nach der Entgeltgruppe 15 zähle die Klägerin nicht zu den Tarifbeschäftigten, denen nach der gesetzlichen Regelung die Hauptstadtzulage zustehe. Angesichts dieser Rechtslage sei es dem beklagten Land nicht möglich, ihr die Hauptstadtzulage zu zahlen. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht anwendbar, bei der Gewährung der Hauptstadtzulage handele es sich um einen Normenvollzug. Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Die Ungleichbehandlung sei sachlich gerechtfertigt, sie diene der Hebung der Arbeitgeberattraktivität in Konkurrenz zu den Bundesbehörden und damit der Personalgewinnung in den begünstigten Arbeitnehmergruppen. Die Einbeziehung der Entgeltgruppe 13 beruhe darauf, dass dort in den kommenden Jahren ein Schwerpunkt der Personalgewinnung liegen werde. Für die Arbeitnehmer in den höheren Entgeltgruppen dürfe davon ausgegangen werden, dass sich diese Funktionen weitgehend durch bereits beim beklagten Land Beschäftigte nachbesetzen ließen. Die Begrenzung auf die unteren Besoldungs- bzw. Entgeltgruppen sei verhältnismäßig, weil die Zulage in der geregelten Höhe mit Blick auf die Begrenztheit der Mittel nicht allen Arbeitnehmern gewährt werden könne. Eine abgesenkte individuelle Höhe wäre nicht gleichermaßen zur Zweckerreichung geeignet.

11Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Nach Zulassung der Revision durch den Senat begehrt die Klägerin mit ihrer Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Gründe

12Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat das klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der Hauptstadtzulage.

13A. Die Revision ist zulässig, insbesondere ordnungsgemäß begründet, § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO (zu den Anforderungen im Einzelnen vgl. zB  - Rn. 11, st. Rspr.). Zwar ist die Revisionsbegründung nahezu wortgleich mit der Begründung der von der Klägerin erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde. Die Revision greift das Urteil des Landesarbeitsgerichts aber auch mit hinreichend begründeten Sachrügen an. Zudem ist mit der Gehörsrüge, die zum Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde geführt hat, im Revisionsverfahren eine zulässige Verfahrensrüge erhoben. Insofern genügt bereits die Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde, jedenfalls wenn diese wie hier den inhaltlichen Anforderungen an eine Revisionsbegründung entspricht (vgl.  - Rn. 36 f., BAGE 140, 64).

14B. Die Revision ist unbegründet.

15I. Die Revision ist nicht deshalb begründet, weil die Berufung des beklagten Landes unzulässig gewesen wäre. Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessfortsetzungsvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung. Sie ist vom Revisionsgericht deshalb von Amts wegen zu prüfen ( - Rn. 12). Das Landesarbeitsgericht hat insoweit frei von Rechtsfehlern angenommen, dass die Berufung des beklagten Landes trotz fehlendem ausformulierten Berufungsantrag zulässig war (zu den Anforderungen vgl.  - Rn. 21 f.). Die Berufungsbegründung lässt mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass sich das beklagte Land gegen die Verurteilung zur Zahlung der Hauptstadtzulage wendet und Klageabweisung begehrt.

16II. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der Hauptstadtzulage.

171. Ein Anspruch auf Zahlung der Hauptstadtzulage folgt nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

18a) Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist als Grundprinzip des deutschen Arbeitsrechts gewohnheitsrechtlich anerkannt ( - Rn. 19) und wird inhaltlich durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt. Er gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln und verbietet sowohl die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe als auch eine sachfremde Gruppenbildung (st. Rspr., vgl.  - Rn. 24 mwN). Trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit ist der Gleichbehandlungsgrundsatz auch bei der Zahlung der Arbeitsvergütung anwendbar, wenn diese durch eine Einheitsregelung generell angehoben wird oder der Arbeitgeber die Leistung nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er Voraussetzungen oder Zwecke festlegt ( - Rn. 22 mwN). Allerdings begrenzt der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zum Schutz der Arbeitnehmer nur die Gestaltungsmacht des Arbeitgebers. Er greift deshalb nur dort ein, wo dieser durch gestaltendes Verhalten ein eigenes Regelwerk oder eine eigene Ordnung schafft, nicht hingegen bei bloßem - auch vermeintlichem - Normenvollzug (st. Rspr.,  - Rn. 19 mwN).

19b) Danach ergibt sich kein Anspruch der Klägerin aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Bei der Zahlung der Hauptstadtzulage an bestimmte Arbeitnehmergruppen handelt das beklagte Land in - jedenfalls vermeintlichem - Normenvollzug, ohne insoweit eine eigene Gestaltungsmacht in Anspruch zu nehmen. Dies folgt aus der Auslegung des Rundschreibens.

20aa) Bei der Prüfung des Anspruchs aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sind im Streitfall zwei Schritte zu unterscheiden, nämlich zunächst die Entscheidung darüber, ob den Arbeitnehmern überhaupt eine Hauptstadtzulage gewährt wird, und wenn ja, an welche Arbeitnehmer diese gezahlt werden soll. Wollte man allein darauf abstellen, dass das beklagte Land eine Entscheidung über das „Ob“ getroffen hat, ergäbe sich noch nicht, welche konkrete Folge dies bewirken würde. Darum musste in einem zweiten Schritt die Höhe der Zulage und der Personenkreis, dem diese zugutekommen soll, festgelegt werden. Nur dann, wenn das beklagte Land in beiden Schritten von einer Gestaltungsmacht hätte Gebrauch machen wollen, läge das erforderliche gestaltende Verhalten vor.

21bb) Bezüglich des ersten Schritts, der Entscheidung, überhaupt eine Hauptstadtzulage an Arbeitnehmer zu zahlen, war nach der gesetzlichen Ausgestaltung eine gestaltende Entscheidung des beklagten Landes erforderlich. Das zeigt die Formulierung von § 74a Abs. 8 Satz 1 BBesG BE, der als Ermessensnorm ausgestaltet ist („Den Arbeitnehmern des Landes kann ... gewährt werden“). Das zeigt auch die Formulierung im Rundschreiben: „Ich bin … einverstanden, dass … nachstehend aufgeführten Beschäftigten eine außertarifliche Hauptstadtzulage … gewährt wird.“

22cc) Bezüglich der Auswahl, welchen Arbeitnehmern die Hauptstadtzulage in welcher Höhe gewährt wird, liegt dagegen keine gestaltende Entscheidung, sondern bloßer - vermeintlicher - Normenvollzug vor. Das beklagte Land hat für die Verteilungsbestimmung der Zulage keine eigene Entscheidung getroffen, sondern ging davon aus, durch die Regelungen der §§ 74a bis 74c BBesG BE gebunden zu sein und diese lediglich entsprechend auf die Arbeitnehmer anzuwenden. Das ergibt die Auslegung des Rundschreibens.

23(1) Bei dem Rundschreiben handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift; seine Regelungen sind Willenserklärungen der Senatsverwaltung für Finanzen. Ihnen kommt derjenige Erklärungsgehalt zu, der für die genannten Adressaten, an die sie sich wenden, bei verständiger Würdigung deutlich erkennbar ist (vgl.  2 C 3.05 - Rn. 13, BVerwGE 125, 85). Da Verwaltungsvorschriften ihre rechtliche (Außen-)Wirkung über die an ihnen orientierte, tatsächlich geübte gleichmäßige Verwaltungspraxis entfalten, ist für die Auslegung von Verwaltungsvorschriften - anders als für die Auslegung von Rechtsnormen - dasjenige Verständnis maßgeblich, das ihrer tatsächlichen Anwendung zugrunde liegt ( 1 WB 7.09 - Rn. 26). Maßgebend ist, in welchem Sinne die betreffende Behörde die von ihr herausgegebenen Richtlinien in einem maßgebenden Punkt verstanden wissen wollte und tatsächlich verstanden und angewandt hat. Die Ermittlung ihres Inhalts gilt revisionsrechtlich als Tatsachenfeststellung und unterliegt der revisionsrechtlichen Kontrolle nur insoweit, als es um die Einhaltung allgemeiner Erfahrungssätze, von Denkgesetzen oder sonstigen allgemeinen Auslegungsgrundsätzen geht (vgl.  2 C 19.21 - Rn. 13 f.).

24(2) Derartige revisible Rechtsfehler liegen nicht vor. Nach Wortlaut und Sinnzusammenhang der erlassenen Verwaltungsvorschriften geht die Senatsverwaltung für Finanzen des beklagten Landes von der im Rundschreiben mehrfach genannten „analogen Anwendung“ der §§ 74a bis 74c BBesG BE aus. Das Landesarbeitsgericht hat deshalb ohne Verletzung anerkannter Auslegungsregeln angenommen, dass das beklagte Land in Bezug auf den Empfängerkreis der Hauptstadtzulage keine gestaltende eigene Entscheidung getroffen hat, sondern aus dem Rundschreiben ersichtlich wird, dass sich das beklagte Land als Arbeitgeber durch § 74a Abs. 8 BBesG BE nicht als ermächtigt angesehen hatte, die Hauptstadtzulage an Beschäftigte in den Entgeltgruppen 14 oder 15 zu gewähren. Das beklagte Land hat sich durch die ihm zuzurechnende Erklärung des Finanzsenators lediglich - auf Grundlage der Verweisung in § 74a Abs. 8 Satz 1 BBesG BE auf die Absätze 1 bis 7 der Norm - die in diesen Absätzen geregelte Beschränkung des Empfängerkreises zu eigen gemacht und diese ohne Abweichung nachvollzogen. Die Beschränkung geht dahin, dass das beklagte Land die Hauptstadtzulage nur Arbeitnehmern bis einschließlich zur Entgeltgruppe 13 gewähren darf. Die Erklärung beinhaltet weder eine eigene Gruppenbildung noch Verteilungsentscheidung, womit ein jedenfalls vermeintlicher Normenvollzug vorliegt.

25(3) Der Berücksichtigung des Rundschreibens mit diesem durch Auslegung gewonnenen Inhalt steht die Rüge der Revision nicht entgegen, das Landesarbeitsgericht habe dessen Inhalt verwertet, obwohl das Schreiben der Klägerin nicht vorgelegen habe. Zwar ist diese Rüge, die als Gehörsrüge zum Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde geführt hat, im Revisionsverfahren als Verfahrensrüge zu behandeln (vgl.  - Rn. 36, BAGE 140, 64). Sie führt jedoch nicht zum Erfolg der Revision. Das Rundschreiben liegt der Klägerin durch seine Einführung im Revisionsverfahren nunmehr vor. Sie hätte daher vortragen müssen, welchen weiteren Vortrag sie gehalten hätte, wenn sie dieses Rundschreiben bereits in der Berufungsinstanz gekannt hätte (vgl. zur Rüge der Verletzung der Hinweispflicht des Landesarbeitsgerichts  - Rn. 33). Solchen Vortrag hat die Klägerin aber nicht geleistet.

26(4) Der Berücksichtigung des Rundschreibens steht auch nicht entgegen, dass das Landesarbeitsgericht den Vortrag des beklagten Landes aus der zweiten Instanz als verspätet hätte zurückweisen müssen, wie die Revision annimmt. Der Senat ist an die Zulassung des Vortrags gebunden. Eine - hier ohnehin nicht erkennbare - fehlerhafte Berücksichtigung von neuem Tatsachenvortrag, der bei richtigem Vorgehen des Berufungsgerichts als verspätet hätte zurückgewiesen werden müssen, kann mit der Revision nicht geltend gemacht werden. Beschleunigungswirkungen, welche die Präklusionsvorschriften der Regelungen des § 67 Abs. 3 und Abs. 4 ArbGG sichern sollen, können ersichtlich nicht mehr eintreten, nachdem das Berufungsgericht das Vorbringen verwertet hat (vgl.  - Rn. 33 mwN).

272. Die fehlende Eröffnung des Anwendungsbereichs des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes begegnet auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 19 Abs. 4 GG keinen Bedenken. Die Rechtsanwendung durch das beklagte Land ist dadurch nicht der gerichtlichen Kontrolle entzogen.

28a) Die Notwendigkeit der Anerkennung einer fachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeit gegen die untergesetzliche Bestimmung des anspruchsberechtigten Personenkreises durch das Rundschreiben folgt aus Art. 19 Abs. 4 GG. Auch die Rechtsetzung der Exekutive in der Form von Verwaltungsvorschriften ist Ausübung öffentlicher Gewalt und daher in die Rechtsschutzgarantie einbezogen (vgl. ua. - zu B I 1 a der Gründe, BVerfGE 115, 81). Das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert jedem den Rechtsweg, der geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Damit wird sowohl der Zugang zu den Gerichten als auch die Wirksamkeit des Rechtsschutzes gewährleistet. Die materiell geschützte Rechtsposition ergibt sich allerdings nicht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG selbst, sondern wird darin vorausgesetzt (vgl.  - zu B I 2 der Gründe, BVerfGE 129, 1).

29b) Unter Beachtung der Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG ist § 74a Abs. 8 Satz 1 BBesG BE dahin auszulegen, dass diese Bestimmung eine Regelungsvorgabe an das beklagte Land enthält, bei der dadurch eröffneten Gewährung der Hauptstadtzulage auch an Arbeitnehmer die Beschränkungen zu beachten, die § 74a Abs. 1 und Abs. 2 BBesG BE für die Beamten hinsichtlich des anspruchsberechtigten Personenkreises und der Höhe der Zulage vorsehen und diese Beschränkungen wirkungsgleich auf die Arbeitnehmer zu übertragen. Hiervon ist das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen. Diesem Verständnis entspricht die Systematik der §§ 74a und 74b BBesG BE, denn beide Regelungen sehen die Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung auf Arbeitnehmer vor. Eine analoge Anwendung des § 74b BBesG BE ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn noch Arbeitnehmer verbleiben, die nicht bereits unter den Anwendungsbereich des § 74a BBesG BE fallen. In dieser Auslegung hat § 74a Abs. 8 BBesG BE einen der Überprüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG zugänglichen Regelungsgehalt. Zugleich wird so mittelbar das Rundschreiben einer gerichtlichen Prüfung unterzogen.

303. § 74a Abs. 8 BBesG BE hält mit der Begrenzung der potentiellen Anspruchsberechtigung für die Hauptstadtzulage auf die Arbeitnehmer, deren Eingruppierung den beamtenrechtlichen Besoldungsgruppen bis einschließlich A 13 mit Amtszulage entspricht, einer Überprüfung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG stand.

31a) Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Normgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Normgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Normgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (st. Rspr., vgl.  - Rn. 64 mwN, BVerfGE 151, 101).

32b) Umgekehrt erweitern sich mit abnehmender Prüfungsstrenge die Gestaltungs- und Bewertungsspielräume des Gesetzgebers bei steigender Typisierungstoleranz. Im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit hat der Gesetzgeber weitgehende Freiheit darüber zu entscheiden, welche Personen durch finanzielle Zuwendungen des Staates gefördert werden sollen. Zwar bleibt er auch in diesem Bereich bei der Abgrenzung des Kreises der Begünstigten an den Gleichheitssatz gebunden. Bei der Überprüfung, ob eine Regelung, die allein eine Begünstigung gewährt, den begünstigten vom nicht begünstigten Personenkreis im Einklang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz abgrenzt, ist jedoch nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner hierbei grundsätzlich weiten Gestaltungsfreiheit eingehalten hat ( - zu B I 2 der Gründe, BVerfGE 112, 164). Zu prüfen ist, ob er seine Leistungen nach unsachlichen Gesichtspunkten verteilt hat. Dabei stehen ihm sachbezogene Gesichtspunkte in weitem Umfang zu Gebote, solange die Regelung sich nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Lebenssachverhalte stützt ( - zu C IV 1 der Gründe, BVerfGE 122, 1). Gewährt der Gesetzgeber aus bestimmten Gründen eine staatliche Sozialleistung, so hat deren Zweckbestimmung wesentliche Bedeutung dafür, unter welchen Voraussetzungen Ausnahmen sachlich hinreichend gerechtfertigt sind ( - aaO). Lassen sich Ungleichbehandlungen nur durch unterschiedliche Gründe rechtfertigen, dürfen diese Gründe zueinander nicht in Widerspruch stehen, sondern müssen innerhalb eines vertretbaren gesetzgeberischen Konzepts aufeinander abgestimmt sein (vgl.  - Rn. 146, BVerfGE 168, 1).

33c) Nach diesen Grundsätzen ist hier kein strenger Prüfungsmaßstab anzuwenden, weil die streitbefangene Differenzierung im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit erfolgt ist. Freiheitsrechte der durch § 74a Abs. 8 BBesG BE vom Leistungsbezug ausgenommenen Beschäftigten sind nicht berührt. Insbesondere liegt kein Eingriff in deren Berufswahlfreiheit (vgl. hierzu  ua. - Rn. 120, BVerfGE 145, 20; - 1 BvR 2394/10 - Rn. 9) vor, weil die Beschränkung nicht den Zugang zum Beruf betrifft. Auch die Berufsausübungsfreiheit ist nicht beeinträchtigt, denn es sind angesichts der geringen Höhe der Zulage keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass eine sinnvolle Berufsausübung durch die mit der Entgeltgruppenbeschränkung verbundenen wirtschaftlichen Folgen in einer Weise beeinträchtigt würde, die einer Beschränkung der Berufswahlfreiheit nahekäme (vgl.  - Rn. 9).

34d) § 74a Abs. 8 BBesG BE verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber hat seinen weiten Gestaltungs- und Bewertungsspielraum nicht überschritten. Die aus der Gesetzesbegründung ersichtlichen Ziele der Maßnahme rechtfertigen die vorgenommene Differenzierung zwischen den Entgeltgruppen noch.

35aa) Der Differenzierung nach Entgeltgruppen liegt ein legitimer Zweck zugrunde. Nach der Gesetzesbegründung dient die Hauptstadtzulage primär dem Ziel der Steigerung der Arbeitgeberattraktivität in Konkurrenz mit den Bundesbehörden in einem Umfeld zunehmend schwierigerer Personalgewinnung bei gleichzeitig erheblicher Ausscheidenszahlen von Arbeitnehmern aus Altersgründen in den kommenden Jahren (Abgeordnetenhaus Berlin Drs. 18/2665 S. 21 ff.). Mit der Begrenzung der Hauptstadtzulage auf die unteren Einkommensgruppen, bei der es sich aus Sicht des Gesetzgebers um eine „soziale Kappung“ handelt (Abgeordnetenhaus Berlin Drs. 18/2665 S. 23), soll zudem eine größere Wirkung erzielt werden. Entgegen der Revision ist dagegen der Ausgleich gestiegener Lebenshaltungskosten nicht Ziel der Regelung.

36Die gesetzgeberische Entscheidung ist damit hinreichend bestimmt (vgl. zu diesem Erfordernis  ua. - Rn. 79, BVerfGE 162, 277). Soweit die Konkretisierung nicht durch die tatbestandliche Ausgestaltung der Norm geschieht, mit der das Ziel umgesetzt wird, genügt die in den Gesetzesmaterialien genannte Zielsetzung, um Abweichungen von einer undifferenzierten Zulagengewährung zu rechtfertigen.

37bb) Die in den Materialien genannten Ziele sind ebenso bei den Arbeitnehmern und damit im Streitfall zu berücksichtigen. Zwar beziehen sich diese unmittelbar nur auf die Hauptstadtzulage für Beamte nach § 74a Abs. 1 BBesG BE. Dennoch kann auf diese Ziele auch bei der Prüfung der Regelung des § 74a Abs. 8 BBesG BE zurückgegriffen werden. Denn eine Erstreckung auf Arbeitnehmer war ausweislich der Gesetzesbegründung von Anfang an geplant (Abgeordnetenhaus Berlin Drs. 18/2665 S. 21 ff.). Anhaltspunkte dafür, dass bei den Arbeitnehmern des beklagten Landes andere Ziele verfolgt würden als bei den Beamten, sind nicht ersichtlich.

38cc) In Anwendung des genannten Prüfungsmaßstabs (vgl. Rn. 31 f.) sind die vom Gesetzgeber gewählten Differenzierungskriterien noch geeignet, den in den Gesetzesmaterialien genannten Zweck zu verwirklichen.

39(1) Angesichts des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers im Rahmen der gewährenden Staatstätigkeit ist es ihm überlassen, selbst zu entscheiden, in welchen Bereichen das beklagte Land als Arbeitgeber attraktiver sein soll, insbesondere welche Aufgabenerfüllung als besonders wichtig erscheint, sodass es darauf den Fokus der Personalgewinnung legen will. Ist dann die Entscheidung getroffen, lediglich in einzelnen Entgeltgruppen als Arbeitgeber attraktiver werden zu wollen, ist dies angesichts des weiten Prüfungsmaßstabs und des Einschätzungsspielraums nicht zu beanstanden. Deshalb bedarf es keiner Darlegung im Einzelnen, dass ohne die Hauptstadtzulage keine oder nicht ausreichend neue Arbeitskräfte zu gewinnen wären. Es genügt, dass durch die Zahlung der Zulage die Attraktivität des beklagten Landes als Arbeitgeber in bestimmten Besoldungs- bzw. Entgeltgruppen gesteigert werden soll, sodass die Chance, in diesen Gruppen mehr Arbeitskräfte zu gewinnen, steigt.

40(2) Entgegen der Annahme der Revision ist nicht entscheidend, ob zahlreiche Schulleiterstellen unbesetzt sind, sodass auch deren Attraktivität gesteigert werden müsste. Die Entscheidung, in welchen Bereichen das beklagte Land als Arbeitgeber attraktiver werden soll, obliegt, wie ausgeführt, dem Normgeber. Darüber hinaus betrifft die Hauptstadtzulage nicht allein Lehrer, sondern alle Arbeitnehmer des beklagten Landes, womit ein Personalbedarf in einem einzelnen Bereich nicht maßgeblich ist. Überdies dient die Hauptstadtzulage nach den Gesetzesmaterialien lediglich dazu, die Attraktivität für die Personalgewinnung zu steigern. Dagegen ist das Halten von Personal oder die Attraktivitätssteigerung von Beförderungsstellen nicht das gesetzgeberische Ziel. Ob es angesichts eines ggf. bestehenden Bedarfs an Schulleitern zweckmäßig wäre, die Attraktivität dieser Stellen für Beförderungsbewerber zu erhöhen, ist für die Vereinbarkeit von § 74a Abs. 8 BBesG BE mit Art. 3 Abs. 1 GG ebenso unerheblich wie die Frage, ob es zweckmäßiger wäre, Lehrer zu verbeamten.

41(3) Darüber hinaus ist die mit der Hauptstadtzulage nach den Materialien bezweckte soziale Komponente zu berücksichtigen. Dieser Teil des gesetzgeberischen Ziels bedingt, dass die Zulage - überwiegend - an untere Einkommensgruppen gezahlt wird. Zwar ergibt sich die Grenzziehung nicht aus dieser Zielsetzung. Insoweit hat der Gesetzgeber jedoch einen erheblichen Entscheidungsspielraum. Anhaltspunkte für eine unsachliche Entscheidung sind insofern nicht ersichtlich. In den Blick zu nehmen ist dabei auch der in der Gesetzesbegründung angeführte Aspekt der größeren Wirkung der Zulage bei einer Begrenzung auf die unteren Einkommensgruppen. Angesichts der nur begrenzt zur Verfügung stehenden Finanzmittel müsste die Zulage geringer ausfallen, sofern sie den Arbeitnehmern aller Entgeltgruppen gewährt würde.

42(4) In der Gesamtschau überwiegen somit die rechtfertigenden Aspekte die Inkohärenz, dass die Hauptstadtzulage in allen unteren Entgeltgruppen gezahlt wird, ohne dort nach Personalbedarf zu differenzieren.

434. Der Wirksamkeit von § 74a Abs. 8 BBesG BE steht auch kein Verstoß gegen das Abstandsgebot entgegen. Das Abstandsgebot als eigenständiger hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums hat bei Arbeitnehmern kein allgemeines Äquivalent (vgl.  - Rn. 38, BAGE 181, 305; - 5 AZR 637/09 - Rn. 26). Soweit die Revision auf Entscheidungen des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts rekurriert ( - und - 5 AZR 240/13 -), führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis. In den dort entschiedenen Fällen war das Gebot eines Entgeltmindestabstands - für den konkreten Fall von außertariflichen Angestellten - im Tarifvertrag bzw. Arbeitsvertrag selbst geregelt.

445. Dahinstehen kann, ob die Differenzierung nach Besoldungsgruppen in § 74a Abs. 1 BBesG BE verfassungswidrig ist, insbesondere im Hinblick auf das beamtenrechtliche Abstandsgebot (vgl. dazu  - zu II 3 der Gründe). Selbst wenn dies zuträfe, entstünde daraus kein Anspruch der Klägerin auf die begehrte Hauptstadtzulage, denn § 74a Abs. 8 BBesG BE bezöge nach wie vor nur Arbeitnehmer bis zur Entgeltgruppe 13 ein. Dann wäre es Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob die Hauptstadtzulage an alle Arbeitnehmer gezahlt werden soll. Daher ist weder eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht noch eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Vorlage des Verwaltungsgerichts Berlin ( - 5 K 77/21 -) angezeigt.

456. Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Hauptstadtzulage folgt schließlich entgegen der Ansicht der Revision auch nicht aus einer Fürsorgepflicht des beklagten Landes. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Begriff der Fürsorgepflicht vorrangig auf Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis, wie sie seit der Schuldrechtsreform in § 241 Abs. 2 BGB begründet sind, zielt. Soweit aus einer Fürsorgepflicht die Geltung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes hergeleitet werden könnte, greift dieser angesichts des Normenvollzugs nicht ein (vgl. Rn. 22 ff.).

46C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:191224.U.6AZR209.23.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-85075