Instanzenzug: Az: 6 U 2642/22vorgehend LG Nürnberg-Fürth Az: 6 O 943/19
Tatbestand
1 Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz im Zusammenhang mit einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage in Anspruch.
2 Der Kläger unterhielt seit 2013 ein sogenanntes Vermögensverwaltungsmandat bei der in der Schweiz ansässigen P. AG (nachfolgend P. ) in Form eines "Systemhandels für Wertpapiere". Die Beendigung jenes Vertrages war durch den Verkauf der börsennotierten Wertpapiere mit einer Frist von vier Wochen jederzeit möglich. Ende März 2017 kündigte die P. die Geschäftsbeziehung mit der Begründung, die Dienstleistung werde aufgrund "externer Umstände" eingestellt.
3 Bereits im November 2016 war im Auftrag des (damaligen) Verwaltungsrats der P. - des ursprünglich mitverklagten und durch rechtskräftiges zweites Versäumnisurteil in erster Instanz aus dem Verfahren ausgeschiedenen T. E. - mit Hilfe des Beklagten, der Dienstleistungen auf dem Kapitalmarkt anbietet, die Pi. S. SA (nachfolgend Pi. ), eine Gesellschaft luxemburgischen Rechts, als "Nachfolgegesellschaft" der P. gegründet worden. Die Pi. - deren Verwaltungsratsmitglied der Beklagte wurde - gab Inhaberschuldverschreibungen auf eine "hypothetische Beteiligung an der So. SFG 2016-200 SA" (im Folgenden So. oder Referenzgesellschaft), deren Verwaltungsrat ebenfalls der Beklagte war, mit einer Laufzeit bis aus. Darüber wurden Anfang April 2017 ein Prospekt und ein Produktinformationsblatt erstellt. Nach den Prospektinformationen war die Pi. berechtigt, aber nicht verpflichtet, die Inhaberschuldverschreibungen, für die es keinen geregelten Markt gab, vor Fälligkeit zurückzunehmen. Die Anlageentscheidungen der Referenzgesellschaft traf ein mit der Pi. vertraglich verbundener sogenannter Investmentmanager, die V. AG mit Sitz in Vaduz (Liechtenstein), deren Verwaltungsrat T. E. war. Mit dem Vertrieb der Kapitalanlage wurde eine Vermittlungsgesellschaft mit Sitz im Inland beauftragt, für die ebenfalls T. E. nach außen auftrat.
4 Die Anleger, die in den Wertpapierhandel bei der P. investiert hatten, erhielten im Mai und Juni 2017 unter anderem von T. E. unterzeichnete Schreiben, mit denen ihnen die Kapitalanlage bei der Pi. als kostenfreie und inhaltlich vergleichbare Alternative zu dem eingestellten "P. -System" angeboten wurde. Darin wurde das Anlagemodell unter anderem mit seiner schnellen/kurzfristigen Verfügbarkeit durch tägliche Rücknahme seitens der Emittentin beworben. Entsprechend äußerte sich T. E. bei den Schulungen der Vermittler.
5 Der Kläger erwarb im Juni 2017 über einen Vermittler mit dem ursprünglich bei der P. angelegten Geld Inhaberschuldverschreibungen der Pi. im Gegenwert von 865.000 €. Im Oktober desselben Jahres erteilte er der Pi. eine Verkaufsorder über 612.000 € und erhielt den Betrag ausgezahlt. Über einen von der depotführenden Stelle geltend gemachten Rückzahlungsanspruch wurde später ein Rechtsstreit geführt, über dessen Ausgang im vorliegenden Verfahren nichts bekannt ist. Eine weitere Verkaufsorder des Klägers wurde zurückgewiesen.
6 Die Pi. investierte das vereinnahmte Kapital auf Weisung des Investmentmanagers in die So. , die es wiederum bei der P. anlegte. Die beteiligten Gesellschaften sind mittlerweile insolvent beziehungsweise nicht mehr am Markt tätig.
7 Der Kläger hat behauptet, die Inhaberschuldverschreibungen der Pi. seien zur Verschleierung eines von der P. betriebenen Schneeballsystems aufgelegt worden. Er sei bei Abschluss des Wertpapierkaufauftrags über die (jederzeitige) gegenüber der Anlage bei der P. verbesserte Zugriffsmöglichkeit auf den angelegten Betrag sowie die beabsichtigte Verwendung der Emissionserlöse getäuscht worden. Allen Beteiligten - so auch dem Beklagten - sei bekannt gewesen, dass der Vertrieb der Anteile wahrheitswidrig beworben worden sei. Hätte er gewusst, dass sein Kapital bei der Pi. entgegen den Zusagen nicht kurzfristig verfügbar gewesen sei, hätte er die Inhaberschuldverschreibungen nicht gezeichnet.
8 Das Landgericht, das den Beklagten angehört sowie den Anlagevermittler als Zeugen vernommen hat, hat den Beklagten unter anderem neben T. E. als Gesamtschuldner zur Zahlung von 265.283 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Inhaberschuldverschreibungen sowie zum Ausgleich vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt; des Weiteren hat es den Annahmeverzug festgestellt. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.
Gründe
9 Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
10 Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
11 Das Landgericht habe frei von Verfahrens- und Rechtsfehlern angenommen und zu Recht festgestellt, dass der Beklagte auf der Internetseite der Pi. die Darstellung eines fingierten Kursverlaufs der Inhaberschuldverschreibung veranlasst und sich dadurch bewusst an der Täuschung der Anleger durch T. E. beteiligt habe, so dass er für den entstandenen Schaden nach §§ 826, 830 Abs. 2 BGB gemeinsam mit diesem als Gesamtschuldner hafte. Der Berufungssenat sei an die Feststellung des Landgerichts gebunden, der Beklagte habe gewusst, dass von T. E. in den Schulungen der Vermittler und gegenüber den Anlegern der Eindruck vermittelt worden sei, die Inhaberschuldverschreibungen der Pi. würden an der Börse gehandelt und es gebe einen tagesaktuellen Kurs. Zwar habe der Beklagte dies bestritten, das Landgericht habe jedoch dessen E-Mail vom und deren Hintergründe unter Berücksichtigung des Vortrags der Parteien verfahrensfehlerfrei in einer die Gesamtumstände berücksichtigenden und nachvollziehbaren Art und Weise ausgelegt und gewürdigt. In nicht zu beanstandender Weise habe das Landgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass dem Beklagten bekannt gewesen sei, dass es dem dargestellten Kurs an einer realen Grundlage gefehlt habe. Eine fehlerhafte Beweiswürdigung sei auch nicht aus der Rüge des Beklagten erkennbar, das Landgericht habe unzutreffend angenommen, dass sich bereits aus der Feststellung eines Kurses eine jederzeitige Veräußerbarkeit des Wertpapiers ergebe, vielmehr gehe es um den "inneren Wert" der Inhaberschuldverschreibung, welcher für den Fall der Rücknahme des Wertpapiers regelmäßig ermittelt worden sei. Demgegenüber überzeugten die Ausführungen des Landgerichts, dem Beklagten sei bewusst gewesen, dass der Vertrieb mit irreführenden Angaben zu einem Kurs sowie zur Handelbarkeit und jederzeitigen Rücknahmemöglichkeit der Inhaberschuldverschreibungen werbe. Wiederum sei auf die E-Mail des Beklagten vom Bezug zu nehmen, aus welcher das Landgericht ohne Denkfehler habe schließen dürfen, dass der Beklagte bewusst die Darstellung eines letztlich fiktiven Kurses auf der - auch der Information der Anleger und dem Vertrieb dienenden - Homepage der Pi. nach den Wünschen des T. E. veranlasst habe. Dies habe nur dem Zweck dienen können, die Anleger zu täuschen und den Vertrieb der Kapitalanlage zu fördern. Das habe das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise dahingehend gewürdigt, der Beklagte habe gewusst, dass (unter anderem) von T. E. in den Schulungen der Vermittler und gegenüber den Anlegern der Eindruck vermittelt worden sei, die Inhaberschuldverschreibungen würden zum Beispiel an der Börse gehandelt; jedenfalls gebe es einen tagesaktuellen Kurs, zu dem diese gegebenenfalls zurückgenommen würden. Dass es dem informationssuchenden Anleger auf den "inneren Wert" einer Anlage ankomme, auf deren Rücknahme er gleichwohl vor 2030 keinerlei Anspruch gehabt habe, überzeuge auch den (Berufungs-)Senat nicht. Vergeblich wende sich der Beklagte gegen die Bewertung des Landgerichts, es sei lebensfremd, dass er, wenn er Kenntnis von der Vortäuschung eines Börsenkurses gehabt habe, nicht zugleich Kenntnis von der hierzu lancierten Täuschung der Vermittler und Anleger über die Verfügbarkeit der Anlegergelder gehabt habe. Soweit der Beklagte rüge, das Landgericht habe den Vortrag aus dem Schriftsatz vom zu der Einstellung des gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Berlin nicht berücksichtigt beziehungsweise den ermittelnden Kriminalbeamten nicht vernommen, überzeuge dies den (Berufungs-)Senat ebenfalls nicht.
II.
12 Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung lässt sich ein - hier allein in Betracht kommender - deliktischer Anspruch des Klägers gegen den Beklagten aus §§ 826, 830 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 263, 27 StGB nicht bejahen.
131. Bedenken gegen die - auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfende (st. Rspr.; zB Senat, Urteil vom - III ZR 176/22, WM 2024, 1649 Rn. 10; , WM 2015, 2112 Rn. 13 und vom - VI ZR 11/14, WM 2015, 819 Rn. 14 mwN) - internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte gemäß Art. 7 Nr. 2 VO (EU) 1215/2012 (Brüssel-Ia-VO = EuGVVO; Gerichtsstand der unerlaubten Handlung; vgl. dazu , NJW 2021, 2977, Rn. 15 ff, 20; EuGH, NJW 2021, 144 Rn. 31) bestehen nicht und werden von der Revision auch nicht geltend gemacht.
142. Ebenso wie in dem vom Senat mit Urteil vom (aaO) entschiedenen Parallelverfahren haben die Vorinstanzen unangegriffen festgestellt, dass T. E. als Haupttäter den Anlegern und Vertriebsmitarbeitern wahrheitswidrig vorgespiegelt hat, die von der Pi. begebenen Inhaberschuldverschreibungen seien "jederzeit verfügbar", und der Anleger könne mithin nach Belieben auf sein Kapital zugreifen. Dies konnte nur dazu dienen, die Attraktivität der Kapitalanlage zu erhöhen und darüber hinwegzutäuschen, dass sie tatsächlich eine feste Laufzeit (bis 2030) hatte. Eine solche planmäßige Fehlinformation über eine wesentliche Eigenschaft der Kapitalanlage (hier in Gestalt der ausgegebenen Inhaberschuldverschreibungen), die einen Anleger - wie den Kläger - zu deren Erwerb veranlasst, erfüllt nicht nur den Tatbestand des Eingehungsbetrugs, sondern auch der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (Senat aaO mwN).
153. Die - überwiegend ähnlich wie in dem dem Senatsurteil vom zugrunde liegenden Parallelverfahren begründeten - Feststellungen des Berufungsurteils tragen die Annahme, der Beklagte habe eine vorsätzliche Beihilfehandlung zu der von T. E. begangenen Haupttat geleistet, jedoch nicht. Mit Erfolg wendet sich der Beklagte gegen die Beurteilung der Vorinstanz, er habe von der von T. E. gegenüber den Anlegern und Vermittlern verbreiteten Fehlinformation Kenntnis gehabt und dessen Handeln durch seine Mitwirkung bewusst unterstützt.
16 a) Die Gehilfenhaftung richtet sich nach strafrechtlichen Grundsätzen (vgl. zB Senat, Urteile vom - III ZR 79/23, BeckRS 32917 Rn. 34 und vom aaO Rn. 13; , BGHZ 164, 50, 57 mwN). Beihilfe ist danach die vorsätzliche Hilfeleistung zu einer Vorsatztat eines anderen. Objektiv muss die Beihilfehandlung zwar nicht für den Taterfolg ursächlich gewesen sein, die tatbestandsmäßige Handlung aber gefördert, erleichtert oder den Täter in seinem Entschluss zur Tatbegehung bestärkt haben (Senat aaO; BGH aaO). Gehilfenvorsatz liegt vor, wenn der Gehilfe zwar nicht alle Einzelheiten, aber die zentralen Merkmale der Haupttat sowie deren Förderung durch sein Verhalten kennt oder zumindest im Sinne bedingten Vorsatzes für möglich hält und in Kauf nimmt (zB Senat, Urteile vom und jew. aaO sowie vom - III ZR 189/19, NJW 2022, 705 Rn. 18 m.zahlr.w.N.). Eine berufstypische "neutrale" Handlung des Hilfeleistenden - wie hier die Darstellung des Kursverlaufs auf der Webseite der Emittentin - ist dann als strafbare Beihilfe anzusehen, wenn dieser weiß, dass das von ihm geförderte Verhalten des Haupttäters auf die Begehung einer Straftat abzielt. In diesem Fall verliert das unterstützende Tun seinen "Alltagscharakter" und damit seine Sozialadäquanz und erscheint als Solidarisierung mit dem Täter. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, sondern hält er es lediglich für möglich, dass er zur Begehung einer Straftat genutzt wird, liegt regelmäßig noch keine strafbare Beihilfehandlung vor. Die Schwelle zu einer vorsätzlichen Beihilfe ist erst dann überschritten, wenn das von ihm erkannte Risiko eines strafbaren Verhaltens des Unterstützten derart hoch ist, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein lässt (Senat, Urteile vom aaO Rn. 36; vom aaO und vom aaO; jew. mwN).
17 b) Ob Vorsatz vorliegt, ist eine Tatfrage, die das Tatgericht nach § 286 Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer gegebenenfalls durchgeführten Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden hat. An die Feststellungen des Tatgerichts ist das Revisionsgericht nach § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Revisionsrechtlich ist lediglich zu überprüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen verfahrensfehlerfrei umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also auf prozessordnungsgemäßer Grundlage beruht und vollständig sowie rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. zB Senat, Urteil vom aaO Rn. 14; aaO Rn. 25 und vom - XI ZR 295/12, NJW 2014, 1098 Rn. 26 mwN).
18 Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht. Die Würdigung des Berufungsgerichts, der Beklagte habe gewusst, dass T. E. gegenüber den Anlegern und in den Schulungen der Vermittler den Eindruck erweckt habe, die Inhaberschuldverschreibungen würden an der Börse gehandelt und es gebe einen tagesaktuellen Kurs, ist nicht rechtsfehlerfrei und beruht auf einer unvollständigen Tatsachengrundlage. Dabei kann dahinstehen, ob das Berufungsgericht den Umfang der ihm gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zukommenden Prüfungskompetenz und die daraus folgende Pflicht zur erneuten Tatsachenfeststellung verkannt und sich daher zu Unrecht für an die entsprechenden Feststellungen des Landgerichts gebunden gehalten hat (vgl. dazu zB Senat, Urteil vom aaO Rn. 16 mwN). Denn ungeachtet der diesbezüglich zumindest missverständlichen Formulierungen in dem dem Zurückweisungsbeschluss vorangegangenen Hinweisbeschluss hat es jedenfalls - soweit es die Erwägungen des erstinstanzlichen Gerichts im Ergebnis als zutreffend, nachvollziehbar und überzeugend bewertet hat - eine eigene Würdigung des Sachverhalts und des Beweisergebnisses vorgenommen, die den Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO nicht genügt. Es hat - ebenso wie vor ihm das Landgericht - dem E-Mail-Schreiben vom - der einzigen für erheblich gehaltenen Indiztatsache - einen ihm denklogisch nicht zukommenden Beweiswert zugemessen. Ferner hat es erhebliches Beklagtenvorbringen in seine Würdigung nicht mit einbezogen. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Vor-instanz - hätte sie all dies entweder einzeln oder in seiner Gesamtschau berücksichtigt - die subjektive Tatseite beim Beklagten anders als geschehen bewertet und einen Gehilfenvorsatz verneint hätte.
19 aa) Gegen Denkgesetze verstößt eine Beweiswürdigung unter anderem dann, wenn das Gericht einem bestimmten Umstand eine Indizwirkung beimisst, die diesem nicht zukommen kann (zB Senat, Urteil vom aaO Rn. 16; , NJW 2012, 3439 Rn. 29 und vom - VI ZR 97/90, NJW 1991, 1894, 1895; vgl. auch BeckOK/Bacher, ZPO, 54. Edition, § 286 Rn. 12.4 [Stand ]). Hieran gemessen, war die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts fehlerhaft. Denn es hat - wie schon zuvor das Landgericht - dem E-Mail-Schreiben vom eine Indizwirkung zugemessen, die es nicht hat.
20 Das an seine Mitarbeiter gerichtete E-Mail-Schreiben des Beklagten (Anlage K 28) hat folgenden Wortlaut:
"Moin die Herrschaften,
ich war ja bekanntermaßen am Mittwoch in Berlin, und da sind noch einige Wünsche geäußert worden.
Ad 1.) Darstellung auf unserer PI. Web-Site
Wir sollten den Kursverlauf darstellen, so wie wir es auch bei Fonds darstellen. Vielleicht eine Idee, wie wir es umsetzen können?
Ad 2.) Kursverlauf
Herr E. wünscht sich, dass wir bei dem Zertifikat eine Linie in den Kursverlauf geben, d.h. wir sollen mindestens 8 % darstellen, und für die Besonderheiten bis zu 12 % nach Kosten umsetzen. Jedoch sollten wir nicht eine gerade Linie darstellen, das soll ein wenig im Verlauf "schwanken".
Immer zu besonderen Zeitpunkten machen wir dann einen harten oder weichen "Re-Set" - relativ klar [nicht lesbar] meine?
Dann haben wir auch keine Thematiken mehr, wann wir uns wie [gemeint sein dürfte "die"] Kosten entnehmen können. On the long run wird der Kurs sich glätten, am Anfang ist das immer ein wenig schwierig. (…)"
21 Daraus hatte bereits das Landgericht gefolgert, der Inhalt der E-Mail bestätige eine positive Kenntnis des Beklagten, dass den Vermittlern in Schulungen und den Anlegern gegenüber der Eindruck erweckt worden sei, die Inhaberschuldverschreibungen würden an der Börse gehandelt, und es gebe einen tagesaktuellen Kurs, wobei dieser Eindruck in Kenntnis der Unwahrheit durch die Darstellung des Kursverlaufs auf der Internetseite weiter unterhalten beziehungsweise hervorgerufen und gefördert worden sei. Damit sei belegt, dass es dem Beklagten bewusst gewesen sei, dass es mangels Börsenhandels der Anlage keinen Kursverlauf gegeben und ein solcher demzufolge nicht der Realität entsprochen habe. Der Inhalt der E-Mail sowie die Angaben des Beklagten bei seiner informatorischen Anhörung - zu den dem Kursverlauf zugrunde liegenden Daten - ließen "lediglich den Schluss" zu, dass er in die auf Täuschung der Anleger angelegten Machenschaften des T. E. eingeweiht gewesen sei und somit auch positive Kenntnis davon gehabt habe, dass ein nicht existenter Kurs habe vorgespiegelt werden sollen. Dass der Beklagte lediglich Kenntnis von der Vortäuschung eines Börsenkurses und nicht von der durch T. E. lancierten Täuschung der Vermittler und Anleger über die Verfügbarkeit der Anlage gehabt habe, sei als lebensfremd auszuschließen. Die gemeinschaftliche Täuschung über einen nicht existenten Börsenkurs habe "einzig und allein" den Sinn gehabt, den Kunden eine jederzeit zu einem bestimmten Kurs gegebene Verkäuflichkeit der Inhaberschuldverschreibung vorzuspiegeln. Diesen Ausführungen hat sich das Berufungsgericht angeschlossen und angenommen, der Inhalt der vorstehend wiedergegebenen Nachricht habe "nur dem Zweck" dienen können, die Anleger zu täuschen und den Vertrieb der Kapitalanlage zu fördern.
22 Damit haben die Vorinstanzen dem E-Mail-Schreiben jedoch eine ihm - jedenfalls ohne weitere (nicht festgestellte) Indizien - denklogisch nicht zukommende Beweiswirkung beigemessen, denn unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstands im Übrigen waren auch andere Interpretationen möglich. Das E-Mail-Schreiben steht weder im unmittelbaren Zusammenhang mit der von T. E. gegenüber den Anlegern und Vermittlern behaupteten jederzeitigen Verfügbarkeit der Anlage noch lässt sich aus der Nachricht - entgegen der Ansicht der Vorinstanzen - zwingend auf eine vorzutäuschende Börsennotierung der Anlage und damit deren uneingeschränkte jederzeitige Handelbarkeit schließen. Vielmehr ergibt sich daraus, dass auch bei Fondsbeteiligungen, die - jedenfalls soweit es um geschlossene Fonds geht - nicht an der Börse gehandelt werden, Kursverläufe dargestellt wurden. Überdies war die Emittentin unstreitig berechtigt, die Inhaberschuldverschreibungen bei ausreichender Liquidität (freiwillig) zurückzunehmen, was nach dem - revisionsrechtlich zu unterstellenden und durch den in erster Instanz als Zeugen vernommenen Vermittler K. bestätigten - Vortrag des Beklagten auch schon im Jahr 2017 geschehen ist. Dementsprechend ist unstreitig im Oktober 2017 eine Verkaufsorder des Klägers über einen Teil der von ihm erworbenen Wertpapiere ausgeführt worden, wobei es im vorliegenden Zusammenhang nicht darauf ankommt, ob und aus welchen Gründen dies von der depotführenden Stelle später wieder in Frage gestellt worden ist. Einem außerbörslichen Kurs war daher ein gewisser Sinn nicht abzusprechen.
23 Dem steht nicht entgegen, dass sich das Oberlandesgericht nicht davon hat überzeugen lassen, dass es dem informationssuchenden Anleger auf den "inneren Wert" der Anlage - mit dem der Beklagte den Zweck der Kursdarstellung unter anderem erklärt hatte - angekommen sei, auf deren Rücknahme er vor 2030 gleichwohl keinen Anspruch gehabt habe. Denn wie vorstehend ausgeführt, musste ein "innerer Wert" der erworbenen Inhaberschuldverschreibungen nicht zwingend allein in Zusammenhang mit einer Börsennotierung und einer damit einhergehenden jederzeitigen Veräußerbarkeit gebracht werden, und der Anleger konnte aufgrund der zumindest anfänglich praktizierten Geschäftspolitik der Pi. ferner damit rechnen, die erworbenen Inhaberschuldverschreibungen (zu dem ermittelten Kurs) zurückgeben zu können, sofern dafür eine ausreichende Liquidität bestand. Aber auch unabhängig von etwaigen Rücknahmen der Inhaberschuldverschreibungen kann trotz der langen Laufzeit ein Interesse der Anleger an der jeweils aktuellen Bewertung der von ihnen erworbenen Wertpapiere nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Denn für einen Anleger kann der aktuelle Wert des Investments auch während dessen Laufzeit aus unterschiedlichen Gründen von Bedeutung sein, etwa zur Beurteilung seiner Kreditwürdigkeit, im Zusammenhang mit dem familienrechtlichen Zugewinnausgleich oder schlicht aus Interesse an seinem Vermögensstand.
24 Dass der Kurs des neu aufgelegten Wertpapiers nach den Feststellungen des Berufungsgerichts fingiert gewesen sein mag, weil er sich - wie der Beklagte bei seiner Anhörung bestätigt hat - zumindest in der Anfangszeit nicht an der realen Entwicklung der Pi. , sondern an den historischen Daten des von der P. vertriebenen Anlagemodells, das letztlich auch der Pi. zugrunde lag, orientierte, trägt die Annahme, der Beklagte habe sich an einem von T. E. begangenen Betrug in Form der Täuschung über die jederzeitige Verfügbarkeit des angelegten Geldes beteiligt, für sich allein nicht. Zu einer aus einer Fiktion des Kurses oder der Art seiner Ermittlung ableitbaren Täuschung über den Wert der Anlage und deren Bedeutung für den Anlageentschluss des Klägers gibt es keine tatrichterlichen Feststellungen. Land- und Oberlandesgericht haben bezüglich der Kausalität einer deliktischen Handlung für den Anlageentschluss des Klägers - von ihrem Standpunkt aus folgerichtig - allein auf die Verfügbarkeit des angelegten Kapitals abgestellt.
25 bb) Das Berufungsgericht hat sich zudem nicht mit dem - die vorstehend erörterten Aspekte ergänzenden und insoweit wesentlichen - Vorbringen des Beklagten im Rahmen seiner Anhörung vor dem Landgericht befasst. Dort hat er erklärt, es habe Vorgaben der Aufsichtsbehörde gegeben, wonach eine Webseite vorzuhalten sei, auf der bestimmte Informationen - unter anderem ein Kursverlauf - zu hinterlegen gewesen seien. Auch dies hätte - zumindest in der Gesamtschau mit den vorstehend erörterten Aspekten - Anlass dazu geben können, die Zweckbestimmung des Charts aus der für die Frage der subjektiven Tatseite maßgeblichen Sicht des Beklagten in einem anderen Licht zu betrachten und eine von der ersten Instanz abweichende Tatsachenfeststellung zu treffen (§ 529 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 286 Abs. 1 ZPO).
26 cc) Zu Recht rügt die Revision überdies die fehlende Einbeziehung der Gründe, die die Staatsanwaltschaft zur Einstellung des gegen den Beklagten im Zusammenhang mit dem Anlagemodell geführten Ermittlungsverfahren bewogen haben, in die Abwägung des Oberlandesgerichts. Mit der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Berlin vom und der diesbezüglichen Einstellungsnachricht vom , auf die sich der Beklagte mit erstinstanzlichem Schriftsatz vom berufen und die er als Anlagen B2 7 und 8 vorgelegt hat, hat sich das Berufungsgericht inhaltlich nicht befasst. Zu der mit der Berufungsbegründung erhobenen Rüge des Beklagten, (bereits) das Landgericht habe sich nicht mit den Feststellungen der Staatsanwaltschaft auseinandergesetzt, hat die Vorinstanz lediglich ausgeführt, die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens entfalte im Zivilprozess keine Bindungswirkung; zudem beinhalte die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, ein Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO einzustellen, stets eine Prognose, ob und inwieweit im weiteren Verfahrensverlauf mit einer Überführung des Beschuldigten zu rechnen sei, während der Zivilprozess vom Beibringungsgrundsatz geprägt sei. Zutreffend ist zwar, dass sich der Zivilrichter seine Überzeugung im Rahmen freier Beweiswürdigung selbst bilden muss (Senat, Urteile vom aaO Rn. 26 und vom aaO Rn. 11 mwN; , NJW-RR 2005, 1024, 1025). Ferner können Unterschiede bei der Tatsachenfeststellung - nach dem Amtsermittlungsgrundsatz im Ermittlungsverfahren einerseits und dem Beibringungsgrundsatz im Zivilprozess andererseits - zu unterschiedlichen Ergebnissen führen (Senat aaO). Das Gericht ist aber bei einem engen rechtlichen und sachlichen Zusammenhang von Zivil- und Strafprozess gehalten, sich mit den dort maßgeblichen Feststellungen auseinanderzusetzen, soweit sie für seine eigene Beweiswürdigung relevant sind (Senat jew. aaO; BGH aaO). Dies gilt auch für die Erwägungen, mit denen die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens begründet worden ist (Senat, Urteil vom aaO).
27 Das Berufungsgericht hätte sich daher mit den Gründen der Einstellungsverfügung vom auseinandersetzen und diese in seine tatrichterliche Würdigung einbeziehen müssen. Dort heißt es, der Hauptbeschuldigte E. habe nur wenige Personen in die Tatbegehung eingeweiht. Vielmehr habe er sich verschiedener Personen bedient, ohne diesen die wirklichen Hintergründe ihrer Dienstleistungen und Tätigkeiten zu offenbaren. Dies betreffe insbesondere auch den Beklagten als Vertreter der M. G. . Trotz aufwendiger Ermittlungen habe ihm ein hinreichender Tatverdacht nicht nachgewiesen werden können.
28 Die unterbliebene Berücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots in Gestalt des als Zeugen benannten Kriminalhauptkommissars K. ist dem Berufungsgericht indessen nicht vorzuwerfen, denn aus dem in Bezug genommenen Vorbringen des Beklagten ergibt sich nicht, welche über den Inhalt der Einstellungsverfügung hinausgehenden Tatsachen unter das Zeugnis des Polizeibeamten gestellt werden sollten.
III.
29 Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und - da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist - zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es sich mit den vorstehend genannten Aspekten auseinandersetzen und gegebenenfalls neue Feststellungen treffen kann (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sollte das Oberlandesgericht dabei zu dem Ergebnis gelangen, dass eine vorsätzliche Mitwirkung des Beklagten an einer Täuschung der Anleger über die jederzeitige Verfügbarkeit ihrer Kapitalanlage zu verneinen sein sollte, wird es sich gegebenenfalls auch mit den weiteren gegen den Beklagten erhobenen Vorwürfen zu befassen haben.
Herrmann Böttcher Kessen
Herr Liepin
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:230125UIIIZR371.23.0
Fundstelle(n):
KAAAJ-84958