Leitsatz
Tritt ein Leistungserbringer für Heil- und Hilfsmittel die ihm zustehenden Ansprüche gegen Krankenkassen an ein Rechenzentrum ab, ist die Abtretung jedenfalls dann nichtig, sofern der Leistungserbringer dem Rechenzentrum die Weiterabtretung dieser Forderungen ausdrücklich oder konkludent gestattet.
Gesetze: § 302 Abs 2 S 2 SGB 5, § 302 Abs 2 S 3 SGB 5, § 134 BGB
Instanzenzug: Az: I-6 U 95/23vorgehend Az: 10 O 334/21
Tatbestand
1Der Beklagte ist Verwalter in dem auf Antrag vom am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin); bereits am bestellte ihn das Insolvenzgericht zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Verfügungen der Schuldnerin waren nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters möglich. Drittschuldnern wurde verboten, an die Schuldnerin zu zahlen. Der vorläufige Insolvenzverwalter wurde ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der Schuldnerin einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen. Die Schuldnerin ist ein Dienstleistungsunternehmen, das sich von in Heilberufen tätigen Personen und sonstigen Leistungserbringern deren Forderungen aus ärztlichen Verordnungen abtreten lässt und diese bei den Krankenkassen einzieht. Die Klägerin versorgt Hilfs- und Pflegebedürftige, Apotheken, Krankenhäuser, Pflegeheime und ambulante Pflegedienste mit medizinischen Produkten und Hilfsmitteln.
2Klägerin und Schuldnerin standen seit dem Jahr 2005 in ständiger Geschäftsbeziehung. Grundlage des Vertrags waren Allgemeine Geschäftsbedingungen der Schuldnerin, die auszugsweise wie folgt lauteten:
"§ 1
Die P. übernimmt für den Leistungsträger ab dem Vertragsbeginn laufend die Abrechnung der (ärztlichen) Verordnungen/Rezepte und das Einziehen der sich hieraus ergebenen Forderungen […]. Dabei hat die P. die gesetzlichen Bestimmungen zu beachten und einzuhalten. Die Einziehung der Forderungen erfolgt im Namen der P. , jedoch für Rechnung der Apotheke.
§ 3
Wenn der Leistungsträger die Verordnungen übergibt, erhält er seine Auszahlungen der Nettobeträge nach den vereinbarten Terminen oder Wochentagen. […] Im Falle der Beendigung der Zusammenarbeit ist der Leistungserbringer verpflichtet, etwaige Überzahlungen auszugleichen.
§ 6
Die P. unterhält zum Ausgleich der Abrechnungsforderungen der Leistungserbringer ein eindeutig durch das Institutionskennzeichen des Leistungserbringers bestimmtes, für die Kunden des jeweiligen Abrechnungskreises (IK) einheitliches Konto. Die P. verfügt über dieses Konto nur zu Gunsten der Leistungserbringer, zu Gunsten der Bank, zu Gunsten der Kostenträger und zu eigenen Gunsten in Höhe der ihr für ihre Tätigkeit zustehenden Vergütung.
Der Leistungserbringer tritt seine gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen gegenüber den Kostenträgern an die P. ab. […]
Die P. hat das Recht, die Forderungen an die kreditgewährende und die jeweilige Zahlung vorfinanzierende Bank abzutreten, welche die Zahlung bzw. Überweisung an den Leistungserbringer vornimmt. […]"
3Nachdem die Schuldnerin der Klägerin am angekündigt hatte, sie nehme keine Abrechnungsunterlagen mehr entgegen, erklärte die Klägerin mit Schreiben vom die fristlose Kündigung der Geschäftsbeziehung. Zugleich untersagte sie der Schuldnerin weitere Abrechnungen, erklärte zu noch ausstehenden Abrechnungen den Widerruf ihrer Erlaubnis, solche gegenüber den Krankenkassen abzurechnen, und forderte die Schuldnerin auf, noch nicht bearbeitete Abrechnungsunterlagen an sie zurückzugeben. Die Schuldnerin errechnete für den Abrechnungsmonat September eine Forderung der Klägerin gegen Kostenträger in Höhe von 30.751,43 €. Diesen Betrag meldete die Klägerin zur Tabelle an; die Forderung wurde - vorbehaltlich ihrer Qualifikation als Masseverbindlichkeit - in Höhe von 29.936,06 € zur Tabelle festgestellt. Die A. hat aus der Abrechnung vom für den Monat September 2020 einen der Klägerin zuzuordnenden Betrag von 3.084,78 € noch nicht ausgezahlt.
4Mit der Klage begehrt die Klägerin die Zustimmung des Beklagten zur Auszahlung dieser von der A. einbehaltenen Forderungen aus der Sammelabrechnung der Schuldnerin vom in Höhe von 3.084,78 € sowie die Zahlung weiterer 27.666,65 €. Ihre Klage blieb vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht ohne Erfolg. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Gründe
5Die Revision hat Erfolg.
I.
6Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Klägerin stehe an den streitbefangenen Erstattungsforderungen kein Aussonderungsrecht nach § 47 InsO zu, sodass auch ein die Vereitelung eines solchen Rechts voraussetzendes Ersatzaussonderungsrecht nach § 48 InsO nicht bestehe. Insoweit komme es entscheidend darauf an, welchem Vermögen die Forderungen im maßgeblichen Zeitpunkt nach Inhalt und Zweck der gesetzlichen Regelung haftungsrechtlich zuzuordnen seien. Diese Zuordnung werde nach dinglichen Gesichtspunkten vorgenommen. Schuldrechtliche Ansprüche könnten zu einer abweichenden Vermögenszuweisung führen. Daran fehle es vorliegend sowohl hinsichtlich der Erstattungsforderungen als auch hinsichtlich der Guthaben auf Konten der Schuldnerin und des Beklagten.
7Vorliegend sei die Forderungsabtretung unbedingt erfolgt. Deshalb komme es nicht entscheidend darauf an, dass das atypische Vertragsverhältnis am ehesten als unechtes Factoring zu qualifizieren sei. Ebenso wenig komme es darauf an, ob die fristlose Kündigung zu recht erfolgt sei, denn der Übergang der Gläubigerstellung habe zu diesem Zeitpunkt bereits stattgefunden. Die Abtretung sei wirksam. Die Weitergabe der Daten sei durch § 302 Abs. 2 SGB V erlaubt; eine Strafbarkeit nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB scheide aus. Dass § 302 Abs. 2 SGB V nur die Befugnis enthalte, externe Rechenzentren in Anspruch zu nehmen, eine Abtretung von Forderungen hierfür nicht erforderlich sei, vermöge keinen Gesetzesverstoß zu begründen; hierfür bedürfte es einer isolierten Strafbarkeit der Abtretung.
8Der Klägerin stehe auch kein Anspruch auf Aussonderung am Kontoguthaben zu. Geldansprüche seien grundsätzlich nicht aussonderungsfähig. Anderes gelte nur, wenn das Konto offen ausgewiesen oder sonst nachweisbar ausschließlich zur Aufnahme von treuhänderisch gebundenen Fremdgeldern bestimmt gewesen sei. Guthaben auf Konten, die auch für eigene Zwecke des Treuhänders genutzt werden könnten, seien nicht aussonderungsfähig. Vorliegend sei schon zweifelhaft, ob ein Treuhandverhältnis angenommen werden könne. Die Schuldnerin habe monatliche Abschlagszahlungen erhalten; eine Abrechnung habe erst nachträglich stattgefunden. Selbst bei Annahme eines Treuhandverhältnisses seien nach nicht ausreichend bestrittenem Vortrag des Beklagten nur Abrechnungskonten geführt worden. Auch seien nach nicht ausreichend bestrittenem Vortrag des Beklagten die Regelungen in § 6 Satz 2 der AGB nicht beachtet und zwischen den Abrechnungskonten zum Ausgleich der jeweiligen Salden mehrmals täglich Umbuchungen vorgenommen worden. Anderes gelte auch nicht für die vom Beklagten ab dem eingerichteten Insolvenzverwaltertreuhandkonten. Allein der vom Zufall abhängige Umstand, dass Beträge separierbar auf den Konten vorhanden seien, begründe keine Vermögenszuweisung zugunsten der betroffenen Leistungserbringer.
II.
9Dies hält rechtlicher Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.
101. Zu Recht nimmt das Berufungsgericht allerdings an, dass Aussonderungsansprüche nicht deshalb in Betracht kommen, weil auf Konten der Schuldnerin vereinnahmte Geldbeträge einer treuhänderischen Bindung unterlägen. Dies käme nur in Betracht, wenn die Gelder auf Treuhandkonten zugunsten der Leistungserbringer vereinnahmt worden wären. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts handelt es sich bei den von der Schuldnerin geführten Konten um bloße Abrechnungskonten ohne treuhänderische Bindung zugunsten der Leistungserbringer (vgl. MünchKomm-InsO/Ganter, 4. Aufl., § 47 Rn. 281, 283 für Abrechnungskonten und nicht auf Treuhandkonten eingezogene Forderungen bei - mit einer wirksamen Forderungsabtretung verbundenem - Factoring). Dies weist keine Rechtsfehler auf, zumal die Schuldnerin die Guthaben auch dazu verwendete, ihre eigenen Darlehensverbindlichkeiten gegenüber der sie refinanzierenden Bank zu befriedigen.
112. Die Klägerin ist jedoch Inhaberin ihrer Vergütungsansprüche gegen die Krankenkassen geblieben, so dass ihr hinsichtlich dieser Ansprüche ein Aussonderungsrecht zusteht. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist die Abtretung der Forderungen an die Schuldnerin nicht durch § 302 Abs. 2 Satz 3 SGB V gedeckt. Mit der Abtretung gestattet die Schuldnerin dem Rechenzentrum eine Verarbeitung geschützter Sozialdaten, die mit § 302 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V nicht im Einklang steht. Eine solche Abtretung ist aufgrund des im Sozialrecht geltenden Grundsatzes, wonach die Verarbeitung geschützter Sozialdaten eines Erlaubnistatbestandes bedarf, anderenfalls verboten ist (vgl. BSGE 102, 134 Rn. 18), nichtig (§ 134 BGB). Auch eine etwaige Weiterabtretung durch die Schuldnerin an die finanzierende Bank geht damit mangels Verfügungsberechtigung der Schuldnerin ins Leere.
12a) Die Klägerin als Leistungserbringerin im Bereich der Heil- und Hilfsmittel ist verpflichtet (§ 302 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V), den Krankenkassen im Wege elektronischer Datenübertragung oder maschinell verwertbar auf Datenträgern die von ihr erbrachten Leistungen nach Art, Menge und Preis zu bezeichnen und den Tag der Leistungserbringung sowie die Arztnummer des verordnenden Arztes, die Verordnung des Arztes mit der Diagnose und den erforderlichen Angaben über den Befund und die Angaben nach § 291a Abs. 2 Nr. 1 bis 10 SGB V, insbesondere die persönlichen Daten des Versicherten, anzugeben. Zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen nach § 302 Abs. 1 SGB V können Leistungserbringer Rechenzentren in Anspruch nehmen (§ 302 Abs. 2 Satz 2 SGB V). Rechenzentren dürfen die ihnen übermittelten Daten für im Sozialgesetzbuch bestimmte Zwecke und nur in einer auf diese Zwecke ausgerichteten Weise verarbeiten, soweit sie dazu von einer berechtigten Stelle beauftragt worden sind; anonymisierte Daten dürfen auch für andere Zwecke verarbeitet werden (§ 302 Abs. 2 Satz 3 SGB V). Rechenzentren, die durch Apotheker und Anbieter von Arzneimitteln beauftragt sind, sind seit 2021 verpflichtet, zur Weiterleitung an Dritte vorgesehene Gelder unverzüglich auf offene Treuhandkonten einzuzahlen (§ 300 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V).
13b) Unstreitig ist, dass Rechenzentren im Rahmen der Abrechnung gegenüber den Krankenkassen die Einziehung der Forderungen der Leistungserbringer übertragen werden kann. Dies hat der Gesetzgeber durch die Einfügung von § 300 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V bestätigt. Umstritten ist dagegen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Abtretung von Vergütungsansprüchen der Leistungserbringer an Rechenzentren erlaubt ist.
14aa) Teile der Literatur halten eine Abtretung für unwirksam. Eine Befugnis zur Abtretung sei § 302 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V nicht zu entnehmen (OLG Hamm, NJW 2007, 849, 850; Engelmann, GesR 2009, 449, 453 f; Schäfer in Berchtold/Huster/Rehborn, Gesundheitsrecht, 2. Aufl., § 302 SGB V Rn. 10; BeckOK-SozR/Scholz, 2024, § 302 SGB V Rn. 4.1; Hänlein/Schuler/Hornung, SGB V, 6. Aufl., § 302 Rn. 7, allerdings mit denkbarer Ausnahme, dass keine zusätzlichen Daten übertragen werden). Ließe man eine Abtretung zu, könnte das Rechenzentrum die Forderung an weitere Personen abtreten (OLG Hamm, aaO). Auch sei das im Gesetz angelegte Merkmal der Auftragsdatenverarbeitung nur erfüllt, wenn das Rechenzentrum auf eine Hilfsfunktion beschränkt sei (Schäfer, aaO).
15bb) Andere halten die Abtretung im Verhältnis zwischen Leistungserbringer und Rechenzentrum für unbedenklich, weil die Weitergabe der geschützten Daten an das Rechenzentrum durch § 302 Abs. 2 Satz 2 SGB V erlaubt sei (vgl. Siegmann/Binder, BB 2007, 2765 f; Lips/Schönberger, NJW 2007, 1567, 1568 f; jeweils zum unechten Factoring; Hilderink, DuD 2008, 25, 27, der davon ausgeht, im Rahmen unechten Factorings werde die Forderung nicht an Dritte abgetreten).
16cc) Wieder andere differenzieren danach, ob die Abtretung im Rahmen echten oder unechten Factorings erfolge. Echtes Factoring sei unzulässig, da in diesem Fall die Datenverarbeitung durch das Rechenzentrum nicht durch den Leistungserbringer beauftragt sei (Krüger/Eichwald, Handbuch Factoringrecht, § 16 Rn. 28, 30; Huber, WM 2012, 635, 640; Stumpf/Oertel, FLF 2013, 259, 264; Krauskopf/Schneider, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, 2011, § 300 SGB V Rn. 11b).
17c) Der Senat entscheidet die Streitfrage dahin, dass die Abtretung von Ansprüchen der Leistungserbringer gegen Krankenkassen an Rechenzentren jedenfalls dann nicht durch § 302 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V erlaubt und deshalb nichtig ist (§ 134 BGB), sofern der Leistungserbringer dem Rechenzentrum eine Weiterabtretung der abgetretenen Ansprüche ausdrücklich oder konkludent gestattet.
18aa) § 302 Abs. 2 Satz 3 SGB V erlaubt Rechenzentren eine Nutzung der geschützten Sozialdaten ausdrücklich nur nach Maßgabe dieser Vorschrift. Eine mit diesen Regelungen nicht im Einklang stehende Datennutzung ist somit untersagt (vgl. BSGE 102, 134 Rn. 28). Rechtsgeschäfte, die gegen die Vorgaben des § 302 Abs. 2 Satz 3 SGB V verstoßen, sind - nicht anders als im Falle eines Verstoßes gegen § 203 StGB (vgl. , BGHZ 222, 165 Rn. 11) - nichtig.
19(1) § 302 Abs. 2 Satz 3 SGB V enthält bereichsspezifisches Datenschutzrecht. Dieses muss dem Umstand Rechnung tragen, dass Rechenzentren durch Übermittlung der ärztlichen Verordnung höchstpersönliche Gesundheitsdaten von Patienten ohne deren Einwilligung offenbart werden. Ein solcher Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 8 GRCh) ist insbesondere in einem System mit Versicherungszwang nicht unbeschränkt statthaft. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich vorliegend um einen tiefen Eingriff in die Privatsphäre der Patienten handelt (vgl. BVerfGE 32, 373, 379 f; BVerfG, NVwZ-RR 2021, 217 Rn. 31 mwN); dem Rechenzentrum offenbart werden mit der Medikation oder Therapie nicht nur allgemeine, äußerlich sichtbare Angaben zum Gesundheitszustand eines Patienten, sondern medizinisch detaillierte Aussagen, die Aufschlüsse über Art und Schwere der Erkrankung des versicherten Patienten erlauben. Der Schutz solch sensibler höchstpersönlicher Daten ist verfassungsrechtlich geboten; jeder Missbrauch muss praktisch auszuschließen sein; ihr Gebrauch ist auf das unverzichtbare Mindestmaß zu beschränken (vgl. BVerfG, NJW 2001, 3402, 3403). Das macht angesichts der Gefahren der modernen Datenverarbeitung einen Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote erforderlich (BSGE 102, 134 Rn. 17). Auch das Unionsrecht erkennt die Notwendigkeit des Schutzes sensibler Gesundheitsdaten an (Art. 9 DS-GVO).
20(2) Diesen Vorgaben entsprechend sind die bereichsspezifischen datenschutzrechtlichen Regelungen im Sozialgesetzbuch im Ergebnis als "Verbotsnorm mit Erlaubnisvorbehalt" ausgestaltet worden (BSGE 102, 134 Rn. 18 mwN). Die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der bereichsspezifischen Normen belegt, dass der Gesetzgeber dem Sozialdatenschutz gerade in der gesetzlichen Krankenversicherung wegen der großen Zahl der Betroffenen und der Sensibilität der Daten hohe Bedeutung beimisst (BSGE 102, 134 Rn. 19). Die Erfassung, Verwendung und Übermittlung von Leistungs- und Gesundheitsdaten solle ausschließlich für die im Gesetz bezeichneten Zwecke zugelassen und im Umfang auf das für den jeweiligen Zweck unerlässliche Minimum beschränkt werden (BT-Drucks. 11/3480, S. 67). Zur gleichlautenden Parallelvorschrift für Apothekenrechenzentren in § 300 Abs. 2 Satz 2 SGB V führt der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung aus, die Regelung stelle klar, dass die Einbindung von Rechenzentren auf die im Sozialgesetzbuch geregelten Zwecke zu begrenzen sei und dem informationellen Selbstbestimmungsrecht der Versicherten und Leistungserbringer Rechnung zu tragen habe. Die Vorschrift schließe daher aus, dass die Rechenzentren die bei ihnen auflaufenden Daten auch anderweitig verarbeiten, nutzen und wirtschaftlichen Vorteil daraus ziehen könnten (BT-Drucks. 14/1245, S. 105). Zu Rechenzentren nach § 302 SGB V hält die Gesetzesbegründung ausdrücklich fest, diese Rechenzentren dürften die Daten, ebenso wie die Apothekenrechenzentren, nur für Abrechnungszwecke verwenden (BT-Drucks. 14/1245, S. 106). Die Ausführungen belegen zugleich, dass der Gesetzgeber eine über die Vorgaben der Norm hinausgehende Datenverarbeitung nicht zulassen und die Norm insoweit als Ausdruck des grundsätzlichen Verbots der Weitergabe von Patientendaten an externe Abrechnungsstellen verstanden wissen wollte.
21bb) § 302 Abs. 2 Satz 3 SGB V erlaubt Rechenzentren die Verwendung von Daten für im Sozialgesetzbuch bestimmte Aufgaben. § 302 Abs. 2 Satz 2 SGB V gestattet die Einschaltung von Rechenzentren zur Erfüllung der Pflicht der Leistungserbringer, den Krankenkassen im Wege elektronischer Datenübertragung oder maschinell verwertbar auf Datenträgern die von ihnen erbrachten Leistungen nach Art, Menge und Preis zu bezeichnen und diverse Angaben, etwa zur Verordnung mit Diagnose, zu tätigen (§ 302 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Rechenzentren werden somit zwecks (fremdnütziger) Abrechnung der Leistungserbringer gegenüber Krankenkassen eingeschaltet.
22Keine Grundlage im Sozialgesetzbuch findet es, wenn Rechenzentren über die Abrechnung hinaus die ihnen abgetretenen Forderungen ihrerseits an Dritte weiter abtreten. Eine Nutzung der den Rechenzentren zugänglich gemachten Daten als Kreditunterlage für ihre Refinanzierung ist von § 302 SGB V nicht gedeckt.
23cc) Diese Sichtweise steht im Einklang mit der Rechtsprechung von Bundessozialgericht und Bundesgerichtshof zur zivilrechtlichen Abtretbarkeit sozialrechtlicher Forderungen. Das Bundessozialgericht erachtet die Abtretung von Vergütungsforderungen gegen Krankenkassen durch Berufsträger für zulässig (BSG, GesR 2018, 729 Rn. 14 ff), der Bundesgerichtshof dann, wenn Ansprüche des Zessionars auf dem Strafgesetzbuch (§ 203 StGB) widerstreitende Offenbarung von Sozialdaten - etwa aus § 402 BGB - ausdrücklich oder konkludent abbedungen sind (, BGHZ 222, 165 Rn. 22). Diese Rechtsprechung kann auf die Nutzung von Sozialdaten durch Rechenzentren nicht ohne Weiteres übertragen werden. Für die Nutzung von Sozialdaten durch Rechenzentren hat der Gesetzgeber in § 302 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V eine die wechselseitigen Interessen von Patienten, Leistungserbringern und Rechenzentren in angemessenen Ausgleich bringende, abschließende und vorrangige Sonderregelung geschaffen. Der Gesetzgeber gestattet Leistungserbringern die Offenbarung sensibler Sozialdaten ohne Einwilligung der Patienten gegenüber Rechenzentren; zum Ausgleich für diesen schweren Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Patienten sieht der Gesetzgeber ein strenges Datenschutzrecht mit strikter Zweckbindung der Daten vor, das Rechenzentren zu beachten haben und das der Nutzung der Daten Grenzen zieht, um einen Datenmissbrauch vorzubeugen.
24dd) Die vorliegende Vereinbarung verstößt in mehrfacher Hinsicht gegen die Vorgaben des § 302 Abs. 2 Satz 3 SGB V. Die Schuldnerin wurde nicht nur zwecks Abrechnung tätig, sondern trat die ihr abgetretenen Forderungen ihrerseits an die refinanzierenden Banken ab, um ihre Tätigkeit zugunsten der Leistungserbringer zu finanzieren. Die Forderungsabtretung erfolgte dementsprechend nicht fremdnützig, sondern zur Sicherung eigener Ansprüche; der Schuldnerin wurde sogar ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, nach eigenem Ermessen die Forderung zwecks eigener Refinanzierung der Schuldnerin an Banken abzutreten (§ 6 der AGB).
III.
25Die Sache ist nur teilweise zur Endentscheidung reif. Die Klägerin hat Anspruch auf Zustimmung zur Auszahlung des von der A. bislang einbehaltenen Betrags von 3.084,78 € aus der Sammelabrechnung vom an die Klägerin. Ob der Klägerin auch weitere Ansprüche im Hinblick auf ihr Aussonderungsrecht zustehen, lässt sich auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen nicht entscheiden.
261. Die Klägerin ist Inhaberin ihrer Vergütungsansprüche geblieben und kann vom Beklagten deren Aussonderung verlangen. Geldforderungen eines Dritten können Gegenstand der Aussonderung sein, wenn sie vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommen werden, aber nicht zum insolvenzbefangenen Vermögen des Insolvenzschuldners gehören (vgl. RGZ 98, 143, 144 f). Der Insolvenzverwalter hat dann nach § 47 InsO die zur Geltendmachung der Ansprüche notwendigen Urkunden herauszugeben und die Gläubigerstellung des Aussonderungsberechtigten anzuerkennen (vgl. , WM 1989, 225, 226). Die Klägerin kann daher vom Beklagten als Insolvenzverwalter Zustimmung zur Auszahlung der von der A. errechneten, noch nicht ausgezahlten Vergütung in Höhe von 3.084,78 € an sich verlangen.
272. Soweit die Schuldnerin oder der Beklagte Forderungen der Klägerin gegen Krankenkassen bereits eingezogen hat und die Klägerin somit Aussonderung des Erlöses verlangt, hat das Berufungsgericht zu möglichen Ansprüchen der Klägerin gegen die Masse - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - bislang keine ausreichenden Feststellungen getroffen.
28a) Die Klägerin kann sich nicht auf § 300 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V berufen. Auch wenn diese Neuregelung auf von sonstigen Leistungserbringern gemäß § 302 Abs. 2 Satz 2 SGB V beauftragte Rechenzentren analoge Anwendung finden sollte, ist sie erst mit Wirkung vom in Kraft getreten und findet auf die vor diesem Zeitpunkt erfolgten Forderungseinziehungen keine Anwendung. Unabhängig davon kommt eine Aussonderung nur in Betracht, sofern die Gelder tatsächlich auf ein entsprechendes Treuhandkonto eingezogen worden sind.
29b) Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Aussonderung oder Ersatzaussonderung (§ 48 Satz 2 InsO) hinsichtlich der eingezogenen Forderungen oder für Ansprüche aus § 816 Abs. 2 BGB, § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO hat das Berufungsgericht bislang keine ausreichenden Feststellungen getroffen.
IV.
30Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben. Insoweit die Klägerin die Zustimmung zur Auszahlung des von der A. einbehaltenen Betrags in Höhe von 3.084,78 € verlangt, erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis und ist nach letzterem die Sache zur Entscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der Senat entscheidet insoweit selbst und verurteilt den Beklagten zur Zustimmung. Im Übrigen ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
311. Eine Ersatzaussonderung nach § 48 Satz 2 InsO kann die Klägerin nur verlangen, wenn die Einziehung der Forderungen unberechtigt erfolgte und zudem die eingezogenen Beträge noch unterscheidbar in der Masse vorhanden sind (vgl. , WM 2023, 83 Rn. 37 f mwN). Erfolgte die unberechtigte Einziehung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (vgl. , BGHZ 221, 10 Rn. 55 mwN), können der Klägerin unabhängig von der Unterscheidbarkeit des eingezogenen Betrags in der Masse Ansprüche aus § 816 Abs. 2 BGB, § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO zustehen.
32a) Im Ausgangspunkt war die Schuldnerin trotz Nichtigkeit der Abtretung zur Einziehung der Forderung berechtigt. Die Nichtigkeit der in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarten Abtretung lässt den Vertrag im Übrigen unberührt (§ 306 Abs. 1 BGB); § 306 Abs. 1 BGB findet auch dann Anwendung, wenn sich der Unwirksamkeitsgrund vorliegend nicht aus dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, sondern aus § 134 BGB ergibt (, BGHZ 129, 297, 306 mwN; BAG, NZA 2016, 1409 Rn. 42). Die Unwirksamkeit der Abtretung lässt die im Vertrag (ebenfalls) erteilte Einziehungsermächtigung unberührt. Sie ergibt sich aus § 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Danach übernimmt die Schuldnerin neben der Abrechnung der sich aus den ärztlichen Verordnungen und Rezepten ergebenden Vergütungsforderungen deren Einziehung im eigenen Namen, aber für Rechnung der Klägerin. Sie ergibt sich ferner aus der Bezeichnung des Vertrags als "Vertrag zur Übernahme der Abrechnungstätigkeit mit den Kostenträgern und Einzug dieser Forderungen". Der Erteilung einer Einziehungsermächtigung stehen die Bestimmungen des § 302 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V nicht entgegen.
33b) Aufgrund der Kündigung der Klägerin erfolgte die Einziehung von Forderungen der Klägerin ab Zugang von deren fristloser Kündigung im Schreiben vom unberechtigt. Diese Kündigung war wirksam. Es kann daher dahinstehen, ob die Einziehungsermächtigung auch ohne Kündigung des Vertrags frei widerruflich war.
34Die Schuldnerin hat mit Schreiben vom angekündigt, keine Abrechnungsunterlagen mehr entgegenzunehmen. Damit hat sie erklärt, sie werde den Vertrag künftig nicht mehr erfüllen. Dies berechtigte die Klägerin zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund (§ 626 Abs. 1 BGB). Eine Abmahnung war nicht erforderlich. Mit der Erklärung einer einseitigen Vertragsaufsage ist das Vertrauen in die Bereitschaft und Fähigkeit zur künftigen Leistungserbringung nachhaltig erschüttert.
352. Ansprüche aus § 48 Satz 2 InsO sowie aus § 816 Abs. 2 BGB, § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO setzen weiter die Wirksamkeit des Forderungseinzugs durch Schuldnerin oder Beklagten voraus (vgl. , WM 2023, 83 Rn. 34 mwN). Insoweit wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass sich die Wirksamkeit des Forderungseinzugs vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Wegfall der Einziehungsermächtigung daraus ergeben kann, dass die Krankenkassen - in entsprechender Anwendung des § 409 BGB oder jedenfalls der §§ 170 ff BGB (zum Streitstand vgl. BeckOGK/Lieder, BGB, Stand 2024, § 398 Rn. 313, 313.1) - auf den Fortbestand der wirksam erteilten Einzugsermächtigung vertrauen durften.
363. Die Voraussetzungen eines (Ersatz-)Aussonderungsrechts und eines Anspruchs aus § 816 Abs. 2 BGB, § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO hat zwar die Klägerin darzulegen und zu beweisen. Den Beklagten trifft jedoch eine sekundäre Darlegungslast zum Erhalt und zum Verbleib des Einziehungserlöses (vgl. , WM 2023, 83 Rn. 38). Er kann deshalb nicht pauschal den Vortrag der Klägerin bestreiten, der Beklagte habe Forderungen der Klägerin eingezogen. Kommt es darauf an, hat er vorzutragen, wie, wann und auf welches Konto der Erlös vereinnahmt worden ist. Haben Krankenkassen nur anteilig gezahlt, trifft den Beklagten eine sekundäre Darlegungslast, dass deren Kürzungen (auch) die Vergütungsforderung der Klägerin betreffen oder zumindest betreffen können; letzterenfalls hat er - unter Auswertung von Abrechnungen durch die Krankenkassen - vorzutragen, warum ihm eine nähere Zuordnung des Kürzungsbetrags nicht möglich oder zumutbar ist.
Schoppmeyer Röhl Schultz
Weinland Kunnes
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:060225UIXZR182.23.0
Fundstelle(n):
KAAAJ-84851