Instanzenzug: Az: X ZR 3/22 Beschlussvorgehend LG Nürnberg-Fürth Az: 5 S 3127/21vorgehend AG Hersbruck Az: 1 C 804/20
Tatbestand
1Der Kläger beansprucht von der Beklagten die Rückzahlung einer Anzahlung für eine Pauschalreise.
2Der Kläger buchte bei der Beklagten eine Ostseekreuzfahrt (Route: Kiel - Kopenhagen - Helsinki - St. Petersburg - Tallinn - Kiel), die vom 22. bis zum stattfinden und 8.305,10 Euro kosten sollte. Der Kläger leistete eine Anzahlung in Höhe von 3.194 Euro.
3Mit Schreiben vom trat der Kläger von der Reise zurück. Er bezog sich hierbei auf die Corona-Infektionslage und damit verbundene Reisebeschränkungen. Zu diesem Zeitpunkt bestand eine zunächst bis befristete weltweite Warnung des Auswärtigen Amtes vor nicht notwendigen touristischen Reisen in das Ausland.
4Die Beklagte sagte die Reise am wegen der Corona-Pandemie ab. Dem Begehren nach Erstattung der geleisteten Anzahlung kam sie zunächst nicht nach.
5Der Kläger klagte daraufhin auf Rückzahlung des geleisteten Betrags von 3.194 Euro. Nachdem die Beklagte während des erstinstanzlichen Verfahrens einen Teilbetrag von 1.701 Euro gezahlt hatte, haben die Parteien den Rechtsstreit in dieser Höhe für in der Hauptsache erledigt erklärt. Später erbrachte die Beklagte eine weitere Zahlung in Höhe von 139 Euro.
6Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Rückzahlung des verbleibenden Restbetrags von 1.354 Euro verurteilt. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage in der noch anhängigen Höhe. Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen.
7Der Senat hat mit Beschluss vom das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem dort anhängigen Verfahren C-584/22 ausgesetzt. Der Gerichtshof hat mit Urteil vom (C-584/22, RRa 2024, 62 - Kiwi Tours) über das Vorlageersuchen entschieden.
Gründe
8Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
9I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
10Der Kläger könne die Rückzahlung der restlichen Anzahlung verlangen. Der in § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB geregelte Entschädigungsanspruch der Beklagten sei gemäß § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen.
11Bei der Corona-Pandemie handle es sich nach allgemeiner Auffassung grundsätzlich um einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB, was auch die Beklagte nicht in Frage stelle.
12Im Streitfall sei es nicht entscheidungserheblich, ob nach einer ex-ante-Betrachtung des Infektionsgeschehens zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein außergewöhnlicher Umstand im Zeitpunkt der Reise zu erwarten gewesen sei. Eine ex-ante-Betrachtung sei nicht maßgeblich, wenn der Reiseveranstalter die Reise letztlich selbst aufgrund eines außergewöhnlichen, unvermeidbaren Umstandes absage.
13II. Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
141. Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil der Kläger nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Damit ist die Beklagte zur Rückzahlung der restlichen Anzahlung verpflichtet.
152. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte dem Anspruch des Klägers entgegenhalten könnte, nicht ausgeschlossen werden.
16a) Wie der Senat bereits im Aussetzungsbeschluss ausgeführt hat, ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Covid-19-Pandemie im streitgegenständlichen Reisezeitraum (August 2020) einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt ( Rn. 21).
17b) Ebenfalls zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass § 651h Abs. 3 BGB auch dann anwendbar ist, wenn dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort des Reisenden vorliegen ( Rn. 22 ff.).
18c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf eine erhebliche Beeinträchtigung im Streitfall jedoch nicht deshalb bejaht werden, weil die Reise nach der Rücktrittserklärung abgesagt worden ist.
19Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist (, RRa 2024, 62 Rn. 28 ff. - Kiwi Tours).
20III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
21Das Berufungsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts des Klägers konkrete Umstände absehbar waren, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB begründen.
22Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.
23Hierbei wird das Berufungsgericht insbesondere auch zu berücksichtigen haben, dass eine im Zeitpunkt des Rücktritts begründete Ungewissheit über die weitere Entwicklung ein starkes Indiz dafür bilden kann, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war. Hierbei sind gegebenenfalls auch individuelle Gesundheitsrisiken zu berücksichtigen, denen die Reisenden bei Durchführung der Reise ausgesetzt wären (, NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rn. 62 ff.; Urteil vom - X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 31 ff.). Wie der Senat bereits entschieden hat, ist dem Reisenden auch nicht ohne weiteres zuzumuten, mit einer Entscheidung über den Rücktritt bis kurz vor Reisebeginn zuzuwarten (, MDR 2024, 1570 Rn. 43 ff.).
Bacher Hoffmann Deichfuß
Marx von Pückler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280125UXZR3.22.0
Fundstelle(n):
AAAAJ-84610