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BFH Beschluss v. - IX B 71/24

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fehlern des Gerichts

Leitsatz

NV: Es ist höchstrichterlich geklärt, dass eine Fristversäumnis auch dann als unverschuldet anzusehen ist, wenn der Kläger zunächst einen von ihm zu vertretenden Fehler begangen hat, dann aber ein zusätzlicher Fehler des Gerichts hinzugekommen ist, auf dem letztlich die Fristversäumnis beruht.

Gesetze: FGO § 47 Abs. 1; FGO § 52a Abs. 3 und 4; FGO § 56 Abs. 1; FGO § 76 Abs. 2; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde ist unbegründet.

2 Die Revision ist weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO— (dazu unter 1.) noch wegen eines Verfahrensmangels im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (dazu unter 2.) zuzulassen.

3 1. Gründe für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung liegen nicht vor.

4 a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sein (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom  - IX B 42/23, Rz 4, m.w.N.).

5 b) Daran fehlt es hier.

6 aa) Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) werfen zwar sinngemäß die Frage auf, ob ein inhaltlich nicht zureichender Hinweis des Finanzgerichts (FG) auf die drohende Unzulässigkeit der Klage wegen Fristablaufs dazu führt, dass ein etwaiges Verschulden eines Partners der Prozessbevollmächtigten hinter die Fürsorgepflichtverletzung des FG zurücktritt und eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist gemäß § 56 Abs. 1 FGO zu gewähren ist. Die Frage ist indes nicht klärungsbedürftig.

7 Es ist höchstrichterlich geklärt, dass eine Fristversäumnis auch dann als unverschuldet anzusehen ist, wenn der Kläger zunächst einen von ihm zu vertretenden Fehler begangen hat, dann aber ein zusätzlicher Fehler des Gerichts hinzugekommen ist, auf dem letztlich die Fristversäumnis beruht (vgl. z.B. 2 WDB 1.07, Rz 17, zur Parallelvorschrift § 44 der Strafprozessordnung; , BAGE 171, 28, Rz 38, zu § 233 der ZivilprozessordnungZPO—). Beruht eine Fristversäumung auf Fehlern des Gerichts, sind die Anforderungen an eine Wiedereinsetzung mit besonderer Fairness zu handhaben. Aus Fehlern des Gerichts dürfen daher keine Verfahrensnachteile für die Beteiligten abgeleitet werden (vgl. , Rz 22, m.w.N.; vgl. auch , Rz 13).

8 bb) Mit ihrem Vorbringen, der Hinweis des FG in der Verfügung vom sei nicht ausreichend gewesen, rügen die Kläger die fehlerhafte Anwendung der oben genannten Grundsätze durch das FG im konkreten Einzelfall. Damit legen die Kläger lediglich ihre abweichende Würdigung des vom FG festgestellten Sachverhalts dar und stellen letztlich die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung in Frage. Dies begründet jedoch grundsätzlich keinen Revisionszulassungsgrund. Denn das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , Rz 29).

9 2. Verfahrensmängel, auf denen die angefochtene Entscheidung beruht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), liegen ebenfalls nicht vor.

10 a) So hat das FG die Klage zu Recht durch Prozessurteil als unzulässig verworfen. Die am als elektronisches Dokument eingereichte Klageschrift genügt nicht den Anforderungen des § 52a Abs. 3 und 4 FGO (dazu unter aa). Die am formgerecht elektronisch eingereichte Klage, war verfristet (dazu unter bb). Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist war nicht zu gewähren (dazu unter cc).

11 aa) Nach § 52a Abs. 3 Satz 1 FGO stehen zur rechtswirksamen Übermittlung elektronischer Dokumente zwei Wege zur Verfügung. Das Dokument muss entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Die Rechtswirkungen einer qualifizierten elektronischen Signatur bei der Übermittlung eines elektronischen Dokuments entsprechen dabei denen einer handschriftlichen Unterschrift eines Dokuments in Papierform. Durch die Einreichung eines Dokuments mit qualifizierter elektronischer Signatur wird nicht anders als bei handschriftlicher Unterzeichnung die Verantwortung für dessen Inhalt übernommen. Eine einfache Signatur soll dagegen sicherstellen, dass die durch den sicheren Übermittlungsweg als Absender ausgewiesene Person mit derjenigen Person identisch ist, die mit ihrer Unterschrift die Verantwortung für das elektronische Dokument übernommen hat; kann diese Identität nicht festgestellt werden, ist das Dokument nicht wirksam eingereicht worden (vgl. , Rz 13, m.w.N.).

12 Die elektronisch eingereichte Klageschrift vom ist zwar mit einer einfachen Signatur versehen und es ist als —grundsätzlich zulässiger— sicherer Übermittlungsweg die Übersendung aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) gewählt worden (§ 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO i.V.m. §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung). Allerdings stammt die Unterschrift von Rechtsanwalt und Steuerberater [.], während das zur Übermittlung an das Gericht genutzte beA für den Rechtsanwalt und Steuerberater [.] eingerichtet worden ist. Ungeachtet dessen, dass beide jeweils Partner der Prozessbevollmächtigten sind, ist damit der durch den sicheren Übermittlungsweg ausgewiesene Absender nicht mit derjenigen Person identisch, die durch ihre Unterschrift die Verantwortung für den Schriftsatz übernommen hat. Dies („fehlende Eigenhändigkeit“) führt dazu, dass die Klage nicht wirksam eingereicht worden ist (vgl. , Rz 15).

13 bb) Die am formgerecht eingereichte Klageschrift erfolgte nicht innerhalb der Monatsfrist des § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO. Unter Berücksichtigung des auf der Einspruchsentscheidung angebrachten Eingangsstempels der Prozessbevollmächtigten vom endete diese mit Ablauf des (Montag). Insoweit besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. Der Senat sieht daher von weiteren Ausführungen ab.

14 cc) Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO liegen nicht vor.

15 Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von zwei Wochen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom  - IX R 29/22, Rz 10, m.w.N.). Hiernach schließt jedes Verschulden —also auch einfache Fahrlässigkeit— die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).

16 Im Streitfall hat die Prozessbevollmächtigte der Kläger die Wiedereinsetzungsgründe schon nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht. Sie beruft sich im Wesentlichen darauf, dass ein mögliches Verschulden des betreffenden Partners der Prozessbevollmächtigten wegen Fehler des FG unbeachtlich sei. Zwar ist die Fristversäumnis —wie oben bereits ausgeführt— auch dann gemäß § 56 Abs. 1 FGO als unverschuldet anzusehen, wenn die Kläger zunächst einen von ihnen zu vertretenden Fehler begangen haben, dann aber ein zusätzlicher Fehler des Gerichts hinzugekommen ist, auf dem letztlich die Fristversäumnis beruht. Dies liegt im Streitfall nicht vor.

17 Dabei kann dahinstehen, ob eine über die Klagefrist hinausreichende Stellungnahmefrist in einem Berichterstatterschreiben, das eine unwirksame Klageerhebung zum Gegenstand hat, ein „Fehler des Gerichts“ sein kann. Jedenfalls ist die im Berichterstatterschreiben vom gewährte Stellungnahmefrist nach dem Vortrag der Kläger nicht ursächlich für die Fristversäumnis. In der dem FG vorgelegten „eidesstattlichen Erklärung“ vom ist ausgeführt, dass das am und damit vor Ablauf der Klagefrist bei der Prozessbevollmächtigten eingegangene Berichterstatterschreiben wegen Urlaubsabwesenheit erst am gelesen und ausgehend hiervon die Frist für einen Wiedereinsetzungsantrag berechnet wurde. Ein Einfluss der gewährten Stellungnahmefrist auf die Fristversäumnis ist dem nicht zu entnehmen. Vielmehr liegt die Ursache in einer fehlenden Abwesenheitsvertretung und beruht damit auf einem Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten. Die Nutzung des beA entbindet einen Prozessbevollmächtigten nicht, eine zeitnahe Durchsicht der Eingangspost (zum Beispiel durch Erteilung von Berechtigungen für vertretungsberechtigte Partner) sicherzustellen.

18 b) Aus diesem Grunde kann auch dahinstehen, ob die von den Klägern geltend gemachte Verletzung der richterlichen Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) durch das Berichterstatterschreiben vom vorliegt, da eine mögliche Verletzung der Hinweispflicht für die Fristversäumnis nicht ursächlich ist.

19 Das FG hat mit Berichterstatterschreiben vom zutreffend auf den Umstand hingewiesen, dass die Klageschrift nicht über das elektronische Postfach des Rechtsanwalts übersandt worden ist, der auf der Klageschrift als Unterzeichner genannt ist. Allerdings hat das FG eine Stellungnahmefrist bis zum —also nach Ablauf der Klagefrist— eingeräumt, ohne auf die zu diesem Zeitpunkt noch offene Klagefrist hinzuweisen. Dieser Umstand war jedoch —wie bereits dargestellt— für die Versäumnis der Klagefrist nicht ursächlich, da das Berichterstatterschreiben nach dem eigenen Vortrag der Kläger erst am und damit nach Ablauf der Klagefrist gelesen worden ist.

20 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2025:B.220125.IXB71.24.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-84498