Irrtum eines Prozessbevollmächtigten über die Rechtsfolgen fehlender Revisionszulassung
Leitsatz
1. NV: Legt ein Prozessbevollmächtigter irrtümlich Revision gegen ein Urteil des Finanzgerichts ein, ohne dass diese zugelassen wurde, ist seine nach erfolglosem Abschluss des Revisionsverfahrens abgegebene Erklärung, die Wiederaufnahme des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde zu beantragen, als Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision auszulegen.
2. NV: Prozesshandlungen können nicht nach den §§ 119 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches angefochten werden (Anschluss an , BFH/NV 2015, 1268).
3. NV: Im Rahmen eines Verfahrens über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand müssen sich die Beteiligten das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen. Von einem rechtskundigen Prozessbevollmächtigten wie auch einem Behördenvertreter ist zu erwarten, dass er um den Unterschied zwischen der Zulassung und der Nichtzulassung der Revision und die dabei zu beachtenden Vorschriften weiß. Dazu gehört auch der Umstand, dass die Revision ausdrücklich zugelassen sein muss, nicht umgekehrt sich die Zulassung der Revision aus einem fehlenden Ausspruch über die Nichtzulassung ergibt (ständige Rechtsprechung, Senatsbeschlüsse vom - X R 12/04, BFH/NV 2004, 1291 und vom - X R 23/07, BFH/NV 2007, 2333).
4. NV: Für einen versäumten Antrag auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist nach § 116 Abs. 3 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) findet die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht statt, weil es sich nicht um eine gesetzliche Frist gemäß § 56 Abs. 1 FGO handelt (Anschluss an , BFH/NV 2002, 1480).
Gesetze: FGO § 56 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Satz 3, Satz 4; FGO § 116 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und 4, Abs. 7 Satz 1; FGO § 134; FGO § 135 Abs. 2; FGO § 155 Satz 1; BGB § 119; BGB § 133; ZPO § 85 Abs. 2; ZPO § 578 Abs. 1; ZPO § 579 Abs. 1; ZPO § 580
Instanzenzug:
Tatbestand
I.
1 Das Finanzgericht (FG) wies mit Urteil vom - 11 K 2317/19 E die Klage der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) als unbegründet ab. Das FG ließ die Revision nicht zu. Die beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung verwies deshalb allein auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision durch Einlegung einer Beschwerde beim Bundesfinanzhof (BFH) anfechten zu können. Das Urteil wurde den Klägern am zugestellt.
2 Mit Schriftsatz vom legten die Kläger dennoch Revision gegen das Urteil des FG ein, welche unter dem Aktenzeichen X R 16/24 in das Gerichtsregister des BFH eingetragen wurde. Das Schreiben vom , mit dem die Senatsvorsitzende den Klägern Hinweise für das weitere Verfahren und zwei weitere Parallelverfahren zukommen ließ, lautete wörtlich:
„Sie haben Revisionen gegen die Urteile vom eingelegt, die alle am zugestellt wurden.
Das Finanzgericht hatte die Revision nicht zugelassen. Ich weise sowohl auf § 116 der Finanzgerichtsordnung als auch auf die Ermäßigung der Gerichtsgebühren nach Nr. 6121 des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes hin.
Bitte berücksichtigen Sie dies bei Ihren Dispositionen.“
3 Die Kläger erwiderten mit Schreiben vom , dass dem Tenor des finanzgerichtlichen Urteils die Nichtzulassung der Revision nicht zu entnehmen sei und ein Rückschluss aus einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung nicht die ausdrückliche Zulassung oder Nichtzulassung im Urteilstenor ersetze.
4 Mit Beschluss vom - X R 16/24 (nicht veröffentlicht), den Klägern am zugesandt, verwarf der BFH die Revision als unzulässig.
5 Am haben die Kläger die Wiederaufnahme des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde beantragt. Zur Begründung hat ihr Prozessbevollmächtigter die Anfechtung seiner Erklärung in dem Schreiben vom wegen Irrtums erklärt. Hätte die Senatsvorsitzende in ihrem Schreiben vom anders und damit hinreichend aufgeklärt, hätte dies die zutreffende Erklärung nach sich gezogen. Die fehlerhafte Entscheidung des FG sei deshalb nicht rechtmäßig aufrechtzuerhalten. Mit Schriftsatz vom haben die Kläger darüber hinaus gerügt, dass das Urteil des FG ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletze und gegen das Willkürverbot verstoße.
Gründe
II.
6 1. Der Senat legt die Anträge der Kläger in ihrem Schriftsatz vom dahingehend aus, dass die Kläger nunmehr Beschwerde im Sinne von § 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gegen die Nichtzulassung der Revision einlegen.
7 a) Prozesshandlungen sind wie andere Willenserklärungen der Auslegung zugänglich, wobei nach § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften ist (Senatsurteil vom - X R 44/11, BFHE 243, 304, BStBl II 2014, 234, Rz 19). Bei auslegungsfähigen Rechtsbehelfen ist dabei davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Rechtsbehelf einlegen will, der seinem materiell-rechtlichen Begehren am ehesten zum Erfolg verhilft (Senatsurteil vom - X R 44/11, BFHE 243, 304, BStBl II 2014, 234, Rz 24).
8 b) Vorliegend begehren die Kläger nicht eine Wiederaufnahme des Verfahrens X R 16/24 im Sinne des § 134 FGO i.V.m. §§ 578 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO). Denn das mit Beschluss vom - X R 16/24 entschiedene Verfahren war keine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, sondern eine Revision. Folglich würde eine Wiederaufnahme dieses Verfahrens dem Ziel der Kläger, die Revision zuzulassen, nicht entsprechen. Selbst wenn also ein Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 578 Abs. 1 i.V.m. § 579 Abs. 1 oder § 580 ZPO vorläge, wäre allein die von den Klägern bereits eingelegte Revision wieder aufzunehmen, die mangels Zulassung durch das FG auch weiterhin unzulässig wäre.
9 c) Rechtsschutzgewährend versteht der Senat deshalb die Erklärung der Kläger dahingehend, dass sie nunmehr die Nichtzulassung der Revision anfechten. Denn im Falle einer erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerde wäre eine Revision zur Überprüfung des von den Klägern als rechtswidrig angesehenen FG-Urteils durchzuführen (§ 116 Abs. 7 Satz 1 FGO).
10 2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht fristgerecht eingelegt (unten a) und im Übrigen auch nicht fristgerecht begründet (unten b) worden ist. Gründe, den Klägern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, liegen nicht vor (unten c).
11 a) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem BFH gemäß § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO eingelegt worden. Diese Monatsfrist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde begann im Streitfall am und endete mit Ablauf des . Die Kläger haben jedoch die Nichtzulassungsbeschwerde erst mit Schriftsatz vom und damit mehr als zwei Monate nach Zustellung des FG-Urteils eingelegt.
12 Mit den innerhalb der Beschwerdefrist eingegangenen Schriftsätzen vom und vom hatten die Kläger, wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom - X R 16/24 (unter II.4.) ausgeführt hat, noch keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Soweit sie mit Schriftsatz vom die Anfechtung des Schriftsatzes vom wegen Irrtums erklärt haben, kann dies dem Schriftsatz schon deshalb nicht rückwirkend den Erklärungsinhalt einer Nichtzulassungsbeschwerde beilegen, weil Prozesshandlungen nicht nach den §§ 119 ff. BGB angefochten werden können (vgl. , BFH/NV 2015, 1268, Rz 10, m.w.N.; s.a. Grüneberg/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 84. Aufl., § 119 Rz 6).
13 b) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist im Übrigen auch nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO begründet worden und auch deswegen unzulässig (, BFH/NV 2011, 1911, Rz 1).
14 Die Rüge, das FG habe das rechtliche Gehör der Kläger verletzt, indem es deren Antrag auf Terminsverlegung nicht entsprochen habe, wie auch die Rüge, das FG-Urteil verstoße gegen das Willkürverbot, haben die Kläger erstmalig mit Schriftsatz vom erhoben und begründet. Die Rügen wie auch deren Begründungen sind folglich nicht innerhalb der zweimonatigen Beschwerdebegründungsfrist des § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO beim BFH eingegangen und damit verspätet. Diese Frist begann wie die Beschwerdefrist selbst mit der Zustellung des vollständigen FG-Urteils an die Kläger am und endete mit Ablauf des . Der Antrag der Kläger im Schriftsatz vom , die Frist zur Begründung der Beschwerde zu verlängern, ist für die Berechnung des Fristendes unbeachtlich. Wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 116 Abs. 3 Satz 4 FGO ergibt, muss ein solcher Antrag vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist gestellt werden (vgl. auch Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 116 Rz 23). Nach ständiger Rechtsprechung ist die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an ihre Begründung nur nach den innerhalb der Begründungsfrist vorgebrachten Ausführungen zu beurteilen; spätere Darlegungen sind, abgesehen von bloßen Erläuterungen und Ergänzungen, nicht zu berücksichtigen (Senatsbeschlüsse vom - X B 94/05, BFH/NV 2006, 1142, unter 3.; vom - X B 85/11, BFH/NV 2012, 749, Rz 9 und vom - X B 47/15, BFH/NV 2015, 1356, Rz 3).
15 c) Den Klägern kann in die versäumten Fristen keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO gewährt werden.
16 aa) Gemäß § 56 Abs. 1 FGO ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Für den Antrag gelten die Fristen des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO, innerhalb derer gemäß § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO auch die versäumte Rechtshandlung nachzuholen ist. Ist dies geschehen, kann nach § 56 Abs. 2 Satz 4 FGO Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
17 bb) Für den Verschuldensmaßstab des § 56 Abs. 1 FGO reicht jedes Verschulden, das heißt auch einfache beziehungsweise leichte Fahrlässigkeit (Senatsurteil vom - X R 14/13, BFH/NV 2014, 567, Rz 11), aus. Dabei müssen sich die Kläger das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen lassen. Ein Verschulden, jedenfalls wenn es sich um die Fristversäumung eines Prozessbevollmächtigten handelt, ist nur dann zu verneinen, wenn die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet worden ist. Von ihm —wie auch einem Behördenvertreter— muss erwartet werden, dass er die Voraussetzungen und die Anforderungen für ein Rechtsmittel kennt oder sich zumindest davon Kenntnis verschafft. Ein Rechtsirrtum ist insoweit grundsätzlich nicht entschuldbar (vgl. nur , BFH/NV 2013, 235, Rz 10).
18 cc) Gemessen daran müssen sich die Kläger die Versäumung der gesetzlichen Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde durch ihren Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Dieser ist, wie er selbst einräumt, irrtümlich davon ausgegangen, unmittelbar Revision einlegen zu können. Sein Irrtum entschuldigt den Fehler nicht, das Rechtsmittel nicht innerhalb der Frist des § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO eingelegt zu haben.
19 (1) Zum einen kann von einem Rechtsanwalt als rechtskundigen Prozessbevollmächtigten erwartet werden, dass er um den Unterschied zwischen der Zulassung und der Nichtzulassung der Revision und die dabei jeweils zu beachtenden Vorschriften weiß. Dazu gehört insbesondere der Umstand, dass die Revision ausdrücklich zugelassen sein muss, nicht umgekehrt sich die Zulassung der Revision aus einem fehlenden Ausspruch über die Nichtzulassung ergibt. Die Zulassung muss zwar nicht ausdrücklich tenoriert werden, jedoch erkennbar aus den Urteilsgründen oder im Einzelfall aus einer entsprechend formulierten Rechtsmittelbelehrung hervorgehen (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom - X R 12/04, BFH/NV 2004, 1291, unter II.1., m.w.N.). Bei gebotener Sorgfalt und Kenntnis des Prozessrechts hätte der Prozessbevollmächtigte der Kläger dem FG-Urteil eindeutig und zweifelsfrei entnehmen können, dass das FG die Revision nicht zugelassen hatte. Er hätte folglich auch erkennen müssen, dass er unter Beachtung der Monatsfrist nicht Revision, sondern eine Nichtzulassungsbeschwerde hätte einlegen müssen (vgl. Senatsbeschluss vom - X R 23/07, BFH/NV 2007, 2333, unter II.3.). Dieser Rechtsirrtum des Prozessbevollmächtigten der Kläger rechtfertigt insbesondere auch deshalb keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil die Rechtsbehelfsbelehrung des FG-Urteils das in Betracht kommende Rechtsmittel zutreffend darlegt (vgl. insoweit auch Senatsbeschluss vom - X R 5/01, BFH/NV 2001, 936, unter II.6.).
20 (2) Zum anderen hat die Senatsvorsitzende den Prozessbevollmächtigten der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das FG die Revision nicht zugelassen hat. Ferner hat sie in ihrem Schreiben vom zusätzlich einen Hinweis auf § 116 FGO —Nichtzulassungsbeschwerde— gegeben. Der Prozessbevollmächtigte hat dennoch weiter an der Einlegung der Revision festgehalten und seinen Rechtsirrtum nicht korrigiert, obwohl ihm zum Zeitpunkt des Hinweises der Senatsvorsitzenden eine solche Korrektur noch fristgerecht möglich gewesen wäre.
21 dd) Hinsichtlich der versäumten Frist zur Begründung der Beschwerde kann dahingestellt bleiben, ob der Schriftsatz vom überhaupt einen diesbezüglichen Wiedereinsetzungsantrag enthält. Denn es fehlt bereits an der rechtzeitigen Nachholung der versäumten Rechtshandlung —der Beschwerdebegründung— wie es § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO verlangt. Vorliegend ist die Beschwerde erst mit Schriftsatz der Kläger vom begründet worden.
22 ee) Wiedereinsetzung in die Frist zur Stellung des Antrags auf Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist kann den Klägern auch nicht gewährt werden. Denn bei dieser Frist handelt es sich nicht um eine gesetzliche Frist gemäß § 56 Abs. 1 FGO (, BFH/NV 2002, 1480, m.w.N.).
23 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2025:B.170125.XB89.24.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-84494