Instanzenzug: LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 5 Ks 10/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen richten sich die jeweils auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Nebenklägerinnen und des Angeklagten. Während die Nebenklägerinnen eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes erstreben, wendet sich dieser in Gänze gegen seine Verurteilung. Die Revisionen der Nebenklägerinnen haben in vollem Umfang Erfolg, diejenige des Angeklagten lediglich zum Strafausspruch.
2I. Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
31. Zwischen dem Angeklagten und dem späteren Tatopfer bestand seit Anfang des Jahres 2020 eine intime Beziehung, die sich bereits nach kurzer Zeit als zunehmend problembehaftet darstellte. Spätestens in der ersten Hälfte des Jahres 2022 empfand die Geschädigte die Beziehung als unerträglich belastend und „toxisch“, so dass sie diese im Juli 2022 erstmals beendete. In der Folgezeit kam es trotzdem immer wieder zu - auch intimem - Kontakt zwischen beiden Beteiligten. Nach Aufnahme einer Beziehung zu einem anderen Mann seitens der Geschädigten im April 2023 fand am Vormittag des auf Drängen des Angeklagten eine Aussprache in seiner Wohnung statt.
4Während dieses Besuchs entwickelte sich ein heftiger Streit zwischen dem Angeklagten und der später Getöteten. Um zu verhindern, dass diese ihre Ankündigung, nunmehr gehen zu wollen, in die Tat umsetze, ergriff der Angeklagte ein auf dem Schreibtisch liegendes Kampfmesser und hielt ihr dasselbe drohend vor. Auf ihre Äußerung „Du bedrohst mich mit einem Messer!“ befahl er ihr, sich hinzusetzen, und hielt ihr mit seiner freien Hand den Mund zu, weswegen sie ihn in Panik kräftig in einen seiner Finger biss. Nicht ausschließbar dadurch stach der Angeklagte mehr als zwei Minuten lang wutentbrannt im Bereich des Oberkörpers auf die Geschädigte ein, um sie zu töten. Aufgrund der mindestens 98 beigebrachten Messerstiche verstarb sie an Ort und Stelle.
52. Das Schwurgericht hat den Angeklagten des Totschlags und nicht des Mordes für schuldig befunden, weil kein Mordmerkmal erfüllt sei. Heimtücke liege nicht vor, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Angeklagte den Einsatz des Messers als Stichwerkzeug erst beschlossen habe, nachdem die später Getötete ihn beim Mundzuhalten schmerzhaft in den Finger gebissen hatte. Zu diesem Zeitpunkt sei sie jedoch nicht mehr arglos gewesen. Auch niedrige Beweggründe seien nicht gegeben, weil die zur Tat führende Wut und Verzweiflung des psychisch angeschlagenen Angeklagten keine Tatmotivation darstelle, die nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert sei und auf tiefster Stufe stehe.
6Die Strafe hat das Landgericht dem gemäß § 21, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen, weil bei dem Angeklagten im Tatzeitraum situativ bedingt eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit auf Grund einer Kombination aus affektiver Erregung, einer Alkoholintoxikation sowie einer depressiven Dekompensation bei bekannter emotional instabiler Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ nicht habe ausgeschlossen werden können. In diesem Zusammenhang hat das Schwurgericht ausgeführt, der Fingerbiss habe einen Auslösereiz für die unmittelbar folgenden Gewalthandlungen dargestellt, die entsprechend der Persönlichkeit des Angeklagten raptusartig ausgebrochen seien.
7II. Revisionen der Nebenklägerinnen
8Die zulässigen (§ 400 Abs. 1, § 401 Abs. 1 und 2 StPO) Rechtsmittel der Nebenklägerinnen sind begründet.
91. Die erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen ohne Erfolg.
102. Dagegen hat die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Schuldspruchs einen durchgreifenden Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten ergeben.
11a) Das Landgericht hat das Vorliegen des Mordmerkmals der Heimtücke nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Die Begründung, nach dem Biss in den Finger des Angeklagten sei die später Getötete nicht mehr arglos gewesen, greift zu kurz. Das Schwurgericht hat daher nicht in den Blick genommen, dass Heimtücke auch dann vorliegen kann, wenn zwar das Opfer bei Beginn der Tat nicht mehr arglos war, indes die Tat unmittelbar nach dem Verlust der Arglosigkeit begonnen wurde, so dass die Zeitspanne zwischen dem Verlust der Arglosigkeit und dem Beginn des Angriffs zu kurz war, um diesem zu begegnen. Im Einzelnen:
12aa) Heimtückisch handelt, wer sein Opfer unter Ausnutzung von dessen Arg- und Wehrlosigkeit tötet. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen - tätlichen - Angriff rechnet. Ein bloßer der Tat vorausgegangener Wortwechsel, eine nur feindselige Atmosphäre oder ein generelles Misstrauen schließen die Heimtücke nicht aus, wenn das Opfer hieraus noch nicht die Gefahr einer Tätlichkeit entnommen hat (vgl. , NStZ-RR 2015, 308; vom - 4 StR 467/06, juris Rn. 8 mwN). Entscheidend für die Einordnung der Zielrichtung und des Schweregrads des Angriffs ist in solchen Fällen - insbesondere bei Beziehungstaten - der Wahrnehmungshorizont des Opfers (vgl. , juris Rn. 5, 19; MüKoStGB/Schneider, 4. Aufl., § 211 Rn. 158 mwN). Arglosigkeit kann allerdings auch noch dann vorliegen, wenn der Täter dem Opfer zwar offen feindselig gegenübertritt, die Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff aber so kurz ist, dass dem Opfer keine Möglichkeit der Abwehr verbleibt. Die Möglichkeit von Abwehrversuchen im letzten Moment steht der Annahme von Heimtücke nicht entgegen (st. Rspr.; vgl. , NStZ-RR 2017, 78; Urteil vom - 3 StR 242/15, NStZ 2016, 340, 341, jeweils mwN).
13bb) Bei Anwendung dieser Maßstäbe ergibt sich auf Grundlage der bisherigen Feststellungen des Schwurgerichts nicht, dass die Geschädigte ihre Arglosigkeit bereits zu einem Zeitpunkt verlor, in dem sie sich der Messerattacke des Angeklagten noch hätte erwehren können. Selbst für den Fall zum Zeitpunkt des Bisses gebildeten Argwohns der später Getöteten könnte hinsichtlich der sich „nun“ anschließenden, mit Tötungsvorsatz geführten Messerstiche des Angeklagten anzunehmen sein, dass sie zwar bei Tatbeginn nicht mehr arglos war, jedoch wegen der Kürze der Zeit zwischen der Bildung des Argwohns und der auf Grund eines sogleich danach gefassten Tatentschlusses begonnenen Tathandlung keine Abwehrmaßnahmen mehr ergreifen konnte. Insoweit sind die bislang getroffenen Feststellungen defizitär.
14cc) Ob bei dem Angeklagten das Bewusstsein vorhanden war, die nach dem Vorstehenden möglicherweise gegebene Arg- und Wehrlosigkeit der Geschädigten zur Tatbegehung auszunutzen, hat das Schwurgericht - nach seiner rechtlichen Einordnung folgerichtig - nicht mehr geprüft. Entgegen der Annahme des Generalbundesanwalts ist das Vorliegen dieser Voraussetzung jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.
15b) Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs mitsamt den Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, ob auch die diesen zugrundeliegende Beweiswürdigung zu beanstanden ist. Insoweit könnte bedenklich sein, dass das Schwurgericht seinen Feststellungen in Ermangelung weiterer Beweismittel zum unmittelbaren Tatgeschehen nach der - aus seiner Sicht unwiderleglichen - Einlassung des Angeklagten getroffen hat, ohne erkennbar den Beweiswert festgestellter Indiztatsachen - etwa das starke Drängen des Angeklagten auf einen letzten Besuch der später Getöteten in seiner Wohnung und das dort griffbereit auf dem Schreibtisch liegende Kampfmesser - in seine Erwägungen einzubeziehen. Insoweit ist anerkannt, dass das Tatgericht entlastende Angaben eines Angeklagten, für die keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, nicht ohne weiteres seiner Entscheidung zugrunde legen darf, nur weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt. Die Zurückweisung einer Einlassung erfordert auch nicht, dass sich ihr Gegenteil positiv feststellen lässt. Vielmehr muss sich das Tatgericht aufgrund einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme seine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Einlassung bilden (st. Rspr.; vgl. , BGHR StPO § 261 Einlassung 6; vom - 4 StR 376/99, NStZ 2000, 86; vom - 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, 85; vom - 3 StR 416/08, juris Rn. 6; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 261 Rn. 90 mwN). Dies gilt umso mehr dann, wenn objektive Beweisanzeichen festgestellt sind, die mit Gewicht gegen die Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten sprechen.
16III. Revision des Angeklagten
171. Auch die seitens des Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen ohne Erfolg.
182. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Prüfung des Urteils führt lediglich zur Aufhebung des Strafausspruchs.
19a) Das Landgericht hat zu Ungunsten des Angeklagten bei der Strafzumessung berücksichtigt, dass das Nachtatverhalten auch davon geprägt gewesen sei, Spuren zu beseitigen. Es hat dabei auf die vom Angeklagten eingeräumte sorgfältige Reinigung seiner selbst, der Wohnung und des Tatmessers abgestellt.
20Dies erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft, denn der Versuch, sich durch Spurenbeseitigung selbst der Strafverfolgung zu entziehen, ist als solcher kein zulässiger Strafschärfungsgrund (vgl. hierzu , StV 2019, 446 Rn. 3; Urteil vom - 1 StR 175/88, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 13; Beschlüsse vom - 2 StR 366/89, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 17; vom - 3 StR 281/89, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 18). Das Bestreben des Täters, sich vor der Strafverfolgung zu schützen, ist bis zu einem gewissen Grad verständlich und kein Anzeichen besonderer Rechtsfeindlichkeit. Aber selbst dort, wo aus der Spurenbeseitigung auf einen stärkeren verbrecherischen Willen geschlossen werden könnte, verbietet der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit zumindest eine strafschärfende Bewertung einfacher Spurenbeseitigung. Nur dann, wenn - anders als hier - das Nachtatverhalten neues Unrecht schafft oder der Täter Ziele verfolgt, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen (sog. qualifizierte Spurenbeseitigung), kann etwas Anderes gelten (vgl. hierzu LK/Schneider, StGB, 13. Aufl., § 46 Rn. 184 f. mwN).
21Angesichts der Verhängung einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren, die sich - nach vorgenommener Strafrahmenverschiebung gemäß § 21, § 49 Abs. 1 StGB - am oberen Rand des verfügbaren Strafrahmens bewegt, ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass das Schwurgericht auf eine geringere Freiheitsstrafe erkannt hätte (§ 337 StPO).
22b) Die zugehörigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten, weil sie von dem aufgezeigten Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten bei isolierter Betrachtung nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende, mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen sind möglich.
23IV. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO Gebrauch und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine Strafkammer des Landgerichts Osnabrück.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:111224U3STR185.24.0
Fundstelle(n):
LAAAJ-84466