Instanzenzug: LG Landshut Az: 4 KLs 404 Js 39258/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in vier Fällen, wegen versuchter Vergewaltigung sowie wegen Nachstellung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die mit der Beanstandung der Verletzung formellen und materiellen Rechts geführte Revision des Angeklagten ist unbegründet.
I.
2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
31. Der Angeklagte und seine inzwischen geschiedene Ehefrau stammen aus Syrien und leben seit 2015 bzw. 2018 in Deutschland. Er erwartete von ihr, ihm zur Befriedigung seiner sexuellen Wünsche durchgängig zur Verfügung zu stehen. Zu den Tatzeitpunkten war dem Angeklagten auf Grund mehrfacher entsprechender Äußerungen seiner Ehefrau aber bekannt, dass diese sich von ihm schlecht behandelt fühlte und daher nicht mehr bereit war, mit ihm sexuell zu verkehren. Mit der erklärten Absicht, seine Ehefrau für ihr Verhalten zu maßregeln und sie zu erniedrigen, sowie mit der Drohung, sie aus der gemeinsamen Ehewohnung zu werfen, vollzog der Angeklagte am bei drei Gelegenheiten jeweils den vaginalen Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen unter fortwirkendem Eindruck der gegen sie erhobenen Drohungen (Taten Ziffer B. 2. der Urteilsgründe).
4Als der Angeklagte am Abend des Folgetages von seiner Ehefrau erneut den Geschlechtsverkehr forderte, lehnte diese wiederum ab. Daraufhin kündigte der Angeklagte an, sie müsse die Wohnung verlassen, wenn sie seiner Aufforderung nicht nachkomme. Als seine Ehefrau wider Erwarten standhaft blieb, warf der Angeklagte sie aus der Wohnung und verweigerte ihr den Zutritt, sodass sie bei einer Bekannten übernachten musste (Tat Ziffer B. 3. der Urteilsgründe).
5Nachdem die Ehefrau des Angeklagten am zur Versorgung der gemeinsamen Tochter wieder in die Wohnung zurückgekehrt war, forderte der Angeklagte am Abend von ihr erneut den Geschlechtsverkehr, da sie sonst wieder „draußen“ schlafen müsse, und wies, um die Ehefrau weiter zu bedrängen, die Tochter an, weder ihrer Mutter die Tür zu öffnen noch mit ihr zu sprechen. Im Zuge der weiteren Diskussion setzte der Angeklagte seine Ehefrau weiter unter Druck, bis sie unter diesem Eindruck und der am Vortag gemachten Erfahrung des „Rauswurfs“ den vaginalen Geschlechtsverkehr duldete (Tat Ziffer B. 4. der Urteilsgründe). Die Ehefrau begab sich daraufhin mit der gemeinsamen Tochter für mehrere Tage zu einer Nachbarin, bevor sie in ein Frauenhaus zog.
6Diese räumliche Trennung zu akzeptieren war der Angeklagte nicht bereit. Er suchte beharrlich den Kontakt zu seiner Ehefrau, um sie zur Rückkehr zu ihm und zur Rücknahme ihrer gegen ihn erstatteten Anzeigen zu bewegen. Trotz der von der Ehefrau erwirkten Beschlüsse nach dem Gewaltschutzgesetz setzte der Angeklagte sie bis zu seiner Festnahme am weiter unter Druck. Er unternahm eine Vielzahl von Anrufversuchen, sandte ihr E-Mails und drohte ihr mit der Veröffentlichung eines Videos. Seine Vorgehensweise und die Vielzahl, Dauer und Intensität seiner Handlungen waren geeignet, die Lebensgestaltung seiner Ehefrau schwerwiegend zu beeinträchtigen (Tat Ziffer B. 5. der Urteilsgründe).
72. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dem Angeklagten sei bei den Taten der Vergewaltigung bzw. versuchten Vergewaltigung (Ziffer B. 2. bis 4. der Urteilsgründe) nicht bewusst gewesen, dass das Erzwingen des Beischlafs durch eine Drohung strafbar ist. Der Angeklagte habe diesen auf seinen abweichenden religiösen und kulturellen Hintergrund zurückgehenden Irrtum jedoch durch entsprechende Erkundigungen vermeiden können. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht deshalb zugunsten des Angeklagten gemäß §§ 17, 49 StGB den Strafrahmen verschoben.
II.
8Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.
91. Sie ist wirksam auf den Strafausspruch betreffend die Taten B. 2. bis 4. der Urteilsgründe und die damit im Zusammenhang stehenden Feststellungen zur Unrechtseinsicht des Angeklagten beschränkt.
10Widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung, ist unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV das Angriffsziel durch Auslegung zu ermitteln (st. Rspr.; vgl. Rn. 11 und vom – 2 StR 90/14 Rn. 7 mwN). Zwar wendet sich hier die Staatsanwaltschaft mit ihrem Revisionsantrag gegen den Rechtsfolgenausspruch insgesamt. Aus der Revisionsbegründung wird aber deutlich, dass sich ihr Rechtsmittel allein gegen die Strafrahmenverschiebung gemäß § 17 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB richtet. Eine solche hat das Landgericht jedoch nur hinsichtlich der Taten B. 2. bis 4. der Urteilsgründe vorgenommen, deren Gegenstand vollendete bzw. versuchte Vergewaltigungen sind. In der Revisionsbegründung beanstandet die Staatsanwaltschaft zusammen mit dem Strafausspruch zu den Taten B. 2. bis 4. der Urteilsgründe auch die damit im unmittelbaren Zusammenhang stehenden Feststellungen, soweit sie sich auf das für die Frage der Unrechtseinsicht bedeutsame Vorstellungsbild des Angeklagten beziehen. Die Ausführungen in der Begründung des Rechtsmittels, das die Staatsanwaltschaft erkennbar, wenn auch nicht ausdrücklich ausschließlich zuungunsten des Angeklagten eingelegt hat, enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass die Staatsanwaltschaft auch den Strafausspruch im Fall B. 5. der Urteilsgründe betreffend die Tat der Nachstellung (§ 238 StGB) in Tateinheit mit Nötigung (§ 240 StGB) anfechten wollte.
112. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zu den Taten B. 2. bis 4. der Urteilsgründe ist durchgreifend rechtsfehlerhaft; denn das Landgericht hat überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung von der Schuld des Angeklagten gestellt und infolgedessen rechtsfehlerhaft einen vermeidbaren Verbotsirrtum im Sinne des § 17 Satz 2 StGB angenommen.
12a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln die Ergebnisse der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Kontrolle ist auf die Prüfung beschränkt, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, die Beweiserwägungen gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder das Tatgericht überspannte Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 19 und vom – 2 StR 562/15 Rn. 10 mwN).
13Ein Verbotsirrtum im Sinne von § 17 StGB liegt nur dann vor, wenn dem Täter bei Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Ohne Bedeutung ist dabei, ob er die Strafbarkeit seines Handelns kennt. Unrechtseinsicht hat der Täter bereits dann, wenn er bei der Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt (st. Rspr.; , BGHSt 61, 110 Rn. 53 f.; vom – 3 StR 394/07, BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 8; vom – 5 StR 109/07, BGHSt 52, 307, 313 und vom – 5 StR 394/08, insoweit in BGHSt 54, 44 nicht abgedruckt; Beschlüsse vom – 5 StR 514/09 Rn. 34; vom – 2 StR 612/52, BGHSt 4, 1, 4 und vom – KRB 3/76, BGHSt 27, 196, 202). Es genügt mithin das Bewusstsein, die vorgenommene Handlung verstoße gegen irgendwelche, wenn auch im Einzelnen nicht klar vorgestellte gesetzliche Bestimmungen (, BGHSt 11, 263, 266). Dabei ist die Auffassung des Täters, die erkannte Rechtswidrigkeit sei für ihn – etwa aus politischen, religiösen oder sittlichen Gründen – nicht verbindlich, unbeachtlich. Wer meint, zu der Handlung moralisch berechtigt zu sein oder sogar entsprechend handeln zu müssen, hat dennoch Kenntnis von der Existenz eines rechtlichen Verbots (vgl. Rn. 35; weitere Nachw. bei MüKo-StGB/Kulhanek, 5. Aufl., § 17 Rn. 24).
14b) Gemessen an diesen Maßstäben hat das Landgericht überspannte Anforderungen an das Bestehen des Unrechtsbewusstseins im Sinne des § 17 StGB gestellt.
15aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts befand sich der Angeklagte bei Begehung der Taten länger als sechs Jahre in Deutschland und arbeitete bereits mehrere Jahre als Lagerlogistiker (UA S. 3/4). Aus den in den Urteilsgründen genannten Zeugenaussagen von Arbeitskollegen ist zu entnehmen, dass der Angeklagte immer wieder ermahnt wurde, sich den in Deutschland geltenden Gepflogenheiten anzupassen und „seine Kultur zu Hause zu lassen“ (UA S. 28). Weiter engagierte sich der Angeklagte als einer der ersten Flüchtlinge im Jahr 2015 als Jugendtrainer in einem Verein und nahm ehrenamtliche Tätigkeiten für die Gemeinde wahr (UA S. 30). Demgegenüber sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dem Angeklagten die in Deutschland geltenden grundlegenden Regeln nicht bekannt gewesen sein könnten und er folglich nicht damit rechnete oder billigend in Kauf nahm, Unrecht zu tun. Dies gilt umso mehr, als das Landgericht im Zusammenhang mit der Vermeidbarkeit des Verbotsirrtums selbst darauf hinweist, dass Vergewaltigungen auch im muslimischen Kulturkreis unter Strafe gestellt seien (UA S. 57). Unter diesen Umständen hätte das Landgericht beim Angeklagten das Fehlen einer zumindest bedingten Unrechtseinsicht, die einen Verbotsirrtum ausschließt, nicht zu seinen Gunsten unterstellen dürfen. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. Rn. 20 und vom – 2 StR 27/16 Rn. 26, jeweils mwN).
16bb) Im Übrigen ergeben sich auch aus der in den Urteilsgründen wiedergegebenen Einlassung des Angeklagten keine Anhaltspunkte für ein fehlendes Unrechtsbewusstsein des Angeklagten oder darauf, dass er sich auf ein fehlendes Unrechtsbewusstsein berufen hat. Er hat durchgehend in Abrede gestellt, seine Ehefrau zu „irgendetwas“ gezwungen zu haben (UA S. 14); insbesondere habe er Sex nie mit einem „Rauswurf seiner Ehefrau“ aus der gemeinsamen Wohnung oder mit anderen Drohungen verbunden (UA S. 17). Zudem hat er angegeben, „er akzeptiere die Entscheidung des Gerichts und die Gesetze in Deutschland“ (UA S. 16).
173. Der Rechtsfehler zieht die Aufhebung des Urteils im Ausspruch über die Einzelstrafen zu den Taten Ziffer B. 2. bis 4. der Urteilsgründe sowie der Gesamtstrafe nach sich. Die Feststellungen zu den benannten Einzelstrafen einschließlich der Feststellungen zur Unrechtseinsicht des Angeklagten sowie zur Gesamtstrafenbildung können daher keinen Bestand haben und werden aufgehoben (§ 353 Abs. 2 StPO). Die übrigen – von der Frage eines Verbotsirrtums unabhängigen und den Schuldspruch tragenden – rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen, insbesondere diejenigen zum Tatgeschehen und zum entsprechenden Tatvorsatz, bleiben davon unberührt (vgl. zum Aufhebungsumfang KK-StPO/Gericke § 353 Rn. 28; MüKo-StGB/Knauer/Kudlich § 353 Rn. 41 unter Verweis auf OLG Hamburg NJW 1967, 213).
III.
18Die Revision des Angeklagten ist aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen unbegründet. Die vom Angeklagten erhobenen Beanstandungen gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts greifen nicht durch. Sie erschöpfen sich überwiegend bereits in einer eigenen Beweiswürdigung des Angeklagten und in urteilsfremdem Vorbringen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:111224U1STR303.24.0
Fundstelle(n):
DAAAJ-84460