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BGH Urteil v. - I ZR 197/22

Zulässigkeit der Bewerbung eines Desinfektionsschaums mit Angaben zur Hautverträglichkeit - Desinfektionsschaum

Leitsatz

Desinfektionsschaum

1. Die Angaben "Sanft zur Haut", "Hautfreundliche Produktlösung als Schaum" und "Konsumenten sind überzeugt - 100 % bestätigen die Hautverträglichkeit" in der Werbung für ein Biozidprodukt stellen Angaben dar, die als "ähnliche Hinweise" unter das Verbot des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung VO (EU) Nr. 528/2012 fallen (Fortführung von , GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 48] - dm-Drogerie Markt; , GRUR 2024, 1736 - Hautfreundliches Desinfektionsmittel II).

2. Der Kreis der Angaben, die als "ähnliche Hinweise" unter das Verbot des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung VO (EU) Nr. 528/2012 fallen, hängt nicht von dem Gefährdungspotenzial des jeweils konkret betroffenen Biozidprodukts ab.

3. Dem konkret angesprochenen Verkehrskreis kommt im Rahmen des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung VO (EU) Nr. 528/2012 keine Relevanz zu, weil der Vorschrift eine abstrakte Irreführungsgefahr zugrunde liegt und es daher nicht auf eine konkrete Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise im Einzelfall ankommt (Fortführung von , GRUR 2024, 1736 [juris Rn. 29] - Hautfreundliches Desinfektionsmittel II).

Gesetze: Art 72 Abs 3 S 2 EUV 528/2012, § 2 Abs 1 Nr 2 UWG, § 3 Abs 1 UWG, § 3a UWG, § 13 Abs 3 UWG

Instanzenzug: Az: 6 U 322/21 Urteilvorgehend LG Mannheim Az: 14 O 107/21

Tatbestand

1Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. Die Beklagte ist das deutsche Tochterunternehmen des schwedischen E.  Konzerns. Sie vertreibt in Deutschland Produkte unter der Marke "T.  ".

2Die Beklagte warb am in der Lebensmittel Zeitung wie aus der nachstehend abgebildeten Aufmachung ersichtlich für einen Desinfektions-Hand-Schaum mit der - auch auf dem Etikett des abgebildeten Produkts ersichtlichen - Angabe "Sanft zur Haut" sowie den weiteren Angaben "Hautfreundliche Produktlösung als Schaum" und "Konsumenten sind überzeugt - 100 % bestätigen die Hautverträglichkeit".

3Das Produkt, das frei von Alkohol und Duftstoffen ist, enthält als einzigen aktiven Wirkstoff Milchsäure in einer Konzentration von 1,75 g/100 g.

4Nach erfolgloser Abmahnung wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (Biozid-VO) hat die Klägerin mit ihrer der Beklagten am zugestellten Klage beantragt,

1. die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr in Anzeigen oder sonst werblich für das Produkt "T.  Desinfektions-Hand-Schaum" mit den Aussagen zu werben

a) "Sanft zur Haut" und/oder

b) "Hautfreundliche Produktlösung als Schaum" und/oder

c) "Konsumenten sind überzeugt - 100 % bestätigen die Hautverträglichkeit";

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 374,50 € zuzüglich Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

5Den mit dem Antrag 1 c geltend gemachten Unterlassungsanspruch hat die Klägerin neben einem Verstoß gegen die Biozidverordnung auch mit einer Irreführung begründet, weil es an einer ausreichend repräsentativen Studie fehle, die die angegriffene Aussage rechtfertige. Insoweit hat die Beklagte den Anspruch in erster Instanz anerkannt.

6Das Landgericht hat die Beklagte ihrem Anerkenntnis gemäß verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen (LG Mannheim, GRUR-RS 2021, 60585). Die Berufung der Klägerin, mit der sie auch den Klageantrag 1 c gestützt auf einen Verstoß gegen die Biozidverordnung weiterverfolgt hat, ist ohne Erfolg geblieben (OLG Karlsruhe, GRUR 2023, 424). Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter, soweit hierüber nicht durch Anerkenntnisurteil entschieden worden ist.

Gründe

7I. Das Berufungsgericht hat die Klage für unbegründet erachtet und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:

8Das Landgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass dem Klagebegehren mit Blick auf den ursprünglichen Klageantrag 1 c zwei kumulativ geltend gemachte Streitgegenstände zugrunde lägen. Der Handdesinfektionsschaum sei ein Biozidprodukt im Sinn des Art. 3 Abs. 1 Buchst. a Biozid-VO. Die Beklagte habe mit den angegriffenen Angaben "Sanft zur Haut", "Hautfreundliche Produktlösung als Schaum" und "100 % bestätigen die Hautverträglichkeit" nicht gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO verstoßen. Die Angaben seien keine "ähnlichen Hinweise" im Sinn dieser Vorschrift. Sie seien auch nicht irreführend im Sinn des Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Biozid-VO. Abmahnkosten stünden der Klägerin ebenfalls nicht zu, weil die allein auf Verstöße gegen die Biozidverordnung gestützte Abmahnung unberechtigt gewesen sei.

9II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur teilweisen Abänderung des landgerichtlichen Urteils dahingehend, dass der Klage auch im Übrigen stattgegeben wird. Die Klage ist zulässig (dazu II 1). Der Klägerin stehen sowohl die geltend gemachten Unterlassungsansprüche (dazu II 2) als auch der Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten nebst Zinsen zu (dazu II 3).

101. Die Klage ist zulässig.

11a) Die Vorinstanzen sind allerdings zu Unrecht davon ausgegangen, bereits der ursprüngliche Antrag 1 c habe zwei Streitgegenstände umfasst, weil die Klägerin die diesem Antrag zugrundeliegende Angabe sowohl unter dem Gesichtspunkt einer lauterkeitsrechtlichen Irreführung als auch wegen eines Verstoßes gegen die Biozidverordnung beanstande.

12aa) Richtet sich das Klagebegehren - wie im Streitfall - gegen die Verwendung einer bestimmten Angabe, deren Verbot losgelöst von dem konkreten wettbewerblichen Umfeld begehrt wird, wird der Streitgegenstand wie bei Klagen, die sich gegen die konkrete Verletzungsform richten (vgl. dazu , BGHZ 194, 314 [juris Rn. 24 f.] - Biomineralwasser), durch den gesamten historischen Lebensvorgang bestimmt, auf den sich das Rechtsschutzbegehren des Unterlassungsklägers bezieht. Es liegt in der Hand des Klägers, die verschiedenen Aspekte, unter denen er die fragliche Angabe beanstanden möchte, mit verschiedenen Anträgen im Weg der kumulativen Klagehäufung anzugreifen. Wird dagegen nur ein Unterlassungsbegehren formuliert und mit verschiedenen Begründungen untermauert, muss davon ausgegangen werden, dass der Streitgegenstand generell die Verwendung der Angabe für das im Antrag genannte Produkt umfassen soll (vgl. BGHZ 194, 314 [juris Rn. 26] - Biomineralwasser).

13bb) Danach umfasste der ursprüngliche Antrag 1 c nur einen Streitgegenstand. Die Klägerin hat hinsichtlich der Angabe "Konsumenten sind überzeugt - 100 % bestätigen die Hautverträglichkeit" ein Unterlassungsbegehren formuliert und dieses lediglich mit zwei unterschiedlichen rechtlichen Aspekten begründet. Sie hat dies selbst als "einheitlichen Streitgegenstand" bezeichnet. Die vom Berufungsgericht bestätigte Auslegung des Landgerichts ist vor diesem Hintergrund rechtsfehlerhaft.

14b) In der Berufungsinstanz hat die Klägerin jedoch unter Bezugnahme auf die vom Landgericht ausgesprochene Teilabweisung des Antrags 1 c ihre Klage erweitert und die Angabe "Konsumenten sind überzeugt - 100 % bestätigen die Hautverträglichkeit" unter dem Aspekt eines Verstoßes gegen Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO zu einem gesonderten Klageziel gemacht. Diese Klageänderung war zulässig. Das Berufungsgericht hätte die Voraussetzungen des § 533 ZPO nicht verneinen können, weil die Klageänderung sachdienlich im Sinn von § 533 Nr. 1 ZPO war und auf Tatsachen gestützt werden konnte, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hatte (§ 533 Nr. 2 ZPO).

15c) Der Antrag 1 c ist auch hinreichend bestimmt (zu den Anforderungen vgl. , GRUR 2024, 1129 [juris Rn. 16] = WRP 2024, 939 - Verwarnung aus Kennzeichenrecht III, mwN). Auf etwaige Bedenken gegen die Bestimmtheit des Klageantrags unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot kommt es nicht mehr an, nachdem hierüber bereits durch Anerkenntnisurteil entschieden worden ist. Da die beanstandete Angabe für das Produkt "T.  Desinfektions-Hand-Schaum" nunmehr allein wegen eines Verstoßes gegen die Biozidverordnung und zudem schlechterdings verboten werden soll, bedarf es keiner weiteren konkretisierenden Angaben zu den Umständen der Werbung oder einer Bezugnahme auf die konkrete Verletzungsform.

162. Der Klägerin, die gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG in der bis zum geltenden Fassung (vgl. § 15a Abs. 1 UWG) klagebefugt ist, stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche wegen Zuwiderhandlungen gegen die Biozidverordnung zu. Die Angaben "Sanft zur Haut", "Hautfreundliche Produktlösung als Schaum" und "Konsumenten sind überzeugt - 100 % bestätigen die Hautverträglichkeit" verstoßen gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO und stellen damit nach § 3a UWG unlautere und nach § 3 Abs. 1 UWG unzulässige geschäftliche Handlungen dar, die wegen der hier vorliegenden Wiederholungsgefahr Unterlassungsansprüche nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG begründen.

17a) Die beanstandete Bewerbung des Desinfektionsschaums stellt eine geschäftliche Handlung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG dar.

18b) Die Vorschrift des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ist eine Marktverhaltensregelung im Sinn von § 3a UWG.

19aa) Nach § 3a UWG handelt unlauter, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.

20Nach Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO darf die Werbung für ein Biozidprodukt auf keinen Fall die Angaben "Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial", "ungiftig", "unschädlich", "natürlich", "umweltfreundlich", "tierfreundlich" oder ähnliche Hinweise enthalten.

21bb) Die Vorschrift des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ist auch dazu bestimmt, das Marktverhalten der Unternehmer im Interesse der Verbraucher zu regeln. Das Ziel der Biozidverordnung nach ihrem Art. 1 Abs. 1 ist es, das Funktionieren des Binnenmarkts durch die Harmonisierung der Vorschriften für die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten bei gleichzeitiger Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt zu verbessern. Die Bestimmungen der Verordnung beruhen auf dem Vorsorgeprinzip, mit dem der Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt sichergestellt werden soll (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 Biozid-VO). Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO enthält Regelungen zur Werbung für Biozidprodukte, mit denen Verharmlosungen der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt oder seiner Wirksamkeit unterbunden werden sollen (vgl. BeckOK.UWG/Niebel/Kerl, 26. Edition [Stand ], § 3a Rn. 195 mwN). Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO regelt mithin das Verhalten der Unternehmer betreffend die Werbung für Biozidprodukte zum Schutz der Gesundheit und damit im Interesse der Verbraucher.

22cc) Ein Verstoß gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ist geeignet, die Interessen von Verbrauchern im Sinn von § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Verstöße gegen Marktverhaltensregelungen, die den Schutz der Gesundheit der Verbraucher bezwecken, ohne weiteres geeignet, die Interessen der Verbraucher im Sinn von § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen (vgl. , GRUR 2016, 833 [juris Rn. 11] = WRP 2016, 858 - Bio-Gewürze I, mwN). Bei Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO handelt es sich um eine solche, (auch) dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher dienende Marktverhaltensregelung.

23dd) Der Verfolgung eines Verstoßes gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO als unlautere geschäftliche Handlung steht nicht entgegen, dass die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken die Vorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vollständig harmonisiert (Art. 3 Abs. 1, Art. 4 der Richtlinie 2005/29/EG). Die Richtlinie lässt nach ihrem Art. 3 Abs. 3 die Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten unberührt. Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ist eine solche Rechtsvorschrift.

24c) Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem von der Klägerin beanstandeten Desinfektionsschaum um ein Biozidprodukt im Sinn von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a Biozid-VO handelt, also um einen Stoff oder ein Gemisch, das dazu bestimmt ist, auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu bekämpfen.

25Die beanstandeten Angaben sind ferner Teil der von Art. 72 Biozid-VO geregelten Werbung. Nach der Legaldefinition in Art. 3 Abs. 1 Buchst. y Biozid-VO bezeichnet "Werbung" ein Mittel zur Förderung des Verkaufs oder der Verwendung von Biozidprodukten durch gedruckte, elektronische oder andere Medien und erfasst damit jede Werbung, nicht nur die gegenüber Verbrauchern, sondern auch die gegenüber Händlern und Fachkreisen.

26d) Die Aussage, der Desinfektionsschaum sei "Sanft zur Haut", die Bezeichnung des Produkts als "Hautfreundliche Produktlösung als Schaum" sowie die Angabe "Konsumenten sind überzeugt - 100 % bestätigen die Hautverträglichkeit" fallen aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts als "ähnliche Hinweise" unter das Verbot des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO.

27aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, als "ähnlich" vom Verbot erfasst seien Hinweise auf die Eigenschaften des Biozids hinsichtlich seiner Risiken für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit, die in ihrer pauschalen Verharmlosung den in der Vorschrift beispielhaft genannten Angaben gleichstünden. Zur Feststellung des generalisierenden Gehalts des Hinweises, der den Verbotstatbestand kennzeichne, genüge es nicht, wenn der in Rede stehende Hinweis sich einer der beispielhaft genannten Angaben in der Weise zuordnen lasse, dass letztere den Oberbegriff bilde.

28Danach seien die drei angegriffenen Angaben nicht als "ähnliche Hinweise" gemäß Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO untersagt. Das Attribut "Sanft zur Haut" relativere das Risikopotenzial des Produkts oder seiner Wirkungen und deren Schädigungsneigung weder allgemein (wie "Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial", "unschädlich", "ungiftig") noch wenigstens speziell hinsichtlich eines der Schutzgüter umfassend in pauschaler Weise. Es beschreibe vielmehr - wenn auch insoweit sehr allgemein - die Produktwirkung auf ein spezifisches Organ, nämlich die Haut des Menschen. Gleiches gelte für die Bezeichnung "Hautfreundliche Produktlösung als Schaum". Insoweit trete hinzu, dass diese Angabe die Hautfreundlichkeit zusätzlich zur Darreichungsform des angebotenen Produkts in Relation setze. Die Angabe werde der Verkehr allein spezifisch bezogen auf die Haut verstehen und gerade nicht pauschal bezogen auf die sonstigen Auswirkungen auf Mensch oder Umwelt. Hinsichtlich der Aussage "Konsumenten sind überzeugt - 100 % bestätigen die Hautverträglichkeit" werde der Verkehr dieser Angabe das Attribut "hautverträglich" entnehmen, was er mit den Wertungen "schonend für die Haut, ihr nicht schadend, sie nicht angreifend" gleichsetze. Hierdurch werde jedoch nicht pauschal der "ungiftige", "unschädliche" Charakter des Produkts oder ein "niedriges Risikopotenzial" herausgestellt. Der Verkehr entnehme der Angabe nur eine Relativierung schädlicher Nebenwirkungen für das Organ, mit dem das Produkt bestimmungsgemäß in Berührung komme.

29Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

30bb) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO dahin auszulegen, dass der Begriff "ähnliche Hinweise" im Sinn dieser Bestimmung jeden Hinweis in der Werbung für Biozidprodukte umfasst, der - wie die in dieser Bestimmung genannten Angaben - diese Produkte in einer Art und Weise darstellt, die hinsichtlich der Risiken dieser Produkte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder ihrer Wirksamkeit irreführend ist, indem er diese Risiken verharmlost oder sogar negiert, ohne jedoch zwingend allgemeinen Charakter zu haben (, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 48] = WRP 2024, 908 - dm-Drogerie Markt).

31Aus dem Wortlaut von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ergibt sich, dass die Gemeinsamkeit der in dieser Bestimmung aufgezählten Angaben darin besteht, dass sie die Risiken von Biozidprodukten für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit verharmlosen oder diese Risiken sogar negieren, ohne jedoch einen zwingenden allgemeinen Charakter zu haben (EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 33] - dm-Drogerie Markt).

32Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO schafft unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs eine allgemeine Regelung für die Werbung für Biozidprodukte, die sich auf die Reaktion der Verbraucher auf die Wahrnehmung der Risiken dieser Produkte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt stützt und unabhängig von den tatsächlichen Risiken und Eigenschaften dieser Produkte gilt. Die in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO genannten Angaben einschließlich der "ähnlichen Hinweise" stellen Beispiele für Angaben dar, die hinsichtlich dieser Risiken offensichtlich irreführend sind und für die daher das in Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO vorgesehene Verbot der Verwendung in der Werbung für Biozidprodukte gilt (vgl. EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 37 f.] - dm-Drogerie Markt). Den in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO genannten Angaben einschließlich der "ähnlichen Hinweise" liegt damit eine abstrakte Irreführungsgefahr zugrunde, die das Verbot entsprechender Werbeaussagen rechtfertigt. Auf eine konkrete Irreführung im Einzelfall kommt es nicht an (, GRUR 2024, 1736 [juris Rn. 29] = WRP 2024, 1484 - Hautfreundliches Desinfektionsmittel II).

33Dabei kann sowohl ein allgemeiner als auch ein spezifischer Hinweis hinsichtlich der mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken offensichtlich irreführend sein, indem er die Risiken dieser Biozidprodukte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit verharmlost oder diese Risiken sogar negiert, so dass ein allgemeiner Charakter für die Feststellung, ob ein Hinweis, der sich auf ein Biozidprodukt bezieht, unter den Begriff "ähnliche Hinweise" im Sinn von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO fällt, nicht von Belang sein kann (vgl. EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 39] - dm-Drogerie Markt).

34Unter Berücksichtigung des Ziels der Biozidverordnung fallen Hinweise, die die Risiken dieser Biozidprodukte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit weder verharmlosen noch ausschließen, grundsätzlich nicht unter das in Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO vorgesehene Verbot der Verwendung in der Werbung für Biozidprodukte. Dagegen kann es nicht erlaubt sein, Werbeaussagen für Biozidprodukte zu verwenden, die sich auf das Fehlen von Risiken oder ein geringes Risiko oder auf bestimmte positive Wirkungen dieser Produkte beziehen, um diese Risiken zu verharmlosen oder sie sogar zu negieren. Solche Angaben können eine übermäßige, nachlässige oder fehlerhafte Verwendung dieser Produkte fördern, was dem Ziel zuwiderläuft, ihren Einsatz zu minimieren (vgl. EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 44 f.] - dm-Drogerie Markt).

35cc) Nach diesen Maßstäben fallen die von der Klägerin beanstandeten Aussagen "Sanft zur Haut", "Hautfreundliche Produktlösung als Schaum" sowie die Angabe "Konsumenten sind überzeugt - 100 % bestätigen die Hautverträglichkeit" als "ähnliche Hinweise" unter das Verbot des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO.

36(1) Alle drei Angaben heben eine positive Eigenschaft des beworbenen Desinfektionsmittels hervor, während sie keinerlei Risiken erwähnen. Dabei ist es entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung unerheblich, dass mit den Angaben konkret auf das Empfinden und die Reaktion der Haut abgestellt wird und keine generalisierenden Begriffe verwendet werden. Für die Feststellung, ob ein Hinweis, der sich auf ein Biozidprodukt bezieht, unter den Begriff "ähnliche Hinweise" im Sinn von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO fällt, ist ein möglicher allgemeiner (oder spezifischer) Charakter der Angabe nicht von Belang (vgl. EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 39] - dm-Drogerie Markt).

37Die mit der Klage beanstandeten Angaben sind dadurch auch geeignet, die Risiken des Biozidprodukts, insbesondere schädliche Nebenwirkungen des Produkts, zu verharmlosen. Anders als die Revisionserwiderung meint, gilt dies unabhängig davon, ob in der angegriffenen Werbung darüber hinaus gesagt oder suggeriert wird, das Produkt sei insgesamt und mit allen seinen Wirkungen unschädlich, natürlich, ungiftig oder ähnlich harmlos. Die Betonung positiver Eigenschaften kann zudem in Widerspruch zu dem von der Biozidverordnung verfolgten Ziel, den Einsatz von Biozidprodukten zu minimieren, zu einer übermäßigen Verwendung des Desinfektionsmittels führen (zur Angabe "Hautfreundlich" vgl. EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 46] - dm-Drogerie Markt; BGH, GRUR 2024, 1736 [juris Rn. 32] - Hautfreundliches Desinfektionsmittel II). Da die in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO genannten Angaben einschließlich der "ähnlichen Hinweise" eine abstrakte Irreführungsgefahr begründen, bedarf es keiner tatgerichtlichen Feststellungen zu einer konkreten Irreführung durch die streitgegenständlichen Angaben (vgl. BGH, GRUR 2024, 1736 [juris Rn. 32] - Hautfreundliches Desinfektionsmittel II).

38(2) Dem Verbot steht im Streitfall auch nicht ein möglicherweise geringes Gefährdungspotenzial des angegriffenen Biozidprodukts oder der Umstand entgegen, dass es im vereinfachten Verfahren zugelassen worden ist. Die Biozidverordnung differenziert zwar grundsätzlich nach dem Grad der Gefährlichkeit der Biozidprodukte (vgl. zum Beispiel Erwägungsgründe 38 und 69 sowie das vereinfachte Verfahren nach Art. 25 Biozid-VO). Schon das Berufungsgericht hat aber zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kreis der Angaben, die als "ähnliche Hinweise" verboten sind, nicht von dem Gefährdungspotenzial des jeweils konkret betroffenen Biozidprodukts abhängt.

39Das ergibt sich bereits daraus, dass nach dem klaren Wortlaut des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Fall 1 Biozid-VO die Werbung für ein Biozidprodukt auf keinen Fall die Angabe "Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial" enthalten darf. Dieses absolute Verbot gilt unabhängig davon, ob es sich tatsächlich um ein Biozidprodukt mit geringen Risiken für Mensch, Tier und Umwelt handelt sowie ungeachtet des Umstands, dass solche Produkte nach Erwägungsgrund 38 Satz 2 der Biozidverordnung bevorzugt, und Biozidprodukte, die Tiere, welche Schmerz und Leid empfinden können, verletzen, töten oder vernichten sollen, nur als letztes Mittel verwendet werden sollten. Das entspricht auch der Auslegung des Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO durch den Gerichtshof der Europäischen Union, der darin eine allgemeine Regelung für die Werbung für Biozidprodukte sieht, die sich auf die Reaktion der Verbraucher auf die Wahrnehmung der Risiken dieser Produkte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt stützt und unabhängig von den tatsächlichen Risiken und Eigenschaften dieser Produkte gilt (EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 37] - dm-Drogerie Markt).

40Darüber hinaus bestimmen nicht nur das Maß der Schädigungseignung des Biozidprodukts, sondern auch der Umgang mit diesem Produkt, ob das Ziel der Biozidverordnung, ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt zu gewährleisten (vgl. Erwägungsgründe 3 und 76 sowie Art. 1 Abs. 1 Biozid-VO), erreicht wird. Auch bei weniger schädlich wirkenden Produkten kann deren unsachgemäße oder übermäßige Handhabung Gefahren für Mensch, Tier oder Umwelt begründen. Das absolute Verbot der Werbung mit den in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO genannten Angaben einschließlich "ähnlicher Hinweise" ist geeignet, auch diesen Gefahren entgegenzuwirken (vgl. OLG Karlsruhe, GRUR 2022, 1620 [juris Rn. 53]). Für den von der Revisionserwiderung behaupteten "Regelungsüberschuss" ist nichts ersichtlich.

41(3) Der Bejahung eines Verstoßes gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO steht im Streitfall auch nicht der unionsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen (zu diesem Einwand vgl. auch , GRUR 2012, 1058 [juris Rn. 18] = WRP 2012, 1091 - Euminz). Das Verbot der streitgegenständlichen Werbung ist geeignet, die von der Biozidverordnung verfolgten Ziele des Schutzes der menschlichen Gesundheit und der Umwelt zu erreichen. Es geht unter Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips, auf dem die Biozidverordnung beruht (vgl. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 Biozid-VO), auch nicht über das zur Erreichung der verfolgten Ziele Erforderliche hinaus. Im Streitfall ist allein das wirtschaftliche Interesse der Beklagten betroffen, für den von ihr angebotenen Desinfektionsschaum mit positiv besetzten Angaben zu werben, die - wie ausgeführt - zu einer dem Ziel der Verordnung, den Einsatz von Biozidprodukten zu minimieren, widersprechenden übermäßigen Verwendung des Produkts führen können. Mit Blick auf die ihr verbleibende Vielzahl anderer Werbemöglichkeiten ist es der Beklagten ohne weiteres zuzumuten, auf die beanstandete Werbung mit den Angaben "Sanft zur Haut", "Hautfreundliche Produktlösung als Schaum" und "Konsumenten sind überzeugt - 100 % bestätigen die Hautverträglichkeit" zu verzichten.

42(4) Entgegen der Auffassung der Beklagten steht einem Verbot im Streitfall auch nicht entgegen, dass die Werbeaussage in der Lebensmittel Zeitung erschienen ist, die sich insbesondere an gewerbsmäßig in der Lebensmittelbranche Tätige richtet. Unabhängig davon, ob insofern überhaupt ein vom Durchschnittsverbraucher abweichendes Verständnis zu erwarten ist, kommt dem konkret angesprochenen Verkehrskreis im Rahmen des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO keine Relevanz zu, weil der Vorschrift eine abstrakte Irreführungsgefahr zugrunde liegt und es daher nicht auf eine konkrete Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise im Einzelfall ankommt (vgl. BGH, GRUR 2024, 1736 [juris Rn. 29] - Hautfreundliches Desinfektionsmittel II).

433. Der Klägerin steht nach § 13 Abs. 3 UWG auch ein Anspruch auf Ersatz der für die Abmahnung erforderlichen Aufwendungen nebst Rechtshängigkeitszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu (§§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB).

44III. Danach ist auf die Revision der Klägerin das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil sie zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Auf die Berufung der Klägerin ist das Urteil des Landgerichts insoweit abzuändern, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist, und der Klage auch insoweit stattzugeben.

45Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:230125UIZR197.22.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-84228