Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 14 U 75/21vorgehend LG Aurich Az: 2 O 1304/20
Tatbestand
1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in zwei Kraftfahrzeugen auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im April 2018 zwei gebrauchte, von der Beklagten hergestellte Kraftfahrzeuge Audi A 6, die jeweils mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor ausgerüstet sind (Kaufvertrag vom : Schadstoffklasse EU 6 und Kaufvertrag vom : Schadstoffklasse EU 5). Beide Fahrzeuge sind kreditfinanziert.
2Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen sowie Freistellung von Verbindlichkeiten aus dem jeweiligen Kreditvertrag gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge weiter.
Gründe
3Die Revision hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht, das einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht geprüft hat, hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB komme nicht in Betracht. Hinsichtlich des unstreitig verwendeten Thermofensters wie auch hinsichtlich der weiteren behaupteten Abschalteinrichtungen fehle es an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten. Es könne dahinstehen, ob der Vortrag der Klägerin, bei den von ihr beschriebenen weiteren Abschalteinrichtungen handele es sich um grenzwertrelevante Prüfstandserkennungen, die Annahme von Sittenwidrigkeit begründe. Das Landgericht habe es ausdrücklich als unstreitig angesehen, dass bei den klägerischen Fahrzeugen keine Prüfstandserkennungen verbaut seien. An diese Feststellung sei das Berufungsgericht gebunden, insbesondere enthalte der Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils keine die Bindungswirkung hindernden Widersprüche.
II.
6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
71. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB verneint hat. Die seitens der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht es rechtsfehlerhaft unterlassen hat, auf mögliche Ansprüche der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EGFGV einzugehen. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EGFGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung des sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
10Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
11Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
C. Fischer Möhring Katzenstein
Ostwaldt Tausch
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:220125UVIAZR592.21.0
Fundstelle(n):
KAAAJ-84073