Instanzenzug: Hessischer Verwaltungsgerichtshof Az: 28 A 1542/19.D Urteilvorgehend VG Wiesbaden Az: 28 K 2607/17.WI.D Urteil
Gründe
11. Der Beklagte wendet sich gegen seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
2Der im Jahr 1975 geborene Beklagte ist Haupt- und Realschullehrer und seit 2006 im Schuldienst der Klägerin. Im Jahre 2008 wurde er als Lehrer in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit (Besoldungsgruppe A 13) ernannt.
3Mit rechtskräftig gewordenem Urteil des Amtsgerichts Fulda vom wurde der Beklagte wegen des Erwerbs kinderpornographischer Schriften in 36 Fällen, darunter in einem Fall in Tateinheit mit dem Erwerb jugendpornographischer Schriften zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen verurteilt. Dem zugrunde lag, dass der Beklagte im Zeitraum von 2009 bis Januar 2012 mehr als 18 000 kinderpornographische Bild- und Videodateien aus dem Internet heruntergeladen und auf externen Festplatten gespeichert hatte; ferner speicherte er auf 32 Disks Dateien mit jugendpornographischen Inhalten.
4Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht der auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gerichteten Disziplinarklage des Klägers stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Mit dem strafbaren Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften habe der Beklagte ein außerdienstliches disziplinarwürdiges Dienstvergehen begangen. Der bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnete Orientierungsrahmen sei auszuschöpfen. Insbesondere die vom Beklagten geschilderte und aus den bindenden Feststellungen des Amtsgerichts folgende Motivation, aus tiefempfundener Sorge zur Aufdeckung und Verhinderung etwaiger sexueller Missbräuche an seinen Schülern gehandelt zu haben, rechtfertige es nicht, von der Höchstmaßnahme abzusehen. Der Beklagte sei in der mündlichen Berufungsverhandlung von seinem Vorbringen abgerückt, eine computergestützte "automatische" Gesichtsüberprüfung vorgenommen zu haben. Eine solche Vorgehensweise sei bei einer Vielzahl der heruntergeladenen Bilddateien auch nicht möglich gewesen, weil Gesichter nicht abgebildet gewesen seien. Unabhängig davon ändere sein Vorbringen nichts an dem rechtskräftig festgestellten strafbaren Verhalten und dem damit verbundenen schweren Pflichtenverstoß. Selbst wenn die vom Beklagten geschilderte Motivation zu seinen Gunsten spräche, käme dieser eine maßgeblich mildernde Wirkung angesichts des erheblichen Fehlverhaltens als Lehrer nicht zu.
52. Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i. V. m. § 73 HDG) gestützte Beschwerde ist unbegründet.
6Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4, vom - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9, vom - 2 B 84.16 - juris Rn. 9 und vom - 2 B 41.22 - juris Rn. 5).
7Die Revision ist nicht wegen der von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen,
"ob die im Erwerb kinderpornographischer Schriften nach § 184b StGB a. F. liegende außerdienstliche Pflichtverletzung nach § 34 Satz 3 / § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG auch dann geeignet ist, den Orientierungsrahmen für die disziplinare Maßnahme bis zur Entfernung aus dem Dienst nach § 16 Abs. 2 HDG zu eröffnen, wenn feststeht, dass der Beamte nicht aus sexueller Motivation, sondern aus tiefer Sorge mit dem Ziel, etwaige sexuelle Missbräuche an Schülern aufzudecken und abzustellen, handelte oder ist der Orientierungsrahmen für die Maßnahme bei dieser Motivation lediglich bis zur Rückstufung im fortbestehenden Beamtenverhältnis eröffnet,"
"ist im Falle des Bestehens des Orientierungsrahmens bis zur Entfernung nach § 16 HDG bei den Erwägungen der aus Sorge oben beschriebenen Motivation des Beamten im Regelfall ein solches Gewicht beizumessen, dass bei der Einzelprüfung nur besondere Umstände erschwerenden Charakters zur Maßnahme nach § 16 HDG führen können,"
zuzulassen. Die Fragen entziehen sich einer Beantwortung in verallgemeinerungsfähiger Form und damit einer rechtsgrundsätzlichen Klärung.
8a) Klarstellend ist zunächst festzuhalten, dass bei der disziplinaren Ahndung eines strafbaren Verhaltens eines Beamten als Orientierung für die Schwere des Dienstvergehens, die Ausgangspunkt und richtungsweisendes Kriterium für die Bemessung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme nach § 13 Abs. 1 BDG a. F. und den inhaltsgleichen Bemessungsregelungen der Länder - hier § 16 Abs. 1 HDG - ist, an den zum Tatzeitpunkt geltenden Strafrahmen anzuknüpfen ist (stRspr, vgl. 2 C 5.10 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12 Rn. 22 und - 2 C 13.10 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 12 Rn. 25, vom - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 31, jeweils m. w. N. und vom - 2 C 12.19 - BVerwGE 168, 254 Rn. 21). Aus dem danach hier gemäß § 184b Abs. 4 StGB in der bis geltenden Fassung des Gesetzes vom (BGBl. I S. 3007) maßgebenden Strafrahmen von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe für den Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften ist für die Maßnahmebemessung grundsätzlich ein Orientierungsrahmen bis zur Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung eröffnet ( 2 C 3.18 - BVerwGE 166, 389 Rn. 28).
9Allerdings wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis hin zur Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erweitert, wenn das Dienstvergehen - wie hier bei beamteten Lehrern - einen spezifischen Bezug zum Statusamt des Beamten aufweist ( 2 C 3.18 - BVerwGE 166, 389 Rn. 31; vgl. Urteile - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 22 und vom - 2 C 12.19 - NJW 2020, 2907 Rn. 23 ff. zur Fallgruppe der Polizeivollzugsbeamten und Justizvollzugsbeamten). Bei einem beamteten Lehrer führt der außerdienstliche Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften - auch bei geringer Anzahl oder niederschwelligem Inhalt - aufgrund des damit verbundenen Vertrauensverlusts beim Dienstherrn und der Allgemeinheit in aller Regel zur disziplinaren Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Dies gilt jedoch nach dem Urteil des Senats vom - 2 C 3.18 - (BVerwGE 166, 389 Rn. 31) im Hinblick auf das Schuldprinzip und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (nur) dann nicht, wenn außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls die Annahme des vollständigen Vertrauensverlusts in die Person des Beamten ausnahmsweise widerlegen. In diesem Fall ist bereits der Orientierungsrahmen herabzustufen.
10b) Welche außergewöhnlichen Umstände in einem konkreten Fall ausnahmsweise die Annahme des vollständigen Vertrauensverlusts in die Person des betreffenden Beamten widerlegen können, kann nicht in verallgemeinerungsfähiger Form, sondern nur fallbezogen beantwortet werden. Insbesondere lassen sich keine Umstände benennen, die in allen Fällen so außergewöhnlich sind, dass sie stets die Annahme des vollständigen Vertrauensverlusts in die Person des betreffenden Beamten widerlegen könnten und generell zur Abstufung des Orientierungsrahmens führen (vgl. 2 B 67.20 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 82 Rn. 8).
11Dies betrifft auch die von der Beschwerde angeführte Konstellation, die den Strafgesetzgeber veranlasst hat, die durch das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder vom (BGBl. I S. 1810) vorgenommene Heraufstufung der Straftat des (bloßen) Besitzes kinderpornographischer Schriften zum Verbrechen durch das Gesetz zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 des Strafgesetzbuches - Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte vom (BGBl. I Nr. 213) rückgängig zu machen. Der Strafgesetzgeber hat die Mindeststrafe abgesenkt, um (wieder) Verfahrenseinstellungen nach §§ 153 und 153a StPO zu ermöglichen, u. a. in den Fällen von Lehrern oder Eltern, die beim Erwerb und Besitz von kinderpornographischen Inhalten offensichtlich nicht aus eigenem sexuellen Interesse gehandelt haben, sondern das Bildmaterial nur vorübergehend an sich genommen oder an andere Lehrer, Eltern oder die Schulleitung weitergeleitet haben, um andere Straftaten der Verbreitung oder des öffentlichen Zugänglichmachens dieses Materials zu beenden, zu verhindern oder aufzuklären (vgl. BT-Drs. 74/24 S. 1, 3). Solche Motivlagen können unabhängig davon, dass sich die Vorgaben für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme nicht aus den Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Strafzumessung ergeben, bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme relevant sein. Ob eine nichtsexuelle, der Aufklärung dienende Motivation für einen beamteten Lehrer handlungsbestimmend war und darin ein den vollständigen Vertrauensverlust widerlegender außergewöhnlicher Umstand zu sehen ist, der zur Abstufung des grundsätzlich bis zur Höchstmaßnahme reichenden Orientierungsrahmens führt, ist aber auch dann stets eine Frage des konkreten Einzelfalls und der dem Disziplinargericht aufgegebenen fallbezogenen Würdigung vorbehalten.
12Das Berufungsgericht hat die dargestellten Grundsätze für die Maßnahmebemessung nach § 16 HDG beachtet (vgl. UA S. 16 ff.). Es hat den Orientierungsrahmen nach Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls ausgeschöpft und den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Soweit in der Beschwerdebegründung gerügt wird, das Berufungsgericht habe die vom Beklagten geschilderten und aus den bindenden Feststellungen des Amtsgerichts folgenden Beweggründe für den Erwerb und Besitz kinderpornographischen Bildmaterials - die im Übrigen mit denen vom Strafgesetzgeber angeführten Konstellationen bei Lehrern nicht vergleichbar sind - fehlerhaft gewürdigt (vgl. UA S. 20), betrifft dieser Angriff die fallbezogene Anwendung der Bemessungsgrundsätze auf den festgestellten Sachverhalt. Damit kann die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht erreicht werden.
133. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil sich die Gerichtsgebühr streitwertunabhängig aus dem Gebührenverzeichnis ergibt (Anlage zu § 78 BDG). Die Gebühren für das gerichtliche Disziplinarverfahren sind gesetzlich festgelegt (vgl. Anlage zu § 82 Abs. 1 Satz 1 HDG).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:101224B2B11.24.0
Fundstelle(n):
GAAAJ-83824