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BGH Urteil v. - IX ZR 235/23

Instanzenzug: LG Darmstadt Az: 21 S 133/22vorgehend AG Rüsselsheim Az: 3 C 1314/21 (37)

Tatbestand

1Am buchte der Kläger bei dem beklagten Luftfahrtunternehmen für sich und seine Ehefrau Flüge von Frankfurt am Main nach Windhuk (Namibia) und zurück. Die Flüge sollten im Frühling 2020 stattfinden. Der Kläger bezahlte den Flugpreis von insgesamt 1.855,96 €. Am wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet und Eigenverwaltung angeordnet. Die Beklagte setzte den Flugbetrieb fort. Am annullierte die Beklagte aufgrund von Reisebeschränkungen die Flüge. Eine Rückzahlung des Flugpreises lehnte die Beklagte unter Hinweis auf das Insolvenzverfahren ab; sie stellte dem Kläger "aus Kulanz und als Zeichen unserer Wertschätzung" einen befristeten Fluggutschein über 1.855,96 € aus. Der Kläger meldete seine Forderungen nicht zur Insolvenztabelle an, sondern buchte unter Inanspruchnahme des Gutscheins am erneut Flüge von Frankfurt am Main nach Windhuk und zurück. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten wurde, nachdem ein Insolvenzplan zustande gekommen war, durch Beschluss vom mit Wirkung zum aufgehoben. Die am gebuchten Flüge annullierte die Beklagte am unter Hinweis auf eine Flugplanänderung. Daraufhin stellte die Beklagte dem Kläger erneut einen Gutschein im Wert des ursprünglich von ihm erbrachten Gesamtpreises aus. Am buchte der Kläger bei der Beklagten unter Inanspruchnahme des Gutscheins erneut Flüge von Frankfurt am Main nach Windhuk und zurück. Die Beklagte annullierte auch diese Flüge unter Hinweis auf eine Flugplanänderung und bot dem Kläger abermals einen entsprechenden Gutschein an. Daraufhin ließ der Kläger die Beklagte durch Anwaltsschreiben unter Fristsetzung bis zum zur Rückzahlung des ursprünglich bezahlten Reisepreises und Begleichung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten auffordern.

2Der Kläger verlangt Erstattung der von ihm geleisteten Flugkosten in Höhe von 1.855,96 € nebst Zinsen sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen.

Gründe

3Die Revision hat bis auf einen Teil des Zinsanspruchs Erfolg. Sie führt insoweit zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

I.

4Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Dem Kläger stehe kein Anspruch aus Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. EU L 46 S. 1; im Folgenden: Fluggastrechteverordnung oder Fluggastrechte-VO) zu. Dem klägerischen Begehren stünden zwar nicht die Vorschriften der Insolvenzordnung entgegen, da die streitgegenständliche Buchung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens erfolgt sei. Jedoch sei der Anwendungsbereich der Fluggastrechteverordnung nach deren Art. 3 Abs. 3 Satz 1 nicht eröffnet. Die Buchung vom mittels eines Gutscheins stelle sich als kostenlos im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Variante 1 Fluggastrechte-VO dar, weil der Kläger den Gutschein ohne Erbringung einer Gegenleistung erhalten habe. Sollte man in dem Verzicht auf die Insolvenzforderung eine Gegenleistung für den Erhalt des Gutscheins sehen, so liege jedenfalls eine Reise zu einem reduzierten Tarif, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar sei, nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Variante 2 Fluggastrechte-VO vor. Dem Kläger stehe ferner kein Anspruch aus § 280 Abs. 1, Abs. 3, § 281 Abs. 1 BGB zu. Dem Kläger sei durch die Annullierung kein kausaler, ersatzfähiger Schaden entstanden, weil die Beklagte dem Kläger erneut einen Gutschein angeboten habe.

II.

5Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

61. Im Ausgangspunkt noch zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die klägerischen Ansprüche nicht daran scheitern, dass der Kläger diese gemäß § 254 Abs. 1, § 254b InsO nur nach Maßgabe des Insolvenzplans und damit in Höhe einer dort vorgesehenen Insolvenzquote geltend machen kann. Vorliegend erteilte die Beklagte den zuletzt eingelösten Gutschein erst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens. Auch die Flugbuchung erfolgte erst hiernach. Auf erst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens begründete Ansprüche gegen die Beklagte kann der Insolvenzplan keinen Einfluss haben. Ohne Bedeutung ist insoweit, ob die Beklagte bei Erteilung des Gutscheins aus Kulanz handelte. Eine freiwillige Erteilung ändert nichts daran, dass die Beklagte mit der Gutscheinerteilung die rechtlich verbindliche und - jedenfalls bei Erteilung nach Beendigung des Insolvenzverfahrens - durchsetzbare Verpflichtung zur Einlösung übernahm. Dasselbe gilt für eine Flugbuchung unter Einsatz des Gutscheins nach Beendigung des Insolvenzverfahrens. Auch Sekundäransprüche aus der Annullierung des Flugs unterliegen demnach keinen insolvenzrechtlichen Beschränkungen. Aus demselben Grund ist der Anspruch mit dem im Gutschein ausgewiesenen Guthaben zu bewerten und nicht mit einer im Insolvenzplan ausgewiesenen Quote.

72. Der Kläger kann aus Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, 8 Abs. 1 Buchst. a Fluggastrechte-VO die Kosten des Flugscheins verlangen.

8a) Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fluggastrechte-VO steht dem nicht entgegen. Ein zu einem allgemein verfügbaren Tarif gebuchter Flug ist nicht deshalb kostenlos oder unter Inanspruchnahme eines reduzierten Tarifs, der der Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar zur Verfügung steht (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Fluggastrechte-VO) gebucht, weil der Flugpreis mit einem Gutschein bezahlt wird, wenn dieser Gutschein - wie im Streitfall - aufgrund eines zuvor vollständig bezahlten Flugpreises erteilt wurde. Dies hat der Senat mit Urteil vom heutigen Tag (IX ZR 236/23, zVb) entschieden und näher begründet.

9b) Der Kläger ist berechtigt, die Rückzahlung des Flugpreises nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. a Fluggastrechte-VO zu verlangen. Dies gilt auch hinsichtlich des für seine Ehefrau gebuchten Flugs.

10Der Kläger hat den Flug für sich und seine Ehefrau gebucht und bezahlt. Beide gemeinsam haben die Beklagte durch ein Anwaltsschreiben außergerichtlich auf Rückzahlung des Flugpreises auf ein Konto des Klägers in Anspruch genommen. In den Instanzen hat die Beklagte die Aktivlegitimation des Klägers nicht in Abrede gestellt. Nach den tatsächlichen Umständen zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz ist daher im Streitfall von einer (stillschweigenden) Abtretung der Ansprüche der Ehefrau an den Kläger (vgl. , NJW 2023, 2175 Rn. 23), jedenfalls aber von einer Einziehungsermächtigung des Klägers auszugehen. Bei Buchung und Zahlung eines gemeinsamen Flugs für ein Ehepaar durch einen der beiden Ehegatten ist regelmäßig und so auch hier von einem Einverständnis des mitreisenden Ehegatten damit auszugehen, dass der Buchende nach Annullierung eines Flugs den von ihm gezahlten Flugpreis vom Luftfahrtunternehmen an sich zurückverlangt. Der Beklagten war vorliegend hinreichend verdeutlicht, dass der Kläger hinsichtlich der Erstattung des Flugpreises teilweise auch aus einem jedenfalls ursprünglich seiner Ehefrau zustehenden Recht vorgeht (vgl. , NJW 1999, 3707, 3708).

113. Der Anspruch auf Zinsen folgt aus § 280 Abs. 1 und 2, § 286 BGB. Verzug tritt erst mit Mahnung des Erstattungsbetrags für den am gebuchten und später annullierten Flug ein. Dagegen kann der Kläger keine Zinsen für Zeiträume beanspruchen, für die er Gutscheine angenommen hat. Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten folgt aus § 280 Abs. 1 BGB; die Beklagte hatte pflichtwidrig ausschließlich eine Erstattung im Wege erneuter Gutscheinerteilung angeboten (vgl. , NJW 2016, 2883 Rn. 22).

III.

12Das angefochtene Urteil kann daher bis auf die Aberkennung eines Teils der Zinsforderung keinen Bestand haben. Es ist insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Schoppmeyer                        Schultz                        Selbmann

                             Harms                          Kunnes

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:160125UIXZR235.23.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-83809