Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsbürgerschaft – Art. 21 Abs. 1 AEUV – Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten – Steuerrecht – Einkommensteuer – Berechnung des Grundfreibetrags für ein unterhaltsberechtigtes Kind, das im Rahmen des Programms Erasmus+ eine Unterstützung zur Förderung der Lernmobilität erhalten hat – Verordnung (EU) Nr. 1288/2013 – Besteuerung der zur Förderung der Mobilität der von dieser Verordnung erfassten Einzelpersonen gewährten Finanzhilfen – Beschränkung der Freizügigkeit – Verhältnismäßigkeit
Leitsatz
Die Art. 20 und 21 AEUV sind im Licht von Art. 165 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich AEUV dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die bei der Bestimmung der Höhe des persönlichen Grundfreibetrags, auf den ein steuerpflichtiger Elternteil für sein unterhaltsberechtigtes Kind Anspruch hat, die Unterstützung zur Förderung der Lernmobilität berücksichtigt, die dieses Kind im Rahmen des Programms Erasmus+ erhalten hat, was gegebenenfalls den Verlust des Anspruchs auf Erhöhung dieses Freibetrags im Rahmen der Berechnung der Einkommensteuer zur Folge hat.
Gründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18, 20, 21 und von Art. 165 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich AEUV sowie von Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, berichtigt in ABl. 2004, L 200, S. 1).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen E. P. und dem Ministarstvo financija Republike Hrvatske, Samostalni sektor za drugostupanjski upravni postupak (Ministerium der Finanzen der Republik Kroatien, Selbständige Abteilung für Verwaltungsverfahren in zweiter Instanz) (im Folgenden: Selbständige Abteilung für Verwaltungsverfahren in zweiter Instanz). Gegenstand dieses Rechtsstreits ist die Frage, ob die Steuerverwaltung die im Rahmen des Programms Erasmus+ gewährte Unterstützung zur Förderung der Lernmobilität, die ein E. P. gegenüber unterhaltsberechtigtes Kind erhalten hat, im Rahmen der Einkommensteuer bei der Berechnung des für E. P. geltenden Freibetrags zu berücksichtigen hat.
Rechtlicher Rahmen
Recht der Europäischen Union
Verordnung Nr. 883/2004
3 Art. 1 Buchst. z der Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt:
„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:
…
z) ‚Familienleistungen‘ alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I.“
4 Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:
„Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:
…
j) Familienleistungen.“
5 Art. 67 („Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen“) dieser Verordnung lautet:
„Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ein Rentner hat jedoch Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats.“
Verordnung (EU) Nr. 1288/2013
6 Die Verordnung (EU) Nr. 1288/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Einrichtung von „Erasmus+“, dem Programm der Union für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, und zur Aufhebung der Beschlüsse Nr. 1719/2006/EG, Nr. 1720/2006/EG und Nr. 1298/2008/EG (ABl. 2013, L 347, S. 50), die zum maßgeblichen Zeitpunkt in Kraft war, enthielt einen 40. Erwägungsgrund, der lautete:
„Um den Zugang zu dem Programm zu erweitern, sollten die Finanzhilfen zur Förderung der Mobilität von Einzelpersonen den Lebenshaltungs- und Aufenthaltskosten des Aufnahmelandes angepasst werden. Die Mitgliedstaaten sollten zudem darin bestärkt werden, diese Finanzhilfen gemäß ihren einzelstaatlichen Rechtsvorschriften von Steuern und Sozialabgaben zu befreien. Diese Befreiung sollte auch für öffentliche oder private Einrichtungen gelten, die für die Vergabe der Finanzhilfen an die betreffenden Personen zuständig sind.“
7 Art. 6 („Maßnahmen des Programms“) Abs. 1 dieser Verordnung bestimmte:
„Im Bereich allgemeine und berufliche Bildung werden die Ziele des Programms mit Hilfe der folgenden Maßnahmearten verfolgt:
a) Lernmobilität von Einzelpersonen;
…“
8 Art. 18 („Finanzmittel“) Abs. 7 dieser Verordnung sah vor:
„Die von einer nationalen Agentur bzw. Agenturen (‚nationale Agentur‘) zu verwaltenden Mittel für die Lernmobilität von Einzelpersonen gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a und Artikel 12 Buchstabe a werden nach Maßgabe der Bevölkerung und der Lebenshaltungskosten in dem betreffenden Mitgliedstaat, der Entfernung zwischen den Hauptstädten der Mitgliedstaaten und der Leistung aufgeteilt. Auf den Parameter der Leistung, der anhand der in den Absätzen 8 und 9 genannten Kriterien ermittelt wird, entfallen 25 % der Gesamtmittel. Was strategische Partnerschaften nach Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a und Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a anbelangt, die von einer nationalen Agentur auszuwählen und zu verwalten sind, so werden die Mittel auf Grundlage von Kriterien zugewiesen, die von der [Europäischen] Kommission nach dem Prüfverfahren gemäß Artikel 36 Absatz 3 festgelegt werden. Die Formeln sind gegenüber den verschiedenen Bildungs- und Ausbildungssystemen der Mitgliedstaaten möglichst neutral, wobei eine erhebliche Verringerung der jährlichen Mittelzuweisungen für die Mitgliedstaaten von einem Jahr auf das nächste vermieden wird und übermäßige Ungleichgewichte bei der Höhe der Finanzhilfen möglichst gering gehalten werden.“
Nationales Recht
9 Der Zakon o porezu na dohodak (Einkommensteuergesetz) vom (NN 177/04) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: ZPD) sieht in seinem Art. 6 vor, dass die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer um den persönlichen Grundfreibetrag vermindert wird.
10 Nach Art. 10 Nrn. 13, 18 und 20 ZPD sind von der Einkommensteuer befreit:
„13. Stipendien für Studierende für ein Vollzeitstudium an Fachhochschulen und Universitäten sowie Stipendien für Postgraduierte und Postdoktoranden, für die im Staatshaushalt der Republik Kroatien Mittel veranschlagt sind, und Stipendien für Studierende für ein Vollzeitstudium an Universitäten, die aus dem Unionshaushalt gewährt bzw. vergeben werden und in besonderen internationalen Abkommen geregelt sind,
…
18. Stipendien für Studierende, die im Rahmen öffentlicher Auswahlverfahren ausgewählt wurden, an denen alle Studierenden unter gleichen Bedingungen teilnehmen können, für ein Vollzeitstudium an Universitäten, wenn die Stipendien gemäß besonderer Vorschriften von Stiftungen, Stiftungsfonds, Einrichtungen und sonstigen Stellen, die in der Republik Kroatien für Zwecke der Aus- und Fortbildung oder der Wissenschaft und Forschung registriert sind und mit dem Ziel der Vergabe von Stipendien gegründet wurden, gewährt bzw. vergeben werden,
…
20. Beträge im Rahmen der vorgeschriebenen Grenzen, die im Einklang mit der Haushaltsordnung der Europäischen Kommission als Finanzhilfen aus Fonds und Programmen der Europäischen Union durch Behörden ausgezahlt werden, die gemäß den Rechtsvorschriften der Europäischen Union in der Republik Kroatien für die Durchführung von Mobilitätsmaßnahmen im Rahmen von Programmen und Fonds der Europäischen Union für berufliche Aus- und Fortbildung akkreditiert sind.“
11 Art. 36 ZPD bestimmt:
„(1) Bei Steueransässigen wird für jeden steuerpflichtigen Monat des Besteuerungszeitraums der persönliche Grundfreibeitrag in Höhe von 2 200 [kroatischen Kuna (HRK) (ca. 292 Euro)] von dem gemäß Art. 5 dieses Gesetzes erzielten Gesamteinkommen abgezogen. …
(2) Steueransässige können den Grundfreibeitrag gemäß Abs. 1 um folgende Beträge erhöhen:
…
2. für unterhaltsberechtigte Kinder um 0,5 des persönlichen Grundfreibetrags für das erste Kind, 0,7 für das zweite, 1,0 für das dritte, 1,4 für das vierte und 1,9 für das fünfte; für jedes weitere Kind wird der Faktor des persönlichen Grundfreibetrags im Verhältnis zum Faktor des persönlichen Grundfreibetrags für das vorherige Kind stufenweise um zusätzlich 0,6, 0,7, 0,8, 0,9, 1,0 … erhöht.
…
(4) Als unterhaltsberechtigte nahe Familienangehörige und Kinder gelten natürliche Personen, deren steuerpflichtige Einkünfte, steuerbefreite Einkünfte und sonstige Beträge, die nach diesem Gesetz nicht als Einkommen angesehen werden, auf Jahresbasis das Fünffache des persönlichen Grundfreibeitrags gemäß Abs. 1 dieser Bestimmung nicht überschreiten.
(5) Abweichend von Abs. 4 bleiben bei der Feststellung des Anspruchs auf den persönlichen Grundfreibetrag für unterhaltsberechtigte nahe Familienangehörige und Kinder Beträge unberücksichtigt, die nach besonderen Vorschriften als Sozialleistungen, Kindergeld, Geburtszulage oder Ausstattungsbeihilfe für Neugeborene sowie Hinterbliebenenrente im Fall des Todes eines Elternteils vorgesehen sind. …“
12 Art. 54 ZPD sieht für bestimmte Steuerpflichtige, die in Fördergebieten und in der Stadt Vukovar (Kroatien) wohnen, darunter die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens, einen höheren persönlichen Grundfreibetrag als den in Art. 36 Abs. 1 ZPD genannten vor, der sich im für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgeblichen Zeitpunkt auf 3 000 HRK belief, was nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 ZPD zu einer Erhöhung des in dieser Bestimmung vorgesehenen Freibetrags für unterhaltsberechtigte Kinder führt.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
13 Die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens, eine kroatische Staatsangehörige, schuldet Einkommensteuer und einen Einkommensteuerzuschlag als Sondersteuereinkünfte einer lokalen Gebietskörperschaft. In Ansehung ihres Wohnorts kommt sie in den Genuss bestimmter Steuervorteile, die das ZPD vorsieht.
14 Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass eines der unterhaltsberechtigten Kinder der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens für das Studienjahr 2014/2015 im Rahmen des Programms Erasmus+ für seinen Studienaufenthalt an einer Universität in Finnland eine Unterstützung zur Förderung der Lernmobilität erhielt und dass ihm vor seinem Wegzug in dieses Land Ende 2014 ein Vorschuss auf diese Unterstützung in Höhe von 1 840 Euro gezahlt wurde.
15 Der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens wurde für die Besteuerungszeiträume vor dem Jahr 2014 gemäß Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 und Art. 54 Abs. 1 Nr. 2 ZPD für ein unterhaltsberechtigtes Kind eine Erhöhung des persönlichen Grundfreibetrags gewährt.
16 Mit Steuerbescheid vom teilte die Porezna uprava Ministarstva financija Republike Hrvatske (Steuerverwaltung des Ministeriums für Finanzen der Republik Kroatien) der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens mit, dass sie die betreffende Steuer zu entrichten habe, da die Erhöhung des persönlichen Grundfreibetrags für ihr unterhaltsberechtigtes Kind für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum insofern entfallen sei, als sie in diesem Zeitraum Beträge erhalten habe, die den in Art. 36 Abs. 4 ZPD genannten Schwellenwert überstiegen. Dieser Schwellenwert sei dadurch überschritten worden, dass dem Kind im Rahmen des Programms Erasmus+ eine Unterstützung für Mobilität gewährt wurde.
17 Gegen diesen Steuerbescheid legte die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens bei der Selbständigen Abteilung für Verwaltungsverfahren in zweiter Instanz Einspruch ein, mit dem sie geltend machte, dass ihr für das Jahr 2014 zu Unrecht die Erhöhung des persönlichen Grundfreibetrags für ihr unterhaltsberechtigtes Kind versagt worden sei. Die Unterstützung für Mobilität, die Studierenden zu Bildungszwecken im Rahmen des Programms Erasmus+ gezahlt werde, sei als „Sozialleistung“ einzustufen und dürfe daher gemäß Art. 36 Abs. 5 ZPD bei der Berechnung des Anspruchs auf Erhöhung des persönlichen Grundfreibetrags für unterhaltsberechtigte Kinder nicht berücksichtigt werden.
18 Mit Bescheid vom wies die Selbständige Abteilung für Verwaltungsverfahren in zweiter Instanz den Einspruch als unbegründet zurück.
19 Die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens erhob gegen diesen Bescheid Klage beim Upravni sud Osijek (Verwaltungsgericht Osijek, Kroatien), der diese Klage mit Urteil vom als unbegründet abwies.
20 Gegen dieses Urteil legte die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens beim Visoki upravni sud (Hohes Verwaltungsgericht der Republik Kroatien, Kroatien) ein Rechtsmittel ein, das mit Urteil vom zurückgewiesen wurde.
21 Gegen dieses Urteil erhob die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens beim Ustavni sud Republike Hrvatske (Verfassungsgericht der Republik Kroatien, Kroatien), dem vorlegenden Gericht, Verfassungsbeschwerde. Sie stützt diese Beschwerde namentlich auf einen Beschwerdegrund, mit dem sie eine Verletzung der in der Verfassung der Republik Kroatien vorgesehenen Pflicht zum Schutz ihrer aus dem Unionsrecht abgeleiteten subjektiven Rechte rügt. Insbesondere sei sie unter Verstoß gegen Art. 18 AEUV diskriminiert und unter Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 Buchst. a und Art. 21 Abs. 1 AEUV deshalb benachteiligt worden, weil ihr unterhaltsberechtigtes Kind von seinem Recht Gebrauch gemacht habe, sich zu Bildungszwecken in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Herkunftsmitgliedstaat frei zu bewegen und aufzuhalten.
22 Das vorlegende Gericht fragt sich, ob das Unionsrecht auf den Fall der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens anwendbar ist, und ob insbesondere die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Steuervorschriften mit den Art. 18, 20, 21 und Art. 165 Abs. 2 AEUV sowie mit Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 vereinbar sind.
23 Außerdem weist das vorlegende Gericht darauf hin, aus dem Bericht der Ombudsfrau der Republik Kroatien für das Jahr 2017 gehe hervor, dass diese von den kroatischen Universitäten Informationen erhalten habe, wonach Studierende, die daran interessiert gewesen seien, die im Programm Erasmus+ vorgesehenen Maßnahmen in Anspruch zu nehmen, darauf verzichtet hätten, nachdem sie erfahren hätten, dass nach der Auslegung des Ministeriums für Finanzen der Republik Kroatien der Erhalt der Unterstützung zur Förderung der Lernmobilität im Rahmen des Programms Erasmus+ zu Folge habe, dass ihren Eltern der Anspruch auf Erhöhung des persönlichen Grundfreibetrags für unterhaltsberechtigte Kinder verloren gehe, was zu einem Rückgang der Zahl an Bewerbungen von Studierenden geführt habe, die an solchen Maßnahmen Interesse hätten.
24 Unter diesen Umständen hat der Ustavni sud Republike Hrvatske (Verfassungsgericht der Republik Kroatien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Sind die Art. 18, 20, 21 und Art. 165 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich AEUV dahin auszulegen, dass sie Vorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach denen ein Elternteil den Anspruch auf Erhöhung des jährlichen Grundfreibetrags für ein unterhaltsberechtigtes Kind im Rahmen der Einkommensteuer verliert, weil dieses Kind eine über der vorgesehenen fixen Einkunftsgrenze liegende Unterstützung für Studierendenmobilität ausbezahlt erhielt, und zwar als unterhaltsberechtigter Studierender, der von seiner Freiheit, sich zum Zweck der Bildung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht hat, indem er auf der Grundlage nationaler Durchführungsrechtsakte die Maßnahmen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1288/2013 zur Wahrnehmung der Mobilität von Studierenden aus einem Mitgliedstaat mit niedrigeren oder mittleren durchschnittlichen Lebenshaltungskosten in einen Mitgliedstaat mit höheren durchschnittlichen Lebenshaltungskosten in der Form in Anspruch genommen hat, wie diese Maßnahmen nach den Kriterien der Europäischen Kommission gemäß Art. 18 Abs. 7 dieser Verordnung festgelegt waren?
Ist Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 dahin auszulegen, dass er Vorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach denen ein Elternteil den Anspruch auf Erhöhung des jährlichen Grundfreibetrags für einen unterhaltsberechtigten Studierenden im Rahmen der Einkommensteuer verliert, der die Unterstützung für Studierendenmobilität im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1288/2013 während seines Studienaufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch genommen hat?
Zu den Vorlagefragen
Zur Zulässigkeit
25 Nach Ansicht der kroatischen Regierung sind die Vorlagefragen unzulässig. Zwar fielen Studierende unter das Unionsrecht, wenn sie im Rahmen der Teilnahme am Programm Erasmus+ von ihrem Recht auf Freizügigkeit zu Studienzwecken in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Herkunftsmitgliedstaat Gebrauch machten, doch könne daraus nicht abgeleitet werden, dass dieses Recht auch für ihre Familienangehörigen, insbesondere ihre Eltern, gelte. Die steuerliche Situation der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens und insbesondere die Berechnung ihrer Einkommensteuer sowie die Bestimmung ihres Anspruchs auf den persönlichen Grundfreibetrag unterfielen dem nationalen Recht und nicht dergestalt dem Unionsrecht, wie dies die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens geltend mache. Dies gelte umso mehr, als die Situation der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens in Anbetracht ihrer Staatsangehörigkeit, der Tatsache, dass sie in Kroatien arbeite, dort Einkünfte erziele und weder persönlich von der Freizügigkeit Gebrauch mache noch im Rahmen des Programms Erasmus+ eine Unterstützung in Form einer Förderung der Lernmobilität erhalte, rein innerstaatlichen Charakter habe.
26 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es allein Sache des mit dem Ausgangsrechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten dieses Rechtsstreits sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daraus folgt, dass für die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit spricht und dass der Gerichtshof die Beantwortung dieser Fragen nur ablehnen kann, wenn die Auslegung, um die ersucht wird, offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die für eine zweckdienliche Beantwortung dieser Fragen erforderlichen tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt (vgl. insbesondere Urteil vom , Royal Antwerp Football Club, C‑680/21, EU:C:2023:1010, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Im vorliegenden Fall legt indessen das vorlegende Gericht die Gründe präzise dar, aus denen es zu der Auffassung gelangt ist, dass eine Auslegung des Unionsrechts für den Erlass seiner Entscheidung erforderlich sei und dass die Antworten auf die Vorlagefragen Auswirkungen auf die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits haben könnten. Um eine Entscheidung fällen zu können, sei es in Anbetracht des Gegenstands der bei ihm anhängigen Beschwerde und des Fehlens einer Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Diskriminierung oder Unverhältnismäßigkeit nationaler steuerlicher Maßnahmen in Bezug auf die Mobilität von Studierenden im Rahmen des Programms Erasmus+ insbesondere verpflichtet, darüber zu befinden, ob die individuellen Rechtsakte, die Gegenstand der bei ihr anhängigen Beschwerde seien, gegen die Art. 18, 20, 21 und Art. 165 Abs. 2 AEUV verstießen.
28 Außerdem lässt sich eine Situation, in der sich die Frage stellt, ob und gegebenenfalls inwieweit sich die Teilnahme an einem unionsrechtlich geregelten Programm wie dem Programm Erasmus+ auf eine Steuerregelung auswirkt, die für den steuerpflichtigen Elternteil gilt, der dem Kind gegenüber unterhaltspflichtig ist, das an diesem Programm teilgenommen hat, unabhängig davon, ob diese Situation im Übrigen durch das Unionsrecht geregelt wird oder nicht, nicht als „rein innerstaatlich“ ansehen. Die Beurteilung des Umfangs und der Modalitäten dieser möglichen Auswirkung betrifft nicht die Zulässigkeit der Vorlagefragen, sondern deren materiell-rechtliche Würdigung.
29 Somit sind die Vorlagefragen zulässig.
Zur Beantwortung der Fragen
30 In seinen Vorlagefragen bezieht sich das vorlegende Gericht auf mehrere Bestimmungen des Unionsrechts, hinsichtlich deren es wissen möchte, ob sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen.
31 Zu Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 ist zunächst festzustellen, dass anhand dieser Bestimmung die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats bestimmt werden sollen, die für den Anspruch auf Familienleistungen maßgebend sind. Wie indes die kroatische Regierung und die Kommission geltend gemacht haben, stellt der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuerfreibetrag insofern keine Familienleistung im Sinne von Art. 1 Buchst. z der Verordnung Nr. 883/2004 dar, als er keine Geldleistung zum Ausgleich von Familienlasten ist, sondern einen steuerlichen Vorteil darstellt, der unter bestimmten Voraussetzungen den Betrag der Einkommensteuer mindert. Daraus folgt, dass Art. 67 dieser Verordnung im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits nicht anwendbar ist.
32 Was Art. 18 AEUV und namentlich das dort genannte Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit betrifft, so geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass nach Auffassung des vorlegenden Gericht u. a. unter Berücksichtigung der Ziele der Verordnung Nr. 1288/2013 die Situation der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens weder allgemein mit derjenigen von Einkommensteuerpflichtigen vergleichbar ist, deren Kinder von ihrem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht haben, noch insbesondere mit derjenigen solcher Steuerpflichtiger, deren Kinder im Rahmen des Programms Erasmus+ Unterstützung zur Förderung der Lernmobilität für einen Studienaufenthalt in Mitgliedstaaten mit ähnlichen oder geringeren Lebenshaltungskosten erhalten haben. Allerdings fragt sich das vorlegende Gericht in Anbetracht dessen, dass sich das Kind der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens zum Zweck seines Universitätsstudiums in einen Mitgliedstaat mit höheren Lebenshaltungskosten als Kroatien begeben hat, ob die Nichtanwendung der in Art. 36 Abs. 5 ZPD vorgesehenen Ausnahme in Bezug auf die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens als eine ungerechtfertigte Beschränkung der Freizügigkeit von Studierenden im Sinne der Art. 20 und 21 AEUV anzusehen ist.
33 Somit ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, im Wesentlichen wissen möchte, ob die Art. 20 und 21 AEUV im Licht von Art. 165 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich AEUV dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die bei der Bestimmung der Höhe des persönlichen Grundfreibetrags, auf den ein steuerpflichtiger Elternteil für sein unterhaltsberechtigtes Kind Anspruch hat, die Unterstützung zur Förderung der Lernmobilität berücksichtigt, die dieses Kind im Rahmen des Programms Erasmus+ erhalten hat, was gegebenenfalls den Verlust des Anspruchs auf Erhöhung dieses Freibetrags im Rahmen der Berechnung der Einkommensteuer zur Folge hat.
34 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass direkte Steuern nach ständiger Rechtsprechung zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen und dass dieses Recht die Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht daran hindert, aus Unionsmitteln finanzierte Einkünfte zu besteuern (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Schumacker, C‑279/93, EU:C:1995:31, Rn. 21; vom , Finanzamt G [Entwicklungshilfeprojekte], C‑15/22, EU:C:2023:636, Rn. 64, und vom , Ministarstvo financija, C‑682/22, EU:C:2023:920, Rn. 33); allerdings muss eine solche Besteuerung unter Wahrung des Unionsrechts, insbesondere der Bestimmungen des AEU-Vertrags über das jedem Unionsbürger zuerkannte Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, erfolgen (vgl. entsprechend Urteil vom , Schempp, C‑403/03, EU:C:2005:446, Rn. 19).
35 Diese Erwägungen gelten auch dann, wenn es wie im vorliegenden Fall nicht im eigentlichen Sinne um die Besteuerung der aus Unionsmitteln finanzierten Einkünfte geht, sondern um deren Berücksichtigung im Rahmen der Berechnung der Einkommensteuer eines Steuerpflichtigen, der für ein Kind, das solche Einkünfte bezogen hat, unterhaltspflichtig ist.
36 Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass Art. 20 AEUV jeder Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, den Status eines Unionsbürgers verleiht, der dazu bestimmt ist, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein (Urteile vom , Grzelczyk, C‑184/99, EU:C:2001:458, Rn. 31, und vom , Udlændinge- og Integrationsministeriet [Verlust der dänischen Staatsangehörigkeit], C‑689/21, EU:C:2023:626, Rn. 29).
37 Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, kann sich ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der in seiner Eigenschaft als Unionsbürger von seinem Recht, sich in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Herkunftsmitgliedstaat frei zu bewegen und aufzuhalten, Gebrauch gemacht hat, auf die mit dieser Eigenschaft verbundenen Rechte, insbesondere auf die in Art. 21 Abs. 1 AEUV vorgesehenen, berufen, und zwar gegebenenfalls auch gegenüber seinem Herkunftsmitgliedstaat (Urteil vom , Direcţia pentru Evidenţa Persoanelor ei Administrarea Bazelor de Date, C‑491/21, EU:C:2024:143, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
38 Zweitens ist festzustellen, dass eine nationale Regelung, die bestimmte eigene Staatsangehörige allein deshalb benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einem anderen Mitgliedstaat frei zu bewegen und aufzuhalten, Gebrauch gemacht haben, eine Beschränkung der Freiheiten darstellt, die Art. 21 Abs. 1 AEUV jedem Unionsbürger zuerkennt (Urteile vom , De Cuyper, C‑406/04, EU:C:2006:491, Rn. 39, und vom , A [Hilfe für eine schwerbehinderte Person], C‑679/16, EU:C:2018:601, Rn. 60).
39 Die vom AEU-Vertrag auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Unionsbürger gewährten Erleichterungen könnten nämlich nicht ihre volle Wirkung entfalten, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats von ihrer Wahrnehmung durch Hindernisse abgehalten werden könnte, die sich aus seinem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat deswegen ergeben, weil eine Regelung seines Herkunftsstaats ihn allein deshalb ungünstiger stellt, weil er von diesen Erleichterungen Gebrauch gemacht hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Pusa, C‑224/02, EU:C:2004:273, Rn. 19, und vom , A [Hilfe für eine schwerbehinderte Person], C‑679/16, EU:C:2018:601, Rn. 61).
40 Dies gilt angesichts der mit Art. 6 Buchst. e AEUV und Art. 165 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich AEUV verfolgten Ziele, nämlich u. a. die Mobilität von Lernenden und Lehrenden zu fördern, besonders im Bereich der Bildung (Urteile vom , D’Hoop, C‑224/98, EU:C:2002:432, Rn. 32, und vom , Thiele Meneses, C‑220/12, EU:C:2013:683, Rn. 24).
41 Darüber hinaus stützt sich das Programm Erasmus+ ebenso wie andere Aktionsprogramme der Union im Bildungsbereich auf die Art. 165 und 166 AEUV, wobei es insbesondere die Mobilität der Studierenden innerhalb der Union fördern soll und es ihnen ermöglichen soll, unabhängig von ihrem Herkunftsort ihr Studium in verschiedenen Mitgliedstaaten aufzunehmen oder fortzusetzen, wodurch es die europäische Dimension der allgemeinen und beruflichen Bildung stärkt. Allerdings stehen der Verwirklichung dieses Ziels angesichts der wirtschaftlichen Mittel, über die die Studierenden und ihre Eltern verfügen, die zusätzlichen Kosten entgegen, die mit dieser Mobilität einhergehen. Die finanzielle Unterstützung, die insbesondere über Finanzhilfen zur Förderung der Mobilität der Begünstigten dieses Programms gewährt wird, zeugt vom Willen der Union, zur konkreten und wirksamen Überwindung dieser Hindernisse beizutragen.
42 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber im 40. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1288/2013 die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert hat, Finanzhilfen zur Förderung der Mobilität der von dieser Verordnung erfassten Einzelpersonen gemäß ihren einzelstaatlichen Rechtsvorschriften von Steuern und Sozialabgaben zu befreien, ohne den Mitgliedstaaten jedoch insbesondere hinsichtlich der Berechnung der Einkommensteuer der steuerpflichtigen Eltern eine besondere Verpflichtung aufzuerlegen, da direkte Steuern, wie in Rn. 34 des vorliegenden Urteils ausgeführt, grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen.
43 Indessen garantiert das Unionsrecht einem Unionsbürger nicht, dass die Ausübung seiner Freizügigkeit hinsichtlich der Besteuerung neutral wäre. Aufgrund der unterschiedlichen Regelungen der Mitgliedstaaten in diesem Bereich kann eine solche Ausübung je nach Einzelfall mehr oder weniger vorteilhaft oder sogar nachteilig sein. Der gleiche Grundsatz gilt erst recht in einer Situation, in der der Betroffene nicht selbst sein Recht auf Freizügigkeit wahrgenommen hat, sondern vorträgt, er sei infolge der Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit eines Familienangehörigen benachteiligt worden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Schempp, C‑403/03, EU:C:2005:446, Rn. 45 und 46).
44 Nimmt ein Mitgliedstaat jedoch am Programm Erasmus+ teil, muss er dafür Sorge tragen, dass die Modalitäten für die Bewilligung und die Besteuerung von Finanzhilfen zur Förderung der Mobilität der Begünstigten das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten, nicht in ungerechtfertigter Weise beschränken (vgl. entsprechend Urteile vom , Morgan und Bucher, C‑11/06 und C‑12/06, EU:C:2007:626, Rn. 28, und vom , Martens, C‑359/13, EU:C:2015:118, Rn. 24).
45 Im vorliegenden Fall steht zum einen fest, dass die Unterstützung zur Förderung der Lernmobilität im Rahmen des Programms Erasmus+ als solche zu dem für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt in Kroatien nicht besteuert wurde, sondern für die Berechnung der Einkommensteuer der Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens berücksichtigt wurde. Zum anderen wurde diese insofern benachteiligt, als die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Bestimmungen auf sie deshalb angewandt wurden, weil ein ihr gegenüber unterhaltsberechtigtes Kind eine solche Unterstützung in Anspruch genommen hat.
46 Solche Bestimmungen sind daher angesichts der Auswirkungen, die die Ausübung dieses Rechts auf die Berechnung der Einkommensteuer der steuerpflichtigen Eltern haben kann, geeignet, Unionsbürger davon abzuhalten, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, sich in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Herkunftsmitgliedstaat frei zu bewegen und aufzuhalten, und können die Mobilität der Studierenden innerhalb der Union im Rahmen des Programms Erasmus+ beeinträchtigen.
47 Folglich kann bei einem steuerpflichtigen Elternteil der Umstand, dass die einem unterhaltsberechtigten Kind im Rahmen des Programms Erasmus+ gewährte Unterstützung für Mobilität bei der Berechnung des Grundfreibetrags, auf den der Elternteil für dieses Kind Anspruch hat, berücksichtigt wird, was zur Folge hat, dass er den Anspruch auf Erhöhung dieses Freibetrags im Rahmen der Berechnung der Einkommensteuer verliert, eine Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt darstellen, das Unionsbürgern nach Art. 21 AEUV zusteht.
48 Das Vorliegen einer solchen Beschränkung kann weder dadurch in Frage gestellt werden, dass es sich bei dem unterhaltsberechtigten Kind, das von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, nicht selbst um den Steuerpflichtigen handelte, der im Rahmen der Berechnung der Einkommensteuer seinen Anspruch auf Erhöhung des persönlichen Grundfreibetrags für unterhaltsberechtigte Kinder verloren hat, noch dadurch, dass der auf diese Weise benachteiligte steuerpflichtige Elternteil von seiner Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat.
49 Bei nachteiligen steuerlichen Folgen für einen steuerpflichtigen Elternteil mit einem unterhaltsberechtigten Kind, das von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, handelt es sich nämlich um eine Beschränkung der Freizügigkeit im Sinne von Art. 21 AEUV, da sie sich aus der Ausübung dieses Rechts durch dieses Kind ergeben. Dass diese nachteiligen Folgen folglich nicht für das Kind, das von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, sondern für diesen Elternteil eingetreten sind, ist somit für die Feststellung des Vorliegens einer Beschränkung der Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV unerheblich, und zwar unabhängig davon, ob dieser Elternteil von diesem Recht Gebrauch gemacht hat oder nicht.
50 Unter solchen Umständen kann sich nicht nur ein Unionsbürger, der von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, auf die Wirkungen dieser Beschränkung berufen, sondern auch ein Unionsbürger, der wie die Beschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens diesem Unionsbürger unterhaltsverpflichtet ist und der daher durch die Auswirkungen dieser Beschränkung unmittelbar benachteiligt wird.
51 Insoweit hat der Gerichtshof bereits anerkannt, dass sich Unionsbürger, die nicht selbst von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, sich in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Herkunftsmitgliedstaat frei zu bewegen und aufzuhalten, unter bestimmten Umständen auf Art. 21 AEUV und die zu seiner Anwendung erlassenen Bestimmungen berufen können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Schempp, C‑403/03, EU:C:2005:446, Rn. 25, und vom , Rendón Marín, C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 42 und 43).
52 Letztlich können sich angesichts der wirtschaftlichen Verbindungen zwischen dem Kind und seinem Elternteil, die sich im vorliegenden Fall nicht nur daraus ergeben, dass das Kind von seinem Elternteil abhängig ist, um seine Kosten für Unterhalt und berufliche Ausbildung zu bestreiten, sondern auch aus der Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, die Einkünfte des unterhaltsberechtigten Kindes zu berücksichtigen, wenn es darum geht, die steuerliche Situation des steuerpflichtigen Elternteils zu bestimmen, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens sowohl das Kind, für das Unterhalt gewährt wird, als auch sein steuerpflichtiger Elternteil auf Art. 21 AEUV und die zu seiner Anwendung erlassenen Bestimmungen berufen.
53 Drittens ist darauf hinzuweisen, dass sich eine Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt, wie sie in Rn. 47 des vorliegenden Urteils festgestellt wurde, unionsrechtlich nur rechtfertigen lässt, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen des Allgemeininteresses beruht und in angemessenem Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Ziel steht (Urteil vom , Direcţia pentru Evidenţa Persoanelor ei Administrarea Bazelor de Date, C‑491/21, EU:C:2024:143, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).
54 Was insoweit als Erstes die objektiven Erwägungen des Allgemeininteresses betrifft, die die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung rechtfertigen können, so geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass mit den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmungen im Einklang mit den Grundsätzen der Gleichheit und der Gerechtigkeit des Steuersystems und der ordnungsgemäßen Verwaltung der begrenzten öffentlichen Mittel das Ziel verfolgt wird, im Hinblick auf das Medianeinkommen und die durchschnittlichen Ausgaben soziale und materielle Ungleichheiten zwischen Steuerpflichtigen mit unterhaltsberechtigten Kindern und Steuerpflichtigen, die nicht für den Unterhalt von Kindern aufzukommen haben, zu korrigieren.
55 Insoweit gewähren nach Ansicht des vorlegenden Gerichts diese Bestimmungen nicht denjenigen Steuerpflichtigen, deren unterhaltsberechtigte Kinder in einem Steuerjahr steuerfreie Einkünfte in einer bestimmten Höhe erzielen, die es dem Kind nach Auffassung des nationalen Gesetzgebers ermöglichen, aus eigenen Einkünften zu seinem Unterhalt beizutragen und dazu beizutragen, die Ausgaben seiner Eltern im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht zu senken, einen Anspruch auf Erhöhung des persönlichen Grundfreibetrags für unterhaltsberechtigte Kinder, sondern nur denjenigen Steuerpflichtigen, deren Kinder keine steuerfreien Einkünfte oder nur Einkünfte in geringer Höhe erzielen und deren Unterhalt daher nur durch die Einkünfte der Eltern sichergestellt werden kann.
56 Es zeigt sich somit, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Bestimmungen darauf abzielen, die tatsächliche Steuerkraft der einkommensteuerpflichtigen Eltern zu berücksichtigen, um zu verhindern, dass diese Steuerkraft unterbewertet wird, was als ein dem Allgemeininteresse dienendes Ziel anzusehen ist (vgl. entsprechend Urteil vom , Finanzamt V [Erbschaften – Teilfreibetrag und Abzug von Pflichtteilsansprüchen], C‑394/20, EU:C:2021:1044, Rn. 52).
57 Was als Zweites die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit anbelangt, so lässt sich eine Regelung, die eine durch den Vertrag garantierte Grundfreiheit wie das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht der Unionsbürger beschränken kann, nur dann mit Erfolg rechtfertigen, wenn sie geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , JD [Wohnsitzerfordernis], C‑562/22, EU:C:2024:55, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
58 Außerdem ist eine nationale Regelung nur dann geeignet, die Erreichung des angeführten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , JD [Wohnsitzerfordernis], C‑562/22, EU:C:2024:55, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
59 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach dem 40. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1288/2013 die Finanzhilfen zur Förderung der Mobilität von Einzelpersonen im Sinne dieser Verordnung an die Lebenshaltungs- und Aufenthaltskosten des Aufnahmelands angepasst werden sollten. Ebenso sah Art. 18 Abs. 7 dieser Verordnung vor, dass die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a und Art. 12 Buchst. a dieser Verordnung genannten Mittel für die Lernmobilität von Einzelpersonen nach Maßgabe der Bevölkerung und der Lebenshaltungskosten in dem betreffenden Mitgliedstaat, der Entfernung zwischen den Hauptstädten der Mitgliedstaaten und der Leistung aufgeteilt werden.
60 Folglich ist, wie der Generalanwalt in den Nrn. 49 bis 52 und 77 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, davon auszugehen, dass diese Unterstützungen – insofern, als das Programm Erasmus+ darauf abzielt, die Lernmobilität von Studierenden insbesondere im Rahmen der Hochschulausbildung zu fördern, und unter Berücksichtigung der Höhe der Unterstützung zur Förderung der Lernmobilität im Rahmen dieses Programms sowie der tatsächlichen Lebenshaltungskosten im Aufnahmemitgliedstaat – einen Beitrag zur Deckung der zusätzlichen Kosten leisten sollen, die ohne diese Mobilität nicht entstanden wären.
61 Deswegen führt der Erhalt einer solchen Unterstützung weder zu einer Minderung der Ausgaben der steuerpflichtigen Eltern im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht gegenüber unterhaltsberechtigten Kindern, noch erhöht er die Steuerkraft dieser Eltern.
62 Die steuerliche Behandlung der Unterstützung zur Förderung der Lernmobilität im Rahmen des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Programms Erasmus+ eignet sich daher nicht dazu, in kohärenter und systematischer Weise die tatsächliche Steuerkraft einkommensteuerpflichtiger Eltern zu berücksichtigen, die gegenüber einem an diesem Programm teilnehmenden Kind unterhaltspflichtig sind. Da diese Behandlung zu höheren steuerlichen Belastungen für die steuerpflichtigen Eltern führen kann, ohne dass die ihnen zur Entlastung zur Verfügung stehenden Mittel erhöht worden wären, kann die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung sogar das Gegenteil bewirken.
63 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Art. 20 und 21 AEUV im Licht von Art. 165 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich AEUV dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die bei der Bestimmung der Höhe des persönlichen Grundfreibetrags, auf den ein steuerpflichtiger Elternteil für sein unterhaltsberechtigtes Kind Anspruch hat, die Unterstützung zur Förderung der Lernmobilität berücksichtigt, die dieses Kind im Rahmen des Programms Erasmus+ erhalten hat, was gegebenenfalls den Verlust des Anspruchs auf Erhöhung dieses Freibetrags im Rahmen der Berechnung der Einkommensteuer zur Folge hat.
Kosten
64 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
Die Art. 20 und 21 AEUV sind im Licht von Art. 165 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich AEUV dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die bei der Bestimmung der Höhe des persönlichen Grundfreibetrags, auf den ein steuerpflichtiger Elternteil für sein unterhaltsberechtigtes Kind Anspruch hat, die Unterstützung zur Förderung der Lernmobilität berücksichtigt, die dieses Kind im Rahmen des Programms Erasmus+ erhalten hat, was gegebenenfalls den Verlust des Anspruchs auf Erhöhung dieses Freibetrags im Rahmen der Berechnung der Einkommensteuer zur Folge hat.
ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2025:18
Fundstelle(n):
KAAAJ-83584