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BGH Beschluss v. - IV ZR 147/23

Instanzenzug: Az: I-6 U 118/22vorgehend LG Arnsberg Az: I-7 O 300/22

Gründe

1    I. Der Kläger nimmt - soweit für die Revisionsinstanz noch von Bedeutung - die Beklagte auf Feststellung der Verpflichtung zur Gewährung von Deckungsschutz für die erstinstanzliche Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen gegen die B        AG wegen behaupteter Manipulation der Abgassteuerung seines Pkws in Anspruch.

2    Zwischen den Parteien besteht ein Vertrag über eine Rechtsschutzversicherung, für welche die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (im Folgenden: ARB 2012) der Beklagten gelten. Der Kläger erwarb im August 2017 einen Pkw von der Niederlassung der B      AG in Dortmund als Gebrauchtwagen mit einem Kilometerstand von 29.055 km zu einem Kaufpreis von 30.995 € brutto. Das Fahrzeug verfügt über einen Dieselmotor.

3    Mit Schreiben vom begehrte der Kläger von der Beklagten Deckungsschutz für das außergerichtliche und gerichtliche Vorgehen gegen die B     AG wegen behaupteter Manipulation der Abgassteuerung in seinem Pkw. Die Beklagte lehnte eine Deckungszusage wegen fehlender Erfolgsaussichten und Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung ab. Hierauf nahmen seine Prozessbevollmächtigten mit einem als "Stichentscheid" überschriebenen Schreiben vom Stellung und kamen zu dem Schluss, dass Erfolgsaussichten für die beabsichtigte Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen bestünden, weil das Fahrzeug des Klägers mit unzulässigen Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 (EG) 715/2007, insbesondere einem sogenannten Thermofenster, ausgestattet und der Kläger dadurch vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt worden sei. Die Beklagte lehnte die Bindungswirkung des "Stichentscheids" und eine Kostendeckung ab.

4    Mit der Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, die Kosten der außergerichtlichen und erstinstanzlichen Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen gegen die B    AG zu tragen und diese zu verurteilen, ihn von den Kosten des am gefertigten Stichentscheids in Höhe von 887,03 € freizustellen.

5    Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten der erstinstanzlichen Geltendmachung von deliktischen Schadensersatzansprüchen des Klägers gegen die B      AG aufgrund des Kaufs des B            d und der vom Kläger behaupteten Manipulation der Abgassteuerung dieses Fahrzeugs aus einem Streitwert bis zu 30.274,66 € zu tragen mit der Einschränkung, dass sich der Kläger den Vorteil anrechnen lassen muss, den er durch die Nutzung des Fahrzeugs erzielt hat mit der Maßgabe, dass bei der Bemessung der Nutzungsvorteile auf der Grundlageeiner angenommenen Gesamtfahrleistung des Fahrzeugs von maximal 500.000 km Gesamtfahrleistung auszugehen ist und die Höhe der anzurechnenden Nutzungsentschädigung mindestens 720,34 € betragen muss. Weiter hat das Berufungsgericht die Beklagte verurteilt, den Kläger von den Kosten für das Schreiben seiner Rechtsanwälte vom in Höhe von 887,03 € freizustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

6    II. Nach Auffassung des Berufungsgerichts - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - ist von hinreichenden Erfolgsaussichten nach § 3a Abs. 1 Buchst. a ARB 2012 für die beabsichtigte gerichtliche Geltendmachung von deliktischen Schadensersatzansprüchen gegenüber der B     AG auszugehen. Davon sei zwar nicht bereits deshalb auszugehen, weil eine die Beklagte nach § 3a Abs. 2 ARB 2012 bindende begründete Stellungnahme (sogenannter Stichentscheid) vorläge. Das von den Prozessbevollmächtigten des Klägers gefertigte Schreiben vom genüge nicht den an eine begründete Stellungnahme zu stellenden Anforderungen. Mit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) vom (C-100/21, = NJW 2023, 1111 ff.) erscheine aber ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG (Rahmenrichtlinie) jedenfalls nicht unvertretbar. Der Berücksichtigung dieser Entscheidung des Gerichtshofs stehe hier nicht entgegen, dass sie erst nach dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife also dem als dem Tag der Deckungsablehnung der Beklagten bzw. dem als dem Tag der Stellungnahme der Klägervertreter ergangen sei. Zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei zwar auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife abzustellen. Aus der Entscheidung des Gerichtshofs folge allerdings weder eine Veränderung der zugrundeliegenden Tatsachen noch eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung aufgrund veränderter Anschauungen. Vielmehr habe der Gerichtshof damit eine - bereits im Zeitpunkt der Bewilligungsreife - bestehende Rechtslage festgestellt. Zudem würde die Nichtberücksichtigung einer nach Bewilligungsreife bestehenden Rechtslage, wonach die Erfolgsaussichten zu bejahen wären, auf eine bloße Förmelei hinauslaufen.

7    III. Die Revision ist unzulässig hinsichtlich der Rügen zur nicht substantiierten Darlegung der vom Kläger behaupteten Manipulationen an den Abschalteinrichtungen und zur Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung. Die Revision ist insoweit mangels Zulassung nicht statthaft, denn das Berufungsgericht hat die Zulassung wirksam auf die Frage beschränkt, ob spätere - nach dem Zeitpunkt der sogenannten Bewilligungsreife - eingetretene Entwicklungen in der Rechtsprechung bzw. Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung für die Frage nach den Erfolgsaussichten der beabsichtigten Wahrnehmung der rechtlichen Interessen zugunsten des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen seien. Es hat zur Begründung ausgeführt, es weiche mit seiner Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung bedingungsgemäßen Deckungsschutzes insoweit von den Entscheidungen des OLG Schleswig vom (16 U 53/22, r+s 2022, 512 Rn. 9) und des OLG Bremen vom9. November 2022 (3 U 13/22, BeckRS 2022, 37412 Rn. 5) ab. Die Beschränkung kann sich - wie hier - auch aus den Entscheidungsgründen ergeben. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Tenor im Lichte der Entscheidungsgründe auszulegen und deshalb von einer beschränkten Revisionszulassung auszugehen ist, wenn sich diese aus den Gründen klar ergibt. Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht als angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbstständigen Teil des Streitstoffs stellt (Senatsbeschluss vom - IV ZR 300/20,VersR 2022, 1571 Rn. 15 m.w.N.). Dies ist hier für die Frage, ob spätere nach dem Zeitpunkt der sogenannten Bewilligungsreife - eingetretene Entwicklungen in der Rechtsprechung bzw. Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei Beurteilung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Wahrnehmung der rechtlichen Interessen zugunsten des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen seien, der Fall.

8    IV. Soweit das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, liegen die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht mehr vor und das Rechtsmittel hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).

9    Urteil vom (IV ZR 140/23, VersR 2024, 1068; vorgesehen für BGHZ) hat der Senat entschieden, dass für die Frage, ob die beabsichtigte Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, zwar grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Deckungsgesuchs abzustellen ist, d.h. auf den Zeitpunkt, in dem der Rechtsschutzversicherer seine Entscheidung trifft (Senatsurteil vom aaO Rn. 20 m.w.N.), hier der . Erfolgt aber im Deckungsschutzverfahren des Versicherungsnehmers einer Rechtsschutzversicherung nach dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife eine Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung (hier: durch den Gerichtshof der Europäischen Union in den sog. Dieselverfahren) , sind für die Beurteilung des Deckungsschutzanspruchs die Erfolgsaussichten der Klage im Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht maßgeblich. Damit ist die entscheidungserhebliche Frage zwischenzeitlich geklärt und der im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts zunächst gegebene Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) entfallen.

10    2. Die Revision hat soweit sie eröffnet ist - auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat im Streitfall frei von Rechtsfehlern angenommen, dass die vom Kläger beabsichtigte gerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aus § 823 Abs. 2, § 31 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 und Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46/EG (Rahmenrichtlinie) hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

11    a) Zum Zeitpunkt des Ablaufs der im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO bis zum festgesetzten Schriftsatzfrist, die dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht (vgl. MünchKomm-ZPO/Fritsche, 6. Aufl. § 128 Rn. 39), ist das Berufungsgericht unter Berücksichtigung der Entscheidung des Gerichtshofs vom (, = NJW 2023, 1111 Rn. 81 ff.) sowie der Anforderungen an das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussichten nach der Behauptung des Klägers zum Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen, insbesondere aufgrund des behaupteten Thermofensters, rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Annahme eines fälligen Schadensersatzanspruchs aus § 823 Abs. 2, § 31 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 und Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46/EG (Rahmenrichtlinie) jedenfalls nicht unvertretbar erschien. Zu diesem Zeitpunkt bedurften die Einzelheiten der Voraussetzungen und der Modalitäten eines solchen Schadensersatzanspruchs, insbesondere die Frage eines Verschuldenserfordernisses seitens des Herstellers und die Frage, ob mit dem Individualschutz der Vorschriften von Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46/EG (Rahmenrichtlinie) i.V.m. Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 auch der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts und damit der Schutz des Käufers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrages erfasst sein soll, einer weiteren Klärung, die erst durch die (VIa ZR  335/21, BGHZ 237, 245 ff.; VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270 ff.; VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 ff.) eingetreten ist (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 140/23, VersR 2024, 1068 Rn. 33).

12    b) Soweit sich aus den neueren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ergeben könnte, dass dem Kläger der geltend gemachte Schadensersatzanspruch möglicherweise nicht oder nur im geringeren Umfang zusteht - wie die Revision geltend macht -, führt dies nicht zu der Annahme, das Berufungsgericht habe rechtsfehlerhaft entschieden. Der Senat verkennt insbesondere nicht, dass unter Berücksichtigung von nach der Entscheidung des Berufungsgerichts und im Anschluss an das Urteil des Gerichtshofs (, = NJW 2023, 1111 ff.) ergangener höchstrichterlicher Rechtsprechung vom ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ff.; VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270 ff.; VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 ff.; ebenso , juris Rn. 20; vom - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 20) aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nur ein Schadensersatzanspruch des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs auf Ersatz des Differenzschadens innerhalb eines Rahmens zwischen 5 % und 15 % des gezahlten Kaufpreises in Betracht kommen kann ( VIa ZR 335/21 aaO Rn. 71 ff.), der Kläger hier worauf die Revision zutreffend hinweist - indessen die gerichtliche Geltendmachung des "großen" Schadensersatzes beabsichtigt. Die Bewertung des Tatrichters, dass zum Zeitpunkt seiner Beurteilung hinreichende Erfolgsaussichten vorlagen, kann in der Revisionsinstanz allerdings nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht

13    3. Die grundsätzliche Klärung entscheidungserheblicher Rechtsfragen erst nach Einlegung der Revision steht einer Revisionszurückweisung durch Beschluss nicht im Wege (vgl. dazu Senatsbeschluss vom - IV ZR 18/22, VersR 2023, 719 Rn. 14 m.w.N).

Prof. Dr. Karczewski                 Harsdorf-Gebhardt                 Dr. Brockmöller

                               Dr. Bußmann                              Dr. Bommel

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:131124BIVZR147.23.0

Fundstelle(n):
XAAAJ-83490