BVerwG Urteil v. - 2 WD 7/24

Instanzenzug: Truppendienstgericht Süd Az: S 3 VL 42/19 Urteil

Tatbestand

1Das Verfahren betrifft den Vorwurf von Äußerungen sexuellen Inhalts.

2Der ... geborene, frühere Soldat verfügt über den Realschulabschluss. Nach Ableistung des Grundwehrdienstes trat er ... erneut im Dienstgrad eines Obergefreiten und als Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr seinen Dienst an, der auf Antrag des früheren Soldaten am endete.

3Nach vorangegangener Kommandierung vom wurde er seit August 2018 auf einem Dienstposten SanFw NotfallSan beim ... in der ... geführt. Er wurde zuletzt ... zum Oberfeldwebel befördert (Besoldungsgruppe A 7 Z) und zum Sanitätsfeldwebel, Rettungsassistenten und Notfallsanitäter ausgebildet.

4In der unter dem planmäßig erstellten Beurteilung werden seine Leistungen im Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung mit "6,22" bewertet. Der frühere Soldat sei fachlich versiert, als Vorgesetzter anerkannt und sozial sowie hilfsbereit. Als Ausbilder in der Einsatzhelferausbildung sei er eine feste Größe innerhalb des Zuges.

5Der letzte Disziplinarvorgesetzte, Oberstleutnant A, hat erstinstanzlich ausgesagt, der frühere Soldat sei professionell, offen, ehrlich und ruhig. Unter Anleitung von Fachvorgesetzten funktioniere er. Eine fachliche Einschätzung könne er mangels Fachexpertise nicht abgeben. Er sehe den früheren Soldaten im unteren Leistungsdrittel, jedoch leiste er seinen Dienst. Schriftlich hatte er unter dem ausgeführt, dem früheren Soldaten hätten die Aufgaben eines Teileinheitsführers trotz seines Dienstgrades zu keiner Zeit übertragen werden können, da es ihm an charakterlicher Reife fehle. Im Februar 2023 sei es erneut zu einem Vorfall gekommen, der disziplinarisch mit einem Verweis geahndet worden sei. Insgesamt habe er Zweifel, dass der frühere Soldat über die charakterliche und fachliche Eignung verfüge, den Erwartungen, die an seinen Dienstgrad gestellt würden, gerecht zu werden. Das Vertrauen in ihn sei durch das letzte Vorkommnis unwiederbringlich erschüttert.

6Die frühere Disziplinarvorgesetzte Oberstleutnant B hatte unter dem schriftlich ausgeführt, die Leistungen des früheren Soldaten seien auch unter Berücksichtigung seiner schwierigen persönlichen Situation unterdurchschnittlich. Insbesondere im Hinblick auf die Erlangung von notwendigen Qualifikationen fehle es an Einsatzwillen und Engagement. Nach nunmehr vier Jahren sei er noch immer nicht adäquat ausgebildet und er bemühe sich auch nicht, seine volle Einsetzbarkeit zu erreichen.

7Nach Auskunft der personalbearbeitenden Dienststelle erfüllt der frühere Soldat die zeitlichen Voraussetzungen für eine Beförderung zum Hauptfeldwebel seit Oktober ... Da er den für eine Beförderung erforderlichen Punktsummenwert nicht erreicht habe, wäre er jedoch auch ohne das Disziplinarverfahren nicht befördert worden.

8Der frühere Soldat ist berechtigt, das Abzeichen für Leistungen im Truppendienst in Silber sowie die Schützenschnur in Gold zu tragen. Er hat ... einen Auslandseinsatz in ... absolviert.

9Der frühere Soldat ist weder strafrechtlich noch disziplinarisch vorbelastet. Der gegen ihn am verhängte Verweis ist mit Beschluss des Truppendienstgerichts ... vom (Az. ...) aufgehoben worden und daher nicht verwertbar.

10Laut aktueller Auskunft erhält der geschiedene frühere Soldat als Vater von vier minderjährigen Kindern bis Ende 2028 Übergangsgebührnisse in Höhe von monatlich 2 744,94 € netto. Die Übergangsbeihilfe in Höhe von 60 425,40 € wird einbehalten. Erstinstanzlich hat der frühere Soldat seine wirtschaftliche Situation wegen laufender Hauskredite als angespannt beschrieben. Ihm verblieben nach Abzug der Kosten von ca. 2 700 € noch ca. 800 € zum Leben. Er ist als Rettungssanitäter angestellt und erzielt dadurch monatliche Einkünfte, die in etwa denen der Übergangsgebührnisse entsprechen.

Gründe

111. Nachdem mit Verfügung vom gegen den früheren Soldaten das gerichtliche Disziplinarverfahren eingeleitet worden war, wurde ihm mit Anschuldigungsschrift vom zur Last gelegt:

"1. Während eines nicht näher bestimmbaren Zeitpunkts zwischen dem und dem hat der Soldat gegenüber der Zeugin Hauptgefreiter d. R. C in Anwesenheit des Zeugen Stabsunteroffizier D in der ... auf der ... in der ..., vor dem Behandlungsraum 2 in einem Gespräch, in dem es um die großen Hände der Zeugin C ging, geäußert, dass die Zeugin C 'ja dann einmal seinen Schwanz in die Hand nehmen' könne.

2. Am hat der Soldat in seiner Verwendung als Behandlungszimmersoldat in einem Behandlungsraum in der ... auf der ... in der ..., gegenüber dem ebenfalls dort eingesetzten Zeugen Oberfeldwebel E geäußert, dass er grundsätzlich alle weiblichen Patientinnen, 'wenn sie geil aussehen', auffordere, vor der Durchführung einer EKG-Untersuchung den BH auszuziehen.

3. Der Soldat hat in einer nicht mehr genau feststellbaren Anzahl von Fällen in seiner Verwendung als Behandlungszimmersoldat zu im Einzelnen nicht näher feststellbaren Zeitpunkten, jedenfalls aber am in der ... auf der ... in der ... im Zusammenhang mit einer zuvor durch ihn an der Zeugin Oberfähnrich F durchgeführten EKG-Untersuchung, die unter Ablage des BHs stattfand, gegenüber dem Zeugen Stabsunteroffizier D geäußert, dass er bei auf ihn attraktiv wirkenden Patientinnen auch ohne medizinische Notwendigkeit unter dem Vorwand der Messgenauigkeit von diesen fordere, bei der EKG-Untersuchung den BH abzulegen.

4. Der Soldat hat am , nachdem er als Behandlungszimmersoldat bei der EKG-Untersuchung der Zeugin Oberfähnrich F in der ... auf der ... in der ... eingesetzt war und die Zeugin bei ihrer EKG-Untersuchung aufgefordert hatte, ihren BH abzulegen, vor der Fahrzeughalle der ... gegenüber dem Zeugen Stabsunteroffizier D geäußert, die Zeugin Oberfähnrich F habe 'schöne, kleine, straffe Titten'."

122. Das Truppendienstgericht hat den früheren Soldaten mit Urteil vom in den Dienstgrad eines Feldwebels herabgesetzt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Vorwürfe seien auf der Grundlage der glaubhaften Aussagen der Zeugen Hauptgefreiter d.R. C, Stabsunteroffizier D, Leutnant (vormals Oberfeldwebel) E und Oberstabsarzt G erwiesen.

13Damit habe er in allen Anschuldigungspunkten vorsätzlich gegen die Pflichten zum treuen Dienen und zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten im Dienst verstoßen. Zusätzlich habe er im Anschuldigungspunkt 1 gegen die Pflicht verstoßen, jede sexuelle Belästigung zu unterlassen sowie in den Anschuldigungspunkten 1 und 4 gegen die Verpflichtung, die Würde, die Ehre und die Rechte von Kameraden zu achten. Gleichzeitig habe er in den Anschuldigungspunkten 2, 3 und 4 gegen seine Pflicht verstoßen, in dienstlichen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu wahren und bezüglich der Anschuldigungspunkte 1, 3 und 4 gegen die Pflicht, innerhalb und außerhalb des Dienstes bei Äußerungen die Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich sei, um das Vertrauen als Vorgesetzter zu erhalten.

14Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bilde eine Dienstgradherabsetzung, weil der Soldat die ihm unterstellte Zeugin Hauptgefreiter d.R. C gegen deren Willen durch die Äußerung sexuellen Inhaltes in ihrer Würde verletzt habe. Hinzu kämen weitere Äußerungen sexuellen Inhaltes gegenüber den Zeugen Leutnant E und Stabsunteroffizier D. Auf der zweiten Zumessungsstufe sei von einem mittelschweren Fall auszugehen, da sich der frühere Soldat mehrerer Pflichtverletzungen schuldig gemacht habe. Insbesondere die Äußerung gegenüber der Zeugin Hauptgefreite d.R. C in Anwesenheit Dritter bilde einen gravierenden Verstoß gegen Dienstpflichten, auch wenn der frühere Soldat keine Würdeverletzung beabsichtigt habe. Nicht leicht wiege auch, dass er sich über Patientinnen in sexueller Weise geäußert habe, was bei Untergebenen und Gleichgestellten zu Irritationen geführt und den Betriebsfrieden gestört habe. Der medizinische Bereich sei sensibel und erfordere entsprechende Sorgfalt im Umgang mit Aussagen. Nachteilige Auswirkungen hätten darin bestanden, dass der frühere Soldat aus dem Bereich der Behandlung von Patienten habe herausgelöst werden müssen und sich sein Verhalten auf das Betriebsklima negativ ausgewirkt habe. Schließlich sei er auch seiner Vorbildrolle als Vorgesetzter nicht gerecht geworden. Gegen ihn sprächen ferner seine disziplinarischen Vorbelastungen, für ihn, dass er sich bei der Zeugin Hauptgefreiter d.R. C entschuldigt habe. Der Disziplinarvorgesetzte habe ihm zudem bescheinigt, dass er professionell, offen und ehrlich sei, er Auszeichnungen vorweisen könne und er sein Verhalten korrigiert habe. Wesentlich mildernd wirke sich die unangemessene Überlänge des disziplinargerichtlichen Verfahrens von etwa 3 1/4 Jahren aus. Ebenso das Fehlen bindender Vorgaben dazu, inwieweit bei EKGs der BH abzulegen sei.

153. Die unbeschränkt eingelegte Berufung begründet der frühere Soldat im Wesentlichen mit einer erstinstanzlich unzutreffenden Würdigung der Zeugenaussagen. Dies gelte insbesondere für die Aussage des Zeugen Stabsunteroffizier D, bei dem zudem ein Belastungsmotiv erkennbar geworden sei. Der Vorwurf einer allgemein pflichtwidrigen Behandlungsmethode sei nicht bewiesen, allenfalls eine leichtfertige Flapsigkeit bei scherzhaft gemeinten Bemerkungen unter Kameraden. Die Zeugin Leutnant F habe auch nicht bestätigt, dass bei ihr ein EKG durchgeführt worden sei.

16Die Feststellung einer pflichtwidrigen Behandlungsmethode habe unberechtigt zu einer verschärften Maßnahmebemessung geführt. Bei ihr sei zudem zu beachten, dass die persönliche Würde der Betroffenen nicht verletzt worden sei. Selbst wenn man die Äußerungen als unsachlich und deplatziert einordne, sei die Herabsetzung im Dienstgrad unverhältnismäßig. Der frühere Soldat habe nach Bekanntwerden der Vorhalte sein Verhalten auch selbstkritisch hinterfragt und unverzüglich abgestellt. Zu Unrecht seien disziplinarische Vorbelastungen einbezogen worden; deshalb könne auch die Leistungseinschätzung durch den letzten Disziplinarvorgesetzten nicht zugrunde gelegt werden. Die überlange Verfahrensdauer wirke ebenso mildernd.

174. Wegen der Einzelheiten zur Person des früheren Soldaten wird auf das Urteil des Truppendienstgerichts, hinsichtlich der in das Verfahren eingeführten Urkunden auf das erstinstanzliche sowie auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung verwiesen.

18Die zulässige Berufung ist begründet.

19Da sie unbeschränkt eingelegt ist, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung (1.) eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen (2.), diese rechtlich zu würdigen (3.) und unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 331 StPO) über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden (4.).

201. Zum Gegenstand der Urteilsfindung dürfen gemäß § 123 Satz 3 i. V. m. § 107 Abs. 1 WDO nur die angeschuldigten Pflichtverletzungen gemacht werden. Demzufolge muss der in der Anschuldigungsschrift gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 WDO zu bezeichnende Vorwurf so deutlich und klar sein, dass Umfang und Grenzen des Prozessstoffes konkret bestimmt sind und sich der Soldat für seine Verteidigung darauf einstellen kann (zur Umgrenzungs- und Informationsfunktion: 2 WDB 1.21 - NZWehrr 2021, 212 <213 ff.>).

21Nach Maßgabe dessen beschränkt sich der dem früheren Soldaten in der Anschuldigungsformel gegenüber erhobene Vorwurf auf seine in den Anschuldigungspunkten 3 und 4 wiedergegebenen Äußerungen, bei der Entscheidung über die Ablegung des BH bei einer EKG-Untersuchung sexuell motiviert zu handeln. Nicht angeschuldigt worden ist, dass er ein solches Verhalten auch praktiziert hat. Zwar folgt aus dem Einleitungsvermerk vom der Vorwurf, dass der frühere Soldat "in zumindest zwei Fällen Patientinnen ohne medizinische Indikation bei der Durchführung von EKGs den BH öffnen ließ, nur um deren Brüste betrachten zu können und dass der Soldat dann in der Folge im Kameradenkreis von der körperlichen Beschaffenheit dieser Patientinnen und dem Aussehen deren Brüste berichtete". Maßgeblich ist jedoch ausschließlich die Anschuldigungsschrift. Ihr ist ein solcher Vorwurf auch dann nicht zu entnehmen, wenn man zur Auslegung der Anschuldigungsformel die Ausführungen zu den Ermittlungsergebnissen heranzieht ( 2 WD 26.20 - juris Rn. 27 m. w. N. und vom - 2 WD 25.20 - NVwZ 2022, 1133 Rn. 19 m. w. N.). Sie verhalten sich zu diesem Punkt ebenfalls nicht.

222. Auf der Grundlage der in der Berufungshauptverhandlung durchgeführten Beweisaufnahme ist zur Überzeugung des Senats der angeschuldigte Sachverhalt erwiesen.

23a) Bezogen auf den Anschuldigungspunkt 1 hat sich der frühere Soldat zwar erstinstanzlich bei der Zeugin Hauptgefreiter d.R. C entschuldigt, im Übrigen jedoch dahingehend eingelassen, sich an die Äußerung jedenfalls nicht erinnern zu können. Ungeachtet dessen, dass er damit eine entsprechende Äußerung grundsätzlich nicht ausgeschlossen hat, ist der Nachweis der angeschuldigten Äußerung durch die Aussagen der Zeugin Hauptgefreiter d.R. C und des Zeugen Stabsunteroffizier D erbracht.

24aa) Die Zeugin Hauptgefreiter d.R. C hat die unter Anschuldigungspunkt 1 zitierte Äußerung eindeutig bestätigt.

25Ihre Aussage ist auch glaubhaft. Sie weist keine Abweichungen zu früheren Aussagen auf. Ein Belastungsmotiv ist nicht ersichtlich. Dass die Zeugin nicht sogleich den Vorfall gemeldet hat, erklärt sich nachvollziehbar mit den nachteiligen Folgen, die sie seinerzeit angesichts des Dienstgradunterschieds befürchtete. Sie war Hauptgefreiter, der frühere Soldat Oberfeldwebel, sie Freiwillig-Wehrdienstleistende, lebensjung (knapp 18 Jahre) und mit nur kurzer Truppenerfahrung (November 2016 bis Ende Juli 2018). Auch der Umstand, dass die Zeugin gegenüber dem - erstinstanzlich vernommenen - Oberstabsfeldwebel H anlässlich der Fahrgemeinschaft nichts Negatives über den früheren Soldaten geäußert, sondern ihn als "cool" bezeichnet hat, stellt die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage nicht in Frage. Zum einen trug sich der Vorfall erst nach Abschluss der Fahrgemeinschaft zu; zum anderen wusste sie um das freundschaftliche Verhältnis zwischen dem Oberstabsfeldwebel H und dem früheren Soldaten. Für die Glaubwürdigkeit der Zeugin spricht zudem, dass sie den früheren Soldaten vor ihrer Meldung mehrfach aufgefordert hat, von Äußerungen sexueller Konation abzusehen. Die Zeugin Oberstabsarzt G hat ferner ausgesagt, die Zeugin Hauptgefreiter d.R. C habe ihr gegenüber den Vorfall sachlich und nicht dramatisierend vorgetragen und sich auch dann noch vorbehalten, den Vorfall zu melden. Der von der Zeugin Hauptgefreiter d.R. C in der Berufungshauptverhandlung gewonnene Eindruck entspricht dem. Sie hat sich nur zu Anschuldigungen dezidiert geäußert, derer sie sicher war und die fachliche Kompetenz des früheren Soldaten ausdrücklich anerkannt. Ihre Aussage, sie habe versucht, Kontakt zum früheren Soldaten zu vermeiden, wird durch die erstinstanzliche Aussage des Zeugen Stabsunteroffizier d.R. I bestätigt, dass die Zeugin versucht habe, dem früheren Soldaten aus dem Weg zu gehen.

26bb) Bestätigt hat die angeschuldigte Äußerung des früheren Soldaten auch der in der Berufungshauptverhandlung erneut vernommene und dem Geschehen beiwohnende Zeuge Stabsunteroffizier D, der den erstinstanzlich noch dezent ("höflich") umschriebenen Äußerungsinhalt in der Berufungshauptverhandlung dahingehend konkretisiert hat, der frühere Soldat habe "Schwanz" gesagt.

27Auch dessen Aussage ist glaubhaft. Sie weist keine Abweichungen von Aussagen auf, die er erstinstanzlich sowie vorgerichtlich getätigt hat. Ein Belastungsmotiv ist nicht ersichtlich, vielmehr ein differenziertes Aussageverhalten. So hat der Zeuge im Zusammenhang mit Anschuldigungspunkt 1 erklärt, sich an die Aussage des früheren Soldaten "Oh, da ist was rausgerutscht" nicht erinnern zu können. Eine Belastungstendenz folgt nicht daraus, dass er - wie bereits erstinstanzlich - erklärt hat, er habe sich durch eine persönliche Ansprache des früheren Soldaten im Vorfeld des erstinstanzlichen Verfahrens wegen seines Aussageverhaltens unter Druck gesetzt gefühlt. Der frühere Soldat hat dies erstinstanzlich zwar bestritten. Der vom Senat in der Berufungshauptverhandlung von dem Zeugen gewonnene Eindruck spricht jedoch dagegen, dass dieser "nachtreten" wollte. Dies gilt insbesondere für seine Aussage, wer schon auf dem Boden liege, auf den trete man nicht zusätzlich ein. Der Zeuge hat damit vielmehr stimmig dargelegt und durch sein Verhalten bewiesen, sich zwar gegen die Beeinflussung durch den früheren Soldaten wehren zu wollen, jedoch kein Interesse daran zu haben, dass diesem deshalb noch zusätzliche disziplinar- oder strafrechtliche Konsequenzen drohten. Dass der Zeuge Stabsunteroffizier D - wie auch die Zeugin Hauptgefreiter d.R. C - den früheren Soldaten lediglich aufgefordert hat, sexualisierende Äußerungen zu unterlassen, ohne ihn deshalb zu melden, spricht ebenfalls gegen Belastungseifer.

28b) Auch die unter Anschuldigungspunkt 2 vorgeworfenen Äußerungen sind erwiesen. Der frühere Soldat hat es erstinstanzlich zwar für möglich gehalten, dem Zeugen Leutnant E gegenüber geäußert zu haben "Warum stellst du dich so an, wenn die so attraktiv sind, dann ist doch nichts Schlimmes dabei", im Übrigen aber bestritten, die angeschuldigte Äußerung getätigt zu haben. Zur Überzeugung des Senats handelt es sich dabei jedoch um eine Schutzbehauptung.

29Der Zeuge Leutnant E hat sich erstinstanzlich auf Vorhalt seiner außergerichtlichen Vernehmung vom an die Aussage des früheren Soldaten erinnert, er lasse immer den BH ausziehen, wenn die Frauen geil aussähen. Dessen erneute Vernehmung konnte gemäß § 123 Satz 2 WDO auch unterbleiben. Abgesehen von den bestreitenden Einlassungen des früheren Soldaten liegen keine Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Zeugenaussage vor. Vielmehr hat auch die Zeugin Hauptgefreiter d.R. C in der Berufungshauptverhandlung übereinstimmend mit ihren erstinstanzlichen und vorgerichtlichen Vernehmungen ausgesagt, der frühere Soldat habe sich auch ihr gegenüber dahingehend geäußert, wenn die Patientinnen geil aussähen, lasse er sie den BH ausziehen. Dass sie sich dabei nicht mehr daran erinnern konnte, ob dies in Gegenwart des Leutnants E geschehen war, nimmt der Aussage nicht ihre Aussagekraft. Denn diese Erinnerungslücke betrifft nur das Randgeschehen und ist in Anbetracht des Zeitablaufs nachvollziehbar. Dem entspricht, dass der Zeuge Stabsunteroffizier D in der Berufungshauptverhandlung ausgesagt hat, explizit habe der frühere Soldat auch ihm gegenüber geäußert, er verlange das Ablegen des BHs auch, wenn dies nicht notwendig sei.

30c) Auch hinsichtlich des Anschuldigungspunkt 3 folgt der Senat der Aussage des Zeugen Stabsunteroffizier D. Zwar konnte sich dieser nicht sogleich an eine entsprechende Äußerung des früheren Soldaten erinnern; auf Vorhalt konnte er jedoch den Namen der betroffenen Patientin und die entsprechende Äußerung wieder erinnern, die er bereits erstinstanzlich bestätigt hatte und die auf der Linie der dem früheren Soldaten nachgewiesenen sonstigen Pflichtverletzungen liegt. Die Erklärung für die Erinnerung an den Namen, es handele sich dabei nicht um einen Allerweltsnamen, ist plausibel. Dass sich die erstinstanzlich vernommene Zeugin Leutnant F an eine EKG-Untersuchung durch den früheren Soldaten nicht erinnern konnte, macht dessen Aussage nicht unglaubhaft. Denn die Untersuchung lag bereits Jahre zurück und war nur eine von vielen Routineuntersuchungen ohne besonderen Befund.

31d) Vor diesem Hintergrund steht die fehlende Erinnerung der Zeugin Leutnant F auch nicht der Überzeugung des Senats entgegen, dass der frühere Soldat die unter Anschuldigungspunkt 4 beschriebene Äußerung getätigt hat. Denn der aus den bereits dargelegten Gründen glaubwürdige Zeuge Stabsunteroffizier D hat sowohl die angeschuldigte Äußerung als auch den Namen der Patientin bestätigt, auf die sich die Äußerung bezog. Daran ändert nichts, dass er erstinstanzlich zunächst erklärt hatte, den konkreten Wortlaut nicht mehr hundertprozentig zu wissen. Denn in seiner außergerichtlichen Vernehmung am hatte er ohne Vorhalt den konkreten Namen der Patientin gekannt und in seiner Aussage vom noch den konkreten Wortlaut beschrieben. Hinzu tritt, dass sich auch hier der Äußerungsinhalt auf der Linie sexuell motivierter Pflichtverletzungen des früheren Soldaten bewegt.

323. Der frühere Soldat hat durch die festgestellten Äußerungen schuldhaft soldatische Pflichten verletzt und damit ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen.

33a) Mit der wissentlich und willentlich, mithin vorsätzlich begangenen Äußerung gemäß Anschuldigungspunkt 1 hat er gemäß § 7 Abs. 2 SoldGG seine dienstlichen Pflichten verletzt. Denn er hat damit eine unerwünschte sexuelle Belästigung gemäß § 3 Abs. 4 SoldGG in Form einer Bemerkung sexuellen Inhalts getätigt, die jedenfalls bewirkte, dass die Würde der Zeugin Hauptgefreiter d.R. C verletzt wurde ( 2 WD 21.10 - NZWehrr 2012, 206 <207> m. w. N.). Mit der Bemerkung reduzierte er sie zum Objekt seiner Begierde und negierte sie als ganzheitliche Persönlichkeit. Dass er dies nach seinen Einlassungen nicht bezweckt hat, ändert nichts daran, dass er eine Würdeverletzung wissentlich und willentlich bewirkte. Das Bewirken allein ist nach dem gesetzlichen Tatbestand des § 3 Abs. 3 SoldGG ausreichend ( 2 WD 15.20 - juris Rn. 27 m. w. N.). Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle (zu § 3 Abs. 4 AGG: 2 WD 14.21 - NVwZ 2022, 1814 Rn. 51). Die Belästigung war für den früheren Soldaten objektiv erkennbar im Sinne von § 7 Abs. 3 SoldGG unerwünscht, da die Zeugin Hauptgefreiter d.R. C ihm gegenüber weder ausdrücklich noch indirekt signalisiert hatte, eine objektiv sexuell diskriminierende Anrede zu akzeptieren. Im Gegenteil hatte sie ihm bereits vor dem Vorfall mehrfach signalisiert, dass ihr sexualisierte Äußerungen unangenehm seien.

34Zu den durch die Äußerung gemäß § 7 Abs. 2 SoldGG verletzten dienstlichen Pflichten zählt insbesondere die in § 7 SG normierte Pflicht zum treuen Dienen, die zur Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung verpflichtet, zu der auch das SoldGG gehört. Der dienstliche Zusammenhang folgt daraus, dass die Pflichtverletzung zum einen während der Dienstausübung und einer Untergebenen gegenüber erfolgte. Das für eine disziplinarische Relevanz hinreichende Gewicht folgt zum anderen daraus, dass der Gesetzgeber dem Verstoß gegen das Unterlassungsgebot ausdrücklich die Qualität einer Pflichtverletzung und damit disziplinarische Relevanz zuweist ( 2 WD 4.13 - juris Rn. 34 f. und vom - 2 WD 15.20 - juris Rn. 29 m. w. N.).

35Mit der Äußerung einer Untergebenen gegenüber verstieß der frühere Soldat zugleich gegen die Fürsorgepflicht (§ 10 Abs. 3 SG), das Zurückhaltungsgebot (§ 10 Abs. 6 SG), die innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) und die Kameradschaftspflicht (§ 12 Satz 2 SG). Ein Vorgesetzter, der die Rechte, die Ehre oder die Würde seiner Kameraden verletzt, stört den Dienstbetrieb und beeinträchtigt damit letztlich auch die Einsatzbereitschaft der Truppe. Dies ist insbesondere bei einer sexuellen Belästigung der Fall ( 2 WD 15.20 - juris Rn. 29 m. w. N.).

36b) Mit der vorsätzlich begangenen Äußerung gemäß Anschuldigungspunkt 2 hat der frühere Soldat zwar keine Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 3 oder 4 SoldGG gegenüber dem Leutnant E begangen. Auch liegt kein Verstoß gegen das Zurückhaltungsgebot des § 10 Abs. 6 SG vor, weil die Vorschrift nach ihrem Normzweck auf nichtöffentliche Gespräche zwischen dienstgradgleichen Soldaten keine Anwendung findet. Dass die Zeugin Hauptgefreiter d.R. C seinerzeit ebenfalls anwesend war, steht zur Überzeugung des Gerichts nicht fest, da diese sich darüber unsicher war, die Äußerung anlässlich eines Zusammentreffens des früheren Soldaten mit dem Zeugen Leutnant E gehört zu haben.

37Der frühere Soldat hat jedoch gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG verstoßen. Die Achtungs- und die Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn es Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt. Für die Feststellung eines Verstoßes gegen diese Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob eine Ansehensschädigung im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es reicht vielmehr aus, dass das Verhalten des Soldaten geeignet war, eine ansehensschädigende Wirkung auszulösen ( 2 WD 15.20 - juris Rn. 26 m. w. N.). Im vorliegenden Fall trat zudem auch eine tatsächliche Ansehensschädigung ein.

38c) Mit der Äußerung gemäß Anschuldigungspunkt 3 hat der frühere Soldat nicht nur vorsätzlich gegen die zu Anschuldigungspunkt 2 dargelegten Pflichten verstoßen, sondern zusätzlich gegen § 10 Abs. 6 SG. Denn bei dem Zeugen D handelte es sich um einen Stabsunteroffizier, mithin um einen Untergebenen. Seine Bemerkungen waren auch hier unsachlich, in einem dienstlichen Gespräch deplatziert und geeignet, das Vertrauen in ihn als Vorgesetzten zu erschüttern ( 2 WD 15.20 - juris Rn. 24 m. w. N.).

39d) Die rechtliche Bewertung des zu Anschuldigungspunkt 3 festgestellten Verhaltens gilt für Anschuldigungspunkt 4 entsprechend. Angesichts dessen kann dahingestellt bleiben, ob ein zusätzlicher Verstoß gegen weitere Vorschriften, insbesondere gegen § 14 SG oder gegen die auch für berufsmäßig tätigen Gehilfen von Ärzten entsprechend geltende (A-800/3, Rn. 129) Dienstanweisung - A-800/3 - über die (ärztliche) Schweigepflicht vorliegt, mit der das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten geschützt werden soll. Denn die Schwere des Dienstvergehens wird dadurch nicht mehr in einer für die Zumessungsentscheidung bedeutsamen Weise beeinflusst ( 2 WD 20.18 - juris Rn. 51).

404. Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/​oder aufrechtzuerhalten ("Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bundeswehr", 2 WD 11.07 - juris Rn. 23 m. w. N.). Im Einzelnen geht der Senat von einem zweistufigen Prüfungsschema aus, das im Ergebnis vorliegend zur Kürzung des Ruhegehalts nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 64 WDO führt. Dies betrifft hier die Dienstzeitversorgung in Form von Übergangsgebührnissen nach § 11 SVG, die gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 WDO als (kürzungsfähiges) Ruhegehalt gelten ( 2 WD 1.20 - BVerwGE 169, 388 Rn. 26).

41a) Auf der ersten Stufe bestimmt der Senat im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Bei sexuellen Belästigungen von Untergebenen durch Vorgesetzte im Dienst, die hier im Anschuldigungspunkt 1 erwiesen ist, ist dies die Herabsetzung im Dienstgrad ( 2 WD 15.20 - juris Rn. 35 m. w. N.).

42b) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich im Hinblick auf die be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet.

43aa) Nach Maßgabe dessen liegt hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 1 ein leichter Fall vor, der im Grundsatz ein Abweichen vom Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen rechtfertigen würde. Denn im Spektrum möglicher sexueller Belästigungsformen sind rein verbale Belästigungen häufig im unteren Bereich anzusiedeln, sofern - wie vorliegend - keine wiederholten und hartnäckigen, auch strafrechtlich relevanten sexuellen Aufforderungen im Sinne des § 3 Abs. 4 SoldGG vorliegen ( 2 WD 15.20 - juris Rn. 38 m. w. N.). Der frühere Soldat beabsichtigte auch nicht, die Zeugin Hauptgefreiter d.R. C sexuell zu bedrängen. Dagegen spricht bereits, dass er seine Äußerung in Gegenwart anderer Soldaten tätigte.

44bb) Dieser Umstand bildet jedoch einen das Dienstvergehen erschwerenden Umstand, da der entwürdigende Charakter der Äußerung für die Zeugin Hauptgefreiter d.R. C dadurch verstärkt wurde. In Verbindung mit weiteren erschwerenden Umständen würde dies dazu führen, zur Dienstgradherabsetzung als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zurückzukehren. Denn der frühere Soldat hat nicht nur eine sexuelle Belästigung begangen, sondern auch gegen die Mäßigungs-, Kameradschafts-, Fürsorge- und Wohlverhaltenspflichten verstoßen. Diese Pflichtverletzungen beschränkten sich nicht auf eine Person, sondern richteten sich gegen mehrere Kameraden, wobei es sich bei zweien um Untergebene handelte. Erschwerend tritt - außer beim Verstoß gegen § 10 Abs. 6 SG, der die Vorgesetzteneigenschaft voraussetzt - hinzu, dass er als Vorgesetzter entgegen § 10 Abs. 1 SG in Haltung und Pflichterfüllung nicht beispielhaft war. Diesem Umstand ist deshalb besonderes Gewicht beizumessen, weil der frühere Soldat zuvor von mehreren Zeugen auf seine unangemessenen Äußerungen mehrfach (erfolglos) angesprochen worden war. Die nach § 18 Abs. 2 WDO in ihrer Kumulation zu würdigenden Pflichtverletzungen zeigen damit ein wiederholtes Versagen als Vorgesetzter, dem das notwendige Gespür im täglichen Umgang mit Kameraden und Untergebenen verloren gegangen ist (vgl. 2 WD 30.99 - juris Rn. 9 und vom - 2 WD 15.20 - juris Rn. 39) und dessen Verhalten zum Tatzeitpunkt auch nicht persönlichkeitsfremd war. Dass er sein Verhalten nach Einleitung der disziplinarischen Vorermittlungen nicht fortgesetzt hat, bildet keinen entlastenden Umstand, sondern das Fehlen eines Erschwernisgrundes ( 2 WD 30.99 - juris Rn. 14). Mildernd ist zwar einzustellen, dass der frühere Soldat einen Auslandseinsatz vorzuweisen hat. Dem stehen jedoch wiederum die nachteiligen Folgen des Dienstvergehens für den Dienstherrn entgegen. Sie bestehen zum einen darin, dass der frühere Soldat aus seiner bisherigen Verwendung herausgenommen werden musste und sein Verhalten die Zeugin Hauptgefreiter d.R. C in ihrem Entschluss jedenfalls bestärkte, nicht im Dienst der Bundeswehr zu bleiben (vgl. etwa 2 WD 3.19 - juris Rn. 37 m. w. N.). Hinzu treten dienstliche Leistungen, die bis zum Tatzeitpunkt nur durchschnittlich, danach aber völlig unzureichend waren. Selbst wenn die letzte Leistungseinschätzung des Oberstleutnant A ausgeklammert wird, weil diese unter dem Eindruck einer - aufgehobenen - disziplinarischen Ahndung gestanden haben mag, hat Oberstleutnant B im August 2022 moniert, die Leistungen des früheren Soldaten seien unterdurchschnittlich und es ermangele ihm an Einsatzwillen und Engagement.

45cc) Die danach gebotene Herabsetzung um einen Dienstgrad erweist sich indes wegen der überlangen Verfahrensdauer als unangemessen. Deshalb ist auf die Kürzung des Ruhegehalts als nächstmildere Disziplinarmaßnahmeart überzugehen.

46aaa) Bei pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahmen stellt ein gegen Art. 6 EMRK und Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verstoßendes überlanges Disziplinarverfahren einen Milderungsgrund dar. Denn das Verfahren als solches wirkt bereits belastend und ist deshalb mit pflichtenmahnenden Nachteilen verbunden, die nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz das Sanktionsbedürfnis mindern. Die Verfahrensdauer bemisst sich nicht allein nach der Dauer des gerichtlichen Verfahrens. Vielmehr sind auch Zeiten eines gesetzlich vorgeschriebenen behördlichen Vorschaltverfahrens zu berücksichtigen. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (vgl. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Verfahrensverzögerungen, die ein Beteiligter selbst zu verantworten hat, begründen in der Regel keine unangemessene Verfahrensdauer. Umgekehrt kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. 2 WD 4.23 - juris Rn. 59 ff. m. w. N.).

47bbb) Die angeschuldigten Pflichtverletzungen geschahen von Mai bis Juli 2018 und wurden hinsichtlich des Anschuldigungspunktes 1 Ende Juli 2018 bekannt. Da das disziplinargerichtliche Verfahren unter dem eingeleitet wurde, liegt unter Zugrundelegung einer dreimonatigen Bearbeitungsfrist keine Verzögerung vor (vgl. 2 WD 1.20 - BVerwGE 169, 388 Rn. 44). Auch wenn die Anschuldigungsschrift vom nicht zeitnah erstellt wurde, ist dieser Zeitraum nicht zu berücksichtigen, weil der frühere Soldat dagegen keinen Rechtsbehelf eingelegt hat (vgl. 2 WD 19.18 - BVerwGE 166, 189 Rn. 42). Zwischen dem Eingang der Anschuldigungsschrift Mitte Juni 2019 und dem Urteil des Truppendienstgerichts Ende November 2023 lagen jedoch vier Jahre und fünf Monate, so dass es angesichts eines in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht durchschnittlich schweren Falls und damit unter Zugrundelegung eines einjährigen Bearbeitungszeitraums eine Verfahrensüberlänge von drei Jahren und fünf Monaten vorliegt. Sie verlangt wegen ihres Ausmaßes den Übergang zu einer milderen Maßnahmeart in Gestalt der Kürzung des Ruhegehalts.

48dd) Mit der nach § 58 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 64 Satz 2, § 59 Satz 1 WDO zulässigen Kürzung des Ruhegehalts für die Dauer von 48 Monaten um ein Zwanzigstel ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der frühere Soldat noch bis Ende 2028 Übergangsgebührnisse bezieht und er für vier Kinder unterhaltspflichtig ist. Letzteres hat den Senat veranlasst, nicht zusätzlich den Ausgleich gemäß § 64 Satz 3 WDO zu kürzen.

495. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des Berufungsverfahrens auf § 139 Abs. 1 Satz 1 WDO. Zwar hat der frühere Soldat beantragt, gegen ihn ein Beförderungsverbot zu verhängen, obwohl dies bei früheren Soldaten gemäß § 58 Abs. 2 WDO unstatthaft ist. Mit dem Antrag hat er jedoch erkennbar zum Ausdruck gebracht, eine jedenfalls mildere Maßnahmeart zu begehren. Da dem entsprochen worden ist, ist sein Rechtsmittel erfolgreich. Insoweit waren die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der dem früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen dem Bund aufzuerlegen, da dies auch nicht gemäß § 140 Abs. 3 Satz 3 WDO unbillig ist. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens einschließlich der dem früheren Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen sind hingegen diesem gemäß § 138 Abs. 1 Satz 1, § 140 Abs. 2 WDO aufzuerlegen, weil dies nicht unbillig ist.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:241024U2WD7.24.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-83407