BAG Urteil v. - 3 AZR 179/23

Betriebliche Altersversorgung - entgegenstehende Rechtskraft

Gesetze: § 322 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: ArbG Dresden Az: 8 Ca 2645/20 Urteilvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 3 Sa 287/21 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagten der Klägerin über die von einer Zusatzversorgungskasse gezahlte Betriebsrente hinaus weitere Leistungen der betrieblichen Altersversorgung schulden.

2Die am geborene Klägerin war seit dem - zunächst auf Grundlage des Arbeitsvertrags für kirchliche Angestellte vom  - als Sachbearbeiterin beim Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeindeverband D, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts im Bereich der zu 1. beklagten Landeskirche, beschäftigt. Verbandsangehörige Kirchgemeinde war ua. die Beklagte zu 2. Unter dem vereinbarten die Klägerin und der Evangelisch-Lutherische Kirchgemeindeverband D einen neuen „Dienstvertrag“, der nach einem auf das Schriftstück maschinenschriftlich aufgesetzten Zusatz in „Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses“ und „im Sinne eines Nachtrages“ zum bisherigen Arbeitsvertrag gelten sollte. Nach § 1 dieses Dienstvertrags war die Klägerin seit dem als Sachbearbeiterin und nichtvollbeschäftigte Mitarbeiterin eingestellt. Nach § 5 des Dienstvertrags wurde die zusätzliche Altersversorgung nach dem bei der Beklagten zu 1. geltenden Recht gewährt. Zu diesem Zeitpunkt bestimmten sich die Versorgungsansprüche nach der mit Wirkung zum in Kraft getretenen „Verordnung über die Gewährung eines kirchlichen Treuegeldes an kirchliche Angestellte und Arbeiter im Ruhestand und ihrer Witwen(Witwer) (Treuegeld-Verordnung)“ des Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenamts Sachsen vom (ABl. S. A 58) in der zum in Kraft getretenen Fassung der „Zweiten Verordnung zur Änderung der Treuegeld-Verordnung vom “ vom (ABl. S. A 86). Mit Wirkung vom trat die „Verordnung über die Treuegeldgewährung an kirchliche Mitarbeiter als Kirchliche Altersversorgung (VKAV)“ vom (ABl. S. A 159) in Kraft (im Folgenden VKAV 1994). Die VKAV 1994 bestimmt auszugsweise:

3Die betriebliche Altersversorgung bei der Beklagten zu 1. wurde durch die „Ordnung über die Kirchliche Altersversorgung (KAV)“ vom (ABl. S. A 270) mit Wirkung zum geändert (im Folgenden KAV 1997). Die KAV 1997 sah für die in ihrem § 1 Abs. 2 aufgeführten Arbeitnehmer weiterhin die Gewährung einer Gesamtversorgung vor, ua. nach § 1 Abs. 2 Buchst. a für Mitarbeiter, die bis einschließlich das 50. Lebensjahr und eine ununterbrochene kirchliche Dienstzeit von mindestens 10 Dienstjahren, aber bis einschließlich noch nicht das 60. Lebensjahr vollendet haben. Zu diesen zählte die Klägerin aufgrund ihrer zu diesem Zeitpunkt erst gut achtjährigen Dienstzeit nicht. Daneben regelt § 20 KAV 1997, dass die Rentenzahlungen jeweils zum 1. Juli eines Jahres um ein Prozent erhöht werden und sich die Gesamtversorgungsstufen bei allgemeinen Rentenerhöhungen jeweils um den Prozentsatz erhöhen, um den sich die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhöhen. Nach § 24 Satz 2 KAV 1997 trat die VKAV 1994 am außer Kraft.

4Ebenfalls Ende des Jahres 1996 beschloss die Landessynode der zu 1. beklagten Landeskirche das „Kirchengesetz über die Zusatzversorgung der kirchlichen Mitarbeiter im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (Zusatzversorgungsgesetz - ZVG)“ vom (ABl. S. A 244) (im Folgenden ZVG 1997). Das zum in Kraft getretene ZVG 1997 bestimmt ua.:

5Arbeitnehmer, für die die KAV 1997 keine Übergangsregelung enthält und die folglich keine Leistungen nach der KAV 1997 erhalten sollten, wurden entsprechend den Vorgaben des ZVG 1997 zum bei der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse Darmstadt - Anstalt des öffentlichen Rechts - (im Folgenden Zusatzversorgungskasse) angemeldet; deren Leistungen bestimmen sich nach der jeweils gültigen Satzung. Diese sah entsprechend der Regelung, die die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes für die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) für die neuen Bundesländer und den östlichen Teil Berlins mit Wirkung zum getroffen hatten, ab diesem Zeitpunkt die Gewährung einer Gesamtversorgung vor. Der Evangelisch-Lutherische Kirchgemeindeverband D meldete die Klägerin zum bei der Zusatzversorgungskasse an und erbrachte in der Folge die entsprechenden Umlagen.

6Das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeindeverband D endete mit Ablauf des nach Erreichen der Regelaltersgrenze. Seit dem bezieht die Klägerin eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie - ausweislich einer Rentenmitteilung vom  - aus der Zusatzversorgungskasse eine monatliche Versorgungsrente, die zum Zeitpunkt des Renteneintritts 73,96 Euro brutto betrug und einer satzungsgemäßen Dynamisierung unterliegt.

7Der Evangelisch-Lutherische Kirchgemeindeverband D wurde mit Beschluss der Verbandsversammlung vom aufgelöst und in der Folge bis zum liquidiert.

8Bereits in einem in den Jahren 2010 bis 2012 geführten Rechtsstreit hatte die Klägerin die Beklagten zu 1. und 2. gerichtlich auf Zahlung eines (zusätzlichen) Treuegeldes nach der VKAV 1994 in Anspruch genommen. Neben bezifferten Zahlungsanträgen für die Zeit vom bis war dabei verfahrensgegenständlich ihr Antrag festzustellen, „dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr über den hinaus Treuegeld nach der Verordnung über die Treuegeldgewährung (VKAV) unter Anpassung der jeweiligen Höhe entsprechend den Regelungen des Gesetzes zur Verbesserung der Betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) zu zahlen“. Mit Urteil vom (- 10 Ca 4101/10 -) wies das Arbeitsgericht Dresden die Klage ab. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin wies das Sächsische Landesarbeitsgericht mit Urteil vom (- 9 Sa 569/11 -) zurück und ließ die Revision nicht zu. Zur Begründung führte das Sächsische Landesarbeitsgericht dabei zusammengefasst aus, die Ansprüche aus der VKAV 1994 seien durch die Neuregelung der Versorgungsansprüche zum wirksam abgelöst worden; das dreistufige Prüfungsschema, wonach den abgestuften Besitzständen der Arbeitnehmer entsprechend abgestufte, unterschiedlich gewichtete Eingriffsgründe des Arbeitgebers gegenüberzustellen sind, finde keine Anwendung, weil die Klägerin zum Zeitpunkt der Ablösung noch keine unverfallbaren Anwartschaften auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung erworben habe. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wurde vom Senat mit Beschluss vom (- 3 AZN 1411/12 -) zurückgewiesen.

9In einem weiteren Rechtsstreit, in dem eine andere Klägerin die Beklagte zu 1. auf eine höhere Mindestversorgung nach der VKAV 1994 in Anspruch nahm, gab der Senat mit Urteil vom (- 3 AZR 517/13 -) der Klage statt. Dabei führte der Senat ua. aus, die Ablösung der VKAV 1994 durch § 24 Satz 2 KAV 1997 und das ZVG 1997 iVm. den am geltenden Satzungsbestimmungen der Zusatzversorgungskasse verstoße gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit, wie sie durch das dreistufige Prüfungsschema des Bundesarbeitsgerichts konkretisiert seien; der Anwendbarkeit des dreistufigen Prüfungsschemas stehe nicht entgegen, dass die Anwartschaft der dortigen Klägerin auf Versorgungsleistungen am noch nicht unverfallbar gewesen sei.

10Im Nachgang zu der Senatsentscheidung vom wurde die KAV 1997 durch die „Verordnung zur Änderung der Ordnung über die Kirchliche Altersversorgung (KAV)“ vom (ABl. S. A 195) geändert (im Folgenden KAV 2016). Diese bestimmt ua.:

11Mit anwaltlichem Schreiben an das Landeskirchenamt vom forderte die Klägerin unter Hinweis auf die Änderung der KAV „die Auszahlung der weiteren Altersversorgung rückwirkend seit Rentenbeginn“. Hierauf antwortete das Landeskirchenamt mit Schreiben vom unter Hinweis auf ein beigefügtes Berechnungsblatt, dass ein monatlicher Anspruch auf Ergänzungsleistung nach § 23 Abs. 1 KAV 2016 iHv. 18,20 Euro bestehe, der gemäß § 23 Abs. 3 KAV 2016 als Einmalbetrag iHv. 2.485,72 Euro ausgezahlt werde. Diese Zahlung ging am auf dem Konto der Klägerin ein.

12Mit ihrer im vorliegenden Verfahren im November 2020 erhobenen Klage hat die Klägerin die gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer kirchlicher Altersversorgung iHv. insgesamt 3.075,56 Euro brutto nebst Zinsen für den Zeitraum vom bis zum begehrt.

13Sie hat geltend gemacht, sie habe weiterhin Anspruch auf die volle Mindestversorgung auf Grundlage der VKAV 1994 für den Zeitraum bis einschließlich 1996 ohne Anrechnung der neuen, ab 1997 eingeführten Altersversorgung. In ihre aus der VKAV 1994 rührenden bis Ende 1996 angesparten Ansprüche habe durch das ZVG 1997 nicht wirksam eingegriffen werden können, weil ihr in der durch dieses ab eingeführten Versorgung über die Zusatzversorgungskasse keine Startgutschrift erteilt worden sei. Bei der Berechnung ihrer Ansprüche nach dem ZVG 1997 würden ihre Dienstzeiten von 1988 bis Ende 1996 nicht berücksichtigt. Für den nach dem ZVG 1997 nicht berücksichtigten Zeitraum bis zum habe sie nach § 10 VKAV 1994 Anspruch auf eine Mindestversorgung iHv. 42,65 Euro monatlich (10,00 DM = 5,12 Euro x 8,33 Dienstjahre). Diese Mindestrente sei nach § 20 KAV 1997 entsprechend der Rentenanpassung in den neuen Bundesländern zu dynamisieren. Auf die sich aus der Dynamisierung des Betrags iHv. 42,65 Euro jeweils ab dem ergebenden monatlichen Beträge iHv. zwischen 69,31 Euro und 80,39 Euro habe sie jeweils den seitens der Beklagten nach § 23 Abs. 1, 3 KAV 2016 gezahlten monatlichen Betrag iHv. 18,20 Euro angerechnet und so für den Klagezeitraum eine Forderung von insgesamt 3.075,56 Euro errechnet. Hierfür hafteten nach Auflösung des Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeindeverbands D die Beklagten. Die rechtskräftige Klageabweisung im Vorprozess stehe der Zulässigkeit der vorliegenden Klage nicht entgegen. Das Urteil des Senats vom (- 3 AZR 517/13 -) und die anschließende Änderung der KAV 1997 hätten zu einer geänderten Rechtslage geführt und der früheren Klageabweisung bezogen auf künftige Ansprüche die Grundlage entzogen. Zudem werde im vorliegenden Verfahren im Unterschied zum vorhergehenden Rechtsstreit eine Dynamisierung der Mindestversorgung geltend gemacht und eine ungerechtfertigte Gleichbehandlung von langjährigen und erst ab neu eingestellten Arbeitnehmern gerügt.

14Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,

15Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Klage sei aufgrund der rechtskräftigen Abweisung des im Vorverfahren gestellten Feststellungsantrags unzulässig. Unabhängig davon seien sie für den geltend gemachten Anspruch nicht passivlegitimiert. Jedenfalls stünden der Klägerin keine weitergehenden Versorgungsansprüche mehr zu.

16Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Die Beklagten begehren die Zurückweisung der Revision.

Gründe

17Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist insgesamt unzulässig.

18I. Der Zulässigkeit der Klage steht die rechtskräftige Abweisung des Feststellungsantrags im Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom (- 9 Sa 569/11 -) entgegen.

191. Die materielle Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung (§ 322 Abs. 1 ZPO) steht - als von Amts wegen zu beachtende negative Prozessvoraussetzung - einer neuen Verhandlung und Entscheidung über denselben Streitgegenstand entgegen (ne bis in idem). Wird in einem nachfolgenden Prozess über den identischen prozessualen Anspruch oder dessen kontradiktorisches Gegenteil gestritten, ist diese Klage unzulässig (vgl.  - Rn. 17; - 9 AZR 579/16 - Rn. 28). Dies gilt auch, wenn im Zweitprozess eine andere Klageart gewählt wird ( - Rn. 30, BAGE 176, 283;  - zu II 2 der Gründe). Der ausschlaggebende Abweisungsgrund bei einer klageabweisenden Entscheidung wird Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und ist nicht allein Element der Entscheidungsbegründung (vgl.  - aaO mwN).

202. Nach dem für das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren geltenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird, bestimmt ( - Rn. 31, BAGE 176, 283; - 3 AZR 266/11 - Rn. 18). Der Streitgegenstand ergibt sich also nicht allein aus dem Antragsziel. Die Einheitlichkeit des Klageziels genügt deshalb nicht, um einen einheitlichen Streitgegenstand anzunehmen. Vielmehr muss auch der Klagegrund identisch sein ( - aaO; - 3 AZR 281/18 - Rn. 45, BAGE 168, 345). Zu diesem sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht vorträgt ( - Rn. 23, BAGE 170, 12).

213. Danach steht das rechtskräftige Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom (- 9 Sa 569/11 -) einer gerichtlichen Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit entgegen. Die Streitgegenstände unterscheiden sich nicht.

22a) Das Sächsische Landesarbeitsgericht hat im Vorprozess mit rechtskräftigem Urteil vom (- 9 Sa 569/11 -) neben dem (nicht den der Klageforderung im vorliegenden Verfahren zugrunde liegenden Zeitraum betreffenden) Zahlungsantrag auch den Antrag der Klägerin abgewiesen, festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr über den hinaus Treuegeld nach der VKAV 1994 unter Anpassung der jeweiligen Höhe entsprechend den Regelungen des Gesetzes zur Verbesserung der Betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) zu zahlen. Damit ist das Nichtbestehen von Ansprüchen auf Treuegeld nach der VKAV 1994 über den hinaus gegen die Beklagten rechtskräftig festgestellt.

23b) Dieser Streitgegenstand ist mit dem Gegenstand der vorliegenden Klage identisch.

24aa) Gegenstand auch des vorliegenden Verfahrens sind gegen dieselben Beklagten gerichtete Ansprüche auf Treuegeld nach der VKAV 1994 für den (nach dem liegenden) Zeitraum vom bis zum . Die Klägerin hat zur Begründung ihrer Klage - ebenso wie im Vorprozess - geltend gemacht, sie habe weiterhin Anspruch auf die Mindestversorgung auf Grundlage der VKAV 1994 für den Zeitraum bis einschließlich 1996 ohne Anrechnung der ab 1997 eingeführten Altersversorgung. In ihre bis Ende 1996 aus der VKAV 1994 angesparten Ansprüche habe durch das ablösende Versorgungssystem nach dem ZVG 1997 nicht wirksam eingegriffen werden können, ua. weil ihr in der durch dieses ab eingeführten Versorgung über die Zusatzversorgungskasse keine Startgutschrift erteilt worden sei und bei der Berechnung ihrer Ansprüche nach dem ZVG 1997 ihre Dienstzeiten von 1988 bis Ende 1996 nicht berücksichtigt würden. Der in § 1 Abs. 2 Buchst. a KAV 1997 geregelte Ausschluss des Anspruchs auf Mindestrente für diesen Zeitraum sei unzulässig. Die danach bis Ende 1996 erdienten Ansprüche seien ihr nicht genommen worden, weil die Regelungen der VKAV 1994 nicht wirksam abgelöst worden seien. Das Treuegeld sei „nach § 21 Abs. 2 VKAV 1994 jeweils zum Letzten eines Monats für den laufenden Monat (Zahltag) eingehend, erstmals im Monat des Renteneintritts, zu zahlen“. Zur Berechnung ihrer Klageforderung hat die Klägerin ausgeführt, sie habe für den Zeitraum bis zum „nach § 10 VKAV 1994“ Anspruch auf eine Mindestversorgung iHv. 42,65 Euro monatlich (10,00 DM = 5,12 Euro x 8,33 Dienstjahre), die dynamisiert und unter Abzug erhaltener Ergänzungsleistung für den Klagezeitraum den Klagebetrag ergebe. Das macht deutlich, dass die Klägerin ihren Klageanspruch - wie im Vorprozess - auf die ihrer Auffassung nach nicht wirksam abgelöste VKAV 1994 stützt.

25bb) Auf §§ 1 und 23 KAV 2016 - und dadurch ggf. auf einen anderen Lebenssachverhalt als im Vorprozess - hat die Klägerin ihre Klage hingegen nicht (auch) gestützt. Zwar hat sie auf Seite 5 ihres erstinstanzlichen Schriftsatzes vom ausgeführt, es stelle sich die Problematik, ob die ursprünglichen Ansprüche auf Zahlung der Mindestversorgung bei der Vergleichsberechnung zu dynamisieren seien oder nicht; seien sie zu dynamisieren, könne „sich der Klageanspruch zumindest teilweise bereits auf der Grundlage des neuen § 1 Abs. 2 f) KAV als Ergänzungsleistung nach § 23 KAV ergeben“. Diese Ausführungen lassen jedoch nicht hinreichend erkennen, dass die Klägerin einen anderen Streitgegenstand in den Rechtsstreit einführen wollte. Dagegen spricht schon, dass ein etwaiger auf die KAV 2016 gestützter Anspruch von ihr nicht berechnet wurde. Die Klägerin hat vielmehr auch im Schriftsatz vom an ihrer bisherigen Argumentationslinie festgehalten und diese lediglich um weitere rechtliche Erwägungen ergänzt. So hat sie unmittelbar im Anschluss an die zitierte Passage ausdrücklich klargestellt, dass sie in der Vergleichsberechnung nach der KAV 2016 eine fehlerhafte Umsetzung des Senatsurteils vom sieht. Das macht deutlich, dass auch diese Argumentation darauf abzielt, selbst unter Einschluss der Ergänzungsleistung nach der KAV 2016 seien ihre nach der VKAV 1994 begründeten Ansprüche nicht wirksam abgelöst worden. Den Ausführungen in der Berufungsbegründung ist nichts anderes zu entnehmen.

26cc) Es kann dahinstehen, ob der Vortrag der Klägerin in der Revisionsinstanz dahin zu verstehen ist, dass sie nunmehr Ergänzungsleistungen auf Grundlage von § 23 KAV 2016 geltend macht. Die hierin liegende Einführung eines neuen Streitgegenstands stellte eine im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht zulässige Klageerweiterung dar oder stünde ihr zumindest gleich (vgl.  - Rn. 23).

27c) Der Identität der Streitgegenstände steht nicht entgegen, dass die Klägerin im vorliegenden Verfahren ihren Anspruch (auch) auf eine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes stützt. Sie hat die behauptete Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes in beiden Verfahren geltend gemacht und identisch begründet. Die landesarbeitsgerichtliche Entscheidung im Vorprozess hat sich mit dieser Anspruchsgrundlage auseinandergesetzt und einen entsprechenden Anspruch abgelehnt. Auch dieser Streitgegenstand ist damit von der Rechtskraftwirkung der Entscheidung im Vorprozess erfasst.

28d) Der Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens unterscheidet sich nicht dadurch von dem des Vorprozesses, dass die Klägerin im vorliegenden Verfahren eine Dynamisierung der Mindestversorgung nach der VKAV 1994 geltend macht.

29aa) Die Dynamisierung der Mindestversorgung nach der VKAV 1994 anhand der Rentenentwicklung hatte die Klägerin im Rahmen der dortigen Zahlungsanträge auch im Vorprozess verlangt. Allerdings war diese Frage nach der im Vorprozess gewählten Antragsformulierung nicht ausdrücklich Gegenstand des Feststellungsantrags.

30bb) Es kann dahinstehen, ob die Dynamisierung der Mindestversorgung damit auch nicht Gegenstand der Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom (- 9 Sa 569/11 -) über die Abweisung des Feststellungsantrags war. Denn selbst dann, wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, stünde das der Unzulässigkeit der vorliegenden Klage nicht entgegen. Die rechtskräftige Feststellung des Nichtbestehens von Ansprüchen nach der VKAV 1994 über den hinaus erstreckte sich auf deren etwaige Dynamisierung.

31(1) Die jede neue Verhandlung und Entscheidung über denselben Anspruch ausschließende materielle Rechtskraft eines Urteils reicht nach § 322 Abs. 1 ZPO zwar grundsätzlich nur soweit, wie über den durch die Klage erhobenen Anspruch entschieden worden ist. Hat ein Kläger im vorangegangenen Prozess nur einen Teilanspruch geltend gemacht, so erfasst die Rechtskraft des Urteils nur diesen Teil des Anspruchs und erstreckt sich nicht auf den nicht eingeklagten restlichen Anspruch. Voraussetzung ist allerdings, dass der nur zum Teil eingeklagte Anspruch seiner Natur nach teilbar ist ( - Rn. 8; - XII ZR 128/93 - zu I 1 der Gründe).

32(2) Der Anspruch auf Versorgungsleistungen auf Grundlage der VKAV 1994 selbst und der Anspruch auf Dynamisierung dieser Versorgung sind ihrer Natur nach nicht teilbar. Besteht - wie vorliegend rechtskräftig festgestellt - kein Anspruch auf die Versorgungsleistung selbst, kann und muss eine solche auch nicht dynamisiert werden (vgl.  - Rn. 47).

33e) Die Rechtskraftwirkung des Urteils des Sächsischen Landesarbeitsgerichts ist - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat - nicht durch nachträgliche Entwicklungen durchbrochen.

34aa) In zeitlicher Hinsicht ist die Rechtskraft nicht begrenzt. Eine formell rechtskräftig gewordene Entscheidung entfaltet auf Dauer materielle Rechtskraft. Eine Beendigung der eine erneute Entscheidung sperrenden Rechtskraft kommt jedoch in Betracht, wenn sich die maßgebenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben (vgl. zum arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren  - Rn. 13, BAGE 173, 46; - 1 ABR 37/16 - Rn. 37, BAGE 163, 108). Dabei rechtfertigt eine nachträglich eingetretene Tatsache eine neue abweichende Entscheidung nur dann, wenn sie denjenigen Sachverhalt verändert hat, der in dem früheren Urteil als für die ausgesprochene Rechtsfolge maßgebend angesehen worden ist; bei dieser Beurteilung ist von den Entscheidungsgründen des rechtskräftigen Urteils auszugehen und zu prüfen, ob die neu entstandene Tatsache die dort bejahten oder verneinten Tatbestandsmerkmale beeinflusst ( - Rn. 27;  - zu B II 4 der Gründe, BAGE 82, 291).

35bb) Das Sächsische Landesarbeitsgericht hatte im Vorprozess Ansprüche der Klägerin auf Treuegeld nach der VKAV 1994 mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe zum Zeitpunkt der Ablösung der VKAV Ende 1996 noch keine unverfallbare Anwartschaft auf Leistungen nach der VKAV 1994 erworben; Weder die Entscheidung des Senats vom (- 3 AZR 517/13 -) noch die Änderung der KAV 1997 durch die KAV 2016 haben an den insoweit zugrunde gelegten Umständen etwas geändert.

36(1) Zwar hat der Senat in einem anderen Rechtsstreit im Urteil vom (- 3 AZR 517/13 -) unter ausdrücklicher Abgrenzung von der Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts im Vorprozess der Parteien des vorliegenden Verfahrens angenommen, der Anwendbarkeit des dreistufigen Prüfungsschemas stehe nicht entgegen, dass die Anwartschaft der Klägerin auf Versorgungsleistungen nach der VKAV 1994 im Zeitpunkt der Ablösung durch die KAV 1997 am nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG in der bis zum geltenden Fassung noch nicht unverfallbar war ( - Rn. 41). Dadurch änderten sich aber nicht die tatsächlichen Umstände, die der Entscheidung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts im Vorprozess zugrunde lagen. Auch änderte sich durch diese Entscheidung nicht nachträglich die Rechtslage (vgl. dazu etwa MüKoZPO/Gottwald 6. Aufl. ZPO § 322 Rn. 158).

37(2) Ebenso wenig ist eine Änderung des für die Entscheidung im Vorprozess maßgeblichen Sachverhalts dadurch eingetreten, dass Änderungen an der KAV 1997 vorgenommen wurden. Auch diese haben die tatsächlichen Umstände, die im Vorprozess als für die ausgesprochene Rechtsfolge - das Nichtbestehen von Ansprüchen aus der VKAV 1994 - maßgebend angesehen worden sind, nicht geändert. Für die Annahme des Sächsischen Landesarbeitsgerichts, das dreistufige Prüfungsschema komme nicht zur Anwendung, weil die Klägerin noch keine unverfallbaren Anwartschaften erworben habe, ist die Neuregelung in der KAV 2016 nicht relevant.

38II. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist allerdings wegen des von Amts wegen zu beachtenden Verstoßes gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO insoweit zu korrigieren, wie es über einen Anspruch der Klägerin auf Grundlage von §§ 1, 23 KAV 2016 entschieden hat. Das Berufungsurteil ist daher - ohne dass es eines förmlichen Entscheidungsausspruchs bedurfte - zu berichtigen (vgl.  - Rn. 47 mwN). Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist insoweit gegenstandslos, wie die Klage wegen dieses Anspruchs abgewiesen wurde (vgl.  - Rn. 12, BAGE 168, 25). Der Tenor der Entscheidung erweist sich dabei im Ergebnis als zutreffend und bedarf keiner Berichtigung.

39III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:200824.U.3AZR179.23.0

Fundstelle(n):
PAAAJ-83176