BGH Beschluss v. - 6 StR 388/24

Instanzenzug: LG Rostock Az: 12 KLs 146/23 jug (2)

Gründe

1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in sieben Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern (Fälle II.A.1. und 2. der Urteilsgründe) und in drei weiteren Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern (Fälle II.A.3. bis 5. der Urteilsgründe), sowie wegen Besitzes „eines kinderpornographischen Inhalts“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt und die Einziehung des Mobiltelefons des Angeklagten angeordnet. Seine auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) und ist im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2 1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung weitgehend stand. Allerdings kann die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen im Fall II.A.1 der Urteilsgründe nicht bestehen bleiben, weil insoweit Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Hierzu hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:

„Die Verjährungsfrist für sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen im Sinne von § 174 StGB beträgt nach den zur Tatzeit und auch heute geltenden Vorschriften (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 in Verbindung mit § 174 Abs. 1 StGB) fünf Jahre. Da die Tat im August 1997 begangen – und zugleich beendet – war, ist spätestens mit Ablauf des Verjährung eingetreten (§ 78a StGB).

Die Verjährung ruhte nicht. § 78b Abs. 1 StGB wurde erst mit Wirkung zum und damit zu einem Zeitpunkt um den Tatbestand des § 174 StGB erweitert, als Verjährung bereits eingetreten war. Eine Rückwirkung kommt nicht in Betracht (vgl. , Rn. 4).“

3 Dem tritt der Senat bei und ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO; zugleich fasst er ihn wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich neu.

4 2. Die Strafzumessung erweist sich, auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. etwa , BGHSt 34, 345, 349), als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

5 a) Zwar ist eine erschöpfende Aufzählung aller für die Strafzumessungsentscheidung relevanten Gesichtspunkte weder gesetzlich vorgeschrieben noch in der Praxis möglich (st. Rspr.; vgl. , NStZ 2019, 138, 139; vom – 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, 337). Ein der Strafzumessung in sachlich-rechtlicher Hinsicht anhaftender Rechtsfehler liegt aber vor, wenn das Tatgericht bei seiner Zumessungsentscheidung einen Gesichtspunkt, der nach den Gegebenheiten des Einzelfalls als bestimmender Strafzumessungsgrund im Sinne von § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO in Betracht kommt, nicht erkennbar erwogen hat (vgl. , Rn. 8). Ein Geständnis ist regelmäßig als ein solcher Strafzumessungsgrund anzusehen (vgl. , Rn. 7).

6 Die Strafkammer hat bei der Bestimmung des Strafrahmens in den als schwerer sexueller Missbrauch (§ 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB aF) beziehungsweise sexueller Missbrauch von Kindern (§ 176 Abs. 1 StGB in der bis zum geltenden Fassung) abgeurteilten Fällen II.A.1. bis 5. der Urteilsgründe das Geständnis des Angeklagten nicht erkennbar in seine Erwägungen eingestellt und jeweils einen minder schweren Fall verneint. Wenngleich die Strafkammer das Geständnis bei der konkreten Strafzumessung erwähnt hat, kann der Senat nicht ausschließen, dass ihr dieser Umstand bei der vorangestellten Strafrahmenwahl aus dem Blick geraten ist, bei der die einleitende Wendung die nachfolgende Aufzählung der Zumessungsgesichtspunkte als abschließend nahelegt.

7 b) Ferner hat die Strafkammer bei der Strafrahmenwahl in den Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und des sexuellen Missbrauchs von Kindern (Fälle II.A.1. bis 5. der Urteilsgründe) zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass er seine leiblichen Töchter „zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse über einen sehr langen Zeitraum rücksichtslos ausnutzte“. Dies lässt besorgen, dass die Strafkammer dem Angeklagten unter Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB die Begehung der Taten als solche und Tatumstände angelastet hat, die zum Tatbild einer Sexualstraftat gehören, den Gesetzgeber daher dazu veranlasst haben, entsprechende Handlungen zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung unter Strafe zu stellen, was für sich gesehen den Unrechtsgehalt einer Tat nicht erhöhen kann (vgl. , Rn. 9). Trotz der inhaltlichen Verknüpfung mit dem langen Zeitraum des Handelns kann der Senat den Urteilsgründen auch in ihrem Gesamtzusammenhang nicht hinreichend sicher entnehmen, dass die Strafkammer nur das besondere Tatbild mit einem über die Tatbestandsverwirklichung hinausgehenden Unrechtsgehalt im Blick hatte. Denn sie stellt noch an anderer Stelle die „rücksichtslose, nur auf seine sexuelle Befriedigung ausgelegte Gesinnung“ des Angeklagten heraus. Abgesehen davon gilt die auf den Zeitraum abstellende Erwägung nicht für Fall II.A.2. der Urteilsgründe, weil es sich bei dem Missbrauch der jüngeren Tochter um einen Einzelfall handelte.

8 c) Die Strafen in den Fällen II.A.6. und 7. der Urteilsgründe können nicht bestehen bleiben, weil die Strafkammer in allen Fällen strafschärfend die tateinheitliche Verwirklichung mehrere Delikte berücksichtigt und dabei übersehen hat, dass dies in den vorbezeichneten Fällen, in denen sie den Angeklagten allein des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen schuldig gesprochen hat, nicht zutrifft.

9 d) Der Strafausspruch im Fall B. der Urteilsgründe, in dem der Angeklagte ausschließlich wegen Besitzes kinderpornographischer Inhalte verurteilt worden ist, hat keinen Bestand, weil am das Gesetz zur Anpassung der Mindeststrafen des § 184b Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 des Strafgesetzbuchs vom (BGBl. I 2024 Nr. 213) in Kraft getreten ist, durch das der Gesetzgeber den Besitz kinderpornographischer Inhalte unter Beibehaltung der Strafrahmenobergrenze von einem Verbrechen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr (§ 184b Abs. 1 Satz 1 StGB aF) zu einem Vergehen mit einer Mindeststrafe von drei Monaten herabgestuft hat (§ 184b Abs. 3 StGB). Diese Gesetzesänderung hat der Senat gemäß § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO im Revisionsverfahren zu berücksichtigen.

10 e) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei rechtsfehlerfreier Strafzumessung zu niedrigeren Freiheitsstrafen gelangt wäre. Die Aufhebung der verhängten Strafen entzieht der Gesamtstrafe ihre Grundlage. Die von den Rechtsfehlern nicht betroffenen Feststellungen haben jedoch Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO) und können um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.

11 3. Die Anordnung der Einziehung des Mobiltelefons ist nicht tragfähig begründet und deshalb aufzuheben. Den Urteilsgründen muss grundsätzlich zu entnehmen sein, dass sich das Tatgericht bewusst war, eine Ermessensentscheidung zu treffen, und welche Gründe für die Ausübung des Ermessens gegeben waren (st. Rspr.; vgl. , Rn. 4). Daran fehlt es hier. Weder lässt sich den Urteilsgründen überhaupt eine Begründung der Einziehungsentscheidung entnehmen, noch ist mit Blick auf die konkreten Umstände eine nähere Begründung der Ermessensausübung entbehrlich gewesen (vgl. , Rn. 11), zumal es an Feststellungen zum Wert des Mobiltelefons und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten fehlt.

12 4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

13 a) Das neue Tatgericht wird Feststellungen zum jeweiligen Vollstreckungsstand der Urteile des Amtsgerichts Güstrow vom und vom (zum maßgeblichen Zeitpunkt vgl. , NStZ-RR 2020, 7 f.) zu treffen und gegebenenfalls eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden haben. In diesem Fall wäre § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO zu beachten (vgl. , Rn. 10).

14 b) Ferner wird es zu bedenken haben, dass die auf § 74 Abs. 1 StGB gestützte Maßnahme den Charakter einer Nebenstrafe hat und damit eine Strafzumessungsentscheidung darstellt. Wird dem Täter auf diese Weise ein ihm zustehender Gegenstand von nicht unerheblichem Wert entzogen, ist dies als ein bestimmender Gesichtspunkt für die Bemessung der daneben zu verhängenden Strafen angemessen zu berücksichtigen (vgl. ‒ 4 StR 422/20, Rn. 5; Urteil vom – 1 StR 585/93).

Bartel                         Feilcke                          Wenske

              Fritsche                         Arnoldi

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:161024B6STR388.24.0

Fundstelle(n):
AAAAJ-82452