BGH Beschluss v. - 1 StR 417/24

Instanzenzug: LG Landshut Az: 4 KLs 603 Js 31546/23 Sich

Gründe

1Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Die hiergegen mit der Sachrüge geführte Revision des Beschuldigten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts beging der Beschuldigte am einen Diebstahl (Fall B. I. 1.), eine Bedrohung (Fall B. I. 2.), einen tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und gefährlicher Körperverletzung (Fall B. I. 3.), einen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in zwei tateinheitlichen Fällen (Fall B. I. 4.) sowie einen weiteren tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung (Fall B. I. 5.).

3Das Landgericht hat zur Schuldfähigkeit des Beschuldigten mit sachverständiger Beratung festgestellt, dass dieser an einer paranoiden Schizophrenie mit zunehmendem Residuum leide und deshalb nicht in der Lage sei, das Unrecht seiner Taten einzusehen, nach dieser Einsicht zu handeln und sein Verhalten entsprechend zu steuern. Das Landgericht folgt dabei nach kurzer Darstellung des Ergebnisses der Begutachtung den Ausführungen des Sachverständigen.

42. Die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Ausführungen des Landgerichts im Urteil leiden an durchgreifenden Begründungsmängeln.

5a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die besonders gravierend in die Rechte des Betroffenen eingreift. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Täter bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Daneben muss es überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird; dadurch muss eine schwere Störung des Rechtsfriedens zu besorgen sein. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 477/22 Rn. 5; vom – 1 StR 34/22 Rn. 5; vom – 1 StR 453/21 Rn. 6; vom – 1 StR 305/21 Rn. 17 und vom – 1 StR 255/21 Rn. 7; jeweils mwN).

6b) Diesen Voraussetzungen werden die Feststellungen und Wertungen des Landgerichts zur Schuldunfähigkeit des Beschuldigten in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Insoweit führt der Generalbundesanwalt zutreffend näher aus:

„I. Wenn sich der Tatrichter - wie hier - darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss er dessen wesentliche Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. ; Urteil vom - 5 StR 599/07 - jeweils m. w. N.). Daran fehlt es hier.

1. So stellt das Landgericht zum Krankheitsbild des Beschuldigten lediglich fest, dass es bei ihm im Alter von 21 Jahren erstmals zu einer Exazerbation einer paranoiden Schizophrenie gekommen sei und sich seine psychotische Problematik fortsetzte. Sein psychopathologisches Zustandsbild habe sich mit der Zeit so verschlechtert, dass er berentet werden musste und langjährig unter Betreuung steht (UA S. 3, 4). Im Rahmen seiner Exazerbationen sei er aggressiv und fremdgefährlich (UA S. 23). Im Jahr 2017 wurde ein Verfahren wegen Körperverletzung wegen Schuldunfähigkeit eingestellt (UA S. 4). Der Beschuldigte hatte im Rahmen einer Unterbringung sein Gegenüber nach einem verbalen Streit geschubst, so dass er zu Boden fiel und sich dadurch den Ellbogen brach. Gegebenenfalls mögliche (UA S. 9, 23 oben) weitere konkrete Feststellungen zu anderen aggressiven Handlungen des Beschuldigten fehlen. Der Beschuldigte leide bis heute an einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10: F020.0) mit zunehmenden Residuum. Er erfülle nach der ICD-10 mindestens zwei items der Gruppe A und vier der Gruppe B (UA S. 23). Ein ‚Wahn‘ und (möglicherweise: UA S. 24) akustische Halluzinationen stünden ‚im Vordergrund‘ (UA S. 23). Das ‚Wahnsystem‘ sei ‚bizarr‘ (UA S. 24). Dieser ‚Zustand‘ soll auch in akuter Form zu den Vorfallszeitpunkten bestanden haben (UA S. 8). Deshalb sei sowohl seine Einsichtsfähigkeit als auch seine Steuerungsfähigkeit aufgehoben gewesen (UA S. 8, 24; zu dieser problematischen Feststellung: Senat, Beschluss vom - 1 StR 464/21 -, juris Rn. 9 f.; Fischer, StGB, 71. Aufl, § 20 Rn. 3, 44b). Das Verhalten des Beschuldigten sei ‚normalpsychologisch‘ nicht erklärbar (UA S. 24), was auch für die Diebstahlshandlung gelten soll. Das aggressive Verhalten des Beschuldigten sei rational nicht nachvollziehbar (UA S. 25).

Diese Begründung genügt nicht. Dem Revisionsgericht ist auf dieser Grundlage eine rechtliche Überprüfung der Maßregelanordnung nicht möglich.

2. Selbst bei wohlwollender Lektüre des Urteils fehlt es an einer nachvollziehbaren Beschreibung der Anknüpfungstatsachen für die gestellte Diagnose (so zum Beispiel an einer Beschreibung der charakteristischen Störungen des Denkens, der Wahrnehmung, der Affektivität, des Ich-Erlebens und des Verhaltens, vgl. hierzu Kröber/Lau in Kröber/Dölling/Leygraf/Saß, Handbuch der forensischen Psychiatrie, Band 2, S. 312 f., 327 ff.). Mangels Ausführungen zum näheren Inhalt des Sachverständigengutachtens ist eine Überprüfung der Maßregelanordnung so nicht möglich.

3. Gleiches gilt im Hinblick auf das Krankheitsbild des Beschuldigten zum Zeitpunkt der Begehung der Anlasstaten. Tatsächlich enthalten die Feststellungen zu den gegenständlichen Taten lediglich Beschreibungen des äußeren Geschehensablaufs, jedoch keine zum inneren Erleben des Beschuldigten. Der behauptete ‚bizarre Wahn‘ und die ‚möglicherweise‘ auch zum Tatzeitpunkt bestehenden akustischen Halluzinationen sind weder näher beschrieben noch sonst nachvollziehbar dargelegt. Die Beschreibung des Beschuldigten als aggressiv und fremdgefährlich, die die Unterbringung wohl rechtfertigen soll, ist ohne die vermissten Darlegungen unzureichend (Senat, Beschluss vom - 1 StR 594/16 -, BGHR-StGB, § 63 Anordnung 2 - Darlegungsanforderungen; Beschluss vom - 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98; , NStZ-RR 2016, 135).

4. Es kann vor diesem Hintergrund dahinstehen, dass angesichts des erheblichen Eingriffs, der mit der Unterbringung nach § 63 StGB verbunden ist, auch rechtliche Bedenken bestehen, ob das Landgericht seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten im Hinblick auf die Begehung von Straftaten aus dem Bereich der mittleren Kriminalität hinreichend begründet hat. Hinsichtlich des Diebstahlsopfers kam es zwar zu einer Bedrohung mit der Weinflasche, jedoch (noch) nicht zu einer Körperverletzung. Der Faustschlag anlässlich der ersten Ingewahrsamnahme (zu deren Rechtmäßigkeit Ausführungen fehlen, die sich aber wohl noch hinreichend aus dem Kontext entnehmen lassen) und ein aufgeschürftes Knie anlässlich der zweiten Ingewahrsamnahme sowie die versuchten Tritte bei dem Transport im Krankenwagen, von denen jeweils Polizeibeamten betroffen waren, sind allenfalls am untersten Rand mittlerer Kriminalität angesiedelt. Zwar müssen die Anlasstaten nicht ‚schwerwiegend‘ sein, um eine Unterbringung zu rechtfertigen, es bedarf dann aber einer detaillierten und nachvollziehbaren Begründung hinsichtlich der auf die Zukunft gerichteten Prognose der zu erwartenden Taten (Fischer, aaO., § 63 Rn. 8, 24 mwN.). Zwar hat das Landgericht den zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt einer auf einer umfassenden Gesamtwürdigung aufbauenden Prognose erkannt. Es hat sich jedoch auch hier darauf beschränkt, dem Sachverständigen in dessen Einschätzung zu folgen, dass im Fall einer erneuten Zuspitzung des psychotischen Geschehens eine Wiederholungsgefahr auch in Bezug auf Körperverletzungshandlungen - gegebenenfalls unter Benutzung von Gegenständen - bestehe (UA S. 29). Dem Urteil ist diesbezüglich nur zu entnehmen, es bestünde ein ‚Gewaltrisiko‘ (UA S. 30), schließlich sei es auch während der ‚jetzigen Unterbringung in der forensischen Psychiatrie … zu fremdgefährdenden Verhaltensweisen ... im Rahmen psychotischer Entgleisungen gekommen‘ (UA S. 30). An einer näheren, nachvollziehbaren Beschreibung mangelt es allerdings auch hier: Es fehlt an der Kenntnis der Anknüpfungstatsachen, die die Prognose derartiger zukünftiger Straftaten stützen könnten.“

7Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an.

83. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht betroffen und bleiben daher aufrechterhalten; die weitergehenden Feststellungen unterliegen der Aufhebung (§ 353 Abs. 2 StPO).

Fischer                             Bär                             Leplow

                   Munk                  Welnhofer-Zeitler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:121124B1STR417.24.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-82390