BGH Urteil v. - VIa ZR 1742/22

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 1 U 229/20vorgehend LG Frankfurt Az: 2-17 O 72/14

Tatbestand

1Die Klägerin kaufte am von der Beklagten einen von dieser hergestellten, mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüsteten Mercedes-Benz E 250 CDI Cabriolet als Vorführ- und Geschäftsfahrzeug. Das Fahrzeug wurde am zunächst auf die Beklagte zugelassen und der Klägerin sodann am mit einer Laufleistung von 7.485 Kilometern übergeben. Das Fahrzeug verfügt über ein sogenanntes "Thermofenster", eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) sowie nach Angaben der Klägerin über die Funktion "Slipguard".

2Die Klägerin hat geltend gemacht, das Fahrzeug weise verschiedene Mängel unter anderem in Form unzulässiger Abschalteinrichtungen auf. Sie hat die Beklagte unter den Gesichtspunkten kaufrechtlicher Gewährleistungsansprüche und ihrer deliktischen Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Dabei hat sie in erster Linie den Ersatz des Kaufpreises nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs, die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Verzugszinsen sowie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten begehrt. Hilfsweise hat sie im Wege der Nacherfüllung den Austausch der klappernden Unterbodenverkleidung des Fahrzeugs verlangt.

3Das Landgericht hat dem Hilfsantrag stattgegeben und die weitergehende Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre in erster Linie geltend gemachten Klageanträge weiter, soweit sie diese auf ihre delik­tische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.

Gründe

4Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Die Klägerin habe keinen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB. Ihr Vortrag rechtfertige nicht den Vorwurf eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten. Zu ihren Gunsten könne unterstellt werden, dass das Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren sei. Sie habe jedoch nicht hinreichend dargetan, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten. Insbesondere habe die Klägerin keine konkreten Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass das Thermofenster oder die KSR ausschließlich auf dem Prüfstand zur Anwendung kämen und unter den für den Prüfzyklus geltenden Bedingungen im realen Fahrbetrieb grundsätzlich in anderer Weise funktionierten. Ihrem Vorbringen sei auch nicht zu entnehmen, dass die Emissionsgrenzwerte ohne die KSR auf dem Prüfstand nicht eingehalten werden könnten.

7Anhaltspunkte für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB seien danach gleichfalls nicht gegeben. Es bestehe keine Stoff­gleichheit einer etwaigen Vermögenseinbuße der Klägerin mit den denkbaren erstrebten Vermögensvorteilen der Beklagten.

8Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stehe der Klägerin ebenfalls nicht zu. Die Bestimmungen der EG-FGV dienten nicht dem Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des einzelnen Fahrzeugerwerbers.

II.

9Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

101. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat.

11a) Eine objektiv sittenwidrige arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ist indiziert, wenn eine im Fahrzeug verbaute unzulässige Abschalteinrichtung ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung grenzwertkausal verstärkt aktiviert. Funktioniert die unzulässige Abschalteinrichtung dagegen auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise oder ist sie nicht grenzwertkausal, kommt eine objektive Sittenwidrigkeit nur in Betracht, wenn die konkrete Ausgestaltung der Abschalteinrichtung angesichts der sonstigen Umstände die Annahme eines heimlichen und manipulativen Vorgehens oder einer Überlistung der Typgenehmigungsbehörde rechtfertigen kann. Diese Annahme setzt jedenfalls voraus, dass der Fahrzeughersteller bei der Entwicklung und/oder Verwendung der Abschalteinrichtung in dem Bewusstsein handelte, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahm ( VIa ZR 1012/22, juris Rn. 11 mwN).

12b) Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen. Es hat anhand des Vortrags der Klägerin weder hinreichende Anknüpfungstatsachen für eine prüfstandsbezogene Funktionsweise einer technischen Einrichtung des Fahrzeugs noch greifbare Anhaltspunkte dafür gesehen, dass den für die Beklagte handelnden Personen bei Inverkehrbringen des Fahrzeugs die Unzulässigkeit der Einrichtungen bewusst gewesen wäre. Die von der Revision dagegen erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

132. Aus Rechtsgründen ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin könne den geltend gemachten Schaden nicht nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 Abs. 1 StGB ersetzt verlangen. Es kann dahinstehen, ob ein solcher Anspruch im vorliegenden Fall, in dem die Klägerin ein Vorführ-/Geschäftsfahrzeug unmittelbar von der Beklagten erworben hat, mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung verneint werden kann, es bestehe keine Stoffgleichheit des von der Beklagten erstrebten Vermögensvorteils mit dem von der Klägerin erlittenen Vermögensnachteil (für den Fall des Erwerbs von einem Gebrauchtwagenhändler vgl. , NJW 2020, 2798 Rn. 24 ff.). Jedenfalls sind die sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen für eine deliktische Haftung der Beklagten wegen eines betrügerischen Verhaltens nicht gegeben. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen liegt eine strafrechtlich relevante Täuschungshandlung der Beklagten nicht vor. Das Berufungsgericht hat die vorsätzliche Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung mangels greifbarer Anhaltspunkte für ein entsprechendes Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen verfahrensfehlerfrei verneint (vgl. dazu  VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 Rn. 17).

14Im Übrigen ist der von der Klägerin geltend gemachte Schaden nicht nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 Abs. 1 StGB ersatzfähig. Allein im Abschluss eines Kaufvertrags, den der Fahrzeugerwerber ohne die Täuschung nicht geschlossen hätte, liegt noch kein Vermögensschaden im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB. Ein danach zu ersetzender Eingehungsschaden setzt weiter vor­aus, dass der Wert des vom Käufer erworbenen Fahrzeugs wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung und etwaiger damit verbundener Risiken hinter dem vereinbarten und gezahlten Kaufpreis zurückbleibt (, NJW 2020, 2798 Rn. 21 bis 23). Einen solchen Minderwert des Fahrzeugs macht die Klägerin nicht geltend. Ihr Klagebegehren ist auf die Gewährung nicht des sogenannten "kleinen" Schadensersatzes, sondern des sogenannten "großen" Schadensersatzes gerichtet.

153. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sin­ne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

16Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klä­gerin auf die Gewährung "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Dif­ferenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

17Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

18die erforderlichen

                                        

                                               

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:181224UVIAZR1742.22.0

Fundstelle(n):
PAAAJ-82301