BGH Urteil v. - VIa ZR 106/23

Instanzenzug: Az: 16a U 11/19vorgehend Az: 12 O 12/19

Tatbestand

1 Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb am von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei bestimmten Außentemperaturen reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), deren Aktivierung die Erwärmung des Motors verzögert.

2 Der Kläger hat in erster Linie die Zahlung von 31.122,80 € (Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 3.677,20 €) nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs (Klageantrag zu 1) sowie die Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.474,89 € nebst Zinsen (Klageantrag zu 2) begehrt. Hilfsweise hat er den Ersatz eines merkantilen Minderwerts von mindestens 30 % des Kaufpreises verlangt.

3 Das Landgericht hat unter Abweisung der weitergehenden Klage die Beklagte auf den Klageantrag zu 1 zur Zahlung von 29.623,34 € nebst Deliktszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs sowie auf den Klageantrag zu 2 zur Zahlung von 1.358,86 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Gründe

4Die Revision ist uneingeschränkt zulässig (vgl.  VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 Rn. 10 f.). Die vom Kläger vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gegenstandslos (vgl.  VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 5 mwN). In der Sache hat die Revision weitgehend Erfolg.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Dem Kläger stehe ein Anspruch aus § 826 BGB mangels eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten nicht zu. Dabei könne dahinstehen, ob in tatsächlicher Hinsicht die von ihm behauptete Bedatung des Thermofensters zutreffe und es sich bei einer solchen Steuerung in rechtlicher Hinsicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Auch könne die KSR als unzulässige Abschalteinrichtung anzusehen sein. Der Kläger habe jedoch weder tatsächliche Anhaltspunkte für eine prüfstandsbezogene Funktionsweise der Einrichtungen noch sonstige Umstände vorgetragen, die das Vorgehen der Beklagten als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Beklagte hafte auch nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV. Die Vorschriften der EG-FGV bezweckten nicht den Schutz eines Fahrzeugerwerbers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags und seien nicht als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB einzuordnen.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Zinsen für den zugesprochen hat. Insoweit stellt sich die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dem Kläger stehen - nach § 246 BGB ohnehin nur 4 % betragende -

IV.

12Im Übrigen ist das angefochtene Urteil aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

13Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen und einen entsprechenden Zahlungsantrag zu stellen. Dabei wird er zu beachten haben, dass ein ersatzfähiger Differenzschaden nicht ohne Weiteres mit dem Minderwert des Fahrzeugs gleichzusetzen ist, den der Kläger mit dem Hilfsantrag ersetzt verlangt (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 73 bis 76; Urteil vom - VIa ZR 1136/22, juris Rn. 13), und nicht höher als 15 % des gezahlten Kaufpreises sein kann ( aaO, Rn. 74 f.). Die dagegen gerichteten Einwände der Revision (vgl. auch LG Ravensburg, Beschluss vom - 2 O 331/19, juris Rn. 102 ff.; LG Duisburg, Beschluss vom - 1 O 318/22, juris Rn. 300 f. und 314 ff.) geben dem Senat keinen Anlass zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

14die erforderlichen

                                        

                                               

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:181224UVIAZR106.23.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-82300