BGH Urteil v. - II ZR 222/21

Leitsatz

Zur Auslegung einer Fortführungsklausel im Gesellschaftsvertrag einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts.

Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB, § 723 BGB, § 738 aF BGB

Instanzenzug: Az: 26 U 47/19vorgehend Az: 4 O 80/18

Tatbestand

1Der Kläger und der Streithelfer waren durch einen Sozietätsvertrag mit Wirkung ab dem in einer Rechtsanwaltsgesellschaft als Gesellschaft bürgerlichen Rechts miteinander verbunden. Der Sozietätsvertrag vom enthält für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters folgende Regelung:

(1)    Im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters wird die Sozietät durch die anderen Gesellschafter fortgeführt, soweit mindestens zwei Gesellschafter verbleiben. Auch im Falle der Kündigung der Sozietät durch einen Gesellschafter können die übrigen Gesellschafter beschließen, die Sozietät fortzuführen. Der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters wächst den übrigen Gesellschaftern entsprechend ihrer Beteiligung zu.

(2)    […]"

2§ 5 Abs. 3 des Sozietätsvertrags sieht zur Bankvollmacht der Gesellschafter folgende Regelung vor:

"(3)    Für das die Sozietät zu errichtende Bankkonto sic ist jeder Gesellschafter alleine zeichnungsberechtigt."

3Am stellten der Kläger und der Streithelfer bei der Beklagten einen "Antrag auf Eröffnung einer Kundenbeziehung für Arbeitsgemeinschaften und sonstige Gesellschaften bürgerlichen Rechts". Als Gestaltungsform wurde ein Gemeinschaftskonto mit Einzelverfügungsberechtigung ("Oder-Konto") gewählt. Ziffer 2 des Eröffnungsantrags sieht folgende Regelung zur Vertretungsberechtigung vor:

"2.    Vertretungsberechtigung

b)    Bestellung von vertretungsberechtigten Personen

4Ende September 2016 kündigte der Streithelfer die Sozietät zum31. Dezember 2017. Mit Schreiben vom widerrief er gegenüber der Beklagten die Alleinverfügungsberechtigung des Klägers hinsichtlich der bei der Beklagten geführten drei Sozietätskonten. Die Beklagte stellte daraufhin die Konten von Einzel- auf Gemeinschaftsverfügungsberechtigung um. Mit Schreiben vom forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum auf, die für die Gesellschaft eröffneten Konten als Einzelkonto auf ihn als Gesamtrechtsnachfolger umzuschreiben. Die Beklagte lehnte eine Umstellung auf eine Einzelverfügungsberechtigung ab.

5Der Kläger hat, soweit im Revisionsverfahren von Interesse, beantragt festzustellen, dass die Beklagte zur Umschreibung der bei ihr geführten Konten auf den Kläger als Gesamtrechtsnachfolger verpflichtet und er alleinverfügungsberechtigt ist (Antrag a) sowie dass sich die Beklagte seit dem mit der Erfüllung ihrer Verpflichtung in Verzug befindet und zur Erstattung des Verzugsschadens verpflichtet ist (Antrag b). Hilfsweise hat der Kläger neben der Zahlung von 5.006 € beantragt, Einzelverfügungen des Klägers über die jeweiligen Kontoguthaben zuzulassen und der Beklagten zu untersagen, Einzelverfügungen des Streithelfers zu gestatten.

6Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers ist dem Antrag a) stattgegeben und im Übrigen die Berufung des Klägers zurückgewiesen worden.

7Mit den vom Senat zugelassenen Revisionen verfolgt der Kläger vorrangig den Antrag b) auf Feststellung des Verzugs der Beklagten und der Streithelfer seinen Klageabweisungsantrag hinsichtlich des Antrags a) weiter. Die Beklagte hat Anschlussrevision erhoben, soweit mit der Stattgabe des Antrags a) zu ihrem Nachteil entschieden worden ist.

Gründe

8Die wechselseitigen Revisionen haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

9I. Das Berufungsgericht (, BeckRS 2021, 67288) hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

10Durch die Kündigung des Streithelfers zum sei die Gesellschaft liquidationslos beendet worden und das Gesellschaftsvermögen auf den Kläger als letzten verbleibenden Gesellschafter übergegangen. Der Sozietätsvertrag enthalte in § 18 eine typische Fortsetzungsklausel, wobei § 18 Abs. 1 Satz 3 den Übergang der Anteile des ausscheidenden Gesellschafters auf die übrigen Gesellschafter ausdrücklich vorsehe. Dass die Gesellschaft als Einmanngesellschaft nicht fortgesetzt werden könne, stehe dem nicht entgegen. Die Regelung enthalte keine Einschränkung dahingehend, dass dies nicht gelten solle, wenn nur ein Gesellschafter übrigbleibe. "Übrige Gesellschafter" im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 3 könne auch nur ein Gesellschafter sein. Gerade für den vorliegenden Fall, dass die Sozietät von Anfang an nur aus zwei Gesellschaftern bestehe, sei nicht anzunehmen, dass die Regelung nur Gültigkeit habe, wenn weitere Gesellschafter hinzuträten. Es entspräche allgemeinen Auslegungsgrundsätzen und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass eine Regelung, wenn allgemein von "Gesellschaftern" die Rede sei, im Zweifel auch nur "einen Gesellschafter" meinen könne.

11Die Beklagte habe sich mit der Umschreibung der Konten auf den Kläger nicht in Verzug befunden. Sie habe die Umschreibung von einem Nachweis abhängig machen können, der nunmehr in Form des Urteils vorliege. Die Beklagte habe sich durch den Widerruf der Einzelverfügungsberechtigung in einer unklaren Situation befunden. Die Beklagte treffe auch kein Verschulden. Schuld treffe allein den Streithelfer, der sich vertragswidrig verhalten habe, weil er nach § 5 Abs. 3 des Sozietätsvertrags nicht berechtigt gewesen sei, die Einzelvertretungsbefugnis des Klägers zu widerrufen. Die Beklagte sei nicht gehalten gewesen, eigene Erkundungen anzustellen oder sich einer Rechtsauffassung anzuschließen, zumal auch die anwaltlich vertretenen Parteien gegensätzliche Rechtsansichten vertreten hätten und das Landgericht die Rechtsfrage anders entschieden habe als nunmehr das Berufungsgericht.

12II. Das Berufungsurteil hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

131. Die Revision des Streithelfers und der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht dem Antrag auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Umschreibung der bei ihr geführten Gesellschaftskonten auf den Kläger als Gesamtrechtsnachfolger mit der Begründung stattgegeben, das Gesellschaftsvermögen sei auf den Kläger als letztem verbleibenden Gesellschafter übergegangen. Die Auslegung des Berufungsgerichts, dass der in § 18 Abs. 1 Satz 3 des Sozietätsvertrags (im Folgenden: GV) angeordnete Übergang des Anteils des ausscheidenden Gesellschafters auf die übrigen Gesellschafter keine Einschränkung dahingehend enthalte, dass dies nicht gelte, wenn nur einer "übrig" bleibe, verstößt gegen anerkannte Auslegungsregeln.

14a) Die Auslegung eines Individualvertrags, wie hier des Sozietätsvertrags, ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt hat oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht, etwa weil wesentlicher Auslegungsstoff unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen worden ist (, ZIP 2005, 82, 83; Urteil vom - II ZR 242/09, ZIP 2011, 2299 Rn. 24 mwN; Urteil vom - VIII ZR 272/20, juris Rn. 71; Urteil vom - II ZR 76/21, ZIP 2023, 467 Rn. 18). Leidet die tatrichterliche Auslegung an solchen revisionsrechtlich beachtlichen Rechtsfehlern, bindet sie das Revisionsgericht nicht (, ZIP 2023, 905 Rn. 24 f.).

15b) Einer an dem dargestellten Maßstab ausgerichteten Prüfung hält die Auslegung von § 18 des Sozietätsvertrags durch das Berufungsgericht nicht stand.

16aa) Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. Haben die Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft im Gesellschaftsvertrag vereinbart, dass die Gesellschaft von den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt wird, wenn ein Gesellschafter ausscheidet, wächst bei Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters, soweit im Gesellschaftsvertrag für diesen Fall nichts Abweichendes geregelt ist, dem letzten verbleibenden Gesellschafter das Gesellschaftsvermögen an, d.h. die Aktiva und Passiva gehen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf ihn über, ohne dass es eines Übertragungsaktes oder einer Übernahmeerklärung bedarf (st. Rspr.; , BGHZ 32, 307, 314 ff.; Urteil vom - II ZR 10/64, WM 1966, 62 f.; Urteil vom - II ZR 54/64, WM 1966, 513; Urteil vom - II ZR 195/90, NJW 1992, 2757, 2758; Urteil vom - II ZR 4/98, ZIP 1999, 1526, 1527; Beschluss vom - II ZR 331/00, ZIP 2002, 614, 615; Urteil vom - II ZR 37/07, ZIP 2008, 1677 Rn. 9; Urteil vom - II ZR 227/09, ZIP 2011, 1362 Rn. 11).

17bb) Die lediglich auf § 18 Abs. 1 Satz 3 GV abstellende Auslegung des Berufungsgerichts verkennt den systematischen Zusammenhang der Fortsetzungsklausel und ist mit dem klaren und eindeutigen Wortlaut der Vertragsbestimmung unvereinbar.

18(1) Nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen bildet der von den Parteien gewählte Wortlaut einer Vereinbarung und der diesem zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille den Ausgangspunkt einer nach §§ 133, 157 BGB vorzunehmenden Auslegung (, BGHZ 203, 77 Rn. 15; Urteil vom - VIII ZR 109/18, NZM 2019, 209 Rn. 19 mwN).

19bb) Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 GV wird im Falle des Ausscheidens eines Gesellschafters die Sozietät fortgeführt, "soweit mindestens zwei Gesellschafter verbleiben". Die Fortführung nach dem Ausscheiden eines Gesellschafters wird danach ausdrücklich von der Bedingung abhängig gemacht, dass eine Mehrzahl von Gesellschaftern verbleibt.

20Nach § 18 Abs. 1 Satz 2 GV sollen "auch im Falle der Kündigung der Sozietät durch einen Gesellschafter (…) die übrigen Gesellschafter beschließen (können), die Sozietät fortzuführen". Durch die Verwendung des Begriffs "auch" in § 18 Abs. 1 Satz 2 GV wird ein systematischer Bezug zu § 18 Abs. 1 Satz 1 GV hergestellt. Dies spricht dafür, dass die dort vorgesehene Einschränkung der Fortführung der Gesellschaft durch mindestens zwei Gesellschafter auch im Fall der Fortführung nach Kündigung gelten soll. Dieses Verständnis wird dadurch bekräftigt, dass § 18 Abs. 1 Satz 2 GV die Möglichkeit der Fortsetzung der Gesellschaft den "übrigen" und damit mehreren Gesellschaftern gewährt.

21Die in § 18 Abs. 1 Satz 3 GV vorgesehene Rechtsfolge, dass der Anteil des ausscheidenden Gesellschafters den übrigen Gesellschaftern entsprechend ihrer Beteiligung zuwächst, kann nicht, wie durch das Berufungsgericht, isoliert betrachtet werden, sondern setzt eine Fortsetzung der Gesellschaft nach den Sätzen 1 oder 2 der Vereinbarung voraus, mithin eine Fortsetzung durch mehrere. Dies wird wiederum durch den Wortlaut des § 18 Abs. 1 Satz 3 GV bekräftigt, der mit Blick auf die verbleibenden Gesellschafter ebenfalls die Mehrzahl verwendet ("den übrigen Gesellschaftern") und damit im Einklang mit den Regelungen in § 18 Abs. 1 Satz 1 und 2 GV den Verbleib von mindestens zwei Gesellschaftern voraussetzt.

22cc) Es entspricht indes ständiger Rechtsprechung, dass selbst ein vermeintlich klarer und eindeutiger Wortlaut der Erklärung keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände bildet (vgl. , NZM 2018, 601 Rn. 36 mwN; Urteil vom - XII ZR 111/12, GmbHR 2015, 200 Rn. 50 mwN; Beschluss vom - I ZR 237/19, K&R 2021, 61 Rn. 13; Urteil vom - XII ZR 92/19, WM 2022, 1662 Rn. 10). Zu den auslegungsrelevanten Gesamtumständen, die einen Rückschluss auf den Inhalt einer Erklärung ermöglichen, gehören insbesondere die Absprachen der Vertragsparteien im Rahmen der vertragsanbahnenden Verhandlungen (vgl. , NJW 2002, 1260, 1261 mwN; Urteil vom - II ZR 183/86, ZIP 1987, 709 mwN; Urteil vom - XII ZR 92/19, WM 2022, 1662 Rn. 10). Ob Umstände vorliegen, die eine vom klaren und eindeutigen Wortlaut des § 18 Abs. 1 GV abweichende Auslegung dahin rechtfertigen, dass das Vermögen der Gesellschaft auf den Kläger übergegangen ist, ist bisher nicht festgestellt.

232. Die Revision des Klägers hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils auch insoweit, als das Berufungsgericht zum Nachteil des Klägers entschieden hat.

24Mit der Aufhebung der Feststellung, dass die Beklagte zur Umschreibung der bei ihr geführten Konten auf den Kläger als Gesamtrechtsnachfolger verpflichtet ist, verliert auch die Abweisung eines Anspruchs auf Feststellung, dass sich die Beklagte seit dem mit der Erfüllung ihrer Verpflichtung in Verzug befindet, ihre Grundlage. Ob sich die Beklagte in Verzug befindet kann nur dann beurteilt werden, wenn das Ob und der Inhalt des Anspruchs des Klägers gegen die Beklagte festgestellt sind, so dass die Klage auch nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung bereits jetzt abgewiesen werden kann, mithin kein Fall des § 561 ZPO vorliegt.

25III. Das Berufungsurteil ist danach insgesamt aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der erkennende Senat kann die Auslegung der in § 18 Abs. 1 GV enthaltenen Fortführungsklausel nicht selbst vornehmen, weil die für die Auslegung maßgeblichen Gesamtumstände nicht hinreichend aufgeklärt sind. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine allgemeine Auslegungsregel dergestalt entnehmen lässt, wenn allgemein von "Gesellschaftern" die Rede sei, dies im Zweifel auch nur "einen Gesellschafter" meinen könne. Ob dies angenommen werden kann, ist eine Frage des Einzelfalls. Das Berufungsgericht wird bei seiner neuen Entscheidung das jeweilige Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen haben, insbesondere den vom Kläger vorgelegten Schiedsspruch, der im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden kann (§ 559 Abs. 1 ZPO).

Born                              Wöstmann                              Bernau

                Sander                                      Adams

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:291024UIIZR222.21.0

Fundstelle(n):
WAAAJ-82274