BGH Urteil v. - VIa ZR 257/21

Instanzenzug: Az: 21 U 1297/21vorgehend LG Ingolstadt Az: 52 O 711/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Dezember 2013 - kreditfinanziert - von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten (Erstzulassung: 11/2012) Audi A6 Avant 3.0 TDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA896 Gen2 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

2Der Kläger verlangt im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er Kauf- und Darlehensvertrag nicht abgeschlossen, und die Freistellung von Rechtsverfolgungskosten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung, mit welcher der Kläger neben der Zahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Rückgabe des Fahrzeugs, der Erstattung der Kreditkosten und der Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zusätzlich die Feststellung des Annahmeverzugs und im Hinblick auf die weiter gezogenen Nutzungen die Feststellung der Erledigung der Hauptsache begehrt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Gründe

3Die Revision hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

5Die Beklagte hafte nicht aus § 826 BGB wegen der Implementierung des "Thermofensters". Es könne zugunsten des Klägers in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt werden, dass es sich bei dem hier verbauten "Thermofenster" um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Allein mit der unterstellt europarechtlichen Unzulässigkeit des "Thermofensters" lasse sich eine Haftung nach § 826 BGB nicht begründen. Auch die implementierte Getriebeschaltpunktsteuerung mit zwei Betriebsmodi (Warmlaufprogramm auf dem Prüfstand; Dynamisches Schaltprogramm auf der Straße) begründe keine Haftung aus § 826 BGB. Der bloße Umstand, dass das Fahrzeug aufgrund von bestimmten Parametern in der Lage sei, einen Prüfstandslauf zu erkennen, genüge allein nicht zur Annahme einer unzulässigen Abschalteinrichtung zur prüfstandsbezogenen Manipulation der NOx-Emissionen, weil es zwischen den beiden Schaltprogrammen zu keinen relevanten Unterschieden im Schadstoffausstoß komme. Weitere Abschalteinrichtungen habe der Kläger nicht prozessual beachtlich vorgetragen.

6Durch Verweis auf das , NJW 2020, 2798) hat das Berufungsgericht auch einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verneint. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich dieser Regelungen.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. In Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung hat das Berufungsgericht hinsichtlich des "Thermofensters" einen Anspruch des Klägers mangels Prüfstandsbezogenheit der als unzulässig unterstellten Abschalteinrichtung ausgeschlossen (vgl. , NJW 2021, 921 Rn. 16 ff.; Urteil vom - VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 12 ff.; Urteil vom - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 48; Urteil vom - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 12). Hinsichtlich der zwei unterschiedlichen Programme der Getriebesteuerung hat das Berufungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB an der fehlenden Grenzwertkausalität scheitern lassen (vgl.  VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11). Soweit die Revision gegen die entsprechenden Feststellungen des Berufungsgerichts und gegen seine Annahme, der Kläger habe zu weiteren Abschalteinrichtungen nur prozessual unbeachtlich vorgetragen (vgl. dazu VIa ZR 347/22, juris Rn. 11 f.), Verfahrensrügen erhebt, hat der Senat diese geprüft und erachtet sie nicht für durchgreifend. Von einer Begründung wird insoweit nach § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angegriffenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11angefochtene

12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - hinsichtlich des "Thermofensters" bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer                         Möhring                          Götz

                    Wille                           Vogt-Beheim

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:181224UVIAZR257.21.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-82271