Instanzenzug: LG Itzehoe Az: 15 KLs 304 Js 31077/21 (2)
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen nicht ausschließbar aufgehobener Schuldfähigkeit von den Anklagevorwürfen der Bedrohung und des Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in neun Fällen freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
21. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3a) Bei dem unter Betreuung stehenden Angeklagten liegt eine geringgradige Intelligenzminderung mit Verhaltensauffälligkeiten in Form einer deutlich gestörten Impulskontrolle sowie eine auf der Intelligenzminderung beruhende Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ vor. Nach Tötung seiner Exfreundin war er über 25 Jahre in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht und wurde im Jahr 2020 wegen nicht mehr gegebener Verhältnismäßigkeit entlassen. Im Rahmen der sich anschließenden Führungsaufsicht erhielt er unter anderem die Weisung, sich einmal pro Monat bei der forensischen Ambulanz vorzustellen und Kontakt zu seiner Bewährungshelferin zu halten. In der Folgezeit konnte für den Angeklagten keine geeignete Wohn- und Betreuungseinrichtung gefunden werden. Mit seiner Wohnsituation ab Sommer 2021 war der Angeklagte unzufrieden und aufgrund der ihm begegnenden Ablehnung zunehmend überfordert und frustriert.
4In einem Telefonat mit seinem Betreuer am äußerte der Angeklagte diesem gegenüber, dass er ihn umbringen werde, wenn er ihn das nächste Mal sehe (Fall 1). Dabei war seine Steuerungsfähigkeit krankheitsbedingt aufgehoben. Weiter verweigerte der Angeklagte von Dezember 2021 bis April 2022 monatliche Treffen mit der forensischen Ambulanz und von Juli bis Oktober 2022 Treffen mit seiner Bewährungshelferin im Rahmen der Führungsaufsicht (Fälle 2 bis 10). Insoweit war die Einsichtsfähigkeit krankheitsbedingt nicht ausschließbar aufgehoben.
5b) Das Landgericht hat die Taten als Bedrohung sowie als Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in neun Fällen gewürdigt und ihn wegen (nicht ausschließbarer) Schuldunfähigkeit freigesprochen. Wegen der Bedrohung hat es angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit sicher aufgehoben gewesen sei und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 Satz 2 StGB angeordnet. Hinsichtlich der Weisungsverstöße ist das Landgericht – auch insoweit dem Sachverständigen folgend – von nicht ausschließbar fehlender Einsichtsfähigkeit ausgegangen und hat diese nicht als Anlasstaten berücksichtigt, weil schon eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit nicht sicher festgestellt werden konnte.
62. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil das Vorliegen der Eingangsmerkmale des § 20 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt ist.
7a) Der Generalbundesanwalt hat hierzu zutreffend ausgeführt, dass insoweit eine umfassende Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten vorzunehmen ist, die aufzeigt, dass die Intelligenzminderung und die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten bei wertender Betrachtung einen Ausprägungsgrad erreicht haben, der die Annahme zumindest eines der Eingangsmerkmale rechtfertigt (vgl. zur Intelligenzminderung Rn. 6 mwN; zur Persönlichkeitsstörung Rn. 9).
8b) Diesen Anforderungen wird das Landgericht nicht gerecht.
9Es hat sich bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit lediglich dem Sachverständigen angeschlossen. Danach stellten die Intelligenzminderung mit erheblichen Verhaltensauffälligkeiten sowie die Persönlichkeitsstörung in ihrer Ausprägung jeweils Eingangsmerkmale nach § 20 Var. 3 und 4 StGB dar. Die Verhaltensauffälligkeiten bestünden in Form einer deutlich gestörten Impulskontrolle. Der Angeklagte habe keine Frustrationstoleranz, weshalb es wiederholt zu Impulsdurchbrüchen käme. Aufgrund der Intelligenzminderung sowie der Persönlichkeitsstörung sei er bei dem Telefonat mit seinem Betreuer (Fall 1) nicht in der Lage gewesen, sein Verhalten nach der gegebenen Einsicht in das Unrecht der Tat zu steuern. Bei den Weisungsverstößen (Fälle 2 bis 10) könne er nicht ausschließen, dass insoweit krankheitsbedingt die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben gewesen sei.
10Angesichts der Besonderheiten der beim Angeklagten beschriebenen Krankheitsbilder ermöglichen diese Ausführungen dem Senat nicht, die rechtsfehlerfreie Anwendung des § 20 StGB zu prüfen. Bereits bei der insoweit gebotenen Gesamtwürdigung der Persönlichkeit – und nicht erst im Rahmen der Gefahrenprognose – wäre in den Blick zu nehmen gewesen, dass der Angeklagte trotz seiner Beeinträchtigungen mehrfach die Fähigkeit zeigte, drohende Impulsdurchbrüche zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. So hatte er der Bewährungshelferin sein von ihm angekündigtes Nichterscheinen zu einer gerichtlichen Anhörung damit erklärt, dass er befürchte, gegenüber dem dort erscheinenden Betreuer übergriffig zu werden. Ferner hatte der Angeklagte in der Hauptverhandlung bei der Vernehmung des Opfers der Bedrohung auf eigenen Wunsch seine Bedarfsmedikation eingenommen und sich nicht seine Handfesseln abnehmen lassen.
113. Die Sache bedarf insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben. Sowohl die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB als auch der auf § 20 StGB gestützte Freispruch hängen gleichermaßen von der Bewertung der Schuldfähigkeit ab. Deshalb besteht zwischen beiden Entscheidungen aus sachlich-rechtlichen Gründen ein untrennbarer Zusammenhang (vgl. Rn. 14). Die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ermöglicht es, in einer neuen Hauptverhandlung anstelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen. Daraus folgt, dass auf die Revision eines Angeklagten ein mit der Maßregelanordnung ergangenes freisprechendes Erkenntnis ebenfalls aufgehoben werden kann (vgl. Rn. 9 mwN).
12Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf, um dem Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).
134. Die zur neuen Verhandlung berufene Strafkammer wird zu bedenken haben, dass festgestellte rechtswidrige Taten auch dann in die Gefahrenprognose nach § 63 StGB einzustellen sind, wenn sie nicht als Anlasstaten herangezogen werden. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass das neue Tatgericht – unter Beachtung der vom Generalbundesanwalt zutreffend wiedergegebenen Darlegungsanforderungen – zur Tatbestandsverwirklichung des § 145a Satz 1 StGB kommen sollte.
Gericke Mosbacher Köhler
Resch von Häfen
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:191124B5STR581.24.0
Fundstelle(n):
DAAAJ-82263