Instanzenzug: LG Frankfurt Az: 5/30 KLs 12/22
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt:
2Den Angeklagten H. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und acht Monaten;
3den Angeklagten A. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten;
4den Angeklagten Y. wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und wegen Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und
5die Angeklagte Yu. wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten.
6Zudem hat das Landgericht Einziehungsentscheidungen getroffen.
7Hiergegen wenden sich die Angeklagten H. , A. und Yu. mit ihren auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen; der Angeklagte Y. rügt lediglich die Verletzung materiellen Rechts. Die Rechtsmittel erzielen die aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolge; im Übrigen sind sie unbegründet.
81. Ein Verfahrenshindernis besteht aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts nicht;auch den Verfahrensrügen bleibt der Erfolg aus den zutreffenden Erwägungen des Generalbundesanwalts versagt.
9Der Senat bemerkt ergänzend, dass die vom Angeklagten A. erhobenen Verfahrensrügen entgegen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht deshalb unzulässig sind, weil sich der angekündigte gesonderte Schriftsatz vom nicht bei den Akten befunden habe. Dieser Schriftsatz wurde zusammen mit der weiteren Revisionsbegründung vom am per beA erfolgreich innerhalb der Revisionsbegründungsfrist übermittelt. Auf den insoweit hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag kommt es daher nicht an.
10Die Rüge, das Landgericht habe § 250 Satz 2 StPO verletzt, weil es Übersetzungen von Gesprächsinhalten aus Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen im Selbstleseverfahren eingeführt habe, scheitert – wie auch die entsprechende Rüge der Angeklagten Yu. – gleichwohl an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen müssen so vollständig und genau dargelegt werden, dass das Revisionsgericht allein auf Grund dieser Darlegung das Vorhandensein eines Verfahrensmangels feststellen kann, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen sind oder bewiesen werden (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 38 mwN). Diesen Anforderungen genügt der Revisionsvortrag nicht. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls kam es zu der Vernehmung eines anwesenden Dolmetschers als Sachverständigen. Mangels Vortrags hierzu vermag der Senat anhand der Revisionsbegründung nicht nachzuvollziehen, ob diese Vernehmung im Zusammenhang mit der Rüge steht oder nicht. Dass es sich hierbei nicht um einen Dolmetscher aus dem Ermittlungsverfahren gehandelt hat, ist dabei unbeachtlich. Denn der Senat kann nicht ausschließen, dass der anwesende Dolmetscher zu den eingeführten Gesprächsprotokollen vernommen wurde. Ungeachtet dessen wäre die Rüge aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts jedenfalls unbegründet.
112. Die auf die Sachrügen veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils führt zur Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich des Angeklagten Y. im Fall II. 8. der Urteilsgründe (unter a)), zur Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II. 3. und II. 4. der Urteilsgründe und der Gesamtstrafen hinsichtlich aller Angeklagten sowie zur Aufhebung aller weiteren gegen den Angeklagten Y. festgesetzten Einzelstrafen (unter b)) und zur weitgehenden Aufhebung der Einziehungsentscheidungen (hierzu c)).
12a) Die Schuldsprüche halten ganz überwiegend revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Lediglich im Fall II. 8. der Urteilsgründe ist der Schuldspruch hinsichtlich des Angeklagten Y. zu ändern.
13Nach den insoweit getroffenen Feststellungen des Landgerichts vereinbarte der nicht offen ermittelnde Polizeibeamte „ “ mit dem Angeklagten Y. am die „Erstellung eines gefälschten Führerscheins“ zu einem Preis von 1.500 Euro, den Y. ihm sodann am übergab. Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Urkundenfälschung nicht. Eine Täterschaft des Angeklagten, auch in der Form der mittelbaren Täterschaft, ist nicht dargetan. Er hat den falschen Führerschein selbst weder hergestellt noch zur Täuschung im Rechtsverkehr benutzt. Die bloße Übergabe einer gefälschten Urkunde an eine Person, die die Urkunde – was dem Angeklagten nach den weiteren Urteilsgründen bekannt war – sodann im Rechtsverkehr zu verwenden beabsichtigte, stellt kein Gebrauchmachen im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB dar (vgl. , BGHR StGB § 267 Abs. 1 Gebrauchmachen 1). Auch die Verwirklichung anderer Tatbestandsvarianten des § 267 Abs. 1 StGB als Teilnehmer lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.
14Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO auf Verschaffen von falschen amtlichen Ausweisen gemäß § 276 Abs. 1 Nr. 2 StGB ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da der insoweit geständige Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätten verteidigen können.
15b) Die Strafaussprüche halten revisionsgerichtlicher Überprüfung nur teilweise stand.
16aa) Gegenüber allen Angeklagten erweist sich die Strafzumessung in den Fällen II. 3. und 4. der Urteilsgründe als rechtsfehlerhaft.
17Das Landgericht hat hinsichtlich aller Angeklagten in den Fällen II. 3. und II. 4. der Urteilsgründe minder schwere Fälle im Sinne des § 30a Abs. 3 BtMG verneint. Sowohl bei der Ablehnung eines minder schweren Falls als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne hat es bei allen Angeklagten ohne weitere Erörterungen strafschärfend berücksichtigt, dass die jeweiligen Grenzwerte der nicht geringen Menge um den Faktor 2,9 (Fall II. 3. der Urteilsgründe) bzw. 4,7 (Fall II. 4. der Urteilsgründe) und damit „sehr weit“ bzw. „erheblich“ überschritten seien. Das erweist sich als nicht rechtsfehlerfrei.
18Das Maß der Überschreitung des Grenzwerts der nicht geringen Menge kann in die Strafzumessung einfließen, soweit es sich nicht lediglich um eine Überschreitung in einem Bagatellbereich handelt, wodurch praktisch allein die Erfüllung des Qualifikationstatbestands festgestellt ist. Nur geringfügige Überschreitungen stellen keinen zulässigen Strafschärfungsgrund dar (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 39/16, NStZ-RR 2016, 141; vom – 2 StR 36/16, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 44; vom – 4 StR 533/16, Rn. 6, und vom – 1 StR 413/19, Rn. 10). Wo diese Bagatellgrenze verläuft, hat in erster Linie der Tatrichter unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzulegen; daran fehlt es hier.
19bb) Hinsichtlich des Angeklagten Y. führt überdies die Schuldspruchänderung in Fall II. 8. der Urteilsgründe (vgl. hierzu 2. a)) zur Aufhebung der hierfür festgesetzten Einzelfreiheitsstrafe. Der Senat kann angesichts des gegenüber § 267 Abs. 1 StGB milderen Strafrahmens des § 276 Abs. 1 StGB nicht ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte.
20Daneben halten die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts in allen weiteren ihn betreffenden Fällen revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand. Die Strafkammer hat zulasten des Angeklagten sowohl im Rahmen der Ablehnung minder schwerer Fälle (Fälle II. 1. bis II. 7. und Fall II. 9. der Urteilsgründe) als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne gewürdigt, dieser sei „mehrfach rechtskräftig vorbestraft“. Dabei ist dem Landgericht aus dem Blick geraten, dass der Angeklagte bislang lediglich einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten und die Verurteilung durch das Amtsgericht Frankfurt am Main – Außenstelle Höchst – vom erst seit dem rechtskräftig geworden ist, die festgestellten Taten in den Fällen II. 1. bis II. 5. der Urteilsgründe hingegen bereits zum beendet waren. Angesichts der vom Landgericht mehrfach verwendeten Formulierung schließt der Senat aus, dass es sich um ein bloßes Redaktionsversehen gehandelt hat.
21cc) Die aufgezeigten Rechtsfehler nötigen zur Aufhebung der betroffenen Einzelstrafaussprüche und der Gesamtstrafenaussprüche. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht ohne die fehlerhaften Strafzumessungserwägungen in den betroffenen Fällen jeweils minder schwere Fälle angenommen bzw. auf niedrigere Strafen erkannt hätte.
22c) Die Einziehungsentscheidungen halten rechtlicher Nachprüfung überwiegend nicht stand.
23aa) Soweit gegen die Angeklagten die „gesamtschuldnerische Einziehung“ des sichergestellten Bargeldes in Höhe von 27.500 Euro gemäß „§§ 73, 73c StGB“ angeordnet wurde, unterliegt sie der Aufhebung. Es ist bereits unklar, auf welche Rechtsgrundlage das Landgericht die Einziehung gestützt hat. Sie lässt sich den Urteilsgründen auch nicht ohne weiteres entnehmen. So bleibt offen, ob das sichergestellte Bargeld in der Folge auf ein Justizkonto eingezahlt wurde oder weiterhin körperlich vorhanden ist (vgl. , Rn. 7 f.). Daneben bleibt unklar, wer die tatsächliche Verfügungsgewalt über die in einem Tresor aufbewahrten Gelder ausgeübt hat, der sich in der Wohnung der Angeklagten Yu. befand, in der auch der Angeklagte H. gelegentlich lebte.
24bb) Soweit allein der Angeklagte H. betroffen ist, hält die Anordnung der erweiterten Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) in Höhe von 50.000 Euro rechtlicher Nachprüfung nicht stand und unterliegt insoweit der Aufhebung.
25Zwar ist das Landgericht – revisionsrechtlich nicht zu beanstanden – zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte Geldmittel, die aus nicht konkret feststellbaren rechtswidrigen Taten stammen, zur Anschaffung seines Fahrzeugs der Marke Mercedes Benz S 350d aufgewandt hat. Anders als der Mitangeklagte A. , der auf die Rückgabe seines Fahrzeugs der Marke BMW verzichtet hat, hat der Angeklagte auf eine Rückgabe des sichergestellten Fahrzeugs nicht verzichtet. Den Urteilsgründen ist aber keine sichere Schätzgrundlage darüber zu entnehmen, welchen Betrag der Angeklagte aus nicht konkret feststellbaren rechtswidrigen Taten erlangt hat (vgl. , Rn. 6). Soweit das Landgericht auf den aktuellen Mindestwert des mit diesen Geldmitteln angeschafften Fahrzeugs abstellt, fehlt es überdies an nachvollziehbaren Angaben, wie es zu der Annahme gelangt ist, dieses sei aktuell 50.000 Euro wert.
26cc) Soweit allein der Angeklagte Y. betroffen ist, unterliegt die Einziehungsentscheidung der Aufhebung, soweit gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen über einen Betrag von 2.980 Euro hinaus und diejenige des sichergestellten bulgarischen Personalausweises, ausgestellt auf die Person V. , angeordnet worden ist.
27(1) Das Landgericht hat gegen den Angeklagten Y. unter anderem die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.480 Euro angeordnet. In Höhe von 2.980 Euro, die er aus den den Fällen II. 5., II. 7. und II. 8. der Urteilsgründe zugrundeliegenden Taten erlangt hat, ist hiergegen rechtlich nichts zu erinnern. Demgegenüber hat es rechtsfehlerhaft die Wertersatzeinziehung in Höhe weiterer 500 Euro angeordnet, die der Angeklagte bei Gelegenheit des Falles II. 8. der Urteilsgründe als Anzahlung für die Beschaffung eines gefälschten Personalausweises erhalten hat. Diese Vereinbarung war nicht Gegenstand des Strafverfahrens. Den Urteilsgründen lassen sich auch keine Feststellungen dazu entnehmen, dass der Angeklagte diesen Betrag durch oder für eine nicht näher konkretisierbare vollendete oder versuchte rechtswidrige Tat erlangt hätte. Die Voraussetzungen der erweiterten Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73a Abs. 1, § 73c StGB) liegen nicht vor. Der Senat schließt aus, dass weitere Feststellungen getroffen werden können, die eine Wertersatzeinziehung in Höhe von 500 Euro in diesem Verfahren begründen könnten. Die Einziehung in Höhe von 500 Euro hat demnach zu entfallen (§ 354 Abs. 1 StPO entsprechend).
28(2) Die auf § 74 StGB gestützte Einziehung des gefälschten Personalausweises als Tatmittel begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Es fehlt bereits an der Anknüpfung als Tatprodukt, Tatmittel oder Tatobjekt an eine der verfahrensgegenständlichen Taten des Angeklagten. Auch § 74b StGB kommt als Einziehungsgrundlage nicht in Betracht, denn eine hierauf gestützte Sicherungseinziehung setzte voraus, dass der betreffende Gegenstand bei einer der abgeurteilten Taten als Tatmittel (§ 74 Abs. 1 StGB) Verwendung fand oder Tatobjekt einer solchen (§ 74 Abs. 2 StGB) war. Gegenstände (Dritter), die im Zuge der Ermittlungen entdeckt werden, aber keinen Bezug zur Anlasstat haben, unterliegen nicht der Sicherungseinziehung nach § 74b StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 366/20, BGHR StGB § 74b Abs. 1 Gegenstände 1, und vom – 3 StR 122/22, Rn. 28).
293. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Die zugehörigen Feststellungen sind von den zur Aufhebung führenden Rechtsfehlern nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können durch solche ergänzt werden, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:101024B2STR448.23.0
Fundstelle(n):
JAAAJ-82261