BGH Urteil v. - 2 StR 176/24

Instanzenzug: LG Fulda Az: 1 Ks - 112 Js 5725/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision beanstandet der Nebenkläger, dass das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz verneint und den Angeklagten nicht wegen Totschlags verurteilt hat. Das zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.

2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Der Angeklagte, bei dem eine angeborene Intelligenzminderung (ICD-10: F70.0) mit schweren Folgen hinsichtlich seiner geistigen Fähigkeiten besteht, war seit 2019 mit der Geschädigten liiert und zog in der Folge mit ihr zusammen. Am Abend des fand in der gemeinsamen Wohnung in N.      eine Party mit vier Freunden statt. Man unterhielt sich, trank Alkohol, hörte Musik und spielte Darts. Die Geschädigte fühlte sich im Verlauf des späteren Abends unwohl und zog sich ab etwa 1.00 Uhr in das Schlafzimmer zurück. Da sie die im Wohnzimmer abgespielte Musik als zu laut empfand, versuchte sie mehrfach, den Angeklagten durch Kurznachrichten und Anrufe dazu zu bewegen, die Musik leiser zu stellen. Nachdem der Angeklagte darauf nicht reagiert hatte, ging die Geschädigte zurück ins Wohnzimmer, wo der Angeklagte nach wie vor mit den Gästen trank und Musik hörte. Weil sie die Musik weiterhin als zu laut empfand und sich über Reste von Snacks und Getränken auf dem Fußboden ärgerte, machte sie dem Angeklagten Vorhaltungen und erklärte den Anwesenden, die Party sei nun zu Ende und die Gäste sollten gehen.

4Aus Wut und Verärgerung darüber zertrümmerte der Angeklagte den Stiel eines Putzgeräts an einem Hundeschutzgitter und steigerte sich in ein Streitgespräch mit der Geschädigten hinein, das mit Beleidigungen endete. Daraufhin verließen die Gäste die Wohnung. Ein Partygast kehrte kurz darauf nochmals zur Wohnung zurück, um seine dort liegen gelassene Jacke zu holen. Während des Abholens der Jacke fand kein Wortwechsel zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten statt.

5Nur wenige Sekunden später griff der Angeklagte die Geschädigte brutal an. Dabei schlug er sie entweder mit der Faust gegen den Kopf oder sie fiel mit dem Kopf gegen ein Möbelstück oder einen Wäschekorb. Anschließend stach er mehrfach mit großer Wucht mit einem Schlitzschraubendreher auf die in Todesangst um ihr Leben schreiende Geschädigte ein und fügte ihr 14 Stichverletzungen im Kopf-, Hals- und Nackenbereich mit einer Tiefe von bis zu 8 cm zu, die infolge der Durchtrennung lebenswichtiger Blutgefäße binnen weniger Minuten zum Tod führten.

6Ob dem Angeklagten bewusst war bzw. er mit der Möglichkeit rechnete, dass seine Handlungen zum Tod der Geschädigten führen könnten, konnte aufgrund seiner Intelligenzminderung nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Zumindest erkannte er aber und nahm billigend in Kauf, dass er mit dem Tatwerkzeug der Geschädigten erhebliche Verletzungen zufügen konnte und sie auch tatsächlich erheblich verletzt hatte. Aufgrund der Intelligenzminderung in Verbindung mit seiner Alkoholisierung (BAK zwischen 1,83 und 2,55 Promille) war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert.

72. Das Landgericht hat die Tathandlungen des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gewürdigt. Eine Strafbarkeit wegen Totschlags hat es verneint, weil es bedingten Tötungsvorsatz nicht festzustellen vermochte. Für einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz sprächen zwar das äußere Tatbild, insbesondere die Dauer der Tatausführung von mindestens 37 Sekunden, die Gefährlichkeit des Tatwerkzeugs, die Anzahl, Zielrichtung und Wucht der ausgeführten Stiche sowie die Schmerzens- bzw. Todesschreie des Opfers. Gleichwohl bestünden erhebliche Zweifel daran, dass der Angeklagte in der Lage gewesen sei, die Möglichkeit des Todes der Geschädigten zu erkennen. Infolge der Intelligenzminderung lägen beim Angeklagten erhebliche geistige Einschränkungen vor, die sich auf die gesamte Lebensgestaltung auswirkten. Der Angeklagte habe Schwierigkeiten, aus Erfahrungen zu lernen, sei leicht kränkbar und eingeschränkt kritikfähig und könne Konflikte nicht verbal lösen. Bei erheblich eingeschränktem logischen Denken sei es ihm nicht möglich, eine Situation schnell zu erfassen, die sich daraus ergebenden Konsequenzen und Folgen zu erkennen und angemessen zu reagieren. In der konkreten Tatsituation seien seine geistigen Fähigkeiten aufgrund der erheblichen Alkoholisierung noch weiter reduziert gewesen und er habe sich in einer Belastungssituation befunden. Er sei nicht in der Lage gewesen, zwischen den der Geschädigten zugefügten Verletzungen, ihren Schreien und der möglichen Todesfolge eine gedankliche Verknüpfung herzustellen.

II.

8Die Revision des Nebenklägers ist unbegründet.

91. Die Würdigung der Strafkammer, der Angeklagte habe gegenüber der Geschädigten mit Körperverletzungsvorsatz, nicht hingegen mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, hält rechtlicher Nachprüfung stand.

10a) Bedingt vorsätzlich handelt, wer den Eintritt des Todes als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Ziels Willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet (Willenselement), mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (st. Rspr.; vgl. nur , Rn. 14 mwN). Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich handelt, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls erfolgen (vgl. , aaO), in welche insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind (vgl. , Rn. 7 mwN). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement dar (vgl. etwa , BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 67). Hat der Täter eine offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es – vorbehaltlich der in die Gesamtbetrachtung einzustellenden gegenläufigen Umstände des Einzelfalls – nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen und fortgesetzt hat, den Todeserfolg auch billigend in Kauf genommen hat (st. Rspr.; vgl. nur , Rn. 10 mwN, und vom – 4 StR 558/15, aaO). Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts sind jedoch keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Angeklagter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat; vielmehr kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalls an (vgl. BGH, Beschlüsse vom − 2 StR 484/14, Rn. 13, und vom – 2 StR 122/19, Rn. 16, jeweils mwN).

11b) Diesen Anforderungen an eine sorgfältige Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes werden die Ausführungen des Landgerichts gerecht. Es hat – ausgehend von einem zutreffenden Maßstab, der die Gefährlichkeit der Stiche mit dem Schraubendreher als einen wesentlichen, für die Annahme von bedingtem Tötungsvorsatz sprechenden Umstand ansieht – eine umfassende Gesamtabwägung vorgenommen, in der es alle für die konkrete Tat maßgeblichen objektiven und subjektiven Umstände aufgegriffen hat. Insbesondere hat es – entgegen dem Vorbringen der Revision – die beschränkte Alltagskompetenz des Angeklagten, die Schreie des Opfers und das Nachtatverhalten berücksichtigt. Die Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes steht auch nicht in Widerspruch zur Annahme der Strafkammer, der Angeklagte sei bei Tatbegehung in der Lage gewesen, das Unrecht der Tat einzusehen (vgl. , BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 7).

122. Soweit das Landgericht es unterlassen hat, eine mögliche Strafbarkeit des Angeklagten gemäß § 227 Abs. 1 StGB zu erörtern, stellt dies zwar einen Verstoß gegen die Kognitionspflicht (§ 264 StPO) dar; der Senat kann jedoch ausschließen, dass das Urteil darauf beruht.

13a) Wenngleich der Nebenkläger nicht erklärt hat, die Anwendung der Vorschrift des § 227 Abs. 1 StGB zu begehren, unterliegt es der revisionsrechtlichen Prüfung, ob das Tatgericht die genannte Norm zu Unrecht nicht angewendet hat. Der Nebenkläger ist als Vater der Getöteten in Bezug auf die Körperverletzung mit Todesfolge zu deren Nachteil gemäß § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO nebenklageberechtigt. Aufgrund des zulässigen Rechtsmittels des Beschwerdeführers hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob das Tatgericht Strafvorschriften unangewendet gelassen hat, die zum Anschluss des Nebenklägers berechtigen und – wie hier – dieselbe Zielrichtung haben wie das Delikt, dessen Nichtanwendung der Nebenkläger in zulässiger Weise beanstandet (vgl. , Rn. 15).

14b) Der Straftatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass sich in der besonderen Folge des Todes gerade die in der Begehung der Körperverletzung liegende eigentümliche tatbestandsspezifische Gefahr verwirklicht hat und dem Täter hinsichtlich der Verursachung des Todes wenigstens Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist (§ 18 StGB). Alleiniges Merkmal der Fahrlässigkeit ist hinsichtlich der qualifizierenden Tatfolge die Voraussehbarkeit des Todes des Opfers (vgl. , Rn. 8). Hierfür reicht es aus, dass der Erfolg nicht außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit liegt und der Täter den Eintritt des Todes des Opfers in seiner konkreten Lage nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten im Ergebnis und nicht in den Einzelheiten des dahin führenden Kausalverlaufs hätte voraussehen können (vgl. , Rn. 12).

15c) Auch wenn das Landgericht diese Prüfung nicht vorgenommen hat, kann der Senat ausschließen, dass das Urteil darauf beruht. Denn eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge scheidet aus. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen konnte der Angeklagte aufgrund seiner kognitiven Defizite in der Tatsituation den Eintritt des Todes des Opfers nicht voraussehen. Dies hindert die Annahme bewusster Fahrlässigkeit, die – wie der Eventualvorsatz – das Für-Möglich-Halten der Tatbestandsverwirklichung voraussetzt (vgl. , Rn. 9). Eine Strafbarkeit wegen unbewusst fahrlässiger Begehung scheidet jedenfalls mangels subjektiver Vorhersehbarkeit der schweren Folge aus (vgl. etwa , Rn. 51 ff. mwN; Momsen in SSW-StGB, 6. Aufl., § 15 Rn. 93).

163. Die Überprüfung des Urteils hat auch keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 301 StPO analog). Insbesondere hat das Landgericht zwischen der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit differenziert und eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit tragfähig ausgeschlossen.

Menges                    Zeng                    Grube

               Schmidt                  Lutz

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:061124U2STR176.24.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-82252