BGH Urteil v. - VIa ZR 560/21

Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 6 U 147/21vorgehend LG Aurich Az: 5 O 1245/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im Jahr 2017 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten VW Golf, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) betroffen.

3Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs sowie die Erstattung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Dem Kläger stehe kein Anspruch aus §§ 82631 BGB zu. Es könne wegen der Tatbestandswirkung der gültigen EG-Typgenehmigung bereits nicht festgestellt werden, dass das Fahrzeug des Klägers von der Beklagten mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet worden sei. Die Beklagte könnte sich zwar auf die Tatbestandswirkung nicht berufen, wenn sie sich die EG-Typgenehmigung erschlichen und das KBA getäuscht hätte. Eine solche Ausnahmesituation liege hier aber nicht vor. Weder stehe auf Grund einer bestandskräftigen Entscheidung des KBA fest, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem konkret erworbenen Fahrzeug installiert sei, noch bestehe auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers die Möglichkeit, dass das KBA künftig eine solche Entscheidung treffen werde. Vielmehr halte das KBA die vom Kläger kritisierten Funktionen des Motors nach umfassenden Untersuchungen ausdrücklich nicht für unzulässige Abschalteinrichtungen.

7Ein Schadensersatzanspruch des Klägers ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Denn das mit der Klage geltend gemachte Interesse des Klägers, nicht zu einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgaben- und Schutzbereich der genannten Bestimmungen.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings einen Anspruch des Klägers auf Schadensersatz aus §§ 82631 BGB abgelehnt.

10a) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, kann zwar die Tatbestandswirkung einer EG-Typgenehmigung einem solchen Anspruch eines Fahrzeugerwerbers nicht entgegengehalten werden ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 10 bis 17; Urteil vom - VIa ZR 387/22, juris Rn. 8). Mit dieser Begründung hätte das Berufungsgericht daher nicht von der Berücksichtigung des entsprechenden Vortrags des Klägers absehen dürfen.

11b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat das KBA allerdings die von dem Kläger gerügten Funktionen im Rahmen seiner Untersuchungen überprüft und nicht als unzulässige Abschalteinrichtungen eingestuft. Damit bleibt kein Raum für die Annahme, die Beklagte habe eine dieser Funktionen im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und unter billigender Inkaufnahme des Gesetzesverstoßes implementiert; ebenso scheidet ein Schädigungsvorsatz aus (vgl. , juris Rn. 15).

122. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat ebenfalls nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

13Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

14Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

15Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

                                                   

                                                   

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:111224UVIAZR560.21.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-82242