BGH Beschluss v. - 3 StR 97/24

Instanzenzug: LG Siegen Az: 21 KLs 7/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „vorsätzlicher“ Körperverletzung in zwei Fällen, Hausfriedensbruchs in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, Sachbeschädigung, gemeinschädlicher Sachbeschädigung in zwei Fällen, Bedrohung in zwei Fällen, Missbrauchs von Notrufen und Beleidigung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt und bestimmt, dass hiervon drei Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Darüber hinaus hat es den Angeklagten freigesprochen. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Auf Antrag des Generalbundesanwalts hat der Senat das Verfahren in den Fällen II. 7 und II. 21c der Urteilsgründe, in denen der Angeklagte jeweils wegen Bedrohung verurteilt worden ist, nach § 154 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO - insoweit mit der Kostenfolge des § 467 Abs. 1 StPO - eingestellt.

32. Im Fall II. 22 der Urteilsgründe ist das Verfahren nach § 206a Abs. 1 StPO einzustellen gewesen, weil es insoweit an dem gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen wirksamen Strafantrag des vom Angeklagten Beleidigten fehlt.

4a) Nach § 158 Abs. 2 StPO in der Fassung vom wäre ein solches Ersuchen um Strafverfolgung binnen der Frist des § 77b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StGB schriftlich (oder zu Protokoll eines Gerichts oder der Staatsanwaltschaft) anzubringen gewesen. Im vorliegenden Fall übersandte der Antragsteller seinen Strafantrag hingegen an die Kriminalpolizei in O.     mittels einer Textdatei, die einer „einfachen“ E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur beigefügt war. Beide Dokumente gelangten ausgedruckt zur Verfahrensakte, ohne dass sie zur Wahrung der Schriftform mit einer Unterschrift des Antragstellers versehen waren. Ein Strafantrag mittels einfacher E-Mail genügt den Anforderungen von § 158 Abs. 2 StPO aF nicht (s. , BGHSt 67, 69). Im Übrigen sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Einreichung elektronischer Dokumente gemäß § 32a StPO gewahrt wurden.

5b) Für die Nachprüfung war das zum Zeitpunkt des Verfahrensgeschehens geltende Recht zugrunde zu legen. Es ist rechtlich daher ohne Belang, dass mit dem Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz vom , in Kraft getreten am (BGBl. I Nr. 234), das in § 158 Abs. 2 StPO aF geregelte Schriftformerfordernis ersetzt wurde und der Antragsteller nunmehr zur Wahrung der Form nur noch die Identität und seinen Verfolgungswillen sicherstellen muss.

6aa) Nach der Neufassung soll die Möglichkeit der elektronischen Antragstellung abseits der Schriftform und den strengen Voraussetzungen des § 32a StPO ausgeweitet werden, sofern sich aus der Antragstellung Identität und Verfolgungswille - gegebenenfalls im Wege der Auslegung - eindeutig entnehmen lassen. Für einen formgerechten Antrag ist deshalb nunmehr ausreichend, dass aus der Erklärung des Antragstellers und den Umständen ihrer Abgabe unzweifelhaft hervorgeht, von wem sie herrührt und dass sie mit Wissen und Wollen des Berechtigten der zuständigen Stelle zugeleitet worden ist. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich hierzu, dass die Ermittlungsbehörden die Identität und den Verfolgungswillen dabei auch auf andere Weise oder sogar erst im Nachgang zu einer Erklärung feststellen können. Dies soll insbesondere dann der Fall sein, wenn eine Antragstellung über eine bereits dienstlich bekanntgewordene E-Mail-Adresse oder im Rahmen eines bestehenden Austauschs zwischen der Polizei und dem Antragsteller eine Feststellung der Identität hinreichend ermöglicht. Ein Anbringen des Antrags per einfacher E-Mail soll deshalb nunmehr zur Wahrung des Formerfordernisses ebenfalls möglich sein (s. BT-Drucks. 20/10943 S. 49 f.).

7Die aufgrund der geänderten Gesetzeslage geringeren Voraussetzungen hätte der Geschädigte erfüllt. Denn er übersandte nach Aufforderung der Polizei infolge eines vorangegangenen Austauschs fristgerecht per einfacher E-Mail seinen Strafantrag, so dass seine Identität und sein Verfolgungswille eindeutig festzustellen waren.

8bb) Die Gesetzesänderung findet allerdings keine rückwirkende Anwendung. Eine entsprechende Regelung enthält das Gesetz nicht. Die Neufassung der Vorschrift führt nicht dazu, dass der ursprünglich formwidrige Strafantrag nunmehr als wirksam eingelegt gilt. Denn das Verfahrensgeschehen war zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der dreimonatigen Antragsfrist bereits abgeschlossen, weil ein den Voraussetzungen des § 158 Abs. 2 StPO aF entsprechender Strafantrag zuvor nicht gestellt worden war. Im Einzelnen:

9(1) Neues Verfahrensrecht gilt, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, auch für bereits anhängige Verfahren. Es erfasst sie in der Lage, in der sie sich beim Inkrafttreten der neuen Rechtsvorschriften befinden; laufende Verfahren sind nach diesen weiterzuführen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 61/51, BVerfGE 1, 4, 6; vom - 2 BvL 4/59, BVerfGE 11, 139, 146; vom - 2 BvR 1631/90 u.a., BVerfGE 87, 48, 64). Der Grundsatz findet Anwendung auf Vorschriften, die das Verfahren des Gerichts regeln, auf Bestimmungen, welche die Stellung von Verfahrensbeteiligten im Prozess, ihre Befugnisse und Pflichten betreffen, sowie auf Normen über die Vornahme und Wirkungen von Prozesshandlungen Beteiligter (vgl. , BGHSt 22, 321, 325; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 354a Rn. 4; ferner MüKoStPO/Kudlich, 2. Aufl., Einl. Rn. 608 f.). Er erfasst Fälle, in denen die Strafverfolgung von einem wirksamen Strafantrag abhängig ist (s. LR/Kühne, StPO, 27. Aufl., Einl. Abschn. E Rn. 20; LR/Stuckenberg aaO, § 206a Rn. 36, 60 mwN). Hieraus folgt zudem, dass eine fehlende Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Prozesshandlung grundsätzlich noch in jeder Lage des Verfahrens nachgeholt werden kann. Darunter fällt auch das Revisionsverfahren (vgl. etwa für den - noch fristgerechten - Strafantrag oder die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung BGH, Urteile vom 26. Ju­ni 1952 - 5 StR 382/52, BGHSt 3, 73; vom - 3 StR 869/53, BGHSt 6, 282, 285).

10(2) Der allgemeine Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts findet jedoch dort seine Grenze, wo es sich - wie hier - um ein bereits beendetes prozessuales Geschehen handelt. Denn neu geschaffenes formelles Recht kann ohne ausdrückliche anderweitige Regelung keine rückwirkende Kraft entfalten (vgl. LR/Kühne, StPO, 27. Aufl., Einl. Abschn. E Rn. 16 f. mwN). Der Geschädigte hatte nach Kenntniserlangung von der Tat und der Person des Täters keinen formgerechten Strafantrag binnen der dreimonatigen Ausschlussfrist gestellt, so dass das Beleidigungsdelikt zu seinem Nachteil mit deren Ablauf vor der Gesetzesänderung nicht mehr verfolgt werden konnte. Das Fristversäumnis begründet mithin eine insoweit abgeschlossene Prozesslage. Das Verfahren wegen der in Rede stehenden Beleidigung wäre schon damals einzustellen gewesen.

11(3) Daraus, dass eine Strafverfolgung wieder zulässig wird, wenn der Gesetzgeber nach fruchtlosem Ablauf der Strafantragsfrist nachträglich ein absolutes in ein relatives Antragsdelikt umwandelt und die Staatsanwaltschaft noch während des laufenden Verfahrens das besondere Interesse an der Strafverfolgung bejaht (hierzu , BGHSt 46, 310, 317 ff.), folgt kein Wertungswiderspruch. Insoweit besteht zwischen dieser und der hier zu beurteilenden Konstellation ein grundlegender struktureller Unterschied, der eine abweichende rechtliche Beurteilung rechtfertigt. Denn die Bejahung des besonderen öffentlichen Interesses ist gerade nicht fristgebunden und führt unabhängig von dem fehlenden Strafantrag zur Verfolgbarkeit der Tat. Nach einer solchen Gesetzesänderung kann somit die Staatsanwaltschaft dieses Interesse bekunden, nachdem die Strafantragsfrist verstrichen ist.

123. Die Einstellung des Verfahrens in den drei genannten Fällen bedingt die aus der Beschlussformel ersichtliche Änderung des Schuldspruchs und führt zum Wegfall der betreffenden zwischen drei und sechs Monaten festgesetzten Einzelfreiheitsstrafen.

13Trotz der Teileinstellung hat die Gesamtfreiheitsstrafe Bestand. Angesichts der hiervon nicht berührten Einsatzstrafe von neun Monaten Freiheitstrafe sowie der weiteren neun verbleibenden Einzelstrafen, die das Landgericht zudem eng zusammengezogen hat, ist auszuschließen, dass es ohne die weggefallenen Einzelstrafen auf eine niedrigere Gesamtstrafe erkannt hätte (§ 337 Abs. 1 StPO).

144. Die auf die Sachrüge veranlasste Nachprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch sowie zur Kompensationsentscheidung keinen sonstigen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Schäfer                         Berg                         Hohoff

                Kreicker                     Voigt

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:210824B3STR97.24.0

Fundstelle(n):
YAAAJ-82230