Instanzenzug: LG Arnsberg Az: II-2 KLs 28/23
Gründe
1Das Landgericht Arnsberg hat die Angeklagte wegen Betrugs in 13 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verurteilung in den Fällen II. 1., 4., 5., 7.-11. der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil insoweit ein von Amts wegen (st. Rspr. – vgl. nur Rn. 2, 6 mwN) zu beachtendes Verfahrenshindernis besteht. Es fehlt in den vorbezeichneten Fällen an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss.
3a) Die Verurteilung in den Fällen II. 1., 4., 5., 7.-11. der Urteilsgründe geht auf eine Anklage der Staatsanwaltschaft Arnsberg vom zum Amtsgericht – Schöffengericht – Arnsberg zurück. Mit Beschluss vom hat das Schöffengericht dieses Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung mit weiteren Verfahren verbunden. Das insoweit führende Verfahren war aus einer Anklage vom zum Amtsgericht – Strafrichter – Arnsberg hervorgegangen. Dieser hatte das bei ihm anhängige Verfahren am eröffnet und die Sache später dem Schöffengericht zur Übernahme vorgelegt. Ein Eröffnungsbeschluss ist in Bezug auf die Anklage vom – ebenso wie bezüglich eines weiteren hinzuverbundenen Verfahrens, welches mit Anklage vom beim Schöffengericht anhängig geworden war – nicht ergangen.
4Mit Beschluss vom hat das Schöffengericht weitere bei ihm anhängige Verfahren hinzuverbunden, die diesen zu Grunde liegenden Anklagen mit Beschlüssen vom gleichen Tag jeweils zur Hauptverhandlung zugelassen sowie das Hauptverfahren eröffnet.
5Im Hauptverhandlungstermin am vor dem Amtsgericht – Schöffengericht – Arnsberg wurde ausweislich der Sitzungsniederschrift unter anderem die Anklage vom unbeanstandet verlesen und auf den Eröffnungsbeschluss vom Bezug genommen. Auch im weiteren Verlauf des Hauptverhandlungstermins erfolgte insoweit keine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Schließlich wurde die Sache vom Amtsgericht – Schöffengericht – Arnsberg gem. § 270 Abs. 1 StPO infolge einer die Zuständigkeit des Schöffengerichts übersteigenden Straferwartung an das Landgericht Arnsberg verwiesen. Mit Beschluss vom hat die 2. Große Strafkammer des Landgerichts Arnsberg die Übernahme des an sie verwiesenen Verfahrens erklärt und zugleich die (bislang fehlende) Zulassung und Eröffnung der Anklage vom beschlossen. Die anschließende Hauptverhandlung hat nach entsprechendem Beschluss in der Besetzung gemäß § 76 Abs. 2 Satz 4 GVG stattgefunden.
6b) Danach ist hinsichtlich der Fälle II. 1., 4., 5., 7.-11. der Urteilsgründe, welche auf die Anklage vom zurückgehen, die Hauptverhandlung vor dem Landgericht ohne Eröffnungsbeschluss durchgeführt worden. Zwar enthält die Strafprozessordnung keine spezielle Formvorschrift für den Eröffnungsbeschluss; dennoch bedarf es im Hinblick auf seine Bedeutung als Grundlage des Hauptverfahrens und mit Rücksicht auf die Erweislichkeit der Beschlussfassung in weiteren Verfahrensstadien regelmäßig einer schriftlichen Niederlegung der Entscheidung (vgl. ‒ 2 StR 199/17; Beschluss vom ‒ 3 StR 484/10, BGHR StPO § 207 Beschluss 1). Eine dahingehende Entscheidung ist weder ausdrücklich ergangen noch kann dem Verfahrensgang mit der erforderlichen Sicherheit konkludent eine von Seiten des Gerichts schlüssige und eindeutige Willenserklärung dieses Inhalts entnommen werden (vgl. , NStZ 2016, 747 mwN; Beschluss vom – 3 StR 493/87 Rn. 8).
7aa) Insbesondere kommt dem Verbindungsbeschluss des Schöffengerichts vom kein entsprechender Erklärungsgehalt zu. Dies kann zwar ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn das verbindende Gericht die Eröffnungsvoraussetzungen erkennbar selbst geprüft hat und sich seiner eigenen Eröffnungsentscheidung bewusst war (vgl. Rn. 4; Beschluss vom – 3 StR 194/20; MüKo-StPO/Wenske, 2. Aufl., § 207 Rn. 30 mwN). Hierfür gibt es vorliegend jedoch keine Anhaltspunkte; namentlich ergibt sich dies nicht aus dem Beschlusswortlaut, der sich im Wesentlichen auf die Auflistung der zu verbindenden Verfahren beschränkt. Dass das Schöffengericht seinem Verbindungsbeschluss vom einen solchen Erklärungswert nicht beilegen wollte, lässt sich zudem aus einem Vergleich mit dem gerichtlichen Vorgehen in Zusammenhang mit dem weiteren Verbindungsbeschluss vom ableiten. Hier hat das Schöffengericht am Tag der Verbindung hinsichtlich der den weiter hinzuverbundenen Verfahren zu Grunde liegenden Anklagen gesonderte Eröffnungsbeschlüsse erlassen.
8bb) Der Eröffnungsbeschluss ist auch nicht im weiteren Verfahren wirksam nachgeholt worden. Der im führenden Verfahren erlassene Haftbefehl gemäß § 230 Abs. 2 StPO, welchem ein solcher Bedeutungsgehalt grundsätzlich beigemessen werden kann (vgl. ; Beschluss vom – 4 StR 606/97 Rn. 8), datiert bereits vom ; er verhält sich nicht zu den Taten aus der Anklage vom .
9Ebensowenig ist die zunächst unterbliebene Eröffnung des Hauptverfahrens noch während laufender Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht nachgeholt worden (vgl. hierzu ‒ 2 StR 45/14 Rn. 8; Beschluss vom ‒ 1 StR 213/79, BGHSt 29, 224, 228). Eine mündliche Verkündung und Protokollierung in der Sitzungsniederschrift genügt zwar grundsätzlich dem Schriftformerfordernis ( ‒ 4 StR 59/01 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 207 Rn. 8). Der vorliegend protokollierten Anordnung der Verlesung der Anklage vom im Hauptverhandlungstermin am kann ein eindeutiger Erklärungsinhalt im Sinne einer diesbezüglichen Eröffnung des Hauptverfahrens jedoch schon deshalb nicht entnommen werden, weil zugleich (irrtümlich) auf einen vorliegenden Eröffnungsbeschluss vom Bezug genommen worden ist, der die zeitlich nachfolgende Anklage vom nicht erfasst. Vor diesem Hintergrund bedarf die Frage, ob eine derartige Maßnahme der Verhandlungsleitung überhaupt geeignet sein kann, um mit hinreichender Sicherheit erkennen zu lassen, dass der gem. § 30 Abs. 2 GVG für die Nachholung des Eröffnungsbeschlusses zuständige Amtsrichter die Eröffnung des Hauptverfahrens tatsächlich beschlossen hat, hier keiner Entscheidung (zur erforderlichen Besetzung vgl. ‒ 2 StR 199/17 Rn. 9; ‒ 2 Rev 9/21 ‒ jew. mwN).
10Auch die Verweisung durch das Schöffengericht an die große Strafkammer nach § 270 Abs. 1 StPO kann vorliegend den fehlenden Eröffnungsbeschluss nicht nach § 270 Abs. 3 StPO ersetzen. Dafür wäre erforderlich gewesen, dass das verweisende Gericht – anders als hier – die Eröffnungsvoraussetzungen geprüft hat. Denn der Verweisungsbeschluss kann nur an die Stelle eines früheren Eröffnungsbeschlusses treten, einen solchen aber nicht ersetzen (vgl. Rn. 6 mwN). Schließlich hat auch im Verfahren vor der Strafkammer in Bezug auf die Anklage vom keine Nachholung der Eröffnungsentscheidung stattgefunden. Für eine entsprechende Auslegung der Übernahmeerklärung vom besteht schon deshalb kein Raum, weil die Strafkammer im selben Beschluss explizit eine Eröffnungsentscheidung hinsichtlich der Anklage vom nachgeholt hat. Die Dokumentation einer Nachholung des Eröffnungsbeschlusses in der anschließenden Hauptverhandlung vor der Strafkammer scheitert bereits daran, dass die Strafkammer lediglich mit zwei Berufsrichtern verhandelt hat.
11c) Das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilaufhebung und Einstellung des gerichtlichen Verfahrens nach § 206a StPO mit der Kostenfolge gem. § 467 Abs. 1 StPO (vgl. Rn. 10 mwN).
122. Da die Verurteilung in den übrigen Fällen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten aufweist, war der Schuldspruch wie aus der Beschlussformel ersichtlich abzuändern. Durch die Verfahrenseinstellung in den Fällen II. 1., 4., 5., 7.-11. der Urteilsgründe verliert der Gesamtstrafenausspruch seine Grundlage.
Quentin Maatsch Scheuß
Tschakert Gödicke
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:231024B4STR167.24.0
Fundstelle(n):
IAAAJ-82017